Beschluss vom Landgericht Dortmund - 25 O 163/12
Tenor
Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe mit Wirkung ab Antragstellung für den Antrag aus dem Schriftsatz vom 9.7.2012 bewilligt, soweit er beantragt, den Antragsgegner zu 1.) (Land O) zu verurteilen, an ihn 42.000,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Zugleich wird Rechtsanwalt C zur vorläufig unentgeltlichen Wahrnehmung der Rechte in dieser Instanz beigeordnet.
Im Hinblick auf die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der antragstellenden Partei wird von der Anordnung einer ratenweisen Zahlung der Prozesskosten zunächst abgesehen. Sollten sich die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse ändern, kann dieser Beschluss gemäß § 120 Abs. 4 ZPO abgeändert werden.
Der weitergehende Antrag wird zurückgewiesen.
1
Gründe:
2I.
3Der Antragsteller wurde am 18.11.1982 durch das Landgericht X (Az.: StA X, 26 Js ###/##) wegen Mordes in Tateinheit mit schwerem Raub zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 15 Jahren verurteilt. Zugleich wurde die Unterbringung des Angeklagten in der Sicherungsverwahrung angeordnet. In der Verurteilung einbezogen wurde eine Entscheidung des Landgerichts X vom 26.10.2977, mit welcher der Antragsteller wegen sexueller Nötigung und wegen sexueller Nötigung in Tateinheit mit Vergewaltigung jeweils im Rückfall zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 8 Jahren verurteilt worden war und zugleich die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gem. § 63 StGB angeordnet worden ist. Diese Maßregel wurde im Urteil vom 18.11.1982 erhalten und insoweit bestimmt, dass die Strafe vor der Maßregel zu vollziehen sei.
4Sowohl zum Zeitpunkt der Begehung der Taten (Mord in Tateinheit mit schwerem Raub) als auch zum Zeitpunkt der Verurteilung war nach der damals geltenden Fassung des § 67d StGB die Unterbringung in einer Sicherungsverwahrung nur für eine Höchstdauer von 10 Jahren zulässig. Diese Vorschrift wurde durch das Gesetz vom 26.01.1998 zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten, in Kraft getreten am 31. Januar 1998, geändert. Auf Grundlage des ab diesem Zeitpunkt geltenden § 67d Abs. 3 StGB war die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach 10 Jahren Vollzug nur dann für erledigt zu erklären, wenn nicht die Gefahr bestand, dass der Untergebrachte infolge seines Hanges erhebliche Straftaten begehen würde, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt würden.
5In dem einbezogenen Verfahren wurde der Antragsteller am 17.11.1976 vorläufig festgenommen und befand sich bis zum 6.11.1977 in Untersuchungshaft. Vom 7.11.1977 bis zum 12.1.1978 verbüßte er in dieser Sache Strafhaft. Im Anschluss erfolgte die Unterbringung gem. § 63 StGB in der S Landesklinik M, ab Mai 1982 bis zum 20.6.1983 in den S Kliniken E. Vom 21.6.1983 bis zum 1.6.1987 verbüßte der Antragsteller erneut Strafhaft.
6Vom 2.6.1987 bis zum 17.9.1990 wurde der Maßregelvollzug in den S Kliniken in E vollstreckt.
7Die gegen den Antragsteller verhängte restliche Freiheitsstrafe wurde anschließend bis zum 4.12.1991 vollstreckt; vom 5.12.1991 an begann der Vollzug der Sicherungsverwahrung in der JVA X2.
8Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts B ordnete mit Beschluss vom 24.4.2002 erneut die Vollstreckung der Maßregel der Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Vom 16.1.2003 an befand sich der Antragsteller erneut in den S Kliniken E.
9Seit dem 23.3.2004 befand sich der Antragsteller wieder zum Vollzug der Sicherungsverwahrung in der JVA X2.
10Mit Beschluss vom 16.6.2010 ordnete die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts B2 die Erledigung der Unterbringung der Sicherungsverwahrung und den Vollzug der Unterbringung gem. § 63 StGB an. Seit dem 14.9.2010 befindet sich der Antragsteller in der LVR-Klinik W.
11Der Antragsteller war damit in den folgenden Zeiträumen in Sicherungsverwahrung:
125.12.1991 bis zum 16.1.2003 (rund 133 Monate)
1323.3.2004 bis zum 14.9.2010 (rund 78 Monate)
14Insgesamt: rund 211 Monate, d.h. rund 17 Jahre
15Mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 22.6.2012 forderte der Antragsteller den Antragsgegner zu 1.) erfolglos zur Zahlung von Schadenersatz bis zum 2.7.2012 auf.
16Mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 12.8.2010 forderte der Antragsteller den Antragsgegner zu 2.) erfolglos zur Zahlung von Schadenersatz bis zum 26.8.2010 auf.
17Der Antragsteller ist der Ansicht, der Vollzug der Sicherungsverwahrung gegen ihn über einen Zeitraum von 10 Jahren hinaus sei rechts-, verfassungs- und vor allem konventionswidrig gewesen, so dass ihm aus § 5 Abs. 5 EMRK ein Schadenersatzanspruch zustehe. Diesen beziffert er mit 86.900,00 €.
18Zur Berechnung legt er den Zeitraum von 9 Jahren, 6 Monaten und 11 Tagen (ab dem 3.12.2001) zugrunde und geht davon aus, 3.476 Tage zu Unrecht in Sicherungsverwahrung verbracht zu haben. Am 3.12.2001 seien die 10 Jahre der Sicherungsverwahrung vollzogen gewesen. Bei einem Ersatzanspruch von 25,00 € täglich, wie ihn die Reform des Strafrechtsentschädigungsgesetzes vorsehe, ergebe sich ein Ersatzanspruch in Höhe von 86.900,00 €.
19Er ist weiter der Ansicht, das Land O und die C2 würden als Gesamtschuldner haften.
20Die Haftung des O ergebe sich daraus, dass die Sicherungsverwahrung aufgrund der Entscheidungen des Vollstreckungsgerichts in der JVA X2 vollzogen worden sei. Der C2 hafte, da er durch die Änderung der gesetzlichen Vorschrift die Möglichkeit eröffnet habe, dass die zuständigen Strafvollstreckungskammern die Sicherungsverwahrung über die ursprünglich im Gesetz geregelte Höchstdauer von 10 Jahren hinaus anordnen konnten.
21Der Antragsteller beantragt,
22ihm für die von ihm beabsichtigte Klage Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt C aus E2 zu bewilligen,
23um in der Hauptsache zu beantragen
241.
25die Antragsgegner als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn eine Entschädigung in Höhe von 86.900,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 3.7.2012 zu zahlen;
262.
27festzustellen, dass die Antragsgegner verpflichtet sind, ihm die gemäß § 24 Nr. 1a EStG auf die zu zahlende Entschädigung anfallenden Steuern zu ersetzen;
283.
29die Antragsgegner zu verurteilen, ihn von den vorgerichtlichen Anwaltsgebühren in Höhe von 1.999,32 € gemäß beigefügter Rechnung der Rechtsanwälte C und I freizustellen.
30Die Antragsgegner beantragen,
31den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückzuweisen.
32Der Antragsgegner zu 2.) rügt die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts E2. Er ist zudem der Ansicht, dass er schon aufgrund der nationalen Grundsätze der Staatshaftung nicht passivlegitimiert sei.
33Beide Antragsgegner sind zudem der Ansicht, dass dem Antragsteller die geltend gemachten Schadenersatzansprüche unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zustehen. Insbesondere machen sie geltend, dass ein solcher Anspruch jedenfalls für den Zeitraum vor der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ausscheide, da bei festgestellten Konventionsverstößen grundsätzlich keine Rückabwicklung für die Vergangenheit stattfinde.
34II.
35Dem Prozesskostenhilfegesuch des Antragstellers war zu entsprechen, soweit der Antragsteller von dem als Antragsgegner zu 1.) in Anspruch genommenen Land die Zahlung eines Schadenersatzes in Höhe von 42.000,00 € nebst Rechtshängigkeitszinsen begehrt; im Übrigen hat die beabsichtigte Klage dagegen keine Aussicht auf Erfolg, so dass es insoweit an den Voraussetzungen, bei deren Vorliegen einer Partei gemäß § 114 ff. ZPO Prozesskostenhilfe zu bewilligen ist, fehlt und das weitergehende Gesuch entsprechend zurückzuweisen war.
36In Betracht kommt hier ein Anspruch des Antragstellers aus Art 5 Abs. 5 EMRK gegen den Antragsgegner zu 1.), also das Land O für die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung für einen Zeitraum von rund 84 Monaten. Denn der Antragsteller war in der Zeit vom 5.12.1991 bis zum 16.1.2003 (rund 133 Monate) sowie in der Zeit vom 23.3.2004 bis zum 14.9.2010 (rund 78 Monate), mithin insgesamt rund 211 Monate, d.h. rund 17 Jahre, in der Sicherungsverwahrung untergebracht. Damit liegt er etwa 7 Jahre, d.h. etwa 84 Monate über der 10-Jahresgrenze.
37Für den in Betracht kommenden entschädigungspflichtigen Zeitraum von rund 84 Monaten hält die Kammer einen Schmerzensgeldbetrag von 42.000,00 €, dies entspricht einem Betrag von 500,00 € pro Monat, für angemessen, aber auch ausreichend.
38Bei der Festsetzung der Höhe der Entschädigung hat sich die Kammer dabei an den Beträgen orientiert, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in vergleichbaren Fällen zugesprochen hat. Die Kammer teilt bei der Ermittlung der Höhe der Entschädigung insoweit die Auffassung des Landgerichts Karlsruhe, welches jüngst entschieden hat, dass es sich bei der Entschädigung um einen unter Würdigung aller Umstände zu bestimmenden Gesamtbetrag handelt und daher eine taggenaue Abrechnung nicht veranlasst sei (vgl. LG Karlsruhe, EuGRZ 2012, 260, zitiert bei juris Rn. 51).
39Besondere Umstände, die Veranlassung zu einer Erhöhung des Betrages geben, sind nicht vorgetragen.
40Eine Zinszahlung durch den Antragsgegner zu 1.) auf den vorgenannten Betrag kommt allein für den Zeitpunkt ab Rechtshängigkeit in Betracht, §§ 288, 291 BGB. Für einen früheren Zinsbeginn ist nichts dargelegt; insbesondere ist zu einem möglichen Verzug des Antragsgegners zu 1.) nichts vorgetragen.
41Ausweislich des Vortrags hat es mit dem Schreiben vom 22.6.2012 lediglich ein außergerichtliches Schreiben des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers an das in Anspruch genommene Land gegeben, mit welchem der Anspruch erstmals geltend gemacht wurde. Mit diesem Schreiben wurde allenfalls die Fälligkeit eines möglichen Anspruchs begründet; in Verzug wurde das in Anspruch genommene Land damit nicht gesetzt.
42Aus den gleichen Gründen scheitern auch die Erfolgsaussichten des Antrags zu 3.). Ein Anspruch auf Ersatz der Kosten der außergerichtlichen Kosten der Prozessbevollmächtigten des Antragstellers steht diesem unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu, insbesondere ergibt sich ein solcher Anspruch nicht unter dem Gesichtspunkt des Verzugs. Es ist weder ersichtlich noch vorgetragen, dass sich der Antragsgegner zu 1.) bei Beauftragung der Prozessbevollmächtigten des Antragstellers in Verzug befand.
43Zu dem mit dem Antrag zu 2.) geltend gemachten Anspruch fehlt es bereits an Sachvortrag, so dass nicht ersichtlich ist, woraus sich dieser Anspruch ergeben sollte.
44Abgesehen davon, dass bereits nicht ersichtlich ist, warum der Anspruchsteller einen Anspruch darauf haben sollte, dass ihm ein eventueller Schadenersatzbetrag netto zu verbleiben hat und dass er eventuell hierauf entfallende Steuern ersetzt verlangen könnte, fehlt jeder Vortrag dazu, warum der Entschädigungsbetrag zu versteuern sein sollte.
45Nach dem Wortlaut der im Antrag zitierten Norm (§ 24 Nr. 1a EStG) ist dort allein geregelt, dass auch Entschädigungen, die als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen gewährt worden sind, zu den Einkünften im Sinne des § 2 Abs. 1 EStG gehören. Hier aber macht der Antragsteller Schmerzensgeld geltend.
46Soweit der Antragsteller auch Ansprüche gegen den Antragsgegner zu 2.), die C2, geltend macht, hat die von ihm beabsichtigte Klage keinerlei Aussicht auf Erfolg.
47Es fehlt an der Passivlegitimation. Insofern schließt sich die Kammer nach eigener Prüfung der Ansicht des Landgerichts Berlin in dem vom Antragsgegner zu 2.) vorgelegten Beschluss vom 13.09.2011 zu Az. 15 O 492/10 an.
48Auch wenn sich ein Anspruch auf Art. 5 EMRK stützt, so trifft die Haftung nicht stets die C2, sondern bei nationaler Geltendmachung eines solchen Anspruchs sind die nationalen Grundsätze der Staatshaftung zu beachten. Gemäß Art. 34 GG trifft die Haftung daher denjenigen innerstaatlichen Hoheitsträger, dessen Hoheitsgewalt bei der rechtswidrigen Freiheitsentziehung ausgeübt wurde. Auf die ausführliche Begründung der Kollegen des Landgerichts Berlin wird ausdrücklich Bezug genommen. Diese Hoheitsgewalt oblag im vorliegenden Fall dem Land O.
49Eine Haftung des C2 ergibt sich insbesondere auch nicht unter dem Gesichtspunkt, dass es sich bei § 67d StGB um ein Bundesgesetz handelt und dass erst die vom Bund vorgenommene Änderung dieser Norm die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung über 10 Jahre hinaus ermöglicht hat. Dem steht entgegen, dass das geänderte Gesetz nicht unmittelbar dazu geführt hat, dass an dem Antragsteller über einen Zeitraum von 10 Jahren hinaus die Sicherungsverwahrung vollzogen wurde, sondern dass die Vollziehung der Sicherungsverwahrung auf Entscheidungen der zuständigen Strafvollstreckungskammer beruht haben, durch welche das Gesetz jeweils erst noch umgesetzt wurde.
50Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
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