Urteil vom Landgericht Dortmund - 2 O 127/11
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 6.628,57 € (in Worten: sechstausendsechshundertachtundzwanzig 57/100 Euro) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.07.2009 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 9/10 und die Beklagte 1/10.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in dieser Höhe leistet.
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T a t b e s t a n d
2Der 1962 geborene Kläger unterhielt bei der Beklagten eine Unfallversicherung. Gemäß Nachtrag zum Versicherungsschein vom 31.07.2007 sind u. a. eine Invaliditätsgrundsumme in Höhe von 58.000,00 €, eine Unfallrente, Unfallkrankenhaustagegeld und Genesungsgeld versichert. Es gelten die Allgemeinen Unfallversicherungs-Bedingungen (AUB 2004) der Beklagten sowie u. a. die besonderen Bedingungen für die Unfallversicherung mit progressiver Invaliditätsstaffel (Modell X) 1.000 % sowie die besonderen Bedingungen für die Unfallversicherung mit verbesserten Leistungen.
3Am Abend des 06.03.2009 rutschte der Kläger zuhause auf einer gewundenen Kellertreppe beim Hinabgehen aus und stürzte auf das Gesäß. Der Kläger verspürte Schmerzen und begab sich am nächsten Morgen in die Notaufnahme des Klinikums X. Dort wurde er zunächst stationär in der unfallchirurgischen Abteilung aufgenommen. Am 10.03.2009 erfolgte die Verlegung in die orthopädische Abteilung. Dort wurde der Kläger bis zum 17.03.2009 wegen einer Sacrumprellung und einem Bandscheibenvorfall L5/S1 mit Radikulopathie S1 links behandelt. Im Rahmen der konservativen Therapie erhielt der Kläger u. a. dreimalig eine Single-Shot-Peridural-Anästhesie. Im Auftrag der Beklagten erstatteten die Orthopäden Dr. P und S das Gutachten vom 18.06.2009, das die derzeitige unfallbedingte Einschränkung des linken Beines des Klägers mit 3/5 Beinwert bemisst. Die Beklagte leistete daraufhin Unfallkrankenhaustagegeld und Genesungsgeld in einer Gesamthöhe von 4.000,00 € am 08.07.2009 an den Kläger. Eine von ihr eingeholte weitere Stellungnahme des Dr. L3 vom 09.07.2009 nach Aktenlage führte zur Ablehnung von Leistungen mit Schreiben vom 15.07.2009.
4Mit der Klage beansprucht der Kläger eine Leistung in Höhe von 140 % der Invaliditätsgrundsumme entsprechend einer Invalidität von 48 %. Er behauptet, der Bandscheibenvorfall habe zu einer dauernden Funktionsbeeinträchtigung an der Lendenwirbelsäule und am linken Bein von mindestens 48 % geführt. Er habe vor dem Unfall keine Beschwerden oder Beeinträchtigungen an Rücken und Beinen gehabt. Beim Unfallgeschehen habe er sofort massivste unerträgliche Schmerzen erlitten, die sich weiter verschlimmerten sowie Bewegungseinschränkungen. Er habe keine Reflexe mehr im linken Bein und leide an einer Fußheber-/ Zehenheberparese links. Außerdem sei die Beweglichkeit des linken Beines eingeschränkt und es bestünden Sensibilitätsstörungen. Er leide auch unter Ruhe- wie auch Belastungsschmerzen im linken Bein und im Rücken. Ferner leide er an einer Streckfehlhaltung des Rückens und an einer Hypästhesie im Bereich der Nervenwurzel L5 links. Der Bandscheibenvorfall sei überwiegend adäquat kausal auf das Unfallereignis zurückzuführen.
5Der Kläger beantragt,
6die Beklagte zu verurteilen, an ihn 81.200,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.07.2009 zu zahlen.
7Die Beklagte beantragt,
8die Klage abzuweisen.
9Sie bestreitet, dass weitere Gesundheitsbeeinträchtigungen des Klägers außer den Prellungen auf den Unfall zurückzuführen seien. Sie behauptet, dass beim Kläger degenerative Vorschäden bestanden haben, die zum Bandscheibenvorfall führten. Jedenfalls habe der Kläger nicht unter dauerhaften Beeinträchtigungen zu leiden.
10Wegen des weiteren Parteivortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
11Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Gutachtens der Sachverständigen Dr. L2/Dr. T nebst Erläuterung und durch mündliche Anhörung des Sachverständigen Dr. T. Wegen des Beweisergebnisses wird auf das Gutachten vom 27.09.2011, die Ergänzung vom 08.02.2012 und das Sitzungsprotokoll vom 29.08.2012 Bezug genommen.
12E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
13Die zulässige Klage ist dem Grunde nach begründet, zur Höhe allerdings überwiegend unbegründet.
141.
15Dem Kläger steht aus dem Versicherungsvertrag i. V. m. § 1 VVG ein Anspruch auf Invaliditätsleistungen in der zuerkannten Höhe entsprechend 1/7 Beinwert auf Grund des Unfalls vom 06.03.2009 gegen die Beklagte zu. Denn dem Kläger ist der Beweis gelungen, dass der erlittene Bandscheibenvorfall L5/S1 überwiegend auf den Treppensturz zurückzuführen ist. Dies folgt aus den Feststellungen der Sachverständigen Dr. L2 und Dr. T. Nach dem Gutachten war das Treppensturzereignis zu deutlich mehr als 50 % für die Entstehung des Bandscheibenvorfalles ursächlich. Der Treppensturz war ein Ereignis, dass in der Form, wie er geschildert wird, geeignet war die untere Etage der Lendenwirbelsäule und auch das Steißbein zu erreichen. Hierdurch wirkten deutliche Kräfte auf die Region ein. Hierdurch wird auch die Prellung des Steißbeines und die Entstehung des Bandscheibenvorfalles in der unteren Etage der Lendenwirbelsäule erklärt. Es traten nach dem Unfall Schmerzen im Kreuz mit einer Ausstrahlung in das linke Bein auf und es wurde zeitnah, nämlich am Morgen des Folgetages die Ambulanz aufgesucht. Auch der nachfolgende stationäre Aufenthalt und die durchgeführten Untersuchungen sowie Behandlungen stimmen mit der Annahme eins posttraumatischen Bandscheibenvorfalls überein. Ferner zeigte die Bildgebung, die der Sachverständige auswertete, an den Wirbelnebengelenken/Facetten und den Bandscheibenfächern der Lendenwirbelsäule keinen wesentlichen Verschleiß. Zwar könne eine altersübliche Degeneration vorausgesetzt werden, es seien aber keine Hinweise für eine vorhandene altersüberdurchschnittliche Degeneration gegeben. Die Ausführungen der Sachverständigen sind in jeder Hinsicht erschöpfend, nachvollziehbar und überzeugend. Die Sachverständigen sind der Kammer aus jahrelanger Gutachtertätigkeit als überaus erfahrene und sorgfältig abwägende sowie gründlich untersuchende Sachverständige bekannt. An ihrer Qualifikation bestehen keinerlei Zweifel. Die Sachverständigen haben sich auch mit der Argumentation des Sachverständigen der Beklagten Dr. L3 auseinandergesetzt. Nach der langjährigen klinischen Erfahrung der Sachverständigen kann ein Bandscheibenvorfall unfallbedingt auch ohne sonstige äußere Verletzungszeichen auftreten. Das Auftreten äußerer Verletzungszeichen sei für die Beurteilung eines Bandscheibenvorfalls als unfallbedingt weder ein notwendiges noch ein hinreichendes Kriterium. Die Beurteilung des Sachverständigen wird bestätigt durch das von der Beklagten eingeholte biomechanische Zusatzgutachten P2, wonach der Treppensturz aus biomechanischer Sicht als verletzungsursächlich für den eingetretenen Bandscheibenvorfall angesehen werden kann, sofern dieser auch medizinisch als unfallbedingt möglich gewertet wird. Soweit Dr. I im fachchirurgischen Gutachten vom 3.9.2012 ausführt, dass ein überwiegend degenerativ verursachter Bandscheibenvorfall vorgelegen habe, begründet er dies unter anderem mit der Seltenheit der Beschreibung traumatisch bedingter Bandscheibenvorfälle in der Literatur. Dem stehen jedoch die Ausführungen der Sachverständigen entgegen, denen traumatisch bedingte Bandscheibenvorfälle ohne äußere Verletzungszeichen aus der klinischen Praxis bekannt sind.
162.
17Die Sachverständigen haben die dauerhafte Beeinträchtigung des Klägers mit 1/7 Beinwert bemessen. Dem schließt sich das Gericht in eigener Beurteilung an. Dem Kläger ist im Zeitpunkt der Untersuchung durch den Sachverständigen eine Fußheberschwäche in einer Größenordnung von 2/5 am linken Bein verblieben. Ferner war eine leichte Muskelminderung am linken Oberschenkel von minus 1,5 cm festzustellen. Hinsichtlich der vom Kläger geklagten Rückenbeschwerden konnten die Sachverständigen keine sonstigen dauernden Beeinträchtigungen im Bereich des Rückens feststellen, so dass der Kläger mithin eine dauernde Beeinträchtigung im Bereich des Rückens nicht bewiesen hat. Insoweit ist die dauernde Funktionsbeeinträchtigung des Klägers auch nicht nach der allgemeinen körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit zu bemessen, sondern nach der Gliedertaxe.
18Eine Mitwirkung unfallfremder Ursachen, insbesondere degenerativer Veränderungen die über das altersübliche Maß hinausgehen, liegt nicht vor.
193.
20Der Anspruch des Klägers errechnet sich mithin mit 1/7 von 80 % (Beinwert) der Invaliditätsgrundsumme von 58.000,00 €, mithin 1/7 von 46.400,00 €. Das ist der zuerkannte Betrag von 6.628,57 €. Darüber hinaus war die Klage nach den obigen Ausführungen abzuweisen.
21Der Zinsanspruch beruht auf §§ 286, 288 BGB.
22Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.
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