Urteil vom Landgericht Dortmund - 16 O 197/11 [Kart]
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
T a t b e s t a n d :
2Die Klägerin handelt mit Strom, die Beklagte betreibt ein Stromnetz.
3Aufgrund eines Lieferanten-Rahmenvertrags vom 24.02./18.6.2004 – wegen der Einzelheiten wird auf die Anlage K2 zur Klageschrift verwiesen – war die Klägerin berechtigt, das Stromnetz der Beklagten gegen Entgelt zur Belieferung ihrer Kunden mit Strom zu benutzen. Die Nutzungsentgelte sollten sich gemäß Ziffer 9 des Vertrages nach einer Preisliste richten. Die Beklagte war berechtigt, die Preise anzupassen (Ziffer 9.2 und 9.3).
4Für den streitgegenständlichen Zeitraum Januar 2008 berechnete die Klägerin die Entgelte aufgrund einer von der Bundesnetzagentur mit Bescheid vom 29.08.2006 genehmigten Preisliste. Wegen der Einzelheiten der Preisliste wird auf die Anlage K3 und wegen der Einzelheiten des Genehmigungsbescheides vom 29.08.2006 auf die als Anlage K15 zur Gerichtsakte gereichte Kopie desselben verwiesen.
5Die Belieferungen, die die Klägerin in dem streitgegenständlichen Zeitraum vorgenommen hat, und die dafür gezahlten Entgelte einschließlich der Netznutzungsentgelte, hat die Klägerin in der Anlage K1 zur Klageschrift zusammengestellt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlage K1 verwiesen.
6Die Bezahlung der Netznutzungsentgelte erfolgte aufgrund einer der Beklagten erteilten Einzugsermächtigung, in welcher die Klägerin ausdrücklich erklärt hatte, dass mit ihr ein Anerkenntnis der Netznutzungsentgelte nicht verbunden sei. Ferner hatte die Klägerin in der Einzugsermächtigung darauf hingewiesen, dass sämtliche Zahlungen für die Netznutzung unter dem Vorbehalt der Rückforderung für den Fall der Unzulässigkeit der angeforderten Beträge erfolgen würden. Wegen der Einzelheiten wird auf die Anlage K4 zur Klageschrift verwiesen.
7Die Klägerin behauptet, sie habe im Januar 2008 insgesamt 237.864,01 € an Netznutzungsentgelten gezahlt. Die Netznutzungsentgelte seien in diesem Zeitraum um mindestens 31,8 % überhöht gewesen seien. Dass die Netznutzungsentgelte fraglichen Zeitraum überhöht gewesen seien, ergebe sich – wie die Klägerin meint – auch daraus, dass nach dem Regulierungsbescheid der Bundesnetzagentur vom 30.01.2008, deren Kopie die Klägerin als Anlage K25 zur Gerichtsakte gereicht hat, die Nutzungsentgelte zum 1.2.2008 um 18,8 % herabzusetzen gewesen seien.
8Die Klägerin ist der Ansicht, dass durch die Genehmigung der Bundesnetzagentur eine gerichtliche Überprüfung der Preise nicht ausgeschlossen sei. Zu berücksichtigen sei, dass die Überprüfung durch die Bundesnetzagentur lediglich rasterhaft erfolgt sei. Auch sei § 315 BGB anwendbar.
9Sie behauptet des Weiteren, bei der Bemessung des Netznutzungsentgeltes sei, da der Netzbetrieb ein risikoarmer Betrieb sei, eine Eigenkapitalquote von nur 20 % völlig ausreichend. Demgegenüber habe die Bundesnetzagentur eine Eigenkapitalquote von 40 % zu Grunde gelegt. Schon deshalb könnten die genehmigten Entgelte nicht den Anspruch erheben, sie seien billig im Sinne des § 315 BGB. Die überhöhte Eigenkapitalquote bewirkte erhebliche zusätzliche Zinsgewinne beim Netzbetreiber.
10Wegen des hohen Arbeitsanfalls seien die Regulierungsbehörden nach eigenen Erklärungen seinerzeit bei der ersten Genehmigungsrunde nicht zu einer echten Effizienzprüfung in der Lage gewesen.
11Ferner seien – anders als in der zweiten Genehmigungsrunde – weder aufwandsgleiche Kosten noch Personal- oder Personalzusatzkosten geprüft worden. Gerade diese Prüfung habe in der zweiten Genehmigungsrunde zu erheblichen Senkungen der Netznutzungsentgelte geführt.
12Ferner seien bei der Bemessung der Netznutzungsentgelte überhöhte Kosten angesetzt worden, weil eine sachgerechte Zuordnung von Vermögenswerten im Rahmen des Sach- und Anlagevermögens nicht erfolgt sei.
13Hilfsweise macht die Klägerin geltend, dass die Beklagte nach Art. 102 Satz 1 und Satz 2 AEUV Anspruch auf Schadensersatz habe. Die Beklagte nutze eine marktbeherrschende Stellung missbräuchlich aus. Die Beklagte habe eine marktbeherrschende Stellung. Hierbei sei insbesondere zu beachten, dass die Beklagte in den T2-Konzern eingegliedert sei. Ihre marktbeherrschende Stellung nutze die Beklagte missbräuchlich aus, indem sie überhöhte Netznutzungsentgelte fordere. Sie betreibe einen Ausbeutungsmissbrauch, indem sie die Eigenkapitalquote zu hoch ansetze. Eine Eigenkapitalquote von 40 % sei jedenfalls nicht effizient.
14Ferner sei die angesetzte Verzinsung des Eigenkapitals mit 6,5 % überhöht. Die Ermittlung des Zinssatzes durch die Bundesnetzagentur sei methodisch ungenau.
15Ferner betreibe die Beklagte einen Behinderungsmissbrauch. Dies werde auch daran deutlich, dass eigene Stromtarife der Beklagten nicht kostendeckend seien.
16Das missbräuchliche Marktverhalten der Beklagten sei auch geeignet, eine spürbare Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union herbeizuführen.
17Sie, die Klägerin, habe auch einen Schaden erlitten, indem sie höhere Netzentgelte habe zahlen müssen. Diese habe sie an ihre Endkunden nicht weiterreichen können. Der Schaden sei ggf. nach § 287 ZPO zu schätzen.
18Zur neueren Rechtsprechung des BGH, wonach die Genehmigung der Bundesnetzagentur eine starke Indizwirkung für die Billigkeit der Entgelte hat, trägt die Klägerin vor, sie habe hinreichend dargelegt, dass eine Eigenkapitalquote von 40 % überhöht sei. Bei vielen anderen Unternehmen liege sie deutlich unter 40 %. Die Angemessenheit der Höchstgrenze von 40 % sei von der Genehmigungsbehörde nicht überprüft worden.
19Die Indizwirkung des Genehmigungsbescheids werde auch dadurch erschüttert, dass die streitgegenständlichen Entgelte durch die zweite Genehmigungsrunde um bis zu 18,8 % abgesenkt worden seien.
20Ferner habe die Bundesnetzagentur die Betriebsnotwendigkeit des Sachanlagevermögens nicht geprüft. Die Bundesnetzagentur habe des Weiteren aufwandsgleiche Kosten bei der ersten Prüfung nicht hinreichend berücksichtigt.
21Es seien nur die Gewinn- und Verlustrechnungen des Vorjahres zu Grunde gelegt worden, ohne die erforderlichen Kosten zu überprüfen.
22Die unzureichende Prüfung verschiedener Kosten durch die Bundesnetzagentur führe – so meint die Klägerin – dazu, dass die Genehmigung keine Indizwirkung entfalte.
23Im Einzelnen seien folgende Kosten zu korrigieren: Die Kosten für Verlustenergie seien um 0,4 % der gesamten Netzkosten überhöht. Zudem habe die Beklagte im Antragsverfahren zu diesen Kosten falsche Angaben gemacht. Die anerkannten Kosten der vorgelagerten Netze seien um 28 % bzw. 11 % überhöht. Sonstige betriebliche Kosten seien ebenfalls überhöht gewesen, so dass die gesamte Netzkosten wiederum um 0,6 % zu kürzen seien. Die Aufwendungen für durch Dritte erbrachte Betriebsführung seien erhöht, was 5,0 % der gesamten Netzkosten entspreche. Die Berücksichtigung eines 40 % Eigenkapitalanteils entspreche im konkreten Fall der Beklagten nicht einer effizienten Betriebsführung. Die Abschreibungen seien um 25 % zu kürzen, so dass bezogen auf die Gesamtnetzkosten ein Überhöhungsbetrag von 3,9 % bzw. 4,7 % vorliege. Die zu Grunde gelegte Eigenkapitalverzinsung sei ebenfalls überhöht. Bezogen auf die gesamten Netzkosten ergebe sich ein Anteil von 4,5 % bzw. 4,6 % oder 4,7 %. Die Aufwendungen für überlassene Netzinfrastruktur seien ebenfalls überhöht, was 11 % der gesamten Netzkosten ausmache.
24Die Bundesnetzagentur habe darüber hinaus die Netzgebiete W und T2 unterschiedlich, und zwar abweichend von den tatsächlichen Anteilen, gewichtet.
25Insgesamt seien die Netzkosten um mindestens 26,7 % überhöht.
26Die Klägerin beantragt,
271. die Bestimmung des billigen Netznutzungsentgelts einschließlich der Mess- und Verrechnungsentgelte für die Nutzung des Stromversorgungsnetzes der Beklagten durch die ehemalige M – die Zukunft der F GmbH & Co. KG zur Energieversorgung ihrer Kunden, die sie im Zeitraum vom 01.01.2008 bis 31.08.2008 im Netzgebiet der Beklagten angemeldet und versorgt hat, einschließlich der vorgelagerten Netze, durch das Gericht,
28sowie die Verurteilung der Beklagten, die Differenz zwischen den ausweislich der Auflistung Anlage K1 tatsächlich gezahlten Entgelten für die Netznutzung für den Zeitraum vom 01.01.2008 bis 31.01.2008 in Gesamthöhe von 237.864,01 € (netto) und dem von dem Gericht bestimmten billigen Entgelt für den Zeitraum vom 01.01.2008 bis 31.01.2008 für die Netznutzung zuzüglich Umsatzsteuer nebst gesetzlicher Rechtshängigkeitszinsen an die M AG zu zahlen,
292. hilfsweise für den Fall, dass der Antrag zu 1. abgewiesen wird, die Beklagte zu verurteilen, an sie Schadensersatz in Höhe der Differenz des zwischen dem von der ehemaligen M – die Zukunft der F GmbH & Co. KG für die Netznutzung im Zeitraum vom 01.01.2008 bis 31.01.2008 gesamt gezahlten Entgelt in Höhe von 237.864,01 € (netto) und dem vom Gericht nach § 287 ZPO festgestellten kartellrechtlich zulässigen Entgelt für die Netznutzung für den Zeitraum vom 01.01.2008 bis 31.01.2008 nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz ab dem 13.01.2012 zu zahlen.
30Die Beklagte beantragt,
31die Klage abzuweisen.
32Die Beklagte vertritt die Rechtsansicht, eine gerichtliche Überprüfung der Netznutzungsentgelte sei nach neuer Rechtslage ausgeschlossen.
33Aus § 30 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 EnWG ergebe sich, dass genehmigte Entgelte als sachlich gerechtfertigt anzusehen sein und daher nicht unbillig im Sinne des § 315 BGB sein könnten. Dies ergebe sich auch aus dem Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung. Daher handele ein Netzbetreiber, der das genehmigte Entgelt verlange, nicht rechtsmissbräuchlich.
34Die Beklagte behauptet, die Bundesnetzagentur habe Kostenposition der Beklagten in erheblichem Umfang nicht anerkannt; sie habe Preise genehmigt, die nicht kostendeckend seien.
35Ferner treffe es nicht zu, dass die Bundesnetzagentur eine Effizienzkontrolle unterlassen habe. Dies ergebe sich aus einer Stellungnahme der Bundesnetzagentur vom 03.02.2011, die die Beklagte als Anlage B4 zur Gerichtsakte gereicht hat.
36Individuelle Rückforderungen von Netznutzungsentgelte seien darüber hinaus ausgeschlossen, weil der Grundsatz der Mehrerlösabschöpfung gelte.
37Auch der Hilfsantrag greife nicht durch. Es liege kein kartellrechtlicher Verstoß vor. Die Beklagte habe keine marktbeherrschende Stellung. Das Netzgebiet der Beklagten sei kein wesentlicher Teil des gemeinsamen Marktes. Es liege auch keine Beeinträchtigung zwischenstaatlichen Handels und auch kein missbräuchliches Verhalten vor. Insbesondere sei die zu Grunde gelegte Eigenkapitalquote nicht zu beanstanden, da sie der Regelung des § 6 Abs. 2 StromNEV entspreche. Auch sei der Eigenkapitalzinssatz nicht zu hoch angesetzt; er liege sogar unterhalb der von der Bundesnetzagentur nunmehr als angemessen angesehenen Höhe.
38Die Beklagte behauptet, die Prüfung durch die Bundesnetzagentur sei zutreffend gewesen.
39Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die zu den Gerichtsakten gereichten Unterlagen Bezug genommen.
40E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
41Die zulässige Klage ist unbegründet.
42I. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Bestimmung des billigen Netznutzungsentgelts nach § 315 Abs. 3 Satz 2 BGB und auf Rückzahlung angeblich zu viel gezahlter Netznutzungsentgelte aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB für den Zeitraum vom 01. bis 31.01.2008.
43Das von der Beklagten erhobene Netznutzungsentgelt war jedenfalls nicht unbillig im Sinne des § 315 Abs. 3 BGB, so dass kein Anspruch auf Bestimmung des billigen Netznutzungsentgelts durch das Gericht besteht. Dies folgt aus dem Genehmigungsbeschluss der Bundesnetzagentur vom 29.08.2006 (Anlage K15). Zwar unterliegen nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (BGH NJW 2012, 3092 ff.) auch die von der Bundesnetzagentur genehmigten Netznutzungsentgelte einer Billigkeitskontrolle durch die Gerichte nach § 315 Abs. 3 BGB. Die Entgeltgenehmigung der Bundesnetzagentur stellt aber aufgrund der engen Vorgaben der Entgeltkontrolle nach den energiewirtschaftsrechtlichen Vorgaben und der damit verbundenen Prüftiefe durch die (neutralen) Regulierungsbehörden ein gewichtiges Indiz für die Billigkeit und Angemessenheit der genehmigten Entgelte dar. Dies hat der BGH in seiner neuesten Rechtsprechung zu den Stromnetznutzungsentgelten klargestellt (BGH NJW 2012, 3092, 3094, Rdnr. 36). Es ist davon auszugehen, dass dem BGH dabei durchaus bewusst war, dass bei der Einführung eines neuen Systems zur Ermittlung angemessener Netznutzungsentgelte Anfangsschwierigkeiten auftreten können. Auch war ihm, wie sich unmittelbar aus dem konkret entschiedenen Fall ergibt, die Problematik des Einwandes einer zu hoch bemessenen Eigenkapitalquote bekannt. Gleichwohl hat der BGH hohe Hürden für eine Erschütterung der durch die Entgeltgenehmigung begründeten Indizwirkung aufgestellt.
44Dies entspricht nach Meinung der Kammer der mit der Einführung des Genehmigungsverfahrens nach § 23a EnWG verbundenen gesetzlichen Intention. Die Genehmigung des Netznutzungsentgeltes durch eine neutrale, spezialisierte, mit Fachkompetenz ausgestattete Behörde führt flächendeckend eher zu angemessenen, den Vorgaben des Energiewirtschaftsrechts gerecht werdenden und billigen Netznutzungsentgelten als die Bestimmung von Netznutzungsentgelten durch eine Vielzahl von verschiedenen Gerichten, die mit verschiedenen Einzelfällen befasst werden. Im Gegensatz zur Bundesnetzagentur verfügen die Gerichte nicht über die erforderlichen technischen und betriebswirtschaftlichen Fachkenntnisse, sondern sind auf die Hinzuziehung von Sachverständigen angewiesen. Wegen der beschränkten örtlichen Zuständigkeit der Tatsachengerichte ist diesen – im Gegensatz zur Bundesnetzagentur – ein Vergleich zwischen Netznutzungsentgelten verschiedener Netzbetreiber zudem nur in sehr eingeschränktem Umfang möglich. Wegen der auf jedes einzelne Gericht entfallenden geringen Fallzahlen sind darüber hinaus die Gerichte auch kaum in der Lage, zu Fragen des Netznutzungsentgeltes eine aufeinander abgestimmte, kontinuierliche Rechtsprechung zu entwickeln. Demgegenüber ist es der Bundesnetzagentur durchaus möglich, über einen längeren Zeitraum hinweg kontinuierlich für das gesamte Bundesgebiet ein einheitliches, sich immer weiter verfeinerndes und damit ausgewogeneres System zur Bestimmung eines billigen Netznutzungsentgeltes zu schaffen. Wie bedeutsam ein solches Verfahren zur Bestimmung angemessener Netznutzungsentgelte ist, zeigen gerade die von der Klägerin bemängelten angeblichen Anfangsschwierigkeiten bei der Bestimmung des Netznutzungsentgeltes durch die Bundesnetzagentur.
45Das mit der Einführung des Genehmigungsverfahrens verbundene gesetzgeberische Ziel, flächendeckend für angemessene, wirtschaftliche und den Anforderungen einer funktionierenden Energieversorgung gerecht werdenden Netznutzungsentgelte zu sorgen, kann nur erreicht werden, wenn die von der Bundesnetzagentur getroffenen Entscheidungen nicht ohne weiteres in jedem Einzelfall durch Entscheidungen des jeweils örtlich zuständigen Gerichts, das seine Erwägungen jeweils an Stelle der Erwägungen der Bundesnetzagentur setzt, ersetzt werden können. Die mit der Entgeltgenehmigung einhergehende Indizwirkung ist daher nur dann als erschüttert anzusehen, wenn schwerwiegende, nicht ohnehin in der Natur eines jeden Genehmigungsverfahrens liegende Umstände gegeben sind, die die ernsthafte Möglichkeit begründen, dass im konkreten Einzelfall das Netznutzungsentgelt unbillig hoch ist. Zu berücksichtigen ist hierbei, dass es bereits in der Natur der tatsächlich komplexen und schwierigen Bestimmung des angemessenen Netznutzungsentgeltes liegt, dass die einzelnen der Entgeltbestimmung zu Grunde liegenden Parameter bewertet und gewichtet werden müssen, so dass der Bundesnetzagentur zwangsläufig ein gerichtlich nicht überprüfbarer Beurteilungsspielraum einzuräumen ist. Darüber hinaus ist neben einer Gewichtung der einzelnen Bewertungsparameter im gewissen Umfang wegen der Komplexität des zu beurteilenden Sachverhaltes eine teilweise rasterhafte Prüfung der einzelnen Parameter unerlässlich. Die Bestimmung der zulässigen Netznutzungsentgelte hat ferner zeitnah zu erfolgen, da sich die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ständig ändern. Demgemäß hat die Bundesnetzagentur nach § 23a Abs. 4 Satz 2 EnWG innerhalb von sechs Monaten über den Genehmigungsantrag zu entscheiden. Auch aus diesem Grund ist der Bundesnetzagentur ein gewisser Rahmen bei der Auswahl und der Prüftiefe der einzelnen Parameter und mithin eine Schwerpunktbildung bei der Prüfung zuzubilligen. Schließlich ist zu beachten, dass eine mögliche falsche Gewichtung oder Bewertung einzelner Parameter nicht zwangsläufig zu einer unbilligen Überhöhung des festgesetzten Netznutzungsentgeltes führen muss. Vielmehr muss, um die Indizwirkung der Genehmigung zu erschüttern, die ernsthafte Möglichkeit bestehen, dass eine unzulängliche Prüfung oder Bewertung einzelner Parameter in einer Gesamtbetrachtung nicht nur zu einem erhöhten, sondern zu einem in unbilliger Weise überhöhtem Netznutzungsentgelt führt.
46Als die Indizwirkung der Entgeltgenehmigung erschütternde Umstände kommen daher vor allem gravierende, offensichtliche methodische Fehler oder Falschbeurteilungen der Bundesnetzagentur und erhebliche Falschangaben des Netzbetreibers in Betracht, wobei nur solche Umstände beachtlich sind, die sich in ganz erheblichem Umfang auf die Bemessung des Nutzungsentgeltes auswirken. Hingegen können lediglich abweichende methodische Ansätze oder Gewichtungen von einzelnen Parametern oder die im Einzelfall ungeprüfte Übernahme einzelner Angaben des Netzbetreibers nicht die Erschütterung der Indizwirkung zur Folge haben, solange sie sachlich vertretbar sind, mögen sie im Einzelfall auch fragwürdig oder streitig sein. Ansonsten bestünde die Gefahr, dass die gesetzgeberisch gewollte zentralisierte Entscheidung durch die bundesweit tätige und fachkompetente Bundesnetzagentur und der ihr eingeräumte Beurteilungsspielraum unterlaufen würden. Dem Anspruch des Netznutzers auf Gewährung eines effektiven Rechtsschutzes, dem neben dem Zivilrechtsweg unter Umständen auch die Möglichkeit offensteht, ein Missbrauchsverfahren nach §§ 30, 31 EnWG zu beantragen oder nach § 75 EnWG Beschwerde zu erheben, wird durch die Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfung auf gravierende Fehler genügt. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, dass die in einem geordneten öffentlich-rechtlichen Verfahren durch eine neutrale staatliche Behörde erteilte Genehmigung des Netznutzungsentgelts von vornherein eine weitaus höhere Gewähr für eine billige Festlegung der Entgelthöhe bietet als das bisher allein geltende einseitige Preisbestimmungsrecht durch den Netzbetreiber. Es ist daher davon auszugehen, dass Fälle, in denen die Festlegung des Netznutzungsentgelts in rechtsverletzender Weise in berechtigte Interessen der Netznutzer eingreift, künftig nur noch in seltenen Ausnahmefällen vorkommen werden.
47Der Vortrag der Klägerin ist danach nicht geeignet, die Indizwirkung des Beschlusses der Bundesnetzagentur vom 29.08.2006 zu erschüttern. Die Bundesnetzagentur hat ihren Beschluss ausführlich begründet. Dass sie bei der Prüfung schwerpunktmäßig vorgegangen ist, einzelne Parameter stärker bewertet hat und andere Parameter lediglich rasterhaft geprüft haben oder sogar ungeprüft übernommen haben soll, begründet allein nicht die ernsthafte Möglichkeit, das Netznutzungsentgelt sei insgesamt in unbilliger Weise überhöht. Insoweit wird auf die obigen Ausführungen verwiesen.
48Auch die Behauptung der Klägerin, die Eigenkapitalquote der Beklagten sei zu hoch angegeben, rechtfertigt nicht die Annahme der ernsthaften Möglichkeit, die Genehmigung des Netznutzungsentgeltes durch die Bundesnetzagentur sei sachlich falsch und führe gar zu einer unbilligen Überhöhung der festgesetzten Netznutzungsentgelte. Die allgemeinen Erwägungen, die die Klägerin zur Höhe der Eigenkapitalquote anstellt, führen nicht zu der Annahme, die Bundesnetzagentur sei in ihrem Genehmigungsbescheid von falschen Voraussetzungen ausgegangen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass der Bundesnetzagentur die Bedeutung der Eigenkapitalquote für die Höhe des Netznutzungsentgeltes bewusst war. Wenn sie gleichwohl die – im Übrigen nach § 6 Abs. 2 Satz 4 StromNEV zulässige – Eigenkapitalquote unbeanstandet ließ, ist dies – mangels greifbarer entgegenstehender Umstände – als im Rahmen ihres Beurteilungsspielraums liegende Bewertungsentscheidung der Bundesnetzagentur hinzunehmen. Dass diese Entscheidung dazu führt, dass das festgesetzte Netznutzungsentgelt insgesamt unbillig überhöht ist, ist von der Klägerin nicht in substantiierter Weise dargelegt.
49Die gleichen Erwägungen gelten hinsichtlich der Behauptung der Klägerin, die Bundesnetzagentur habe keine Effizienzprüfung durchgeführt, sie habe die Betriebsnotwendigkeit des Sachanlagevermögens, die aufwandsgleichen Kosten und die kalkulatorischen Kosten sowie weitere Positionen nicht oder nur rudimentär geprüft. Es ist schon nicht ersichtlich, dass eine Überprüfung dieser Parameter zu einem anderen Ergebnis bei der Bemessung des Netznutzungsentgelts geführt hätte. Darüber hinaus bestehen keine Anhaltspunkte dafür, dass die ungeprüfte Übernahme dieser Parameter – insbesondere im Rahmen der Erteilung einer ersten Genehmigung – methodisch oder sachlich nicht vertretbar gewesen wäre. Erst recht hat die Klägerin in keiner Weise dargelegt, dass das Unterlassen der Überprüfung einen gravierenden Fehler darstellt.
50Auch der Vortrag der Klägerin zur Höhe der Eigenkapitalverzinsung rechtfertigt nicht die Annahme, die Indizwirkung der Entgeltgenehmigung sei erschüttert. Offenbar hat selbst der Gesetzgeber eine Eigenkapitalverzinsung in Höhe von 6,5 % für Altanlagen und von 7,91 % bei Neuanlagen für gerechtfertigt gehalten, § 7 Abs. 6 Satz 3 StromNEV. Dieser Zinssatz wird von der Beklagten nicht überschritten. Ein möglicher betriebswissenschaftlicher Streit über die richtige Höhe des Eigenkapitalzinssatzes vermag die Annahme, die Bundesnetzagentur habe in fehlerhafter Weise das Netznutzungsentgelt unbillig hoch festgesetzt, nicht zu rechtfertigen.
51Zwar stellt die Klägerin insbesondere zur Gewichtung der ehemaligen beiden Netzteile W und T2 sowie zur Eigenkapitalverzinsung eigene Berechnungen an und zieht hieraus die Schlussfolgerung, die Bundesnetzagentur habe einen Verfahrensfehler begangen. Dieser Einwand greift letztlich aber nicht durch. Wie bereits dargelegt unterliegt der komplexe Vorgang der Festlegung eines Netznutzungsentgeltes zahlreichen Wertungsvorgängen, in denen der Bundesnetzagentur ein Beurteilungsspielraum zuzugestehen ist. Die Bewertung von Restwerten, Anlagenwerten und Quoten von Unternehmensteilen sowie Abschreibungen kann nicht mit mathematisch-naturwissenschaftlicher Genauigkeit festgestellt werden, sondern nur in einer bestimmten Bandbreite vertretbarer Ergebnisse. Der Umstand, dass die Klägerin mit einer eigenen Berechnung zu abweichenden Ergebnissen kommt, besagt daher nicht, dass die Berechnung der Bundesnetzagentur fehlerhaft oder verfahrensfehlerhaft ist. Erst recht rechtfertigt die von der Beklagten angestellte eigene Berechnung nicht den Schluss, die neutrale und sachkompetente Bundesnetzagentur habe ein unbilliges Netznutzungsentgelt festgelegt.
52Selbst wenn einzelne Berechnungen der Bundesnetzagentur fehlerhaft sein sollten, begründet dies noch nicht die Annahme, dass das von der Bundesnetzagentur im Endergebnis festgesetzte Netznutzungsentgelt unbillig überhöht ist. Die Berechnung des Netznutzungsentgeltes setzt sich aus zahlreichen Komponenten zusammen, deren Gewichtung – wie bereits ausgeführt – einer dem Beurteilungsspielraum der Bundesnetzagentur unterliegenden Bewertung bedarf. Selbst wenn eine einzelne Komponente falsch berechnet oder fehlerhaft gewichtet sein sollte, wird dadurch die sachliche Richtigkeit der Gesamtberechnung nicht notwendig erschüttert. Erforderlich ist vielmehr, ähnlich der Erschütterung eines Anscheinsbeweise (vgl. hierzu Zöller/Greger, ZPO, 27. Aufl. 2009, Vor § 284, Rdnr. 29), dass der Netznutzer Umstände darlegt und gegebenenfalls beweist, die die ernsthafte Möglichkeit begründen, die Festlegung des Netznutzungsentgelts durch die Bundesnetzagentur sei insgesamt unbillig. Diesen Anforderungen genügt der Vortrag der Beklagten nicht.
53Sofern die Klägerin vorträgt, die Beklagte habe hinsichtlich der Kosten für Verlustenergie falsche Angaben gemacht, vermag dies das durch die Genehmigung begründete Indiz für die Billigkeit des festgesetzten Netznutzungsentgelts schon deshalb nicht zu erschüttern, weil selbst nach der Berechnung der Beklagten die angebliche Überhöhung der Kosten für Verlustenergie nur 0,4 % des Netznutzungsentgelts ausmachen und sich die angeblichen Falschangaben wiederum nur auf einen Teilbetrag hiervon beziehen sollen (Seite 22 f. des Schriftsatzes vom 25.10.2012, Blatt 264 f. der Gerichtsakte). Hinzu kommt, dass keinesfalls feststeht, dass die Feststellungen der Bundesnetzagentur zum Bescheid vom 29.08.2006 auf Falschangaben beruhen, weil die Klägerin auf Seite 23 des Schriftsatzes vom 25.10.2012 (Blatt 265 der Gerichtsakte) lediglich auf angeblich widersprüchliche Angaben der Klägerin hinweist, ohne aber darzulegen, woraus sich ergeben soll, dass gerade der der Bundesnetzagentur gemeldete und dem Bescheid vom 29.08.2006 zugrundeliegende Betrag und nicht der andere genannte Betrag falsch sein soll.
54Schließlich führt auch der Umstand, dass die Bundesnetzagentur die Netznutzungsentgelte für die folgende Genehmigungsperiode niedriger festgesetzt hat und sich auch die Kosten für die vorgelagerten Netze in der Folgezeit verringert haben, nicht zu einer Erschütterung der Indizwirkung des Bescheids vom 29.08.2006. Da die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, die Anforderungen an die Stromnetze und auch die am Markt tätigen Unternehmen ständigen Veränderungen unterliegen, liegt auch eine Veränderung der Netznutzungsentgelte in der Natur der Sache. Aus diesem Grund hat der Gesetzgeber in § 23a Abs. 4 EnWG eine Befristung der Genehmigung vorgesehen. Der Umstand, dass sich die Netznutzungsentgelte verringert haben, besagt somit nicht, dass die früher festgesetzten Netznutzungsentgelte in unbilliger Weise überhöht waren.
55II. Der auf Art. 102 Satz 2 Buchstabe a AEUV in Verbindung mit § 33 Abs. 3 Satz 1 GWB gestützte Hilfsantrag ist ebenfalls unbegründet. Da sich die Beklagte – wie oben dargelegt – auf die Indizwirkung der Entgeltgenehmigung vom 29.08.2006 berufen kann, fehlt es an einer substantiierten Darlegung eines rechtsmissbräuchlichen Verhaltens der Beklagten (vgl. BGH NJW 2012, 3092, 3095, Rdnr. 41).
56III. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 709 ZPO.
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