Urteil vom Landgericht Duisburg - 12 S 206/03
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 05.06.2003 verkündete Urteil des Amtsgerichts Duisburg - 72 C 1149/03 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 944,55 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 08.03.2003 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch
Sicherheitsleistung oder Hinterlegung von 110 % des zu vollstreckenden
Betrages abwenden, falls nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in
gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird zugelassen.
1
G r ü n d e
2I.
3Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen wird Bezug genommen auf das angefochtene Urteil des Amtsgerichts vom 06.06.2003 (Bl. 44 - 49 GA).
4Es ist zweitinstanzlich folgendes zu ändern (1.) bzw. zu ergänzen (2.): 1. Die Klage ist der Beklagten am 07.03.2003 und nicht bereits am 04.03.2003 zugestellt worden. 2. Es ist unstreitig, dass der Kläger die Beklagte und die anderen spielenden Kinder darauf aufmerksam gemacht hat, nicht mit den Fahrrädern zwischen den geparkten Fahrzeugen hindurch zu fahren.
5Der Kläger beantragt,
6die Beklagte unter Aufhebung des Urteils des Amtsgerichts Duisburg vom 05.06.2003 Az.: - 72 C 1149/03 - zu verurteilen, an ihn 944,55 Euro nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 04.03.2003 zu zahlen.
7Die Beklagte beantragt,
8die Berufung zurückzuweisen.
9II.
101.
11Die Berufung ist zulässig und in der Sache hat sie bis auf den Zinsbeginn ebenfalls Erfolg. Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung von 944,55 Euro aus § 823 Abs. 1 BGB zu.
1213
a)
14Die damals 9-jährige Beklagte hat am 17.9.2002 an dem Pkw des Klägers fahrlässig einen Streifschaden verusacht, indem sie beim Spielen mit ihrem Fahrrad umkippte, gegen das ordndungsgemäß geparkte Fahrzeug stieß und dies vorne rechtsseitig beschädigte.
15b)
16Die deliktische Verantwortlichkeit der Beklagten ist gemäß § 828 Abs. 2 S. 1 BGB in der seit dem 1.8.2002 geltenden Fassung nicht ausgeschlossen. Nach Art. 229 § 8 Abs. 1 EGBGB ist die durch das Zweite Gesetz zur Änderung schadensersatz-rechtlicher Vorschriften geänderte Vorschrift anzuwenden, denn das schädigende Ereignis ist am 17.09.2002 und damit nach dem 31.7.2002 eingetreten.
17Gemäß § 828 Abs. 2 S. 1 BGB ist, wer das siebente, aber nicht das zehnte Lebensjahr vollendet hat, für den Schaden, den er bei einem Unfall mit einem Kraftfahrzeug, einer Schienenbahn oder einer Schwebebahn einem anderen zufügt, nicht verantwortlich.
18Vom Wortlaut kann auch der Fall des sich nicht im fließenden Verkehr befindenden unfallbeteiligten Kraftfahrzeuges umfasst sein (vgl. Kilian, ZGS 2003, 168, 170). In seiner Terminologie lehnt sich der neue § 828 Abs. 2 BGB an die Terminologie der Haftungsnormen des Straßenverkehrsgesetzes und des Haftpflichtgesetzes an (vgl. BT-Drucksache 14/1772, 26). Der Begriff des Unfalls wird in § 7 Abs. 2 StVG verwendet und bezieht sich auf § 7 Abs. 1 StVG. Dort heißt es: "Wird bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs ... ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt ..." Damit wird der Unfall als eine beim Betrieb eines Kraftfahrzeugs verusachte Rechtsgutverletzung definiert. Es gilt nicht die maschinentechnische Auffassung, wonach ein Kraftfahrzeug nur so lange im Betrieb ist, als seine motorischen Kräfte auf es einwirken, sondern die verkehrstechnische Auffassung, nach der ein Kraftfahrzeug in Betrieb ist, solange es sich im Verkehr befindet und andere Verkehrsteilnehmer gefährdet (vgl. BGHZ 29, 163; Geigel/Kunschert, Haftpflichtprozess, 23. Aufl. 2001, § 25, Rn. 34). Lediglich bei Unfällen auf einem Privatgelände, auf dem kein öffentlicher Verkehr herrscht, bleibt die maschinentechnische Auffassung weiter maßgebend (vgl. BGH NJW 1975, 1886, 1888; Geigel/Kunschert, § 25, Rn. 34). Es handelt sich vorliegend nicht um ein Ereignis auf einem Privatgelände. Das im Hinblick auf den Schutzzweck des § 7 Abs. 1 StVG weit zu fassende Tatbestandsmerkmal "bei dem Betrieb" erfasst auch mit abgestelltem Motor kurzfristig geparkte Kraftfahrzeuge sowie Fahrtunterbrechungen zum Be- und Entladen (vgl. Geigel/Kunschert, § 25, Rn. 45). Ferner werden nach allgemeiner Ansicht auch verbotswidrig abgestellte Kfz erfasst (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 37. Aufl. 2003, Rn. 5). Ein den Verkehrsraum als Hindernis einengendes, ruhendes Kfz kann ebenso gefährdend, ja gefährdender sein als ein bewegtes, so dass es an der Betriebsgefahr erst dann fehlt, wenn es "an einem Ort außerhalb des öffentlichen Verkehrs" aufgestellt wird (vgl. BGHZ 29,163, 169 sowie Hentschel a.a.O. m.w. N., selbst ablehnend).
19Der Fall des ordnungsgemäß geparkten Fahrzeuges, das von einem Kind beim Fahrradfahren beschädigt wird, ist jedoch vom Sinn und Zweck des § 828 Abs. 2 BGB nicht erfasst. Kilian will die Anwendung sogar insgesamt auf den fließenden Verkehr beschränken (ZGS 2003, 168, 170): Der Telos der Norm streite für eine Reduktion auf Fälle des fließenden Verkehrs. Wenngleich eine gewisse Typisierung von Überforderungssituationen anhand des Unfallbegrifffs grundsätzlich sinnvoll sei, so führe ein weites Verständnis im Bereich des § 828 BGB zu Widersprüchen bei der Bewertung im Tatsächlichen weitgehend identischer Situationen. So würde bei einem weiten Verständnis ein Kind z. B. bei dem Zusammenstoß mit einer Mauer oder einem verbotswidrig parkenden Anhänger bei Einsichtsfähigkeit haften, bei einer Kollision mit einem verbotswidrig parkenden parkenden Auto wäre hingegen eine Haftung gemäß § 828 Abs. 2 BGB ausgeschlossen. Auch blieben die eigentlichen intellektuellen Defizite von Kindern, die § 828 Abs. 2 BGB im Auge hat, nämlich die Schwierigkeiten bei der Einschätzung von Entfernungen und Geschwindigkeiten, bei einem weiten Verständnis weitgehend unberücksichtigt.
20Für den Fall des ordnungsgemäß parkenden Autos ist auch unter Berücksichtigung der Gesetzesmotive davon auszugehen, dass die Verantwortlichkeit des mit dem Fahrrad zwischen den parkenden Fahrzeugen spielenden Kindes nicht ausgeschlossen werden sollte. Die Heraufsetzung der Deliktsfähigkeit soll danach auf im motoriierten Straßen- oder Bahnverkehr plötzlich eintretende Schadensereignisse begrenzt werden, bei denen die altersbedingten Defizite eines Kindes, wie z. B. Entfernungen und Geschwindigkeiten nicht richtig einschätzen zu können, regelmäßig zum Tragen kommen. Außerhalb dieses Bereichs, z. B. auch im nicht motorisierten Verkehr, sind die Anforderungen, denen das Kind ausgesetzt ist, im Allgemeinen geringer. Das Kind wird auf Grund seiner altersbedingten Defizite seltener überfordert sein (BT-Drucks. 17/7752, 26, 27). Dies spricht dafür, dass eine Verantwortlichkeit des Kindes, das das siebente, aber nicht das zehnte Lebensjahr vollendet hat, nicht gegeben sein soll, wenn die für ein Kraftfahrzeug typischen Gefahren mitgewirkt haben (LG Trier, Urteil vom 28.10.2003, 1 S 104/03, jurisNr: KORE404302003; Palandt-Thomas, 62. Aufl., § 828, Rn. 3; Staudinger/Oechsler (2003), § 828, Rn. 4a, 5 (Gefahren des motorisierten Verkehrs)). Eine typische Gefahr des motorisierten Verkehrs ist aber nicht gegeben, wenn das Fahrzeug ordnungsgemäß geparkt ist (vgl. LG Trier). Denn dann besteht nicht die Problematik, dass es für das Kind schwieriger ist, Entfernungen und Geschwindigkeiten richtig abzuschätzen. Es macht für das Kind hinsichtlich der abzuschätzenden Entfernungen und Geschwindigkeiten keinen Unterschied, ob es mit dem Fahrrad umkippt und gegen ein parkendes Kraftfahrzeug oder aber gegen eine Mauer oder z. B. gegen ein anderes, abgestelltes Fahrrad fällt. Es wirken dabei gerade nicht die für ein Kraftfahrzeug typischen Gefahren mit.
21c)
22Die Beklagte ist für den Schaden, der in keinem inhaltlichen Zusammenhang zum motorisierten Verkehr steht, auch nicht nicht verantwortlich gemäß § 828 Abs. 3 BGB. Denn sie hat bei der Begehung der schädigenden Handlung die zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht gehabt. Der Kläger hat die damals
239-jährige Beklagte und die anderen spielenden Kinder sogar unstreitig darauf aufmerksam gemacht, nicht mit den Fahrrädern zwischen den geparkten Fahrzeugen hindurch zu fahren. Zudem ist die Beklagte - der Täter trägt die Beweislast für die Voraussetzungen der Unzurechnungsfähigkeit nach § 828 Abs. 3 BGB (vgl. Staudinger/Oechsler, § 828, Rn. 44) - für die Voraussetzungen des § 828 Abs. 3 beweisfällig geblieben.
24d)
25Der dem Kläger entstandene Schaden beträgt 944,55 Euro.
26Die Kosten des Sachverständigengutachtens in Höhe von 192,18 Euro hat die Beklagte dem Kläger bei Netto-Reparaturkosten in Höhe von 727,37 Euro gemäß § 249 BGB ebenfalls zu ersetzen. Ein Verstoß des Klägers gegen die Schadensminderungspflicht gemäß § 254 Abs. 2 S. 1 BGB ist nicht gegeben. In Kfz-Unfallsachen darf der Geschädigte - von Bagatellschäden bis 1.400 DM abgesehen (Palandt-Heinrichs, § 249, Rn. 40) - auch einen Sachverständigen hinzuziehen.
27Die Auslagenpauschale bemisst die Kammer mit 25 Euro (§ 287 ZPO).
28e)
29Das Zinsbegehren des Klägers ist nur im zuerkannten Umfang gerechtfertigt. Der Zinsanspruch ist gemäß §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2 BGB gerechtfertigt. Zinsbeginn ist der 08.03.2003. Die Klage ist der Beklagten am 07.03.2003 zugestellt worden und bei Rechtshängigkeit gilt für den Zinsbeginn § 187 Abs. 1 BGB entsprechend (Palandt-Heinrichs, 61. Aufl., § 187, Rn. 1 a.E.).
302.)
31Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 2 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10 in entsprechender Anwendung, 711 ZPO.
32Die Revision war gemäß § 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zuzulassen, weil die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO).
33
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Referenzen
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