Urteil vom Landgericht Dortmund - 2 O 189/12
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 47.626,07 € (i. W. siebenundvierzigtausendsechshundertsechsundzwanzig 07/100 Euro) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.02.2012 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt nach einem Streitwert von bis zu 50.000,00 € die Beklagte.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
T a t b e s t a n d
1Der Ehemann der Klägerin unterhielt bei der C eine sogenannte Travel Card Reiseversicherung, die eine Unfallversicherung einschloss. Dieser lagen die Allgemeinen Bedingungen für die Travel Card Reiseversicherung, insbesondere deren Teil E, zugrunde. Einbezogen war die Klägerin als versicherte Person. Die Versicherungssumme in der Unfallversicherung betrug 50.000,00 € bei Vollinvalidität.
2Am 27.08.2007 wurde die Klägerin auf einer Fahrradreise in Süddeutschland von einem PKW angefahren. Dabei erlitt sie ein schweres Schädelhirntrauma und multiple Frakturen. Sie lag mehrere Wochen lang im Koma. Die Frakturen mussten in zahlreichen Operationen gerichtet werden. Als Folgen der Gehirnverletzung verblieb eine Spastik und Lähmung der linken Körperhälfte (Arm/Hand und Bein/Fuß). Es besteht eine Gangunsicherheit. Sicheres Gehen auch über kurze Strecken ist nur mit Hilfestellung möglich. Die Feinmotorik des rechten Armes ist gestört. Es besteht eine unfallbedingte Schwerhörigkeit. Die Klägerin hat Schluckstörungen. Sie leidet unter Doppelbildern und Lichtempfindlichkeit. Geschmacks- und Geruchssinn sind unfallbedingt verloren gegangen. Zudem hat die Klägerin eine Konzentrationsschwäche. Das Kurzzeitgedächtnis ist beeinträchtigt. Sie leidet unfallbedingt unter einer depressiven Grundeinstellung und ist pflegebedürftig nach Pflegestufe II.
3Am 28.08.2007 rief der Ehemann der Klägerin den Beklagten, zu dem die Klägerin und ihr Ehemann eine persönliche Bekanntschaft unterhielten, an und bat um anwaltliche Hilfe. Am 31.08.2007 besuchte der Beklagte die Klägerin in T, wo sie stationär behandelt wurde. Zwischen dem Ehemann der Klägerin und dem Beklagten wurde besprochen, welche juristischen Schritte aus Anlass des Unfallgeschehens einzuleiten waren. Der Beklagte wurde beauftragt, alle im Zusammenhang mit dem Unfall stehenden Ansprüche der Klägerin anwaltlich geltend zu machen. Dabei kam auch zur Sprache, dass die zuvor erwähnte Reiseunfallversicherung bestand.
4Der Ehemann der Klägerin meldete den Unfall am 10.09.2007 telefonisch bei der U als Schadenregulierungsstelle des Unfallversicherers. Er bat darum, das Schadenanzeigeformular an den Beklagten als Bevollmächtigten der Klägerin in dieser Angelegenheit zu senden, was auch geschah. Das an den Beklagten übersandte Schadenanzeigeformular füllte der Ehemann der Klägerin für diese am 12.09.2007 aus und übersandte es an die Schadenregulierungsstelle, wo es allerdings nicht ankam. Da die Klägerin weiterhin stationär behandelt wurde und sich ihr Ehemann bei ihr in T aufhielt, übergab die Tochter der Klägerin in deren Auftrag in der zweiten Oktoberhälfte 2007 dem Beklagten an dessen Geschäftssitz eine Kopie der Schadenmeldung und ein Heft mit den der Versicherung zugrundeliegenden Bedingungen.
5Der Beklagte wandte sich erst mit Schreiben vom 13.09.2010 an die Schadenregulierungsstelle, die die erhobenen Ansprüche wegen Versäumung der in § 4 Teil E der AVB geregelten Fristen zurückwies. Über den Beklagten machte die Klägerin daraufhin eine Klage auf Invaliditätsleistung in Höhe von 40.000,00 € anhängig. Nachdem das Landgericht München ebenfalls darauf hingewiesen hatte, dass die Anspruchsfristen versäumt seien, einigte sich die Klägerin mit der C auf einen Vergleich, der die Zahlung einer Invaliditätsleistung in Höhe von 8.000,00 € vorsah.
6Die Klägerin wirft dem Beklagten vor, sie nicht auf die Notwendigkeit der Einhaltung der Fristen hingewiesen zu haben. Sie behauptet eine unfallbedingte Invalidität von mehr als 100 % aufgrund der in der Klageschrift aufgelisteten Beeinträchtigungen. Sie macht als Schadensersatz entgangene Invaliditätsleistungen in Höhe von 42.000,00 € geltend mit der Behauptung, ohne das Verschulden des Beklagten hätte der Versicherer die volle Invaliditätsleistung erbracht sowie Kosten des Vorprozesses, die der Rechtsschutzversicherer getragen und nach Übergang des Anspruchs wieder abgetreten hat.
7Die Klägerin beantragt,
8die Beklagte zu verurteilen, an sie 49.268,03 € nebst 5 Prozentpunkte Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 17.02.2012 zu zahlen.
9Der Beklagte beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Er meint, dass er berechtigterweise davon habe ausgehen können, dass mit der Absendung der Schadenanzeige zunächst alles Erforderliche geschehen sei. Der Klägerin sei jedenfalls ein Mitverschulden anzulasten, da ihr die Fristen durch die AVB bekannt gewesen seien. Sie bestreitet die behauptete Invalidität und stellt in Abrede, dass eine fristgerechte Invaliditätsfeststellung zu erlangen gewesen wäre. Im Übrigen sei er nur beauftragt gewesen, gerichtlich 40.000,00 € geltend zu machen. Ein Teil der vorgerichtlichen Kosten wäre auch ohne die behauptete Pflichtverletzung seinerseits angefallen.
12Das Gericht hat Beweis erhoben über die behauptete Invalidität. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des Sachverständigen M vom 03.05.2013 nebst neurologisch/psychiatrischem Zusatzgutachten vom 18.03.2013, wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
13E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
14Die Klage ist bis auf eine geringfügige Zuvielforderung bei den geltend gemachten Rechtsverfolgungskosten begründet.
15Die Klägerin kann von dem Beklagten gemäß § 280 BGB wegen schuldhafter Verletzung des Anwaltsvertrages Zahlung des tenorierten Betrages verlangen, da es der Beklagte versäumt hat, im Zuge der anwaltlich gebotenen Beratung die Klägerin auf die Einhaltung der für den Anspruch auf Invaliditätsleistung aus dem bestehenden Unfallversicherungsvertrag erforderlichen Anspruchsvoraussetzungen hinzuweisen. Denn § 4 der Bedingungen für die Reiseunfallversicherung regelt unter Nr. 1, dass der Anspruch auf die Invaliditätssumme entsteht, wenn die versicherte Person durch den Unfall auf Dauer in ihrer körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird (Invalidität). § 4 Ziff. 2) setzt weiter voraus, dass die Invalidität innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten und innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall von einem Arzt schriftlich festgestellt und geltend gemacht worden ist. Dabei handelt es sich bei der fristgebundenen ärztlichen Invaliditätsfeststellung um eine Anspruchsvoraussetzung, während es sich bei der Frist zur Geltendmachung des Anspruchs um eine Ausschlussfrist handelt. Auf diese in der Unfallversicherung üblichen Erfordernisse hätte der Beklagte die Klägerin hinweisen müssen. Das unstreitige Unterlassen bedeutet eine Verletzung der Pflichten aus dem Anwaltsvertrag, die den Beklagten zum Schadensersatz verpflichtet. Denn soweit ein Mandant nicht eindeutig zu erkennen gibt, dass er des Rates nur einer bestimmten Richtung bedarf, ist der Rechtsanwalt grundsätzlich zur allgemeinen, umfassenden und möglichst erschöpfenden Belehrung des Auftrags verpflichtet. Unkundigen muss er über die Folgen ihrer Erklärung belehren und vor Irrtümern bewahren. Er hat die Aufgabe, sich die notwendigen Informationen vom Auftraggeber zu beschaffen. Ohne Kenntnis und Klärung des Sachverhalts sowie der damit zusammenhängenden tatsächlichen Einzelheiten ist eine den Anforderungen genügende gewissenhafte Wahrnehmung der Interessen des Auftraggebers nicht möglich. Bei lückenhaften oder oberflächlichen Informationen muss der Rechtsanwalt daher auf ihre Vervollständigung dringen. In den Grenzen des Mandats hat er dem Mandanten diejenigen Schritte anzuraten, die zu dem erstrebten Ziel zu führen geeignet sind und Nachteile für den Auftraggeber zu verhindern, soweit solche voraussehbar und vermeidbar sind. Dazu hat er dem Auftraggeber den sichersten und gefahrlosesten Weg vorzuschlagen und ihn über mögliche Risiken aufzuklären, damit der Mandant zu einer sachgerechten Entscheidung in der Lage ist. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs verdichten sich die genannten Pflichten des Rechtsanwalts, wenn Ansprüche zu verjähren drohen. Nichts anderes gilt, wenn fristgebundene Anspruchsvoraussetzungen zu beachten und Ausschlussfristen einzuhalten sind. In einer solchen Situation muss der Anwalt den Mandanten vor Gefahren warnen, die sich bei ordnungsgemäßer Bearbeitung aufdrängen, wenn er Grund zu der Annahme hat, dass sein Auftraggeber sich dieser Gefahr nicht bewusst ist (OLG Karlsruhe NJW 2010, 1760; vgl. auch BGH VersR 2009, 1495).
16In Anwendung dieser Grundsätze hätte der Beklagte den die Klägerin vertretenden Ehemann darauf hinweisen müssen, dass bisher eine Invalidität in Form eines Dauerschadens noch nicht ärztlich festgestellt war. Der Beklagte konnte von der Klägerin bzw. deren Ehemann nicht erwarten, dass die Klägerin bzw. deren Ehemann die rechtliche Bedeutung von § 4 Nr. 2 der Unfallversicherungsbedingungen erfassen würde. Deswegen kommt ein Mitverschulden der Klägerin nicht in Betracht, nachdem ihr Ehemann den Auftrag zur Durchsetzung von Ansprüchen aus der Unfallversicherung lange vor Ablauf der in den Bedingungen geregelten Fristen erteilt hatte und es dem Beklagten als Spezialisten für Rechtsberatung oblag, sich seinerseits über die rechtlichen Voraussetzungen des Anspruchs und die Einhaltung etwaiger Fristen zu informieren.
17Die ärztliche Feststellung einer unfallbedingten Invalidität wäre angesichts der Schwere der Unfallfolgen nach der Überzeugung des Gerichts fristgerecht zu bewirken gewesen. Es spricht bereits der Anscheinsbeweis dafür, dass der Ehemann der Klägerin bei pflichtgemäßer Beratung durch den Beklagten dessen Hinweisen gefolgt wäre und sich um eine fristgerechte schriftliche ärztliche Invaliditätsfeststellung bemüht hätte, sofern für ihn bei vernünftiger Betrachtungsweise aus damaliger Sicht nur eine Entscheidung nahegelegen hätte.
18Nach dem durch das Gericht eingeholten Gutachten liegt die Invalidität bei der Klägerin allein auf orthopädischem Fachgebiet bei 100 %. Auch die Beklagte ist dem Gutachten des Sachverständigen M nicht entgegengetreten. Demnach ist davon auszugehen, dass die Klägerin ohne das Beratungsverschulden des Beklagten die volle Invaliditätssumme von 50.000,00 € erhalten hätte. Da sie im Vergleichswege nur einen Betrag von 8.000,00 € erhalten hat, kann sie weitere 42.000,00 € von dem Beklagten erhalten. Die Tatsache, dass der Beklagte, nachdem der Unfallversicherer Fristversäumung gerügt hatte, Klageauftrag nur für einen Betrag von 40.000,00 € erhalten hatte, bedeutet nicht, dass er von Anfang an nur eine Invaliditätssumme in dieser Höhe hätte durchsetzen sollen. Angesichts der Schwere der Verletzungen der Klägerin und des unbegrenzten Auftrages, den der Beklagte erhalten hat, hat das Gericht keinen Zweifel, dass der Beklagte die volle Invaliditätssumme gegenüber dem Unfallversicherer hätte durchsetzen sollen.
19Kausale Folgen des Pflichtverschuldens des Beklagten sind auch die entstandenen Rechtsverfolgungskosten mit Ausnahme der vorgerichtlich angefallenen Kosten in Höhe von 1.641,96 € nach einem Gegenstandswert von 50.000,00 € sowie einer 1,3-fachen Geschäftsgebühr. Diese Gebühr wäre nach Beauftragung des Beklagten auch ohne ein Pflichtverschulden des Beklagten angefallen und vom Unfallversicherer nicht zu erstatten, da ein Verzug zu diesem Zeitpunkt nicht vorgelegen hat.
20Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf § 709 ZPO.
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