Urteil vom Landgericht Dortmund - 2 O 459/12
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt ab einem Streitwert von 164.200,00 € die Klägerin.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
T a t b e s t a n d:
2Die Klägerin unterhält bei der Beklagten eine Unfallversicherung unter Geltung der AUB 2002 (Stand: 01.05.2004) der Beklagten, in die ihr Ehemann als versicherte Person einbezogen ist. Für diesen ist eine Grundinvaliditätssumme von 70.000,00 € mit Progression 500 % versichert sowie ein Krankenhaustagegeld von 50,00 € und ein Genesungsgeld von ebenfalls 50,00 € jeweils pro Tag.
3Am 09.06.2011 zog sich der Ehemann der Klägerin auf seiner Arbeitsstelle beim Be- und Entladen des Dienstfahrzeugs eine Risswunde am linken Oberarm zu. Unter dem 11.06. fuhr er mit der Familie in den Urlaub an eine Talsperre in T. Bereits vorher wurde er von Mücken in den linken Arm gestochen. Den Juckreiz bekämpfte der Ehemann der Klägerin mit Kratzen. In der Folgezeit entzündeten sich sowohl die Risswunde als auch die Einstichstellen der Mückenstiche. Es entwickelte sich im linken Oberarm eine nekrotisierenden Fasziitis (durch Bakterien ausgelöste Infektionskrankheit), die am 24.06.2011 zu einer rumpfnahen Amputation des linken Oberarmes führte.
4Die Klägerin führt die Amputation des Armes auf die sich entzündende Risswunde am Oberarm zurück, die sie mit 3 – 4 cm angibt. Sie begehrt Zahlung von 154.000,00 € Invaliditätsleistung sowie 5.200,00 € Krankenhaustagegeld für 104 Tage stationäre Behandlung und 5.000,00 € Genesungsgeld für 100 Tage (Höchstdauer) Krankenhausaufenthalt.
5Die Klägerin beantragt,
6die Beklagte zu verurteilen, an sie wegen des Unfallereignisses des Herrn H vom 09. Juni 2011 164.200,00 € nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz seit dem 31. Oktober 2011 zu zahlen.
7Die Beklagte beantragt,
8die Klage abzuweisen.
9Sie führt – gutachterlich gestützt – die zur Amputation führende Infektion auf die entzündeten Mückenstiche zurück und bestreitet, dass die durch den Arbeitsunfall entstandene Risswunde eine mehr als nur geringfügige Hautverletzung gewesen sei. Sie geht deshalb vom Eingreifen des in den AUB vereinbarten Risikoausschlusses „Infektionen“ aus.
10Das Gericht hat zum Arbeitsunfall die Zeugen H und I vernommen. Insoweit wird auf das Sitzungsprotokoll vom 09.01.2014 verwiesen. Zum Erscheinungsbild der Entzündungen im Zeitpunkt der Erstaufnahme des Ehemannes der Klägerin in den I2-Kliniken in Q hat es die Ärztin L vernommen. Insoweit wird auf das Sitzungsprotokoll vom 02.10.2014 Bezug genommen. Ferner hat es zur Ursache der nekrotisierenden Fasziitis ein medizinisches Sachverständigengutachten eingeholt. Insoweit wird auf das schriftliche Sachverständigengutachten des Sachverständigen PD T2 vom 10.03.2014 sowie die mündliche Erläuterung des Gutachtens durch den Oberarzt V im Termin vom 02.10.2014, wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
11E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
12Die Klage ist unbegründet.
13Die Klägerin kann von der Beklagten keine Leistung aus der zwischen den Parteien bestehenden Unfallversicherung aus Anlass der Amputation des linken Armes ihres in den Unfallversicherungsvertrag einbezogenen Ehemannes und deren Folgen verlangen, da sie einen durch den bestehenden Unfallversicherungsvertrag gedeckten Versicherungsfall nicht bewiesen hat.
141.
15Zwar bietet Ziffer 1 der dem Vertrag zugrunde liegenden AUB 2002 Versicherungsschutz bei Unfällen. Definitionsgemäß liegt ein Unfall vor, wenn die versicherte Person durch ein plötzlich von außen auf ihren Körper wirkendes Ereignis unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet. Durch Ziffer 5.2.4 der AUB sind jedoch Infektionen auch dann vom Versicherungsschutz ausgeschlossen, wenn sie durch Insektenstiche oder –bisse oder durch sonstige geringfügige Haut- oder Schleimhautverletzungen verursacht worden, durch die Krankheitserreger sofort oder später in den Körper gelangten.
162.
17a) Nach dem durch das Gericht eingeholten medizinischen Sachverständigengutachten ist bereits durch die Klägerin nicht bewiesen-für den Wiedereinschluss trotz grds. ausgeschlossener Infektionen ist die Klägerin beweispflichtig-, dass die Risswunde, die sich der Ehemann der Klägerin auf der Arbeitsstelle zugezogen hat, die Eintrittspforte für die zur nekrotisierenden Fasziitis führenden Infektion gewesen ist. Der vom Gericht beauftragte Sachverständige T2 hat dazu gemeinsam mit dem Sachverständigen V ausgeführt, dass die wahrscheinlichere Eintrittspforte die Mückenstiche gewesen sind, die der Ehemann der Klägerin aufgekratzt hat. Zwar kommt nach den Ausführungen der Sachverständigen auch die Risswunde theoretisch als Eintrittspforte in Betracht. Jedoch haben die Sachverständigen das Eindringen von Krankheitskeimen wegen der Blutung der Wunde als weniger wahrscheinlich erachtet als die aufgekratzten Mückenstiche. Auch nach Vernehmung der die Notaufnahme begleitenden Ärztin L hat der Sachverständige V den Eintritt der Krankheitskeime über die aufgekratzten Mückenstiche als wahrscheinlicher erachtet als über die Risswunde. Denn die Zeugin L hat bei ihrer Vernehmung bekundet, dass sie eine frische Risswunde am linken Arm des Ehemannes der Klägerin nicht festgestellt sondern schon wegen der Vermutung der versicherten Person, dass sich aufgekratzte Mückenstiche entzündet haben ihre Aufmerksamkeit auf diese Ursache gerichtet und auf andere Verletzungen nicht besonders geachtet hat, die ihr aber eigentlich hätten auffallen müssen, wenn sie denn vorhanden gewesen wären. Legt das Gericht die Mückenstiche entsprechend der von dem Sachverständigen vermuteten wahrscheinlichen Eintrittspforte für die Infektionskeime zugrunde, greift der Infektionsausschluss gemäß Ziffer 5.2.4 AUB 2002 ohne Weiteres ein, da der Ausschluss ausdrücklich auch für Infektionen gilt, die durch Insektenstiche oder –bisse verursacht wurden.
18b) Aber selbst wenn das Gericht die auf der Arbeit erlittene Risswunde als Eintrittspforte für die Krankheitserreger zugrunde legen würde, wäre ein gedeckter Versicherungsfall nicht gegeben. Denn gemäß Ziffer 5.2.4.1 AUB 2002 sind Infektionen auch dann ausgeschlossen, wenn sie durch sonstige geringfügige Haut- oder Schleimhautverletzungen verursacht wurden, durch die Krankheitserreger sofort oder später in den Körper gelangten. Um eine solche, den gedeckten Versicherungsfall ausschließende geringfügige Haut- oder Schleimhautverletzung handelt es sich bei der Risswunde, die sich der Ehemann der Klägerin auf der Arbeit zugezogen hat. Denn ob eine Hautverletzung als geringfügig im Sinne dieser Regelung anzusehen ist, beurteilt sich nicht in erster Linie nach der Tiefe oder der oberflächlichen Ausbreitung der Verletzung, sondern danach, ob ein Verletzungsbild entstanden ist, das – objektiv gesehen – Veranlassung gibt, sich in ärztliche Behandlung zu begeben (OLG Köln VersR 2013, 992 m.w.N.). Das erkennende Gericht teilt wie das OLG Köln nicht die in der unfallversicherungsrechtlichen Literatur - zum Teil unter ausdrücklichem Rückgriff auf die Auffassung der Bedingungsgeber – vertretene Auffassung, dass es auf die Geringfügigkeit einer Hautverletzung nur dann ankommt, wenn die Wunde über den Bereich der Haut mit ihren drei Schichten Oberhaut, Leder- und Unterhaut nicht hinausreicht (so insbesondere Grimm, Unfallversicherung 5. Aufl., Ziff. 5 AUB 2010 Rn. 91 m. w. N.; ferner Kloth, Private Unfallversicherung, 2. Aufl., K XI Rn. 182; auch OLG Karlsruhe VersR 2014, 237 zu allerdings von den AUB abweichenden Versicherungsbedingungen). Dem steht indes entgegen, dass die Entstehungsgeschichte einer Klausel und damit die Ansicht der Bedingungsgeber für die Auslegung einer Versicherungsbedingung unmaßgeblich ist (BGH VersR 2000, 1090). Auch können für die Auslegung nicht rein medizinische Wertungen entscheidend sein, weil dem durchschnittlichen VN medizinische Kenntnisse in aller Regel fehlen werden. Als geringfügig wird der durchschnittliche VN solche Haut- oder Schleimhautverletzungen ansehen, die keine Veranlassung geben, ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, weil sie entweder überhaupt keiner Behandlung bedürfen oder mit einfachen Mitteln wie etwa mit einem Pflaster selbst versorgt werden können und bei denen zu erwarten ist, dass sie alsbald folgenlos wieder verheilen.
19Dass es insoweit nicht entscheidend auf die Tiefe der Hautverletzung ankommt, wird dem durchschnittlichen VN dadurch verdeutlicht, dass nach den Bedingungen ausdrücklich als Beispielsfälle für geringfügige Hautverletzungen Insektenstiche oder Insektenbisse angeführt sind, obwohl hierdurch regelmäßig alle drei Hautschichten durchdrungen werden. Die Wertung, ob eine Hautverletzung als geringfügig anzusehen ist, beurteilt sich deshalb nicht in erster Linie nach der Tiefe oder der oberflächlichen Ausbreitung der Verletzung, sondern danach, ob ein Verletzungsbild entstanden ist, das - objektiv und nicht lediglich aus der subjektiven Sicht des jeweiligen VN gesehen- Veranlassung gibt, sich in ärztliche Behandlung zu begeben. Soweit der Entscheidung des erkennenden Gerichts v. 1.9.2005 -2 S 5/05- r+s 2006, 253- entnommen werden kann, dass auch die fehlende Durchtrennung der Hautschichten für die Qualifizierung einer Hautverletzung als geringfügig maßgeblich sein soll, hält das Gericht daran nicht fest.
203.
21Ausgehend von diesen Grundsätzen bedeutet die auf der Arbeitsstelle zugezogene Risswunde am Oberarm des Ehemannes der Klägerin eine nur geringfügige Hautverletzung, da er die blutende Risswunde mit Tüchern getrocknet und anschließend mit einem Pflaster versorgt hat, ohne sich in ärztliche Behandlung zu begeben. Damit liegen die Voraussetzungen für eine nicht nur geringfügige Hautverletzung, die die Leistungspflicht der Beklagten begründen könnte, nicht vor. Der Sachverständige V hat bei seiner Anhörung im Termin vom 02.10.2014 erläutert, dass er die Versorgung der Risswunde durch den Kläger als medizinisch adäquat angesehen und keine Notwendigkeit erkannt hat, über die Versorgung der Wunde mit einem Pflaster hinaus ärztliche Hilfe in Anspruch zu nehmen. Damit hätte die Klägerin auch nicht bewiesen, dass eine mehr als nur geringfügige Haut- oder Schleimhautverletzung bei ihrem Ehemann vorgelegen hat (zur Beweislast: OLG Köln a.a.O..; Jacob, Unfallversicherung, Ziff. 5.2.4 AUb Rn. 5 jeweils m.w.N.; a.A. Kloth, a.a.O. Rn. 188: Beweislast VR). Somit hat die Klägerin auch dann keinen Anspruch auf die versprochenen Versicherungsleistungen, wenn das Gericht davon ausginge, dass die auf der Arbeitsstelle zugefügte Risswunde am linken Oberarm ihres Ehemannes die Eintrittspforte für die Infektionskeime gewesen wäre, die zu der nekrotisierenden Fasziitis mit der Folge der Amputation des linken Armes geführt haben.
224.
23Mithin musste die Klage mit der Kostenfolge aus § 91 ZPO abgewiesen werden. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.
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