Urteil vom Landgericht Dortmund - 25 O 347/12
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits einschließlich derjenigen der Nebenintervention trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch die beklagte Stadt bzw. deren Streithelferin durch Zahlung von Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die beklagte Stadt bzw. deren Streithelferin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
Tatbestand:
2Der Kläger macht Schadensersatzansprüche gegen die beklagte Stadt aufgrund einer vermeintlichen Verkehrssicherungspflichtverletzung geltend.
3Der Kläger wohnt in der M-straße ### in T. Am 29.07.2012 stellte er sein Fahrzeug gegenüber seinem Haus zum Parken ab. Neben dem Parkplatz, auf dem der Kläger sein Fahrzeug abstellte, befindet sich rechts ein weiterer Parkplatz. In Angrenzung an diesen weiteren Parkplatz steht ein Lindenbaum. Das betreffende Grundstück, auf welchem der Baum steht, steht im Eigentum der beklagten Stadt. Zum Zeitpunkt des behaupteten Schadensereignisses stand auf dem weiteren Parkplatz kein Fahrzeug.
4Der Kläger behauptet, am 29.07.2012 habe sich ein abgestorbener Ast von der Linde gelöst und sei auf sein Auto gefallen. Dabei sei sein Fahrzeug im Bereich der hinteren rechten Tür beschädigt worden. Für die Reparatur entstünden ihm Kosten in Höhe von 2.032,08 € netto.
5Der Kläger ist der Ansicht, die beklagte Stadt sei für den ihm entstandenen Schaden verantwortlich, da sie die ihr obliegende Verkehrssicherungspflicht verletzt habe. Auf den zur Akte gereichten Fotos, welche unmittelbar nach dem Schadensereignis gefertigt worden seien, seien abgestorbene Äste zu sehen. Eine ordnungsgemäße Kontrolle des Baumes könne somit nicht stattgefunden haben.
6Aus den von der beklagten Stadt vorgelegten Unterlagen ergebe sich auch nicht, dass mit der Streithelferin eine Baumkontrolle unter Berücksichtigung der Verkehrssicherungspflicht vereinbart worden sei. Zudem stelle sich die Frage, inwiefern die Streithelferin fachlich qualifiziert sei, überhaupt Kontrollarbeiten durchzuführen.
7Der Kläger beantragt,
8die beklagte Stadt zu verurteilen, an ihn 2.032,08 € netto nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 30.07.2012 zu zahlen
9sowie
10die beklagte Stadt zu verurteilen, ihn von der Zahlung der Rechtsanwaltsgebührenrechnung der Rechtsanwälte F pp. in Höhe von 272,87 € nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit freizustellen.
11Die beklagte Stadt und die Streithelferin beantragen,
12die Klage abzuweisen.
13Die beklagte Stadt ist der Ansicht, es fehle bereits an einer objektiven Pflichtverletzung der beklagten Stadt. Die beklagte Stadt habe mit der Regelbaumkontrolle die Streithelferin – das Fachunternehmen P beauftragt. Am 04.07.2012 habe eine Baumkontrolle in der M-Straße stattgefunden. Aus dem als Anlage E2 zur Akte gereichten Kontrollblatt gehe hervor, dass der im belaubten Zustand kontrollierte Baum keine Schäden aufgewiesen habe. Im Rahmen dieser Kontrolle seien von der grundsätzlich ausreichenden äußeren Sichtprüfung vom Boden aus abgestorbene Äste im Bereich der Krone nicht erkennbar gewesen, da die Krone insgesamt einen guten Zustand aufgewiesen habe und Schäden am Stamm nicht zu erkennen gewesen seien. Da Auffälligkeiten nicht erkennbar gewesen seien, sei auch eine weitere Prüfung, zum Beispiel mittels Hubsteiger, vor dem Schadensereignis nicht erforderlich und geboten gewesen.
14Die Streithelferin bestreitet, dass die zur Akte gereichten Fotos unmittelbar nach dem Schadensereignis gefertigt wurden. Auf der Rückseite der Fotos lasse sich das Aufnahmedatum erkennen. Lediglich die Fotos, die das Fahrzeug und den auf dem Boden liegenden Ast zeigen, hätten als Datum den 30.07.2012. Bei den übrigen Fotos finde sich entweder das Datum 10.09.2012 oder 16.09.2012.
15Die beklagte Stadt ist zudem der Ansicht, dass es ihr nicht angelastet werden könne, dass sie sich an den Feststellungen der Streithelferin orientiert habe. Mehr als einen Forstassessor mit der Baumkontrolle zu beauftragen könne auch der beklagten Stadt im Rahmen der ihr obliegenden Amtspflicht nicht auferlegt werden. Ein etwaiges Verschulden der Streithelferin sei ihr nicht zuzurechnen.
16Auch würden die vom Kläger zur Akte gereichten Fotografien deutlich zeigen, dass der vom Kläger behauptete Schaden nicht durch den fraglichen Ast verursacht worden sein könne: Das Fahrzeug des Klägers weise zwei vertikale Beulen mit einer Breite von 0,5 bis 1 cm auf; bei der oberen mit einer Höhe von 2,4 cm und der unteren mit einer Höhe von 1,9 cm. Weiter finde sich darunter in der Gegend des Türgriffs ein relativ langer Längskratzer. Der Längskratzer könne keinesfalls von einem herabstürzenden Ast verursacht worden sein. Gleiches gelte jedoch auch für die beiden senkrechten Beulen, die sich dadurch auszeichneten, dass sie in Fallrichtung (von oben nach unten) weder eine Schleifspur noch Kratzer aufwiesen. Sie seien vielmehr lokal klar definiert und sprächen dafür, dass sie durch eine Energieeinwirkung von der Seite durch einen harten, kleinen Gegenstand verursacht worden seien.
17Anhand der Fotografien habe die Streithelferin ermittelt, dass der Ast etwa 2,30 m lang und am stärkeren Ende einen Durchmesser von 7 cm haben und ca. 1,5 kg wiegen dürfe. Auffällig sei, dass der fragliche Ast keine typischen Abbruchstellen aufweise, die gesplittert oder ausgefasert ist, sondern das dickere Ende hell sei und wie glatt abgeschnitten wirke. Zumindest an dieser Stelle sei der Ast mithin nicht morsch gewesen.
18Ein fallender Lindenast, der ein Gewicht von ca. 1,5 kg habe, könne weder die notwendige Energie entwickeln, um die fraglichen Beulen zu verursachen noch das vorgefundene Schadensbild erzeugen. Gerade die untere Beule sei ein Beleg dafür, dass die Krafteinwirkung eher von der Seite gekommen sein müsste, denn darüber befinde sich eine ca. 1 cm breite Zone, die gänzlich unbeschädigt sei. Eine von oben wirkende Energie würde zum einen eine andere Form der Eindellung erzeugen, wenn überhaupt, und zum anderen auch Kratzer in Fallrichtung hinterlassen.
19Auch die von Kläger geschilderte Parksituation mache deutlich, dass das Auto nicht von einem heruntergefallenen Ast beschädigt worden sein könne: Neben dem Parkplatz, auf dem das klägerische Fahrzeug gestanden habe, habe sich rechts eine weitere Parkbucht befunden. Auf dieser habe der herabgestürzte Lindenast gelegen. Ein Ast, welcher von der Linde abbreche und den Gesetzen der Schwerkraft nach unten zu Boden falle, könne nicht einen Bogen beschreiben, einen zweiten Parkplatz überbrücken und dann auf das Fahrzeug des Klägers treffen, danach seine Richtung ändern und zurück auf den zweiten Parkplatz fallen.
20Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen G sowie durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens der Sachverständigen N. Auf das Ergebnis der Beweisaufnahme wird ausdrücklich Bezug genommen.
21Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Erklärungen in der mündlichen Verhandlung verwiesen.
22Entscheidungsgründe:
23Die Klage ist zulässig.
24In der Sache hat die Klage jedoch keinen Erfolg, da dem Kläger der geltend gemachte Schadenersatzanspruch nicht zusteht.
25Insbesondere ergibt sich der geltend gemachte Anspruch vorliegend nicht aus § 839 BGB iVm Art. 14 GG.
26Zwar geht das Gericht davon aus, dass grundsätzlich eine Haftung der beklagten Stadt gemäß § 839 BGB iVm Art. 14 GG in Betracht kommen kann, da die beklagte Stadt für eine etwaige schuldhafte Pflichtverletzung der Streithelferin wie für einen Erfüllungsgehilfen haftet. Maßgeblich ist insoweit allein das nach außen manifestierte Handeln als „Erfüllungsgehilfe“ des Trägers öffentlicher Gewalt.
27Unter Heranziehung des Rechtsgedanken aus § 278 BGB ist danach jeder als Amtsträger im Sinne des Amtshaftungsrecht anzusehen, der in Erfüllung öffentlich-rechtlicher Pflichten für den Hoheitsträger Dritten gegenüber tätig wird. Daher kann auch das Fehlverhalten selbstständiger Werk- oder Dienstunternehmer dem Staat über Art. 34 S. 1 GG zugerechnet werden (vgl. Papier, in: Münchener Kommentar zum BGB, 5 Aufl. 2009, § 839 Rn. 138). Ob ein Amtsträger in Ausübung des ihm anvertrauten öffentlichen Amtes handelt, bestimmt sich nach ständiger Rechtsprechung des BGH danach, ob die eigentliche Zielsetzung, in deren Sinn die Person tätig wurde, hoheitlicher Tätigkeit zuzurechnen ist und ob zwischen dieser Zielsetzung und der schädlichen Handlung ein so enger Zusammenhang besteht, dass die Handlung ebenfalls als noch im Bereich hoheitlicher Betätigung angesehen werden muss. Dabei ist nicht auf die Person des Handelnden, sondern auf seine Funktion, das heißt auf die Aufgabe, deren Wahrnehmung die im konkreten Fall ausgeübte Tätigkeit dient, abzustellen (vgl. Rinne / Schlick, „Die Rechtsprechung des BGH zu den öffentlich-rechtlichen Ersatzleistungen, 2. Teil. Amtshaftung“ in NJW 2004, 1918 m.w.N.).
28Die Verkehrssicherungspflicht für öffentliche Straßenflächen stellt lediglich einen Unterfall der allgemeinen (privatrechtlichen) Verkehrssicherungspflicht dar, deren Verletzung grundsätzlich Ansprüche nach §§ 823 ff. BGB auslöst. Als Anspruchsgrundlage kommt jedoch ausschließlich § 839 BGB iVm Art. 14 GG in Betracht, wenn der Gesetzgeber die Pflicht, die öffentlichen Straßen in verkehrssicherem Zustand zu erhalten, hoheitlich ausgestaltet hat (Rinne / Schlick, aaO).
29Da auch für das Land Nordrhein-Westfalen der Landesgesetzgeber diese Pflicht durch § 9 StrWG NRW hoheitlich ausgestaltet habe, ist auch vorliegend auf § 839 BGB iVm Art. 14 GG als Anspruchsgrundlage abzustellen und eine Exkulpation der Beklagten nach dem Rechtsgedanken des § 831 nicht möglich. Der beklagten Stadt ist vielmehr eine etwaige Pflichtverletzung der Streithelferin zuzurechnen.
30Jedoch fehlt es vorliegend an der erforderlichen Kausalität einer etwaigen Amtspflichtverletzung. Aufgrund der Ausführungen der Sachverständigen steht für das Gericht fest, dass die Streithelferin zwar die ihr obliegenden Kontrollpflicht nicht ordnungsgemäß erfüllt hat, diese Pflichtverletzung jedoch nicht kausal für den, vom Kläger behaupteten Schaden ist.
31Die Sachverständige hat zunächst erläutert, dass die auf den Fotos zu erkennenden Totholzäste bereits bei der Kontrolle am 04.07.2012 hätten erkannt werden müssen. Insoweit erläuterte sie sehr nachvollziehbar, dass es keinen Unterschied macht, ob die zur Akte gereichten Fotos, auf welche sie ihr Gutachten und ihre Erläuterung stützt, am 30.07.2012, am 10.09.2012 oder am 16.09.2012 gefertigt worden seien. Ein Baum bildet seine Blätter im Frühjahr aus. Dieser Vorgang ist im April / Mai abgeschlossen. Soweit also auf den Fotos unbelaubte Äste und Zweige zu sehen sind, sind diese Äste von Anfang an – und damit sowohl im Juli als auch noch im September – ohne Laub gewesen. Eine Entwicklung hin zu einem unbelaubten Ast aufgrund von Witterungsbedingungen schließt die Sachverständige aus.
32Weiter führt die Sachverständige aus, dass das auf den Fotos zu erkennende Totholz keinen Schaden an dem streitgegenständlichen Lindenbaum darstelle und die Ausführungen des Geschäftsführers der Streithelferin im Rahmen seiner Kontrolle am 04.07.2012 - „kein Schaden“ – somit zutreffend waren.
33Nach Ansicht der Sachverständigen, welcher sich das Gericht anschließt, war die Feststellung, dass keine Maßnahmen erforderlich gewesen seien, jedoch nicht fachgerecht. Die Sachverständige hat erläutert, dass es sich um einen ausgewachsenen Baum handelte und daher aufgrund des Totholzes Baumpflegemaßnahmen zur Sicherung des Baumes hätten erfolgen müssen.
34In ordnungsgemäßer Erfüllung ihrer Kontrollarbeiten hätte die Streithelferin die beklagte Stadt daher darauf hinweisen müssen, dass an dem streitgegenständlichen Baum Baumpflegemaßnahmen erforderlich waren. Ein solcher Hinweis ist jedoch unstreitig unterblieben, so dass insoweit eine Pflichtverletzung der Streithelferin vorliegt.
35Diese Unterlassung ist jedoch nicht ursächlich für den vom Kläger behaupteten Schaden.
36Grundsätzlich kann zwar auch ein Unterlassen einen Schaden verursachen, sofern eine Pflicht zur Handlung bestand und die Vornahme der gebotenen Handlung den Schaden verhindert hätte. Um den Zurechnungszusammenhang zu bejahen, muss die unterbliebene Handlung hinzugedacht werden und festgestellt werden, dass der Schaden dann nicht eingetreten wäre. Die bloße Wahrscheinlichkeit des Nichteintritts genügt nicht (Grüneberg, in: Palandt, 72. Aufl. 2013, Vorb. § 249 Rn 51 m.w.N.).
37Bei den auf den Fotos zu erkennenden unbelaubten Ästen handelte es sich um solche, welche nach Ausführung der Sachverständigen lediglich in „nächster Zeit“ Bedarf für Baumpflegemaßnahmen boten. Den in ihrem schriftlichen Gutachten verwendeten unbestimmten Begriff „in nächster Zeit“ hat die Sachverständige auf Nachfrage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung präzisiert. Sie erklärte zunächst, dass es sich hier um „keine brennenden Maßnahmen“ handele. Ausreichend sei – insbesondere da im Sommer nicht mit Starkwinden zu rechnen sei – ein Zeitraum von 3 Monaten, um entsprechende Baumpflegemaßnahmen durchzuführen.
38Hätte die Streithelferin sich demnach ordnungsgemäß verhalten, hätte sie die beklagte Stadt darauf hingewiesen, dass diese binnen der nächsten 3 Monate Baumpflegemaßnahmen durchführen müsse. Der beklagten Stadt hätte sodann ab dem Zeitpunkt der Kontrolle am 04.07.2012 ein Zeitraum von 3 Monaten, d.h. bis Anfang Oktober 2012 zur Verfügung gehabt, um entsprechende Maßnahmen in die Wege zu leiten und damit der ihr obliegenden Verkehrssicherungspflicht zu genügen. Eine darüberhinausgehende Pflicht, direkt nach Mitteilung durch die Streithelferin tätig zu werden, bestand nicht.
39Da sich das Schadensereignis jedoch bereits rund 3,5 Wochen nach dem Kontrolltermin ereignete, kann – den unterbliebenen Hinweis hinzugedacht – nicht festgestellt werden, dass das schädigende Ereignis ausgeblieben wäre. Dass die Äste 25 Tage nach der Kontrolle noch nicht entfernt worden waren, kann der beklagten Stadt bei einem Zeitraum zur Beauftragung der Maßnahme von drei Monaten nicht als Pflichtverletzung vorgeworfen werden. Die beklagte Stadt hätte die erforderlichen Baumpflegemaßnahmen auch erst für August anordnen können. Wie bereits ausgeführt ist die bloße Wahrscheinlichkeit des Nichteintritts des Schadens nicht ausreichend.
40Da dem Kläger der geltend gemachte Anspruch aufgrund der fehlenden Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für den behaupteten Schaden bereits nicht zusteht, bedurfte es auch keiner weiteren Beweiserhebung über den Schaden sowie die zur Beseitigung notwendigen Kosten.
41Des Weiteren steht dem Kläger mangels Hauptsacheanspruch weder der geltend gemachte Zinsanspruch noch ein Anspruch auf Freistellung im Hinblick auf seine außergerichtlichen Anwaltskosten zu.
42Die Entscheidung über die Kosten beruht auf §§ 91, 101 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
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