Urteil vom Landgericht Dortmund - 2 O 177/13
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 9.343,95 € (i.W.: neuntausenddreihundertdreiundvierzig 95/100 Euro) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 05.05.2014 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 14 % und die Beklagte 86 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in dieser Höhe leistet.
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T a t b e s t a n d:
2Der Kläger unterhält seit 1986 bei der Beklagten eine private Krankheitskostenvollversicherung und zwar zunächst im Tarif SB300. Zum 01.05.1997 beantragte er über die Agentin der Beklagten Frau X eine Änderung im versicherten Tarif. Die Beklagte erteilte nunmehr den Versicherungsschein vom 23.04.1997 im Tarif GS1. Anfang 2003 bot die Beklagte dem Kläger an, in den Tarif GS1Plus zu wechseln. Dieses Angebot nahm der Kläger an. Daraufhin stellte die Beklagte den Versicherungsschein vom 15.05.2003 aus, wonach der Kläger ab dem 01.04.2003 im Tarif GS1Plus versichert war. In den Tarifbedingungen zu diesem Tarif heißt es unter
3I.) „Kosten ambulanter Heilbehandlungen“
4Erstattet werden die Kosten ambulanter Heilbehandlungen.
51. Ärztliche Leistungen ...
6Heilpraktikerleistungen umfassen sämtliche Verrichtungen von Heilpraktiken nach dem Gebührenverzeichnis für Heilpraktiker in der 1985 von den Heilpraktikerverbänden der Bundesrepublik Deutschland herausgegebenen Fassung (GebüH) bis zu den dort festgelegten Mindestsätzen. Zusätzlich werden auch Kosten sonstiger von Heilpraktikern üblicherweise durchgeführten Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, die sich aus einem beim Versicherer erhältlichen Verzeichnis ergeben, erstattet. Das gleiche gilt, wenn derartige Verrichtungen von Ärzten durchgeführt werden und sie nicht im Gebührenverzeichnis der GOÄ enthalten sind.“
7Der Kläger wurde im Juni 2010 wegen eines Prostatakarzinoms operiert. Es kam zu einem Rezidiv des Karzinoms. Diese Diagnose wurde durch eine PET/CT-Cholin-Untersuchung im Mai 2011 gesichert. Deswegen unterzog sich der Kläger ab dem 13.07.2011 einer Galvanotherapie bei der Heilpraktikerin Frau L. Streitgegenständlich wurde der Kläger im Jahre 2011 am 13.07., 21.07., 28.07., 04.08., 11.08., 25.08., 01.09., 08.09., 22.09., 29.09., 13.10., 20.10., 03.11., 10.11. und 01.12., im Jahre 2012 am 05.01., 01.02., 15.02., 23.02., 08.03., 15.03., 29.03., 04.04., 19.04., 25.04., 14.05., 24.05., 08.06., 21.06., 27.06., 26.07., 02.08., 16.08., 30.08., 13.09., 27.09. und 11.10. mit Galvanotherapie behandelt. Diesbezüglich erhielt der Kläger für jeweils eine dreistündige Behandlung eine Rechnung über jeweils 326,40 €. Die Beklagte erstattete jeweils 15,50 €, so dass der Kläger mit der Klage 310,90 € x 37 Behandlungen, insgesamt 11.503,30 € geltend macht. Versehentlich hatte die Beklagte die Rechnungen
8vom 08.03., 15.03., 29.03. und 04.04.2012 in voller Höhe mit weiteren 1.243,60 € dem Kläger erstattet.
9Der Kläger behauptet, die Galvanotherapie sei zur Behandlung der Krebserkrankung medizinisch notwendig gewesen, zumal die Schulmedizin nicht zur Heilung geführt habe. Die Galvanotherapie sei Gegenstand einer klinischen Studie des Radiologischen Instituts des Klinikums der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität Frankfurt und einer mehrjährigen Anwendungsbeobachtung gewesen, die beide belegten, dass die Galvanotherapie zur Heilung des Prostatakarzinoms geeignet sei. Insoweit bezieht sich der Kläger auf ein Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 24.09.2008. Bereits 1996 sei ein Honorar in Höhe von 600,00 DM als angemessen in der Ärzteschaft angesehen worden.
10Der Kläger beantragt,
11die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 11.503,30 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.10.2012 sowie weitere 837,52 € zu zahlen.
12Die Beklagte beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Sie bestreitet die medizinische Notwendigkeit der von der Heilpraktikerin angewandten Form der Galvanotherapie. Im Übrigen habe die Beklagte bedingungsgemäß eine Erstattung mit dem einfachen Satz der Ziffer 16.3 des Gebührenverzeichnisses für Heilpraktiker vorgenommen. Die in Rechnung gestellte Ziffer 39.4 GebüH sei nicht abrechenbar. Auch sei nicht nachvollziehbar, wieso die Ziffer 39.4 pro Behandlungstag 64 Mal abgerechnet werde. Das angewandte Behandlungsverfahren sei in der GebüH nicht enthalten, ähnele aber der Elektro-Akupunktur nach Voll, weshalb die Beklagte freiwillige Leistungen auf Basis der Nr. 16.3 GebüH mit einem Mindestsatz von 15,40 € zur Verfügung gestellt habe.
15Wegen des weiteren Parteivortrages wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
16Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens der Heilpraktikerin Frau I. Wegen des Beweisergebnisses wird auf das Gutachten vom 02.04.2014 Bezug genommen.
17E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
18Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.
19Dem Kläger steht gegen die Beklagte aus dem Versicherungsvertrag ein Anspruch auf Erstattung von weiteren Behandlungskosten in Höhe von 286,15 € pro Behandlung der Heilpraktikerin L, insgesamt 10.587,55 € zu. Hiervon ist die versehentliche Leistung der Beklagten in Höhe von 1.243,60 € abzuziehen, so dass 9.343,95 € zu tenorieren waren.
20Nach den Ausführungen der Sachverständigen Frau I ist nach dem Gebührenverzeichnis für Heilpraktiker für Leistungen, die in dem Gebührenverzeichnis nicht beziffert sind, entsprechend einer gleichwertigen oder ähnlichen Leistung abzurechnen. Hier könne entsprechend GOÄ Ziffer 5605 abgerechnet werden. Danach seien bei einem Steigerungsfaktor von 2,3 und einem Betrag von 131,15 € ein Betrag von 301,65 € pro Behandlung gerechtfertigt.
21Die Durchführung der erweiterten Galvanotherapie war nach den Feststellungen der Sachverständigen medizinisch notwendig. Danach ist die Bioelektrotherapie, die hier als erweiterte Galvanotherapie durchgeführt wurde, eine echte Alternative in der Krebstherapie, da sie die Metastasierung des Tumors vermeidet und eine Rückbildung des Tumors bewirken kann. Denn die Selbstheilungskräfte des Organismus können gegen die durch die Therapie enttarnten Krebszellen wirken. Die normalerweise bestehende Tarnung der Krebszelle gegenüber der Immunabwehr werde durch ein niedrigeres elektrisches Potential der Krebszelle gegenüber der Normalzelle bewirkt. Werde Schwachstrom von wenigen Milliampere und einigen Volt für eine Zeit direkt in den Tumor und sein Randgebiet geleitet, so entsteht, anders als im gesunden Gewebe, ein molekulares Chaos. Hierdurch trete eine Enttarnung ein und das Immunsystem schalte im Augenblick auf „not self“ und setze die ganze Immunkaskade zur Selbstheilung ein. Hierdurch trete ein nicht entzündlicher schmerzloser bionekrotischer Abbau des Tumors ein. Mithin handelt es sich bei der von der Heilpraktikerin durchgeführten erweiterten Galvanotherapie um eine medizinisch notwendige Heilbehandlung im Sinne des § 1 Abs. 2 MBKK.
22Da die durchgeführte Therapie im Gebührenverzeichnis für Heilpraktiker, das bereits aus dem Jahre 1985 stammt, nicht enthalten ist und es dort auch keine gleichwertige Gebührenziffer nach den Ausführungen der Sachverständigen gibt, war die Leistung entsprechend der GOÄ abzurechnen. Die Sachverständige hat ausgeführt, dass die Ziffer 39.4 GebüH nur partiell passe, da die dortigen Leistungen, die mit Galvanisation, Faradisation und verwandte Verfahren beschrieben würden, zur lokalen Durchblutungsförderung und Schmerzminderung angewandt würden. Auch die Ziffer 16.3 GebüH sei hier nicht zutreffend, da die bioelektronische Funktionsdiagnostik vorwiegend zu diagnostischen Zwecken und keinesfalls zur Behandlung eines Prostatarezidivs angewandt werde. Ähnlich sei wie bei Ziffer 39.4 nur, dass mit galvanischen Strömen gearbeitet werde. Vergleichbar sei entsprechend den Ausführungen der Bundesärztekammer die Ziffer 5605 GOÄ. Nach dem Gebührenverzeichnis für Heilpraktiker ist in diesem Fall in den Richtlinien vorgesehen, dass im Rahmen einer umfassenden und ganzheitlichen Behandlung der Heilpraktiker berechtigt sei, alle zur Verfügung stehenden diagnostischen und therapeutischen Methoden anzuwenden, sofern keine einschränkenden gesetzlichen Bestimmungen vorhanden seien. Leistungen im obigen Sinne, welche nicht im GebüH enthalten sind, können entsprechend einer gleichwertigen oder ähnlichen Leistung berechnet werden. Die Leistungen der Heilpraktikerin L hätten daher entsprechend GOÄ Ziffer 5605 mit dem 2,3fachen Satz bei einer dreistündigen Behandlungsdauer abgerechnet werden können. Dies entspricht 301,65 € pro Behandlung. Da es sich auch bei der erweiterten Galvanotherapie um eine Verrichtung von Heilpraktiker nach dem Gebührenverzeichnis für Heilpraktiker handelt, ist die Beklagte auch nach Ziffer B11 der Tarifbedingungen GS1Plus zur Erstattung verpflichtet. Eine Begrenzung auf den Mindestsatz kann nicht erfolgen, da die Leistung nicht im GebüH geregelt ist, sondern in den GOÄ. Die Abrechnung kann mithin, so wie von der Sachverständigen vorgeschlagen, erfolgen. Allerdings befand sich die Beklagte nicht in Verzug, da die Leistung mangels ordnungsgemäßer Abrechnung der Heilpraktikerin vor Erstellung des Sachverständigengutachtens nicht fällig war (§ 291 Satz 1 BGB). Dementsprechend besteht auch kein Anspruch auf Verzugszinsen und vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten.
23Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.
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Referenzen
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