Urteil vom Landgericht Duisburg - 7 S 176/05
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Duisburg
vom 17. August 2005 abgeändert und die Klage abgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
1
Gründe:
2I.
3 4Die Klägerin begehrt von der Beklagten, bei der sie ein Girokonto mit der Nummer X unterhält, die Gutschrift eines Betrages in Höhe von 3.614,55 Euro.
5Dieser Betrag entspricht der Summe von Abhebungen, welche die Klägerin nicht selbst getätigt haben will sowie zu Unrecht berechneter Sollzinsen.
6Die Klägerin hatte von der Beklagten für das vorstehend bezeichnete Konto eine EC-Karte mit einem entsprechenden vierstelligen PIN-Code erhalten.
7Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten bestimmen insoweit, dass der Kontoinhaber dafür Sorge zu tragen hat, dass keine andere Person Kenntnis von der persönlichen Geheimzahl erlangt. Insbesondere ist bestimmt, dass die Geheimzahl nicht auf der Karte vermerkt oder in anderer Weise zusammen mit dieser aufbewahrt wird.
8Die Klägerin hat behauptet, am 5. Mai 2003 sei ihr abgeschlossener Spind im Umkleideraum ihres Arbeitgebers Y – während ihrer Arbeitszeit - unter Aufbrechen des Schlosses geöffnet worden und aus ihrer Handtasche ihre Geldbörse, in der sich die EC-Karte befunden habe sowie aus ihrer Jackeninnentasche ihr Notizbuch ( Telefonverzeichnis ) entwendet worden. Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, ihr sei kein grob fahrlässiges Verhalten vorzuwerfen, da Karte und PIN nicht in Beziehung zu bringen gewesen seien. Die PIN habe sie in dem Telefonverzeichnis verschlüsselt als Gedächtnisstütze – innerhalb einer entsprechend langen Telefonnummer – notiert ( vgl. Bl. 68 d. A. ). Es stehe auch überhaupt nicht fest, dass es unter Verwendung der PIN zu den Abhebungen gekommen sei, da es durch Überwachungstechniken möglich sei, diese zu erspähen. Auch lasse sich die PIN durch Computertechnik ermitteln.
9Die Beklagte hat geltend gemacht, der Klägerin sei ein grob fahrlässiges Verhalten anzulasten. Gegen die Klägerin spreche auch der Beweis des ersten Anscheins. Zudem hat sie vorgetragen, dass der Abhebende die PIN aufgrund der frühen ersten Abbuchung sehr schnell herausgefunden haben müsse, wenn ihm die PIN nicht schon zuvor bekannt gewesen sei. Ferner hat sie geltend gemacht, es sei – zumindest hinsichtlich der heute verwendeten Karte und mithin auch der Karte der Klägerin - unmöglich, die Geheimzahl durch Manipulationsmaßnahmen aus dem Magnetstreifen der Karte herauszulesen.
10Das Amtsgericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 21. April 2004. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 25. November 2004 verwiesen.
11Das Amtsgericht hat die Beklagte mit Urteil vom 17. August 2005 verurteilt, den Saldo des bei der Beklagten geführten Kontos der Klägerin mit der Kunden-Nr. Z insoweit zu berichtigen, als dieser einen um 3.614,55 Euro erhöhten Betrag zu Lasten der Klägerin aufweist. Zur Begründung hat es ausgeführt, der Klägerin stehe ein Zahlungsanspruch gemäß § 812 I BGB zu. Die Klägerin habe für den Verlust der Karte nebst PIN – abgesehen von dem vertraglich vereinbarten Selbstbehalt in Höhe von 50,- Euro - nicht einzustehen. Nach der Anhörung der Klägerin und Beiziehung der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsakte hat es das Erstgericht als erwiesen angesehen, dass der Spind, in dem die Klägerin PIN und Karte aufbewahrte, aufgebrochen worden sei und hieraus Karte und PIN gestohlen worden seien. Mit der Aufbewahrung von Karte und PIN im Spind sei die Klägerin auch vertraglichen Sorgfaltspflichten nachgekommen. Denn der Spind sei stabil und durch ein Vorhängeschloss gesichert gewesen. Zudem sei der Spind auch nicht für jedermann zugänglich gewesen. Der Klägerin sei auch nicht gekannt gewesen, dass die Spinde zuvor schon einmal aufgebrochen worden seien. Die Klägerin habe die PIN zudem verschlüsselt in ihrem Notizbuch notiert. Die Klägerin sei auch nicht gehalten gewesen, ihre Karte während ihrer Arbeit als Köchin mitzuführen. Die Klägerin habe den gegen sie sprechenden Anscheinsbeweis widerlegt.
12Gegen dieses ihr am 22. August 2005 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 1. September 2005 Berufung eingelegt und diese am 9. September 2005 begründet.
13Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. Zudem macht sie geltend, es stehe keineswegs fest, dass die Klägerin Karte und PIN in ihrem Spind aufbewahrte und die PIN verschlüsselt in ihrem Notizbuch gestanden habe. Es sei vielmehr durchaus möglich, dass die PIN unverschlüsselt auf der Karte notiert gewesen sei. Der Beweis des ersten Anscheins spreche vorliegend dafür, dass Karte und unverschlüsselte PIN gemeinsam verwahrt worden seien oder die PIN anderen Personen, die dann die Karte eingesetzt haben, bekannt war. Aber auch nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin sei ein grob fahrlässiges Verhalten der Klägerin zu bejahen. Denn der Raum, in dem sich der Spind befunden habe, sei entgegen den Ausführungen des Amtsgerichts leicht zugänglich. Zudem sei der Spind der Klägerin unzureichend gesichert gewesen. Auch sei schon das gemeinsame Aufbewahren von Karte und – wenn auch verschlüsselter – PIN sorgfaltswidrig. Die Verschlüsselung könne auch nicht besonders gelungen sein, wie die schnellen Abhebungen unter sofortiger Eingabe der richtigen PIN zeigen würden.
14Die Beklagte beantragt,
15das Urteil des Amtsgerichts Duisburg vom 17. August 2005 abzuändern und
16die Klage abzuweisen.
17Die Klägerin beantragt,
18die Berufung zurückzuweisen.
19Sie verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung.
20Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Akteninhalt verwiesen.
21II.
22Die Berufung der Beklagten ist zulässig; insbesondere wurde sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet.
23Sie hat auch in der Sache Erfolg.
24Zwar kommen als Anspruchsgrundlage für das Begehren der Klägerin grundsätzlich §§ 667, 675 I, 676f BGB in Betracht, wonach die Klägerin Auszahlung / Gutschrift des von einem Dritten unberechtigt abgehobenen Gesamtbetrages verlangen kann.
25Diesem Anspruch der Klägerin steht jedoch ein Schadensersatzanspruch der Beklagten gegen die Klägerin gemäß § 280 I BGB gegenüber, welchen die Beklagte auch in das Kontokorrent einstellen und mit ihm das Girokonto der Klägerin belasten ( vgl. BGH VersR 2005, 272 ) darf.
26Denn die Klägerin hat vorliegend schuldhaft gegen ihre in den maßgeblichen Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten – deren grundsätzliche Wirksamkeit nicht streitig ist - festgeschriebenen Sorgfaltspflichten im Umgang mit Karte und dazugehöriger PIN verstoßen.
27Der genaue Ablauf, wie es zu den Abhebungen gekommen ist, steht vorliegend zwar nicht fest.
28Es ist aber gerechtfertigt, nach den Grundsätzen des Beweises des ersten Anscheins davon auszugehen, dass die Klägerin ihre Verpflichtung zur Geheimhaltung der PIN grob fahrlässig verletzt hat ( vgl. allg. BGH VersR 2005, 272ff. ).
29Diesen Anscheinsbeweis hat die Klägerin auch nicht zu erschüttern vermocht.
30Der von ihr behauptete Diebstahl von Karte und PIN erschüttert den Anscheinsbeweis nicht, da es erheblichen Bedenken begegnet, wenn PIN und Karte überhaupt gemeinsam aufbewahrt werden, was in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten auch besonders hervorgehoben wird. Ein "gemeinsames Aufbewahren” in dem Spind ist nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin zu bejahen. In einem Spind wird nach Auffassung der Kammer alles "gemeinsam aufbewahrt”. Auch das von der Klägerin behauptete gemeinsame Aufbewahren in ihrem verschlossenen Spind ist als grob fahrlässig zu qualifizieren, da es bei der auf jeden Fall zu vermeidenden Nähe von PIN und Karte verbleibt, mögen beide auch durch den abgeschlossenen Spind gesichert gewesen sein. Zudem war ein Betreten des Raumes, in dem sich der Spind befand, nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin im Rahmen ihrer erstinstanzlichen Anhörung leicht möglich. Die Klägerin kann auch nicht mit Erfolg geltend machen, dass ihr deshalb keine grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen werden kann, weil sie die PIN – nach ihrem streitigen Vorbringen – verschlüsselt in ihrem Notizbuch festgehalten haben will. Dies ist schon deshalb zu verneinen, da eine körperliche Trennung von Karte und PIN zu fordern ist und die damit – für einen bestimmten, vergesslichen Personenkreis – einhergehenden Unannehmlichkeiten hinzunehmen sind. Regelmäßig zu fordern ist deshalb grundsätzlich ein "Merken" der PIN und eine zeitnahe Vernichtung des entsprechenden Benachrichtigungsschriftstücks. Wer hierzu – warum auch immer - nicht in der Lage ist, muss zumindest Karte und PIN räumlich trennen und nicht auch noch darauf vertrauen dürfen, ein potentieller Dieb von Karte und PIN werde die Verschlüsselung des "Vergesslichen" nicht durchschauen. Zudem lag im vorliegenden Fall aufgrund der sehr zeitnahen Abhebungen bereits sehr nahe, dass die von der Klägerin behauptete Verschlüsselung nicht besonders gelungen gewesen sein kann. Diese Beurteilung wird schließlich auch durch die von der Klägerin im Termin vom 9. Dezember 2005 selbst dargelegte Verschlüsselungsart bestätigt. Denn die Klägerin hat nach ihrem eigenen Vorbringen in ihrem Notizbuch über der zutreffenden ( längeren ) Telefonnummer ihrer Mutter in W die Vorwahl von C, dahinter die Vorwahl von W und dahinter die nur vierstellige PIN notiert. Allein hierdurch war bereits für einen potentiellen Täter unschwer zu erkennen, dass die beiden vermerkten Zahlenreihen als Telefonnummern eine Besonderheit aufwiesen. Denn die Vorwahlen von C und W waren jeweils identisch. Es fiel mithin auch einem potentiellen Täter ohne Spezialkenntnisse hinsichtlich asiatischer Telefonnummern ins Auge, dass der Anhang an die beiden identischen Zahlenreihen bei einer Zahlenreihe nur vierstellig und mithin kürzer als bei der anderen notierten Zahlenreihe ausfiel. Der potentielle Täter konnte mithin in dem Notizbuch der Klägerin ohne größeren Aufwand die vierstellige PIN ermitteln. Sollte es sich bei dem Dieb auch noch um einen Asiaten gehandelt haben, musste ihm darüber hinaus sofort auffallen, dass die Klägerin eine nur vierstellige Rufnummer in W notiert hatte, was in Anbetracht der Größe Ws nicht plausibel ist.
31Der Anscheinsbeweis gegen die Klägerin ist auch nicht etwa deshalb erschüttert, weil es nach ihrer Behauptung technisch möglich gewesen sein soll, die PIN unter Zuhilfenahme entsprechender Geräte von der Karte abzulesen. Denn der Kammer ist aus dem am 5. Oktober 2004 ( VersR 2005, 272ff. ) höchstrichterlich entschiedenen Rechtsstreit, dem ein Verfahren vor dem Landgericht Duisburg zugrunde lag, bekannt, dass Ende 1997 das Verfahren zur Erzeugung und Verifizierung der PIN mithilfe eines geheimen Instituts- oder Poolschlüssels in einer Breite von 56 Bit abgelöst wurde. Seitdem – und mithin auch in dem hier relevanten Zeitraum - wird ein solcher Schlüssel in einer Breite von 128 Bit verwendet. Es ist deshalb inzwischen auch mit größtmöglichem finanziellen Aufwand mathematisch ausgeschlossen, die PIN einzelner Karten aus den auf den ec-Karten vorhandenen Daten ohne die vorherige Erlangung des zur Verschlüsselung verwendeten Institutsschlüssels zu errechnen ( vgl. BGH aaO ).
32Auch ein mögliches Ausspähen der PIN kann sich die Klägerin nicht mit Erfolg berufen. Denn sie hat über einen Zeitraum von einem Monat ihre PIN vor dem Diebstahl nicht mehr benutzt; infolgedessen ist ein Ausspähen mit nachfolgendem Diebstahl der Karte wegen dieses langen Zeitraumes nicht mehr als ernsthafte Alternative für einen atypischen Geschehensablauf in Betracht zu ziehen.
33Da kein nur leicht fahrlässiges – vielmehr aus vorstehend dargelegten Gründen ein grob fahrlässiges - Verhalten der Klägerin zugrunde zu legen ist, greift auch die ( teilweise ) Schadensfreistellungsverpflichtung der Beklagten nach Ziffer III. 1. 4 der Allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht ein.
34Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 I, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
35Streitwert: 3.614,55 Euro.
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