Beschluss vom Landgericht Dortmund - 2 S 42/11
Tenor
Die Kammer weist die Parteien darauf hin, dass beabsichtigt ist, die Berufung ge¬mäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil sie nach dem Vorbringen in der Berufungsbe-gründung aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung keine Aussicht auf Erfolg hat. Die Sache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung und eine Entscheidung ist zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich.
Der Berufungsklägerin wird Gelegenheit gegeben, binnen drei Wochen nach Zugang dieses Beschlusses, zu den Hinweisen Stellung zu nehmen und mitzuteilen, ob die Berufung aus Kostengründen zurückgenommen wird.
1
Gründe
2Die zulässige Berufung hat aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, die durch das Berufungsvorbringen nicht entkräftet werden, keine Aussicht auf Erfolg.
3Das Amtsgericht hat entgegen der mit der Berufung geäußerten Auffassung weder die Rechtslage verkannt noch die maßgebliche versicherungsrechtliche Systematik, die Versicherungsbedingungen oder die Rechtsprechung.
41. Versicherungsfall in der zwischen den Parteien vereinbarten Reiserücktrittskostenversicherung ist eine unerwartete schwere Erkrankung der versicherten Person, unabhängig davon, ob die von der Klägerin oder die von der Beklagten eingereichten Versicherungsbedingungen in den Vertrag einbezogen worden sind. Dies ist unter den Parteien auch nicht streitig. a) Eine schwere Erkrankung ist jedenfalls durch ärztliches Zeugnis v. 16.5.2011 bewiesen. Danach hat ein akuter Rheumaschub Anfang März 2010 eine stationäre Behandlung notwendig gemacht. Damit war ein Antritt der Reise objektiv nicht mehr zumutbar. Dies wird mit der Berufung auch nicht angegriffen. b) Ob eine Erkrankung unerwartet ist, beurteilt sich nach st. Rspr. aus der subjektiven Sicht des Versicherungsnehmers (zuletzt BGH v. 21.9.2011 –IV ZR 227/09- m.w.N.). Entscheidend ist allein, welche Informationen dem Versicherungsnehmer durch behandelnde Ärzte konkret gegeben worden sind. Dazu ist unstreitig, dass die Klägerin vor Buchung der Reise bei ihrem Arzt nachgefragt und die Auskunft bestehender Reisefähigkeit erhalten hat, so dass der akute, eine stationäre Behandlung erfordernde Rheumaschub unerwartet i.S.d. AVB war. Aus der o.a. Entscheidung des BGH folgt entgegen der Auffassung der Berufung auch, dass ein bestehendes Grundleiden (dort koronare Vorerkrankung, hier rheumatoide Arthritis) der Annahme einer unerwarteten Erkrankung nicht entgegensteht, selbst wenn diese im Zusammenhang mit der Grunderkrankung steht (dort Herzinfarkt, hier akuter Rheumaschub). Der Berufung ist zuzugeben, dass mit einer Reiserücktrittskostenversicherung nicht die enttäuschte Hoffnung auf Besserung/Wiedergenesung von einer bestehenden Erkrankung bis zum Reiseantritt versichert wird. Denn der durchschnittliche Versicherungsnehmer kann den AVB entnehmen, dass akute, mithin im versicherten Zeitraum neu und plötzlich auftretende Erkrankungen Versicherungsschutz genießen, während bereits bestehende und bekannte Vorerkrankungen vom Versicherungsschutz ausgenommen sein sollen (BGH a.a.O.). So liegt der vorliegende Fall indes nicht. Zwar war bei der Klägerin bereits Anfang Februar 2010 auf Basis der bestehenden Grunderkrankung ein akuter Rheumaschub aufgetreten. Dies war für die Klägerin Anlass, bei ihrem Arzt bez. einer Reisefähigkeit für die beabsichtigte Reise nachzufragen. Erst nachdem der Arzt Reisefähigkeit trotz des vorliegenden, offenbar nicht schwerwiegenden Rheumaschubs bejaht hat, hat die Klägerin die später stornierte Reise gebucht. Vor Reiseantritt ist dann im März ein weiterer "akuter Rheumaschub aufgetreten…, der eine stationäre Behandlung notwendig machte", wie der behandelnde Arzt der Klägerin auf die Anfrage der Gerichts erster Instanz in seiner Stellungnahme v. 16.5.2011 ausgeführt hat. Damit hat nicht eine ausgebliebene Besserung eines schon bei Reisebuchung vorliegenden Krankheitszustandes zur Reiseunfähigkeit geführt, sondern ein neuer akuter, nunmehr schwerwiegender Rheumaschub bzw. eine –wie es die Berufung formuliert- unerwartete "Verschlimmerung" einer chronischen Grunderkrankung. Die unerwartete Verschlimmerung steht dem unerwarteten Auftreten einer Erkrankung gleich (Knappmann in Prölss/Martin, VVG, 28. Aufl., Nr. 2 VB-Reiserücktritt Rn. 10; enger LG Oldenburg, VersR 2004, 110 (Ls); AG Hamburg r+s 2004, 115; offenbar auch Nies in Beckmann/Matusche –Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch, 2. Aufl. § 41 Rn. 105). 2. Eine zur Leistungsfreiheit/Leistungskürzungsbefugnis führende Obliegenheitsverletzung liegt ebenfalls nicht vor. a) Die Klägerin hat unwidersprochen vorgetragen, dass die Reisekostenrücktrittsversicherung als Assistenzleistung einer Kreditkarte bestanden hat und -dazu passend- die ABRV für Inhaber einer GoldCard vorgelegt. Aus der Reisebestätigung des Reiseveranstalters ergibt sich zudem, dass zur Reisebuchung eine Rücktrittskostenversicherung nicht gewünscht war, so dass Vieles dafür spricht, dass die von der Klägerin vorgelegten Bedingungen Vertragsinhalt sind. Diese Bedingungen geben hinsichtlich der Folgen von Obliegenheitsverletzungen den Rechtszustand vor Inkrafttreten des VVG 2008 wieder. Da eine gem. Art. 1 Abs. 3 EGVVG mögliche Anpassung dieser Regelung an den halbzwingenden § 28 VVG 2008 ersichtlich nicht erfolgt ist, bleiben die in § 5 ABRV geregelten Obliegenheiten bei einem Verstoß jedenfalls sanktionslos (BGH v. 12.10.2011 –IV ZR 199/10-). b) Selbst wenn das Gericht die von der Beklagten eingereichten VB MDT 2008-A zugrunde legen würde, stünde der Klägerin der geltend gemachte, der Höhe nach unstreitige Anspruch in voller Höhe zu. § 28 II VVG sanktioniert eine Obliegenheitsverletzung nur noch bei grob fahrlässiger oder vorsätzlicher, nicht aber bei nur leicht fahrlässiger Obliegenheitsverletzung. Der Klägerin kann aber allenfalls leicht fahrlässiges Verhalten vorgeworfen werden, wenn sie nach der anfangs ärztlicherseits bestätigten Reisefähigkeit die Stornierung der Reise erst vorgenommen hat, nachdem der Arzt Reiseunfähigkeit wegen einer erforderlich gewordenen stationären Behandlung attestiert hat. Die von der Beklagten angenommene Leistungsfreiheit (Leistungskürzung auf Null) kommt unter diesen Umständen ohnehin nicht in Betracht, da sie den Ausnahmefällen von besonders schwerwiegenden Obliegenheitsverletzungen vorbehalten ist (BGH VersR 2011, 1037=r+s 2011, 376 mit Anm. Nugel jurPR-VersR 8/2011 Anm 1 und Grams FD-VersR 2011, 321275 und Ebert jurPR-BGH ZivilR 16/2011 Anm. 3 und Münstermann VK 2011, 146 und Armbrüster LMK 2011, 323401).
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