Urteil vom Landgericht Dortmund - 2 O 457/09
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 9.518,25 € (i.W.: neuntausendfünfhundertachtzehn 25/100 Euro) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.12.2009 zu zahlen.
Die Beklagte wird weiter verurteilt, an die Klägerin 775,64 € (i.W.: siebenhundertfünfundsiebzig 64/100 Euro) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.12.2009 als Nebenforderung zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits nach einem Streitwert von 9.689,75 €.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
T a t b e s t a n d:
2Die 1978 geborene Klägerin ist bei der Beklagten im Basistarif privat krankenversichert. Es gelten die Allgemeinen Versicherungsbedingungen 2009 für den Basistarif (AVB/BT 2009) sowie die Tarifbedingungen der Beklagten Tarif BT. In § 2 Abs. 1 AVB/BT 2009 heißt es: "Der Versicherungsschutz beginnt mit dem im Versicherungsschein bezeichneten Zeitpunkt (Versicherungsbeginn), jedoch nicht vor Abschluss des Versicherungsvertrages (insbesondere Zugang des Versicherungsscheines oder einer schriftlichen Annahmeerklärung). Vor und nach Abschluss des Versicherungsvertrages eingetretene Versicherungsfälle sind für den Teil von der Leistungspflicht ausgeschlossen, der in die Zeit vor Versicherungsbeginn fällt…."
3Die Versicherung kam zustande auf Grund eines ausgefüllten "AngebotsServiceformular" vom 02.04.2009, das ein Außendienstmitarbeiter der Beklagten entgegennahm. In dem Formular ist die Frage 5.3 nach dem Bestehen von Beschwerden, Krankheiten oder dauerhaften Gesundheitsstörungen bejaht und hierzu Burn-Out-Syndrom angegeben. Als Behandlung ist Psychotherapie genannt. Die Frage 5.4 nach dem Bestehen von Arbeitsunfähigkeit ist ebenfalls bejaht. Versicherungsschutz wird ab dem 06.03.2009 beantragt. Auf Verlangen der Beklagten füllte die Klägerin eine Zusatzerklärung zum Abschluss des Basistarifs BT am 14.04.2009 aus. Die Beklagte holte einen ärztlichen Bericht des behandelnden Hausarztes S vom 16.04.2009 ein und teilte der Klägerin mit Schreiben vom 27.05.2009 mit, dass der Basistarif BTN zum Monatsbeitrag von 569,63 € bei ihr abgeschlossen werden könne. Unter dem 25.06.2009 erteilte die Beklagte der Klägerin Versicherungsschein u.a. für den Tarif BTN ohne Wartezeit ab dem 06.03.2009. Bereits zuvor hatte die Klägerin Lohnersatzleistungen geltend gemacht. Auf Anforderung der Beklagten vom 13.07.2009 übersandte die Klägerin u.a. einen Formularantrag auf Krankentagegeld mit einer Arztbescheinigung ausgestellt von S, die die fortdauernde Arbeitsunfähigkeit bescheinigt. Die Klägerin war als Außendienstmitarbeiterin für Medizinprodukte angestellt berufstätig.
4Die Beklagte leistete auf den Antrag der Klägerin für die Zeit vom 25.05.2009 bis zum 18.08.2009 gemäß Schreiben vom 01.09.2009 ein Krankentagegeld in Höhe von 7.353,00 €, das in Höhe von 7.130,84 € ausgezahlt wurde nach Abzug eines offenen Beitrags von 222,16 €. In dem Begleitschreiben wies die Beklagte die Klägerin darauf hin, dass sie erst am 25.05.2009 von der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin erfahren habe. Diese Abrechnung korrigierte die Beklagte mit Schreiben vom 05.10.2009, indem sie die für die Zeit vom 25.05. bis 26.06.2009 (33 Tage) ausgezahlten 2.829,75 € in Höhe von 2.658,25 € verrechnete mit dem für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit vom 19.08. bis 18.09.2009 geschuldeten Krankentagegeldbetrag. Hinsichtlich des vor dem 27.6.2009 gelegenen Zeitraums lehnte die Beklagte nunmehr Leistungen ab.
5Mit der Klage begehrt die Klägerin Krankentagegeld für die Zeit vom 06.03. bis 26.06.2009, nämlich 113 Tage zu jeweils 85,75 €.
6Die Klägerin behauptet, sie sei seit Januar 2009 in ihrem bisher ausgeübten Beruf als Medizinprodukteberaterin in vollem Umfang arbeitsunfähig wegen einer depressiven Erkrankung gewesen. Sie habe in ihrem Berufsalltag durchschnittlich neun Ärzte pro Tag persönlich zur Produktvorstellung und Produktvermarktung aufsuchen müssen, um die Umsatzziele ihrer Firma zu erreichen. Darüber hinaus habe sie auch noch Fachhändler und medizinische Versorgungszentren persönlich aufsuchen müssen. Anfang Juli 2005 sei sie auf Grund ihrer erfolgreichen Arbeit im Außendienst zu einem sogenannten Coach ernannt worden, so dass sie fortan neben ihrer Tätigkeit als Außendienstmitarbeiterin die Aufgabe gehabt habe, Kollegen bei ihrer Arbeit zu kontrollieren, qualitativ zu schulen und zu beraten. Die Klägerin meint, Versicherungsschutz bestehe bereits seit dem 06.03.2009 entsprechend der Bestätigung der Beklagten im Versicherungsschein. Insoweit gehe die Individualvereinbarung den Bestimmungen der Allgemeinen Versicherungsbedingungen 2009 für den Basistarif vor.
7Sie beantragt,
8die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 9.689,75 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,
9die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 775,64 € nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Deutschen Bundesbank seit Rechtshängigkeit als Nebenforderung zu zahlen.
10Die Beklagte beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Sie meint, Leistungen vor Beginn des Versicherungsschutzes und damit vor Zugang des Versicherungsscheines seien nicht zu gewähren. Der im Versicherungsschein bezeichnete Zeitpunkt, der sogenannte technische Versicherungsbeginn, sei von dem Zeitpunkt, an dem der Versicherungsvertrag durch Angebot und Annahme zustande komme, zu trennen. Die Rückdatierung des technischen Versicherungsbeginns auf den 06.03.2009 bedeute nicht den Abschluss einer Rückwärtsversicherung.
13Wegen des weiteren Parteivortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
14Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen H und A sowie durch Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen F. Wegen des Beweisergebnisses wird auf das Protokoll vom 27. Juli 2011 sowie auf das Gutachten des Sachverständigen vom 01. März 2012 Bezug genommen.
15E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
16Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.
17Der Klägerin steht gegen die Beklagte der tenorierte Anspruch auf Krankentagegeld für den Zeitraum vom 08.03.2009 bis zum 26.06.2009 aus dem Versicherungsvertrag i.V. mit § 1 VVG zu.
181.
19Die Parteien haben vorliegend eine Rückwärtsversicherung geschlossen, so dass es hinsichtlich des Beginns des Versicherungsschutzes nicht auf den Zeitpunkt des Zugangs der Annahmeerklärung der Beklagten in Gestalt des Versicherungsscheins vom 25.06.2009 ankommt. Zwar ist der Versicherungsvertrag erst nach dem 25.06.2009 wirksam geschlossen worden, die Parteien waren sich aber einig, dass der Versicherungsschutz wie von der Klägerin beantragt, bereits ab dem 06.03.2009 bestehen solle. Dementsprechend hat die Beklagte auch den technischen Versicherungsbeginn auf den 06.03.2009 vorverlegt, so dass ab diesem Zeitpunkt Beiträge geschuldet waren. Dass der technische Versicherungsbeginn auch im Bereich des Basistarifs nicht mit dem formellen Versicherungsbeginn identisch sei, wie von der Beklagten vertreten, (vgl. hierzu für den Bereich der MB/KK und MB/KT Hütt in Bach/Moser, Private Krankenversicherung, 4. Aufl., § 2 MB/KK Rn. 21, 33 ff) ist wegen der Regelung in § 2 Abs. 1 Satz 2 AVB/BT 2009 nicht anzunehmen. Denn diese Bestimmung, dass vor und nach Abschluss des Versicherungsvertrages eingetretene Versicherungsfälle für den Teil von der Leistungspflicht ausgeschlossen sind, der in die Zeit vor Versicherungsbeginn fällt, ist für einen verständigen Versicherungsnehmer nur so zu verstehen, dass mit Versicherungsbeginn der im Versicherungsschein bezeichnete Zeitpunkt gemeint ist und nicht der Zeitpunkt des Zugangs des Versicherungsscheins. Denn in § 2 Abs. 1 Satz 1 AVB/BT 2009 wird im 1. Halbsatz der Begriff "Versicherungsbeginn" ausdrücklich definiert als der Zeitpunkt der im Versicherungsschein bezeichnet ist. Mithin bestand hier für die Klägerin Versicherungsschutz ab dem 06.03.2009. Dieser Auffassung steht auch nicht der Beschluss des OLG München vom 28.10.2011-25 W 1742/11 (VersR 2012, 559) entgegen. Denn das OLG München hatte in dem Beschluss über Kosten, die vor dem technischen Versicherungsbeginn entstanden waren, zu entscheiden.
20Im Bereich der Versicherung nach dem Basistarif besteht auch kein Interesse seitens des Versicherungsnehmers, den technischen Versicherungsbeginn auf einen früheren Zeitpunkt als den formellen und materiellen Versicherungsbeginn zu legen, da Wartezeiten nicht zu beachten sind. Sofern daher, wie hier geschehen, im Versicherungsschein ein vor dem Vertragsschluss liegender Zeitpunkt genannt wird, ist dies aus Sicht des Empfängers, d.h. des Versicherungsnehmers so zu verstehen, dass im Wege der Rückwärtsversicherung ab diesem Zeitpunkt auch materiell Versicherungsschutz besteht (ebenso betr. ein im Antragsformular genanntes Datum: OLG Hamm VersR 2003,185). Es kann daher offen bleiben, ob aus der allgemeinen Versicherungspflicht im Bereich der Krankenversicherung nach § 193 Abs. 3 S.1 VVG auch eine Pflicht der Versicherungsunternehmen zu folgern wäre, die künftigen Versicherungsnehmer direkt im Anschluss an das Ende ihrer Vorversicherung weiter im Basistarif zu versichern, sofern die Monatsfrist des § 193 Abs. 4 VVG gewahrt ist und ein derartiger Versicherungsbeginn, wie hier, beantragt wird. Nicht zu entscheiden ist auch, ob im Bereich des Basistarifs -entsprechend der Regelung in der gesetzlichen Krankenversicherung – bereits ab Entstehen der Versicherungspflicht ein Anspruch auf Kostenerstattung entsteht ( so Penteridis, Anm. zu OLG München aaO, VK 2012, 100).
212.
22Die Klägerin war in der Zeit vom 08.03.2009 bis zum 26.06.2009 in keiner Weise in der Lage, ihre beruflichen Tätigkeiten als Außendienstmitarbeiterin und Coach für Medizinprodukte auszuüben. Der Sachverständige F hat in seinem ausführlichen Gutachten vom 01.03.2012 überzeugend festgestellt, dass die Klägerin an einer lang anhaltenden depressiven Störung mit mindestens mittelgradiger Ausprägung litt und zusätzlich eine Agoraphobie mit Panikstörung bestand, so dass sie in keiner Weise in der Lage war, die anspruchsvolle und häufig kontrollierte Tätigkeit, die mit einer erheblichen Reisetätigkeit und Notwendigkeit zur Herstellung persönlicher Kontakte einherging, auszuüben. Dass diese Tätigkeit tatsächlich hohe Anforderungen stellte, hat die Zeugin H eindrucksvoll und glaubhaft geschildert. Die Klägerin hatte danach tagtäglich beratende, werbende und verkaufende Aufgaben zu erfüllen. Ferner musste sie die ihr unterstellten Mitarbeiter kontrollieren. Keine dieser Tätigkeiten konnte sie im fraglichen Zeitraum krankheitsbedingt mehr ausüben, wie der Sachverständige festgestellt hat.
233.
24Die Beklagte war danach verpflichtet, gemäß Ziffer F. Abs. 1, 2 und 3 der Tarifbedingungen BT ab dem 43. Tag der Arbeitsunfähigkeit ein Krankentagegeld in der unstreitigen Höhe von 85,75 € täglich zu zahlen. Da die Arbeitsunfähigkeit ab dem 25.01.2009 bestand, besteht der Anspruch der Klägerin erst ab dem 08.03.2009 (43. Tag). Dies ergibt sich auch aus der von der Klägerin eingereichten Bestätigung des Arbeitgebers vom 20.07.2009, nach der sie Lohnfortzahlung bis einschließlich 07.03.2009 erhielt. Der Anspruch der Klägerin errechnet sich mithin mit 9.518,25 € (111 Tage x 85,75 €). Wegen des Mehrbetrags war die Klage abzuweisen.
25Der Zinsanspruch sowie der Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Anwaltskosten folgt aus Verzug, §§ 286, 288 BGB.
26Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.
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