Urteil vom Landgericht Dortmund - 3 O 170/18
Tenor
1.
Es wird festgestellt, dass der Beklagten aus dem Darlehensvertrag mit der Kontonummer ######### vom 17.02.2009, Nettodarlehenssumme 100.000,00 €, ab dem Zugang der Widerrufserklärung vom 07.06.2016 kein Anspruch mehr auf den Vertragszins und die vertragsgemäße Tilgung zusteht.
2.
Die Kosten des Rechtsstreits nach einem Streitwert von bis zu 95.000,00 € trägt die Beklagte.
3.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
Tatbestand:
2Die Kläger, Eheleute, begehren mit der vorliegenden Klage nach ihrem Anfang Juni 2016 erklärten Widerruf eines mit der Beklagten im Februar 2009 geschlossenen Verbraucherdarlehensvertrages die Feststellung, dass der Beklagten aus diesem Vertrag ab dem Zugang der Widerrufserklärung kein Anspruch mehr auf den Vertragszins und die vertragsgemäße Tilgung zusteht.
3Am 11.02./17.02.2009 schlossen die Parteien einen Darlehensvertrag über eine „X-Baufinanzierung mit anfänglichem Festzins mit dinglicher Sicherheit“ zur Konto-Nr. ######### im Nennbetrag von insgesamt 100.000,00 € (davon 45.000,00 € als Real- und 55.000,00 € als Personalkredit). Der bis zum 03.02.2019 unveränderliche Zinssatz betrug 4,60 % p.a. (anfänglich effektiv: 4,70 % p.a.). Die von den Klägern zu erbringende monatliche Leistungsrate belief sich ursprünglich auf 467,00 €. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Anlage K1 (Bl. 11-13 d.A.) Bezug genommen.
4Dem Vertrag beigefügt war die nachfolgend wiedergegebene Widerrufsbelehrung (Bl. 13 d.A.):
5An dieser Stelle befindet sich eine Abbildung einer Widerrufsbelehrung.
6Mit – der Beklagten am selben Tag vorab per Fax übersandtem – Schreiben ihrer Prozessbevollmächtigten vom 07.06.2016 (Anlage K2 = Bl. 14 f. d.A.) erklärten die Kläger den Widerruf ihrer auf Abschluss des vorbezeichneten Darlehensvertrages gerichteten Willenserklärungen, den die Beklagte in der Folge, nämlich mit Schreiben vom 16.06.2016 (Anlage K3 = Bl. 16 f. d.A.) zurückwies.
7Bis zur Ausübung des Widerrufsrechts erbrachten die Kläger insgesamt 86.488,29 € an Zins- und Tilgungsleistungen (eine Monatsrate à 421,67 €, 14 Monatsraten à 383,33 €, eine Monatsrate à 357,99 €, 69 Monatsraten à 510,00 € sowie 45.152,01 € Sondertilgung).
8Die Kläger sind der Ansicht, dass die von der Beklagten verwendete Widerrufsbelehrung nicht den gesetzlichen Anforderungen entspräche, weshalb der Lauf der Widerrufsfrist nicht in Gang gesetzt worden sei.
9Die Kläger beantragen:
10Es wird festgestellt, dass der Beklagten aus dem Darlehensvertrag mit der Kontonummer ######### vom 17.02.2009, Nettodarlehenssumme 100.000,00 €, ab dem Zugang der Widerrufserklärung vom 07.06.2016 kein Anspruch mehr auf den Vertragszins und die vertragsgemäße Tilgung zusteht.
11Die Beklagte beantragt,
12die Klage abzuweisen.
13Sie ist der Ansicht, dass der Widerruf der Kläger verfristet sei. Sie habe die Kläger ordnungsgemäß über ihr Widerrufsrecht belehrt.
14Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen.
15Entscheidungsgründe:
16I.
17Die zulässige (negative Feststellungs-)Klage ist vollumfänglich begründet.
18Die Beklagte hat gegen die Kläger hinsichtlich des Darlehensvertrages vom 11.02./17.02.2009 ab dem Zeitpunkt des mit Schreiben vom 07.06.2016 erklärten Widerrufs keinen Anspruch mehr auf Leistung des Vertragszinses und die vertragsgemäße Tilgung.
191.
20Die von der Beklagten verwendete Widerrufsbelehrung genügt in ihrer inhaltlichen Gestaltung nicht den Anforderungen des § 355 Abs. 2 S. 3 BGB i.d.F. vom 08.12.2004 bis 10.06.2010. Eine wortgleiche Widerrufsbelehrung der hiesigen Beklagten (dort vom 26.01.2010) hat das Gericht mit Urteil vom 17.08.2018 (Az.: 3 O 241/17; n.v.) für fehlerhaft erachtet (Berufungsverfahren anhängig unter I-19 U 90/18; Senatstermin am 05.03.2019).
21Da der vorliegende Verbraucherdarlehensvertrag gemäß § 492 Abs. 1 BGB a.F. zwingend schriftlich abzuschließen war, bestimmte § 355 Abs. 2 S. 3 BGB a.F., dass die (Widerrufs-)Frist nicht zu laufen beginnt, „bevor dem Verbraucher auch eine Vertragsurkunde, der schriftliche Antrag des Verbrauchers oder eine Abschrift der Vertragsurkunde oder des Antrags zur Verfügung gestellt werden“. Dementsprechend sah das seinerzeit geltende Muster des Verordnungsgebers (Anlage 2 zu § 14 Abs. 1 u. Abs. 3 BGB-InfoV i.d.F. vom 01.04.2008 bis 03.08.2009) vor, dass an den Satz „Die Frist beginnt nach Erhalt dieser Belehrung in Textform.“ bei schriftlich abzuschließenden Verträgen der Gestaltungshinweis [3] („, jedoch nicht, bevor Ihnen auch eine Vertragsurkunde, Ihr schriftlicher Antrag oder eine Abschrift der Vertragsurkunde oder des Antrags zur Verfügung gestellt worden ist“) anzuhängen ist. Dies ist vorliegend nicht geschehen, die Beklagte hat mit anderen Worten den Gestaltungshinweis [3] nicht umgesetzt (vgl. LG Hagen, Urt. v. 08.09.2017 – 1 S 42/17 – BeckRS 2017, 140944, Rn. 36; AG Mettmann, Urt. v. 10.03.2017 – 21 C 433/16 – zit. nach juris, Rn. 37).
22Bei schriftlich abzuschließenden Verträgen muss die an den Verbraucher gerichtete „Belehrung über sein Widerrufsrecht“ im Sinne von § 355 Abs. 2 S. 1 BGB a.F. nach der Systematik der Vorschrift auch die Belehrung darüber enthalten, dass, wie es S. 3 der Norm vorschreibt, die Frist nicht zu laufen beginnt, bevor dem Verbraucher auch eine Vertragsurkunde, der schriftliche Antrag des Verbrauchers oder eine Abschrift der Vertragsurkunde oder des Antrags zur Verfügung gestellt worden ist. Bei einem – dem Schriftformerfordernis des § 492 Abs. 1 S. 1 BGB a.F. unterliegenden – Verbraucherdarlehensvertrag muss der Widerrufsbelehrung mit anderen Worten hinreichend klar zu entnehmen sein, dass der Beginn des Fristlaufs zusätzlich zum Empfang der Belehrung den Besitz des Verbrauchers an einer seine eigene Vertragserklärung enthaltenden Urkunde voraussetzt (vgl. Müller-Christmann, in: BeckOK-BGB, Hrsg.: Bamberger/Roth, 31. Edition, Stand: 01.05.2014, § 360 Rn. 17). Da dies hier unstreitig nicht erfolgt ist, ist die Widerrufsbelehrung in diesem Punkt fehlerhaft.
23Der Hinweis der Beklagten, dass die Kläger ihre Vertragsausfertigung bei Vertragsschluss am 17.02.2009 ebenso erhalten hätten wie die Widerrufsbelehrung selbst, rechtfertigt keine abweichende rechtliche Beurteilung. Maßgeblich ist, dass die Belehrung zum Fristbeginn in Ermangelung der Angaben nach § 355 Abs. 2 S. 3 BGB a.F. unzureichend war. Es kommt auch nicht darauf an, ob eine solche Belehrung zum Beginn des Fristlaufs deshalb nicht erforderlich gewesen sein könnte, weil die Kläger zusammen mit der Widerrufsbelehrung am 17.02.2009 die Vertragsausfertigung erhalten haben. Diese Argumentation würde letztlich darauf abzielen, dass der Belehrungsfehler in der konkreten Situation nicht kausal geworden sei. Auf die Kausalität des Belehrungsfehlers kommt es indessen nicht an: Entscheidend ist allein, ob die Belehrung durch ihre missverständliche Fassung objektiv geeignet ist, den Verbraucher von der Ausübung seines Widerrufsrechts abzuhalten (vgl. BGH, Urt. v. 21.02.2017 – XI ZR 381/16 – BKR 2017, 249, 251, Rn. 18 m.w.N.).
24Das ist hier der Fall. Durch die verkürzte Darstellung der Widerrufsfrist kann der Verbraucher zu der Fehlvorstellung verleitet werden, die Widerrufsfrist beginne bereits mit Erhalt der Widerrufsbelehrung, obwohl dies tatsächlich nicht der Fall ist.
252.
26Dass die Kläger den Fehler in der Widerrufsbelehrung in Bezug auf den Fristbeginn nicht vorgetragen haben, ist unschädlich. Bei vorformulierten Widerrufsbelehrungen wie der von der Beklagten verwandten handelt es sich um Allgemeine Geschäftsbedingungen, die wie revisible Rechtsnormen zu behandeln sind. Ihre Übereinstimmung mit höherrangigem Recht – hier: mit § 355 Abs. 2 BGB a.F. und mit dem Belehrungsmuster des Verordnungsgebers – ist eine Rechtsfrage und ohne Bindung an das Parteivorbringen zu untersuchen; der Beibringungsgrundsatz gilt insoweit nicht (vgl. BGH, Urt. v. 20.06.2017 – XI ZR 72/16 – NJW-RR 2017, 1197, 1199, Rn. 28 m.w.N.).
273.
28Die Kläger haben ihr Recht zur Ausübung des Widerrufs auch nicht verwirkt. Der Darlehensvertrag ist nicht abgelöst oder anderweitig beendet, weshalb für Verwirkung und/oder Rechtsmissbrauch kein Raum ist.
29II.
30Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 91 Abs. 1 ZPO.
31III.
32Den Streitwert hat das Gericht gemäß § 48 Abs. 1 S. 1 GKG i.V.m. den § 3 ZPO auf bis zu 95.000,00 € festgesetzt.
33Entgegen der Auffassung der Kläger (auf S. 10 der Klageschrift = Bl. 10 d.A.) sind die nach Widerruf erbrachten Zins- und Tilgungsleistungen (22 x 510,00 € = 11.220,00 €) nicht hinzuzurechnen. Im Falle eines wirksamen Widerrufs ist das Schuldverhältnis gemäß § 357 Abs. 1 S. 1 BGB a.F. nach den §§ 346 ff. BGB rückabzuwickeln, so dass für den Streitwert die Leistungen maßgeblich sind, die der Darlehensnehmer gemäß den §§ 346 ff. BGB beanspruchen zu können meint. Maßgeblich sind im Fall einer solchen negativen Feststellungsklage die Zins- und Tilgungsleistungen bis zum Widerruf (ständige Rechtsprechung; vgl. zuletzt: BGH, Beschl. v. 27.11.2018 – XI ZB 287/18 – BeckRS 2018, 33687, Rn. 3 m.w.N.).
34IV.
35Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1 u. S. 2 ZPO.
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Referenzen
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