Urteil vom Landgericht Dortmund - 2 O 259/20
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.996,24 € (i. W.: zweitausendneunhundertsechsundneunzig 24/100 Euro) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 28.09.2020 zu zahlen.
Die Beklagte wird weiter verurteilt, an den Kläger 326,30 € (i. W.: dreihundertsechsundzwanzig 30/100 Euro) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 28.09.2020 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 43 % und die Beklagte 57 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger aber nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages.
Der Kläger darf die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
1
T a t b e s t a n d
2Der Kläger unterhielt bei der Beklagten eine Krankenversicherung mit dem Tarif Komfort 1. Versicherte Person war C1, geboren am 00.00.2002. Grundlage waren der Versicherungsschein vom 07.12.2018 (Anlage B 1, Blatt 28 und 29 d. A.) und die MB/KK 2009 nebst Tarifbedingungen (Anlage B 1, Blatt 30 bis 42 d. A.) u. a. mit folgenden Regelungen:
3„§ 1 Gegenstand, Umfang und Geltungsbereich des Versicherungs-
4schutzes
5Teil I MB/KK
6(1)
7Der Versicherer bietet Versicherungsschutz für Krankheiten … im Versicherungsfall erbringt der Versicherer
8a) in der Krankheitskostenversicherung Ersatz von Aufwenden
9für Heilbehandlung und …
10(2)
11Versicherungsfall ist die medizinisch notwendige Heilbehandlung einer versicherten Person wegen Krankheit oder Unfallfolgen …
12(3)
13Der Umfang des Versicherungsschutzes ergibt sich aus dem Versicherungsschein, späteren schriftlichen Vereinbarungen, den Allgemeinen Versicherungsbedingungen (Musterbedingungen mit Anhang, Tarif mit Tarifbedingungen) sowie …
14§ 4 Umfang und Leistungspflicht
15Teil I MB/KK
16(1)
17Art und Höhe der Versicherungsleistungen ergeben sich aus dem Tarif mit Tarifbedingungen …
18B. Leistungen der E1 Krankenversicherung a. G. (zu § 4 und 5 Teil I
19und II)
201. Ambulante Heilbehandlung
21Im Rahmen der ambulanten Behandlung werden erstattet:
221.1. Ärztliche Leistungen
23Erstattungsfähig sind die Leistungen von Ärzten bis zu den Höchstsätzen der geltenden GOÄ
24Wird eine von der geltenden GOÄ abweichende Höhe der Vergütung vereinbart, besteht Leistungspflicht nur bis zu den Beträgen, die sich ohne diese Vereinbarung ergeben hätten.
25...“
26Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger die Erstattung der Rechnung des Augenarztes H1 vom 08.05.2020 (Anlage B 3, Blatt 45 bis 47 d. A.) über eine LASIK-Operation beider Augen der Versicherten am 07.05.2020 in Höhe von 5.201,84 €. In Rechnung gestellt wurden u. a. 2 x die Gebührenziffer 1345 (Hornhautplastik rechtes und linkes Auge) und 4 x die Gebührenziffer GOÄ 5855 analog (Excimer-Laserbehandlung rechtes und linkes Auge entsprechend § 6 (2) GOÄ Nr. 5855 analog: Intraop.-Strahlenbehandlung mit Elektronen, Femtosekundenlaserbehandlung beider Augen entsprechend gemäß § 6 (2) GOÄ Nr. 5855 analog: Intraop.-Strahlenbehandlung mit Elektronen beider Augen). Mit Schreiben vom 30.07.2020 (Blatt 11 d. A.) lehnte die Beklagte ihre Leistungspflicht ab, weil eine LASIK-Operation vor der Vollendung des 18. Lebensjahres kontraindiziert sei, was streitig ist.
27Der Kläger behauptet, die LASIK-Operation sei medizinisch notwendig gewesen rechtskonform abgerechnet worden.
28Der Kläger beantragt,
291.die Beklagte zur Zahlung von 5.201,00 € nebst 5 % Zinspunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit zu verurteilen und
302.die Beklagte zur Zahlung vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 575,03 € nebst 5 % Zinspunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit zu verurteilen.
31Die Beklagte beantragt,
32die Klage abzuweisen.
33Sie bestreitet wegen des Lebensalters der Versicherten zum Zeitpunkt der LASIK-Operation die medizinische Notwendigkeit und die Berechtigung zur Abrechnung der Gebührenziffern 1345 und 5855.
34Das Gericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Wegen der Einzelheiten wird auf das schriftliche Gutachten von W1 vom 18.01.2022 und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 07.07.2022 Bezug genommen.
35E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
36Die Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
37Der Kläger hat gegen die Beklagte einen versicherungsvertraglichen Anspruch auf Zahlung von 2.996,24 € nebst Verzugszinsen und Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nach einem Gegenstandswert bis zu 3.000,00 €.
38Zwischen den Parteien besteht unstreitig eine Krankheitskostenvollversicherung. Versicherte Person ist u. a. C1.
39Der Versicherungsfall nach § 1 (2) MB/KK, nämlich die medizinische notwendige Heilbehandlung der versicherten Person ist eingetreten. Es steht zweifelsfrei fest, dass die LASIK-Operation, die Gegenstand der Rechnung des Augenarztes H1 vom 08.05.2020 (Anlage B 3) ist, medizinisch notwendig war.
40Eine Behandlungsmaßnahme ist medizinisch notwendig, wenn es nach objektiven medizinischen Befunden und Erkenntnissen vertretbar ist, sie als medizinisch notwendig anzusehen. Vertretbar ist, wenn eine Behandlungsmethode angewendet wird, deren Eignung, die Krankheit zu heilen, zu lindern oder ihrer Verschlimmerung entgegenzuwirken, nach medizinischen Erkenntnissen feststeht. Der Annahme einer medizinischen Notwendigkeit steht es dabei nicht entgegen, dass eine ebenso Erfolg versprechende, aber kostengünstigere Behandlungsmethode zur Verfügung stehen mag (BGH IV ZR 278/01, Urteil vom 12.03.2003, VersR 2003, 581).
41Eine Krankheit liegt nach den Versicherungsbedingungen bereits dann vor, wenn eine nicht nur ganz geringfügige Beeinträchtigung der Sehfähigkeit vorliegt, die ohne Korrektur ein beschwerdefreies Sehen nicht ermöglicht (BGH IV ZR 533/15, Urteil vom 29.03.2017, VersR 2017, 608).
42Nach dem nachvollziehbaren und überzeugenden Gutachten des Sachverständigen W1, dessen Sachkunde nicht zweifelhaft ist und dem Inhalt der „Patienten-Info“ (Blatt 4 bis 7 d. A.) litt die Versicherte an einem korrekturbedürftigen Refraktionsfehler im Sinne einer Myopie (Kurzsichtigkeit, objektive Refraktion – 3,50 rechtes Auge, - 3,25 linkes Auge, subjektive Refraktion mindestens – 3,75 rechtes und linkes Auge am Tag der Operation und einem Astigmatismus (Hornhautverkrümmung) objektive Refraktion – 0,5 rechtes Auge, - 0,75 linkes Auge, subjektive Refraktion – 0,5 rechts Auge, - 0,75 linkes Auge am Tag der Operation). Die volle Sehschärfe konnte nur mit einer Korrektur erfolgen. Die LASIK-Operation war geeignet, den Sehfehler der Versicherten zu beheben.
43Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, dass die Richtlinien der Kommission refraktive Chirurgie (KRC, Anlage B 2) für Behandlungen vor dem 18. Lebensjahr eine Kontraindikation beschreiben, denn es handelt sich insoweit nicht um eine starre Grenze. Entscheidend für die Beurteilung der medizinischen Notwendigkeit der LASIK-Operation ist in diesem Zusammenhang vielmehr, ob eine Refraktionsstabilität eingetreten ist und nicht der Umstand, dass die zur Korrektur der Fehlsichtigkeit der Versicherten erforderliche LASIK-Operation zwei Monate vor Vollendung des 18. Lebensjahres der Versicherten erfolgte.
44Die Refraktionsstabilität der Versicherten zum Zeitpunkt der Operation steht nach dem Gutachten des Sachverständigen W1 zweifelsfrei fest, denn sie trug seit 2018 eine Fernbrille (Refraktion – 3,75 bei beiden Augen und Astigmatismus – 0,5 rechtes Auge und – 0,75 linkes Auge). Die Abweichungen der objektiven und subjektiven Refraktion am Tag der LASIK-Operation sind so geringfügig, dass sie für die Beurteilung der Refraktionsstabilität nicht entscheidungserheblich sind.
45Der versicherungsvertragliche Erstattungsanspruch des Klägers beläuft sich auf 2.996,24 €.
46Der Versicherer ist zum Ersatz derjenigen Aufwendungen, d. h. Verbindlichkeiten (BGH IV ZR 278/01, Urteil vom 12.03.2003, Bach/Moser, PKV, 5. Aufl., § 1 MB/KK Rn. 15 und 16), verpflichtet, die dem Versicherungsnehmer zur Erfüllung von berechtigten Ansprüchen Dritter erwachsen sind. Daran fehlt es, wenn die Liquidation des Arztes gegen gebührenrechtliche Bestimmungen, beispielsweise die GOÄ verstößt (BGH III ZR 350/20, Urteil vom 14.10.2021, Rn. 9, BGH IV ZR 61/97, Urteil vom 14.01.1998, VersR 98, 350, OLG Düsseldorf, 4 U 48/07, Urteil vom 04.12.2007).
47Nach § 4 Abs. 2 GOÄ kann der Arzt Gebühren nur für selbständige Leistungen berechnen und nach § 4 Abs. 2 GOÄ kann der Arzt eine Gebühr nicht berechnen für eine Leistung, die Bestandteil oder eine besondere Ausführung einer anderen Leistung nach dem Gebührenverzeichnis ist. Dies gilt auch für die zur Erbringung im Gebührenverzeichnis aufgezeigten operativen Leistungen methodisch notwendigen operativen Einzelschritte („Zielleistungsprinzip“ dazu: BGH III ZR 350/20, Urteil vom 14.10.2021, Rn. 13, OLG Düsseldorf 4 U 162/18, Urteil vom 28.08.2020, Rn. 53, Bach-Moser, a.a.O., nach § 1 MB/KK Rn. 51, 52, 59 ff.).
48Eine Leistung ist methodischer Bestandteil einer anderen Leistung, wenn sie inhaltlich von der Leistungsbeschreibung der anderen Leistung „Zielleistung“ umfasst und auch in deren Bewertung berücksichtigt ist. Das „Zielleistungsprinzip“ hat zur Folge, dass jede Leistung, die keinen selbständigen Charakter hat, weil sie nur erbracht wird, um eine Maßnahme, die das Leistungsziel darstellt, zu erbringen, ohne die die Zielleistung nicht erbracht worden wäre, nicht gesondert neben dieser Zielleistung berechnet werden kann (BGH III ZR 50/20, Urteil vom 14.10.2021, Rn. 12 und 13, OLG Düsseldorf 4 U 162/18, Urteil vom 28.08.2020, Rn. 53 ff., Bach/Moser a. a .O., nach § 1 MB/KK Rn. 61). Zergliederungen von operativen Leistungen in ihre Einzelschritte sind gebührenrechtlich nicht zulässig (Bach/Moser, a. a. O., nach § 1 MB/KK, Rn. 63 ff. m. w. N.).
49Nach § 6 Abs. 2 GOÄ können selbständige ärztliche Leistungen, die in das Gebührenverzeichnis nicht aufgenommen sind, entsprechend einer nach Art, Kosten- und Zeitaufwand gleichwertigen Leistung des Gebührenverzeichnisses berechnet werden.
50Nach dem nachvollziehbaren und überzeugenden Gutachten des Sachverständigen W1 steht zweifelsfrei fest, das Zielleistung der LASIK-Operation die Veränderung der Brechkraft der Hornhaut der Augen durch die Teilabtragung/Umformung/Modellierung der Hornhaut mittels Excimer-Laserbehandlung ist. Für diese Excimer-Laserbehandlung ist die Öffnung der Hornhaut durch die Herstellung eines Flaps erforderlich, der entwender durch eine Femtosekundenlaserbehandlung oder den Einsatz eines Keratoms erfolgt. Der Einsatz des Femtosekundenlasers bzw. des Keratoms dient damit der Schaffung eines Zugangs zu dem Operationsgebiet und ist damit ein notwendiger und unerlässlicher Teilschritt, und damit eine unselbständige Teilleistung der Zielleistung, nämlich der Teilabtragung/Umformung/Modellierung der Hornhaut mittels Excimer-Laserbehandlung. Für die Erbringung der Zielleistung ist es unerheblich, ob der Zugang händisch mittels herkömmlicher Schnitttechnik oder unter Zuhilfenahme eines Femtosekundenlasers – als „besondere Ausführung“ im Sinne von § 4 Abs. 2 a Satz 1 GOÄ – geschaffen wird (ebenso BGH III ZR 350/20, Urteil vom 14.10.2021 und OLG Düsseldorf 4 U 162/18, Urteil vom 28.08.2020, jeweils zu einer Katarakt-Operation).
51Tatsachen, die eine eigenständige medizinische Indikation für den Einsatz des Femtosekundenlasers begründen, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
52Für die Zielleistung, nämlich die Veränderung der Brechkraft der Hornhaut durch die Modellierung/Umformung der Hornhaut mittels Excimer-Laserbehandlung enthält das Gebührenverzeichnis der GOÄ keinen eigenen Vergütungstatbestand. Deshalb ist diese Leistung nach § 6 Abs. 2 GOÄ entsprechend einer nach Art, Kosten und Zeitaufwand gleichwertigen Leistung des Gebührenverzeichnisses zu berechnen.
53Dies ist nach dem Gutachten des Sachverständigen W1 die Gebührenziffer 5855 analog.
54Die Gebührenziffern 1345 (Hornhautplastik rechtes und linkes Auge) und 5855 (Femtosekunden-Laserbehandlung rechts und linkes Auge) in der Liquidation vom 08.05.2020 sind nicht ersatzfähig, weil es sich um unselbständige Leistungen handelt, nämlich Ziffer 1345 (für den Einsatz eines Keratoms) und Ziffer 5855 (für den Einsatz eines Femtosekundenlasers.
55Die streitgegenständliche Liquidation vom 08.05.2020 verstößt damit in Höhe von 2.205,60 € gegen die Regelungen der GOÄ und ist in Höhe von 5.201,84 € - 2.205,60 € = 2.996,24 € ersatzfähig.
56Der Zinsanspruch des Klägers erfolgt aus § 291 BGB und der Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Kosten nach einem Gegenstandswert bis zu 3.000,00 € aus §§ 286, 280 BGB.
57Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO und berücksichtigt das jeweilige Unterliegen der Parteien und die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 709, 711 ZPO.
Verwandte Urteile
Keine verwandten Inhalte vorhanden.
Referenzen
- III ZR 350/20 3x (nicht zugeordnet)
- 4 U 162/18 3x (nicht zugeordnet)
- IV ZR 533/15 1x (nicht zugeordnet)
- IV ZR 278/01 2x (nicht zugeordnet)
- III ZR 50/20 1x (nicht zugeordnet)
- IV ZR 61/97 1x (nicht zugeordnet)
- 4 U 48/07 1x (nicht zugeordnet)