Urteil vom Landgericht Dortmund - 13 O (Kart) 74/09
Tenor
Die Beklagte zu 1. wird verurteilt, an die Klägerin 232.141,16 € (in Worten zweihundertzweiunddreißigtausendeinhunderteinundvierzig 16/100 Euro) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 08.01.2009 zu zahlen. Hinsichtlich des weitergehenden Zinsanspruchs wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte zu 1. mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der ehemaligen Beklagten zu 2..
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages.
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T a t b e s t a n d
2Die Beklagte zu 1. betrieb in den Jahren 2003 und 2004 und zuvor in Dortmund ein Netz für leitungsgebundene öffentliche Elektrizitätsversorgung. Sie war in ihrem Netzgebiet ausschließlicher Netzbetreiber.
3Die Klägerin, Energieversorgerin mit Genehmigung für den Handel mit elektrischer Energie, nutzte seit 2002 das Verteilnetz der Beklagten zu 1. zur Versorgung von Kunden mit elektrischer Energie. Das Nutzungsverhältnis der Parteien sollte durch einen Händlerrahmenvertrag geregelt werden. Zur Unterzeichnung eines solchen Vertrages kam es aber nicht. Die Klägerin zahlte an die Beklagte zu 1. für die Nutzung des Verteilnetzes Netznutzungsentgelte, die sich nach den jeweils gültigen, von der Beklagten zu 1. im Internet bekannt gemachten Preisblättern der Beklagten zu 1. richteten. Auf die Zusammenstellung der Klägerin Blatt 59 bis 60 der Akten wird insoweit Bezug genommen.
4Die Beklagte zu 1. erteilte der Klägerin Jahresrechnungen bzw. Abrechnungen zu Ende von Verbrauchserfassungsperioden. Die Klägerin zahlte hierauf zunächst abschlagsweise.
5Die Beklagte zu 1. gliederte den Netzbetrieb in der Folge aus, auf die ehemalige Beklagte zu 2.. Die Bundesnetzagentur genehmigte der ehemaligen Beklagten zu 2. mit Wirkung vom 01.04.2007 Netznutzungsentgelte, zu deren Höhe auf die Aufstellung Blatt 61 bis 63 der Akten verwiesen wird.
6Die Klägerin verlangte mit Anwaltsschreiben vom 12.11.2008 und 21.12.2008 von beiden Beklagten teilweise Rückzahlung gezahlter Netznutzungsentgelte für die Jahre 2003 und 2004. Auf Blatt 65 bis 67 der Akten wird Bezug genommen.
7Zahlung erfolgte nicht. Die Klägerin nahm beide Beklagte mit am 30.12.2008 eingegangenen Mahnbescheidsanträgen als Gesamtschuldner auf Zahlung von 232.141,36 € in Anspruch. Die Mahnbescheide vom 06.01.2009 wurden den Beklagten am 09.01.2009 zugestellt. Auf den Widerspruch der Beklagten wurden die Verfahren im Juli 2009 abgegeben an das hiesige Landgericht. Die Klage wurde im August 2009 begründet und im Dezember 2009 bezüglich der ehemaligen Beklagten zu 2. zurückgenommen.
8Die Klägerin verlangt von der Beklagten zu 1. teilweise Rückzahlung der von ihr für die Netznutzung in den Jahren 2003 und 2004 gezahlten Entgelte. Sie hält das von der Beklagten zu 1. geforderte Netznutzungsentgelt für nach § 315 BGB unbillig überhöht, außerdem für einen kartellrechtswidrigen Ausbeutungsmissbrauch, eine kartellrechtswidrige Zugangsverweigerung und eine unbillige Behinderung nach §§ 19 Abs. 4 Nr. 2 und Nr. 4, 20 Abs. 1 GWB. Sie behauptet, sie habe an die Beklagte zu 1. für die Belieferung ihrer Kunden im Netzgebiet der Beklagten zu 1. im Jahre 2003 insgesamt 147.241,14 € und im Jahr 2004 insgesamt 1.176.307,15 € gezahlt. Das von der Bundesnetzagentur der ehemaligen Beklagten zu 2. mit Wirkung ab dem 01.04.2007 genehmigte Netznutzungsentgelt entspreche einer Entgeltkürzung von durchschnittlich knapp 20 %. Allein dieses Entgelt habe auch in den Jahren 2003 und 2004 der Billigkeit entsprochen. Bezogen auf ihr Kundenporfolio und das Abnahmeverhalten ihrer Kunden bei kundenscharfer Einzelkalkulation ergäbe sich ein Überhöhungsbetrag ohne KA, KWKG und Umsatzsteuer von 28.679,00 € für das Jahr 2003 und für das Jahr 2004 ein Betrag von 228.700,35 €. Insgesamt ergebe sich ein Überhöhungsbetrag von 257.379,44 € zu ihren Gunsten, von dem sie unter Verzicht auf den Mehrbetrag insgesamt nur 232.141,36 € klageweise geltend mache.
9Die Klägerin behauptet, die Beklagte zu 1. habe durch die Festsetzung von Netznutzungsentgelten unter unbilliger und angemessener Ausnutzung der zu grundlegend und systematisch und im europäischen Vergleich überhöhten Netznutzungsentgelten führenden VV II plus gegen die Vorschriften der §§ 19 Abs. 4 Nr. 2 und Nr. 4 GWB verstoßen und sie zugleich unbillig im Sinne von § 20 Abs. 1 GWB behindert in der Bewerbung um Endkunden auf dem Markt der Belieferung mit elektrischer Energie. Zugleich habe sie mit der Anforderung überhöhter Netznutzungsentgelte den mit ihr im aktuellen Wettbewerb stehenden eigenenVertrieb und dessen Preise subventioniert.
10Hierdurch sei ihr ein Schaden in Form entgangenen Gewinns in Höhe der Differenz zwischen den tatsächlich in den Jahren 2003 und 2004 gezahlten Netznutzungsentgelten und den von der Bundesnetzagentur mit Wirkung ab 01.04.2007 genehmigten Netznutzungsentgelten entstanden. Die Beklagte zu 1.habe auch schuldhaft gehandelt. Ihr sei bekannt gewesen, dass Beurteilungsspielräume, welche die VV II plus dem Netzbetreiber bietet, immer zur Kostensenkung ausgenutzt werden müssten, habe dies aber nicht getan.
11Die Klägerin hält weder Bereicherungsansprüche noch Schadensersatz-ansprüche für verjährt. Die erforderlichen subjektiven Voraussetzungen des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB hätten nicht vorgelegen. Angesichts der ausschließlich vorläufig erfolgten Abschlagszahlungen habe sie Kenntnis von ihrer Leistung erst jeweils nach der Schlussrechnung im Folgejahr erhalten. Sie habe auch bis heute keine Kenntnis von der Kostenstruktur der Beklagten zu 1.. Sie habe sich angesichts der im Gang befindlichen Diskussion über die Billigkeit von Netznutzungsentgelten Rückforderungsansprüche „für den Fall der Fälle“ vorbehalten. Kenntnis von tatsächlicher Unbilligkeit im konkreten Fall habe sie aber nicht gehabt. Außerdem sei die Beklagte zu 1. im Fall der Verjährung eines Schadensersatzanspruches nach § 852 BGB jedenfalls zur Herausgabe der aufgrund überhöhter Festsetzung von Netznutzungsentgelten erlangten Beträge verpflichtet.
12Die Ansprüche seien auch nicht verwirkt, weil weder das erforderliche Zeit- noch das Umstandselement gegeben sei. Die Beklagte zu 1. habe nicht dargetan, im Hinblick auf die Nichtgeltendmachung der Vermögensdisposition getroffen zu haben. Sie habe auch gar nicht darauf vertraut, dass keine Rückforderungsansprüche mehr geltend gemacht würden. Auch der Beklagten zu 1. sei die Diskussion über Rückforderungsmöglichkeiten betreffend überhöhte Netznutzungsentgelte bekannt gewesen. Vor diesem Hintergrund hätte sie nicht darauf vertrauen dürfen, dass berechtigte Ansprüche nicht geltend gemachten würden. Dies habe sie auch nicht getan. Sie habe vielmehr für den Fall der Geltendmachung von Rückforderungsansprüchen durch Netznutzer Rückstellungen gebildet.
13Die Klägerin beantragt,
14die Beklagte zu 1. zu verurteilen, an sie 232.141,36 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz ab Zustellung des Mahnbescheids zu zahlen.
15Die Beklagte beantragt,
16die Klage abzuweisen.
17Die Beklagte zu 1. bestreitet eine unbillige kartellrechtswidrige Überhöhung der Netznutzungsentgelte. Die Darlegungslast soweit liege im Rückforderungsprozess bei der Klägerin, da diese ohne jeden Vorbehalt gezahlt habe. Auch könne aus marktbeherrschender Stellung allein nicht auf einen Missbrauch an Marktmacht durch sie geschlossen werden. Die Klägerin beschränke sich insoweit auf Allgemeinplätze und die nichtssagende Behauptung einer Überhöhung der Netznutzungsentgelte im europäischen Vergleich. Sie sei ihrer Darlegungs- und Beweislast auch nicht im Hinblick auf § 138 Abs. 2 ZPO enthoben. Die sekundäre Darlegungs- und Beweislast stelle eine Ausnahme dar und begründe für einen beklagten Netzbetreiber keine allgemeine prozessuale Aufklärungspflicht.
18Die Beklagte zu 1. beruft sich auf Verjährung und Verwirkung von Ansprüchen. Die dreijährige Verjährungsfrist habe mit Ablauf des 31.12.2003 bzw. 31.12.2004 begonnen und sei bei Eingang des Mahnbescheids-antrages im Jahr 2008 bereits beendet gewesen. Abzustellen sei dabei auf den Zeitpunkt der einzelnen Zahlungen. Der Klägerin sei die Möglichkeit der Billigkeitskontrolle oder eines Kartellverstoßes damals bekannt gewesen. Sie hätte zumindest Feststellungsklage erheben können. Der Mahnbescheid sei zudem zur Verjährungshemmung mangels hinreichender Individualisierung gar nicht geeignet gewesen. Der von der Klägerin im den Mahnbescheid und in der Klagebegründung angegebene bezifferte Betrag sei für sie nicht nachvollziehbar. Die Forderungen seien auch zumindest verwirkt. Die Klägerin habe seit 2002 ständig Kunden in ihrem Netzgebiet akquiriert und beliefert und die Netznutzung dafür anstandslos abgewickelt und Netznutzungsentgelte ohne weiteren Vorbehalt gezahlt, obwohl sie gegenüber anderen Netzbetreibern den Vorbehalt der Rückforderung für den Fall der Unangemessenheit erklärt habe. Die Diskussion über die Höhe von Netznutzungsentgelten sei bereits seit 2000 allen, auch der Klägerin, bekannt gewesen. Daraus habe sie das Vertrauen geschöpft, dass die Klägerin die Entgelte als wirksam akzeptierte. Im Vertrauen darauf habe sie keine Rückstellung gebildet und gegenüber dem Betreiber des vorgelagerten Netzes keinen Regress erhoben.
19Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
20E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
21Die Klage ist im Wesentlichen begründet.
22Die Klägerin kann von der Beklagten zu 1. Zahlung eines Betrages nebst Zinsen wie tenoriert verlangen. Ob ihr im gesprochenen Umfang gegen die Beklagte zu 1. ein Bereicherungsanspruch nach § 812 BGB wegen unbilliger Leistungsbestimmung im Sinne von § 315 BGB oder ein Schadensersatzanspruch gemäß §§ 33, 19 Abs. 4 Nr. 2 oder Nr. 4 GWB wegen Marktmissbrauchs zusteht und ob diese Ansprüche verjährt und/oder verwirkt sind, kann dahinstehen. Die Klägerin hat gegen die Beklagte zu 1. zumindest einen kartellrechtlichen Schadensersatzanspruch nach §§ 33, 20 Abs. 1 GWB wegen unbilliger Behinderung, der von der Beklagten zu 1. nach Maßgabe von § 852 Satz 2 BGB als ungerechtfertigte Bereicherung an die Klägerin herausgegeben werden muss. Dieser Anspruch ist weder verjährt noch verwirkt.
23Die kartellrechtliche Überprüfung des Verhaltens der Beklagten zu 1. ist nicht ausgeschlossen. Für den streitgegenständlichen Zeitraum ist die Regelung des § 30 EnWG ohne Belang. Ansprüche aus §§ 19, 20 GWB bleiben nach dem maßgeblichen § 6 Abs. 1 EnWG a.F. von den energiewirtschaftrechtlichen Regelungen unberührt.
24Die Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch der Klägerin der Beklagten zu 1. gegenüber nach §§ 33, 20 Abs. 1 GWB sind erfüllt. Es ist unstreitig, dass die Beklagte zu 1. in den Jahren 2003 und 2004 auf dem relevanten Markt der Netzdurchleitung in ihrem Netzbereich marktbeherrschend und die Klägerin zur Versorgung ihrer im Netzbereich der Beklagten zu 1. ansässigen Endkunden mangels jeglicher Alternative auf die Nutzung des Verteilnetzes der Beklagten zu 1. angewiesen war.
25Auch eine unbillige Behinderung der Klägerin durch die Beklagte zu 1. im Sinne von § 20 Abs. 1 GWB liegt vor. Netznutzungsentgelte, die festgesetzt werden ohne Beachtung der Zielsetzung der §§ 1, 6 EnWG a.F., im Interesse der Allgemeinheit eine möglichst sichere, preisgünstige und umweltverträgliche Stromversorgung und darüber hinaus einen wirksamen Wettbewerb zu gewährleisten, sind unbillig (BGH, Urteil vom 18.10.2005, KZR 36/04 und vom 07.02.2006, KZR 8/05). Sie sind überhöht, soweit sie das bei ordnungsgemäßer Ermessensausübung festgesetzte billige Entgelt überschreiten. Die Forderung überhöhter Netznutzungsentgelte behindert den betroffenen Netzpetenten in seiner Wettbewerbsmöglichkeit bei der Bewerbung von Kunden auf dem Endkundenmarkt für die Belieferung mit elektrischer Energie. Der Anteil der Netznutzungsentgelte am Gesamtkostenaufwand eines Händlers leitungsgebundener Energie ist beträchtlich. Das ist gerichtsbekannt; ebenso, dass hiervon in maßgeblicher Weise die Preiskalkulation des Händlers und dessen Gewinnerwartungen beeinflusst werden. Die Belastung mit überhöhten Kosten schmälert regelmäßig den Gewinn, auch wenn diese Kosten an den Endabnehmer weitergegeben werden können. Die maßgeblich vom Preiswettbewerb beeinflussten Marktchancen des Energiehändlers werden zudem gemindert und seine Wettbewerbsfähigkeit behindert. Diese Behinderung ist unbillig im kartellrechtlichen Sinn. Ein Recht der Beklagten zu 1., überhöhte Forderungen geltend zu machen, bestand nicht. Sachliche Rechtfertigungsgründe hierfür werden von der Beklagten zu 1. nicht vorgetragen und sind auch nicht ersichtlich.
26Die Entgeltforderung der Beklagten zu 1. war überhöht, weil unbillig im Sinne von § 315 BGB. Der Beklagten zu 1. stand im Rahmen des zwischen den Parteien praktizierten Netznutzungsverhältnisses ein vertragliches und zugleich nach § 6 EnWG a.F. ein gesetzliches Leistungsbestimmungsrecht zu, von dem sie aber nur nach billigem Ermessen Gebrauch machen durfte. Dass sie diese Anforderung beachtet hat, muss die Beklagte zu 1. als nach § 315 BGB Leistungsbestimmungsberechtigte dartun. Dies gilt auch im Rückforderungsprozess, da die Klägerin nur abschlagsweise geleistet hat. Die Beklagte zu 1. ist dieser Darlegungslast auch nicht enthoben, weil die Klägerin kartellrechtlichen Schadensersatz geltend macht. Zwar ist für das Vorliegen von Anspruchsvoraussetzungen bei kartellrechtlichen Schadensersatzansprüchen der Anspruchsteller darlegungs- und beweisverpflichtet. Ihm kommt jedoch die Erleichterung des § 138 Abs. 2 ZPO zugute, wenn er außerhalb des von ihm darzulegenden Geschehensablaufs steht und anders als die Gegenseite die maßgeblichen Tatsachen nicht näher kennt. Eine solche Situation ist hier gegeben. Die Beurteilung der Frage, ob eine Netznutzungsentgeltforderung eines marktbeherrschenden Netzbetreibers eine unbillige Behinderung für den Netzpetenten darstellt, hängt allein ab von der Kosten- und Gewinnstruktur des Netzbetreibers (OLG Düsseldorf, Urteil vom 26.11.2008, VI-2 UKart. 12/07). Die Klägerin als Netzpetentin kann mangels eigener konkreter Kenntnis zur Kosten- und Gewinnstruktur der Beklagten zu 1. als Netzbetreiberin nicht vortragen. Angesichts dessen ist die Beklagte zu 1. im Rahmen sekundärer Darlegungslast gehalten, zur Widerlegung der von der Klägerin behaupteten unbilligen Behinderung vorzutragen zu ihrer Kosten- und Gewinnstruktur im Hinblick auf die streitgegenständlichen Netznutzungsentgelte. Sie kann dies nur durch Offenlegung und Erläuterung der insoweit maßgeblichen Entgeltkalkulation. Hierzu hat die Beklagte zu 1. nichts vortragen.
27Die Beklagte zu 1. hat schuldhaft gehandelt. Die klägerische Behauptung einer wissentlichen Forderung von in Ansehung der Kostenstruktur und der Höhe nach nicht gerechtfertigten Netznutzungsentgelten hat die Beklagte zu 1. nicht ausreichend bestritten. Auch insoweit trifft sie eine sekundäre Darlegungspflicht. Auf bloßes Bestreiten konnte die Beklagte zu 1. sich nicht beschränken.
28Durch die unbillige Behinderung ist der Klägerin ein Schaden entstanden. Die Klägerin kann eine abstrakte Schadensberechnung nach § 252 BGB vornehmen. Die von ihr errechneten Überhöhungsbeträge entsprechen dem entgangenen Gewinn. Solchen hat die Klägerin erlitten, auch wenn sie die überhöhten Kosten an ihre Endkunden hat weiter geben können. Es ist davon auszugehen, dass die Klägerin bei geringerer Kostenbelastung einen um diesen Kostenteil erhöhten Gewinn gemacht hätte.
29Der Schaden der Klägerin besteht in der Differenz zwischen dem von der Beklagten zu 1. geforderten und erhaltenen Netznutzungsentgelten und den Netznutzungsentgelten, die bei Anwendung billigen Ermessens von der Klägerin zu zahlen gewesen wären. Für Letzteres kann mangels erheblichen Sachvortrags der Beklagten zur Billigkeit ihrer einseitigen Leistungsbestimmung ausgegangen werden von den Ergebnissen des später durch die Regulierungsbehörde durchgeführten Genehmigungsverfahrens. Da in diesem auf der Grundlage kostenorientierter Überprüfung Netznutzungsentgelte festgesetzt wurden, lassen schon bei beschränkter Überprüfungsmöglichkeit festgestellte Überhöhungen den Schluss zu, dass im vorausgegangenen Zeitraum ohne Überprüfung durch eine Regulierungsbehörde ebenfalls ungerechtfertigte Kosten zumindest in ebensolchem Maße in Ansatz gebracht wurden.
30Das Ausmaß der Überhöhung beläuft sich auf die von der Klägerin errechneten und eingeklagten Beträge. Die Beklagte zu 1. hat den substantiierten Vortrag der Klägerin zum Umfang der erhaltenen Entgeltzahlung und zum Ergebnis des Genehmigungsverfahrens nicht oder nicht substantiiert bestritten. Die klägerische Forderungsaufstellung ist auch nachvollziehbar. Weshalb sich insoweit für die Beklagte zu 1. Probleme ergeben, ist nicht erkennbar. Rechtskraftprobleme stellen sich nach dem von der Klägerin nunmehr erklärten Verzicht auf Mehrforderungen nicht.
31Ob der Schadensersatzanspruch nach den maßgeblichen Vorschriften der §§ 195, 199 BGB verjährt ist, kann dahinstehen. Nicht verjährt ist gemäß § 852 BGB der Schadensersatzanspruch aus der unerlaubten Handlung der Beklagten zu 1., soweit er beschränkt ist auf die bei der Beklagten zu 1. verbliebene aus der unerlaubten Handlung stammende ungerechtfertigte Bereicherung. Insoweit gilt eine 10jährige Verjährungsfrist, die frühestens im Zeitpunkt der Zahlung beginnend noch nicht abgelaufen ist und nach § 204 BGB spätestens mit der Klagebegründung im August 2009 gehemmt wurde. Die der Beklagten zu 1. verbliebene ungerechtfertigte Bereicherung entspricht dem von der Beklagten zu 1. zu Unrecht geforderten und von ihr vereinnahmten Teil der Entgeltzahlungen. Dieser ist, wie ausgeführt, mangels substantiierten Bestreitens der Beklagten zu 1. unstreitig. Für einen Wegfall der Bereicherungen nach § 818 BGB hat die dafür darlegungsbelastete Beklagte zu 1. nichts vorgetragen.
32Der Anspruch ist auch nicht verwirkt. Es kann dahinstehen, ob das erforderliche Zeitmoment gegeben ist. Es fehlt zumindest am Umstandsmoment. Ein Vertrauenstatbestand zugunsten der Beklagten zu 1. ist aufgrund fehlender Betätigung der Klägerin bei der Geltendmachung von Rückforderungsansprüchen nicht gegeben. Es ist schon fraglich, ob die Klägerin vollständig untätig geblieben ist. Der Vortrag der Beklagten zum Fehlen einer Vorbehaltserklärung der Klägerin wechselt und ist widersprüchlich. Aber selbst wenn die Klägerin schon bei Beginn des Netznutzungsvertragsverhältnisses keinen Vorbehalt erklärt und in der Folge seit 2002 die geforderten Netznutzungsentgelte stets vorbehaltslos und bean-standungsfrei gezahlt hat, durfte die Beklagte hieraus nicht folgern, von der Klägerin auf Rückzahlung kartellrechtswidriger überhöhter Netznutzungsentgelte überhaupt nicht in Anspruch genommen zu werden. Die Beklagte wusste wie jeder sonstige Marktteilnehmer auf dem Gebiet der leitungsgebundenen Energieversorgung von der schon im Jahr 2000 begonnenen Diskussion um die Höhe von Netznutzungsentgelten und um die Möglichkeit der Rückforderung überhöhter Netznutzungsentgelte. Dem Gericht ist aus vielen der vor ihm geführten Rückforderungsprozessen bekannt, dass die Entwicklung der Rechtsprechung insoweit von allen Netzbetreibern und ihren anwaltlichen Beratern stets genauestens verfolgt wurde. Es ist sicher, dass die Beklagte zu 1., die selbst auch auf Rückzahlung von Netznutzungsentgelten klageweise in Anspruch genommen wurde, auch zu diesen Netzbetreibern gehörte. Die Beklagte zu 1. kannte die sich seit Oktober 2005 mehr und mehr verfestigende Rechtsprechung des Kartellsenats beim BGH zur Rückforderung unbillig überhöhter Netznutzungsentgelte. Es ist auch davon auszugehen, dass ihr die Tatsache der nicht unerheblichen Kürzungen der Netznutzungsentgelte ihrer Netzgesellschaft durch die Regulierungsbehörde in der ersten Genehmigungsrunde bekannt war. Angesichts dessen musste die Beklagte zu 1. damit rechnen, von sämtlichen in ihrem Netzbereich versorgenden Energiehändlern auf Rückzahlung von Netznutzungsentgelten in Anspruch genommen zu werden, auch von solchen, die zunächst beanstandungslos gezahlt und die Entwicklung der Rechtsprechung erst abgewartet haben. Die Beklagte zu 1. hätte dem Rechnung tragen können. Sie hätte sich im Hinblick auf die von ihr vereinnahmten Netznutzungsentgelte für die Nutzung vorgelagerter Netze absichern können durch entsprechende Vereinbarung mit den Betreibern dieser Netze oder durch Regressnahme bei diesen Vertragspartnern. Sie hätte zudem aus kaufmännischer Vorsicht Rückstellungen für den Fall der Geltendmachung von Rückforderungsansprüchen bilden müssen. Dass sie dies nicht getan habe, wird von ihr zwar behauptet, aber bezeichnender Weise nicht unter Beweis gestellt.
33Die Klägerin kann Verzinsung verlangen gemäß §§ 288, 286 BGB, aber nur im zugesprochenen Umfang. Bei der geltend gemachten Forderung auf Rückzahlung überhöhter Entgelte handelt es sich nicht um eine Entgeltforderung i.S. von § 288 Abs. 2 BGB. Entgeltforderungen setzen voraus, dass die Geldforderung Gegenleistung für eine vom Gläubiger erbrachte oder zu erbringende Leistung ist (OLG Düsseldorf, Urteil vom 19.10.2011, VI – 3 UK 10/11). Das ist hier nicht der Fall.
34Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91, 92 Abs. 1, 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen, soweit sie die Klage gegen die ehemalige Beklagte zu 2. zurückgenommen hat. Dies war gemäß § 269 Abs. 4 ZPO aber nur auf Antrag der ehemaligen Beklagten zu 2. auszusprechen. Ein solcher Antrag wurde bislang nicht gestellt.
35Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.
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