Urteil vom Landgericht Dortmund - 2 S 6/15
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 13.01.2015 verkündete Urteil des Amtsgerichts Dortmund abgeändert:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
1
G r ü n d e
2I.
3Die 1937 geborene Klägerin ist kirgisische Staatsangehörige. Sie reiste 2009 zu ihrem in I wohnenden Sohn P. Laut Fragebogen der Beklagten, den sie am 09.06.2014 zum Versicherungsantrag vom 10.04.2014 ausfüllte, war sie zuletzt als Arbeitnehmerin tätig, jetzt ist sie Rentnerin. Die Klägerin war bisher weder privat noch gesetzlich krankenversichert.
4Mit Schreiben vom 08.07.2014 lehnte die Beklagte die Aufnahme der Klägerin im Basistarif ab, da eine Versicherungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung nach § 5 Abs. 1 Nr. 13 b SGB V vorliege.
5Die Stadt I duldet jeweils halbjährig den Aufenthalt der Klägerin gemäß Vergleich des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 7. Oktober 2014 – 17 A ###/## – unter Vorbehalt gleichbleibender Sach- und Rechtslage unter der Bedingung, dass der Sohn der Klägerin sich gegenüber der dortigen Beklagten, der Stadt I förmlich verpflichtet, den Lebensunterhalt der Klägerin einschließlich ihrer Krankenversicherung unabhängig vom Ausgang des hier anhängigen Rechtsstreits sicherzustellen.
6Die Klägerin hat behauptet, ihr Wohnsitz sei seit 2009 in I bei ihrem Sohn und dessen Familie.
7Das Amtsgericht hat die Beklagte antragsgemäß verurteilt, mit der Klägerin einen privaten Krankenversicherungsvertrag im Basistarif abzuschließen und den Krankenversicherungsbeitrag der Klägerin für die Dauer der Hilfebedürftigkeit der Klägerin auf die Hälfte zu reduzieren. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Klägerin ihren Wohnsitz in der Bundesrepublik Deutschland habe und nicht gesetzlich krankenversicherungspflichtig wegen § 5 Abs. 11 SGB 5 sei. Anspruchsgrundlage sei hier § 193 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 VVG.
8Mit der Berufung macht die Beklagte geltend, die Klägerin habe keinen Wohnsitz in Deutschland, da keine Prognose über die Dauer ihres Aufenthalts möglich sei. Vielmehr sei die Zeit ihrer Duldung von einer weiteren Verpflichtung des Sohnes, mithin eines Dritten, abhängig. Sie meint, die Klägerin sei nicht der privaten Krankenversicherung zuzuordnen, da es in Kirgisistan eine solche nicht gebe. Es bestünde daher keine Versicherungspflicht der privaten Krankenversicherer.
9Die Beklagte beantragt,
10unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
11Die Klägerin beantragt,
12die Berufung zurückzuweisen.
13Sie bezieht sich auf ihren erstinstanzlichen Vortrag und meint, sie sei der privaten Krankenversicherung zuzuordnen, da sie keine Aufenthaltserlaubnis besitze. Nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 18.04.2013 (10 C ##/##) sei die Versicherungspflicht der Beklagten nicht von einer aufenthaltsrechtlichen Erlaubnis abhängig.
14Wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.
15II.
16Die zulässige Berufung ist begründet. Das angefochtene Urteil war daher in vollem Umfang abzuändern.
17Der Klägerin steht kein Anspruch auf Annahme in dem Basistarif nach § 193 Abs. 5 Satz 1 VVG in Verbindung mit § 12 Abs. 1 a VAG gegen die Beklagte zu. Denn die Klägerin ist nicht dem System der privaten Krankenversicherung zuzuordnen, sondern dem System der gesetzlichen Krankenversicherung.
18Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom 16.07.2014 (IV ZR 55/14, NJW 2014, 3516) entschieden, dass § 193 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 und 4, 5 Satz 1 Nr. 2 VVG in Verbindung mit § 5 Abs. 1 Nr. 13 und VII a SGB V dahin auszulegen sind, dass Personen, die nicht der privaten, sondern dem Grunde nach der gesetzlichen Krankenversicherung zuzuordnen sind, auch dann nicht im Basistarif der privaten Krankenversicherung zu versichern sind, wenn sie Sozialhilfeleistungen ab dem 01.01.2009 beziehen. Diese Entscheidung hat der Bundesgerichtshof mit der Systematik, der Entstehungsgeschichte sowie dem Sinn und Zweck der Vorschriften begründet. Insbesondere folgt aus der Entstehungsgeschichte, dass Personen, bei denen eine frühere Krankenversicherung fehlt, in dem System versichert werden, dem sie zuzuordnen sind (Bericht des Ausschusses für Gesundheit zu § 5 SGB V (BT-Drs.16/4247,67)).
19Eine derartige Zuordnung zu dem System der privaten Krankenversicherung besteht bei der Klägerin nicht. Sie war bisher nicht privat krankenversichert. Auch gehört sie nicht zu dem Kreis der Personen, die im Übrigen in den Bereich der privaten Krankenversicherung fallen, wie Beamte, Selbständige oder abhängig Beschäftigte unter Überschreitung der Einkommensgrenze. Sie war vielmehr Arbeitnehmerin und bezieht nunmehr eine sehr geringe Rente. Danach wäre die Klägerin gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 13 b SGB V dem Grunde nach gesetzlich krankenversicherungspflichtig. Solange die Klägerin ihre Aufenthaltsduldung aus der Leistungsverpflichtung ihres Sohnes ableitet, kann dies keinen Versicherungsanspruch begründen. Durch die Verpflichtungserklärung ihres Sohnes ist sie anderweit versorgt. Eine Versicherungspflicht der Beklagten nach § 193 Abs. 5 VVG besteht auch in diesem Fall nicht.
20Zwar spricht der Wortlaut der Norm, wie vom Amtsgericht angenommen, für eine Versicherungspflicht der Beklagten. Aus der Systematik und aus Sinn und Zweck der §§ 193 VVG, 5 Abs. 1 Nr. 13,Abs. 11 SGB V folgt aber nicht, dass in allen Fällen, in denen die gesetzliche Krankenversicherung bei Ausländern, die nicht Angehörige eines Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz sind, nicht eintrittspflichtig ist, der private Krankenversicherer verpflichtet wäre. Vielmehr ist der Begriff der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Krankenversicherung in § 193 Abs. 5 Satz 1Nr. 2 und Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 VVG in Anwendung der Grundsätze der oben zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs so auszulegen, dass bereits die Zuordnung des zu Versichernden zum Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung die Versicherungspflicht des privaten Krankenversicherers nicht eintreten lässt. Etwaige öffentlich-rechtliche Regelungen hinsichtlich des Aufenthaltsrechts und der Dauer des genehmigten oder geduldeten Aufenthalts sind gesetzessystematisch nicht geeignet als Maßstab für die Zuordnung zur privaten oder zur gesetzlichen Krankenversicherung zu dienen. Der Zuordnungsmaßstab ergibt sich vielmehr aus § 5 Abs. 5 SGB XII und § 6 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGB V. Danach sind die hauptberuflich selbständigen Erwerbstätigen, Arbeiter und Angestellte mit höherem Einkommen und Beamte dem Personenkreis der privat Krankenversicherungspflichtigen zuzuordnen. Hierzu zählt die Klägerin nicht, so dass sie auch nicht Aufnahme in den Basistarif beanspruchen kann.
21Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
22Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713, 26 Nr. 8 EGZPO.
23Die Entscheidung über die Nichtzulassung der Revision folgt aus § 743 Abs. 2 ZPO.
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Referenzen
- §§ 193 VVG, 5 Abs. 1 Nr. 13,Abs. 11 SGB V 2x (nicht zugeordnet)
- § 6 Abs. 1 Nr. 1 und 2 SGB V 1x (nicht zugeordnet)
- Urteil vom Bundesgerichtshof (4. Zivilsenat) - IV ZR 55/14 1x
- § 193 Abs. 5 Satz 1Nr. 2 und Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 VVG 1x (nicht zugeordnet)
- § 5 Abs. 5 SGB XII 1x (nicht zugeordnet)