Urteil vom Landgericht Düsseldorf - 13 O 584/90
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 1.5oo,— DM abwenden, wenn nicht die Beklagten vorher in gleicher Höhe Sicherheit leisten.
Sicherheitsleistungen können durch selbstschuldnerische Bürgschaft einer in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Bank oder Sparkasse erbracht werden.
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Die Klägerin macht auf sie gemäß § 116 SGB übergegangene Ansprüche des bei ihr früher sozialversicherten und inzwischen verstorbenen Herrn Q geltend. Dieser damals etwa 80 Jahre alte Mann benutzte am 2o. Juli 1989 gegen 14.42 Uhr einen Linienbus der Beklagten zu 1., der vom Beklagten zu 2. gesteuert wurde. Nach dem Einsteigen kam Herr Q beim Anfahren des Busses zu Fall. Er erlitt einen Oberschenkelhalsbruch. Die Klägerin macht die nach dem Teilungsabkommen verbliebenen Kosten der Krankenhausbehandlung geltend.
2Die Klägerin behauptet, der Beklagte zu 2. sei plötzlich und unerwartet angefahren, als der in der Fahrzeugmitte eingestiegene und ersichtlich gehbehinderte Herr Q gerade im Begriff war sich zu drehen, um einen entgegen der Fahrtrichtung angeordneten freien Sitzplatz einzunehmen. Herr Q sei seitlich von dem Sitz gerutscht und in den Gang gefallen. Dem Beklagten zu 2. sei vorzuwerfen nicht gewartet zu haben, bis Herr Pieper sich gesetzt hatte.
3Die Klägerin beantragt,
4die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 6.975,9o DM nebst 4 % Zinsen seit Zustellung der Klage zu zahlen.
5Die Beklagten beantragen,
6die Klage abzuweisen.
7Sie behaupten, der Sturz sei allein darauf zurückzuführen, daß Herr Q sich weder einen Halt verschafft, noch den der Eingangstür nächstgelegenen Sitzplatz eingenommen habe. Er sei nämlich, obwohl der Bus mit ca. 1o - 12 Personen nur wenig besetzt gewesen sei, nach vorn zu seiner Ehefrau gegangen, die den vorderen Eingang benutzt hatte.
8Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Akteninhalt Bezug genommen.
9Das Gericht hat Beweis erhoben.
10Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der Sitzung vom 1. März 1991 verwiesen.
11Entscheidungsgründe ;
12Die Klage ist unbegründet. Zwar sind die Voraussetzungen einer gesamtschuldnerischen Haftung der Beklagten gemäß den §§ 7, 8 a und 18 StVG insofern gegeben, als beim Betrieb des Kraftomnibusses der Beklagten zu 1. eine Person verletzt worden ist und es sich bei dem Unfall nicht um ein unabwendbares Ereignis im Sinne von § 7 Abs. 2 StVG gehandelt hat und auch nicht feststeht, daß der Schaden nicht durch ein Verschulden des Beklagten zu 2. entstanden ist. Es ist nämlich nicht auszuschließen, daß ein besonders sorgfältiger und umsichtiger Busfahrer den Unfall hätte vermeiden können, indem er erst seine Fahrt fortsetzte, als sich alle Fahrgäste hingesetzt hatten. Nach den insoweit übereinstimmenden Aussagen der Zeugen Q, U und F war zumindest eine gewisse Gebrechlichkeit des später verletzten Fahrgastes zu bemerken. Da zudem nicht feststeht, daß dem Beklagten zu 2. die Sicht durch den Rückspiegel auf den Gang versperrt war, vielmehr die Beklagten selbst vortragen, der Bus sei nur mit etwa 1o - 12 Personen besetzt gewesen, hätte der Beklagte zu 2. erkennen können, daß ein Fahrgast eingestiegen ist, dessen unbeschadeter Transport erhöhte Rücksichtnahme erfordert.
13Andererseits trifft die verletzte Person ein gemäß den §§ 9 StVG und 254 BGB zu berücksichtigendes so erhebliches Mitverschulden, daß dahinter die Haftung der Beklagten zurücktritt.
14Die Klägerin muß sich entgegenhalten lassen, daß Herr Q für die Entstehung des Schadens in erster Linie selbst verantwortlich war. Die Beweisaufnahme hat ergeben, daß er in mehrfacher Hinsicht gegen die ihm zur Schadensvermeidung obliegenden Pflichten verstoßen hat. So haben die Zeuginnen Frau Q und Frau F den übereinstimmenden Vortrag der Parteien bestätigt, daß Herr Q zum Einsteigen die Tür in der Fahrzeugmitte benutzt hat. Hierzu bestand nach der Aussage der Zeugin Q keinerlei Anlaß. Der später Verletzte wußte am besten über seine Gebrechlichkeit und/oder Gebehinderung bescheid. Er hätte also nicht nur Anlaß gehabt, in der Nähe des Fahrers einzusteigen, um diesen verbal oder durch Augenschein auf die Behinderung aufmerksam zu machen. Vielmehr wollte Herr Q, wie die Zeuginnen F und Q bestätigt haben, einen Platz im vorderen Bereich des Busses, nämlich in der Nähe seiner Frau, die ihrerseits vorne eingestiegen war, einnehmen. Es wäre daher zur Vermeidung einer Gefahr angezeigt gewesen, sich ebenso wie die Zeugin Q zu verhalten, also in der unmittelbaren Sichtweite des Fahrers einzusteigen und dort den zunächst erreichbaren Sitzplatz einzunehmen. Allein der Umstand, daß zwei gehbehinderte Personen an einer Haltestelle an verschiedenen Türen einsteigen, führt dazu, daß die Aufmerksamkeit des Fahrers sich jedenfalls nicht im gleichen Maße auf beide Personen konzentrieren kann.
15Als besonders erheblicher Mitwirkungsanteil ist dem Verletzten vorzuwerfen, daß er nach dem Einsteigen nicht sich entweder auf den nächst erreichbaren Sitzplatz gesetzt oder er sich sonst festen Halt verschafft hat. Mit dem Anfahren des Busses war zu rechnen. Die in einiger Entfernung befindliche Ampelanlage konnte für diesen Vorgang keinen verzögernden Einfluß gewinnen. Im Gegenteil mußte der Beklagte zu 2. nach dem Anhalten an der Haltestelle die Möglichkeit zur Einordnung in den fließenden Verkehr wahrnehmen. Ein den Verkehrsfluß am wenigsten behinderndes Anfahren ist üblicherweise gerade dann möglich, wenn die übrigen Verkehrsteilnehmer ohnehin anhalten müssen.
16Die Beweisaufnahme hat ergeben, daß der Geschädigte einen jedenfalls mehrere Meter langen Weg im Bus zurückgelegt hat, bis er sich vorne im Bereich seiner Ehefrau befand. Dies steht zwar im Widerspruch zur Aussage des Zeugen U. Dessen Angaben sind jedoch wenig überzeugend. Sie sind von Ungenauigkeiten gekennzeichnet, die einer beweismäßigen Verwertung entgegenstehen. Dies beginnt bereits mit den Angaben zur Haltestelle, an der die Eheleute Q eingestiegen sein sollen, und setzt sich mit der allen Angaben der übrigen Beteiligten widersprechenden Bekundung fort, beide Eheleute seien vorne eingestiegen.
17Die Angaben der Zeuginnen F und Q stimmen dagegen im wesentlichen überein. Danach ist Herr Q von der Tür in der Mitte nach vorn zu seiner Frau gegangen, die sich entweder bereits gesetzt hatte - so die Zeugin Q - oder noch stand - so die Zeugin F. Zwar hat keine der Zeuginnen sich exakt daran erinnern können, daß bestimmte Plätze vor demjenigen auf dem Herr Q Platz nehmen wollte, frei waren. Hierauf kommt es aber auch nicht entscheidend an. Selbst wenn die Plätze in der unmittelbaren Nähe der gewählten Eingangstüre besetzt waren, hätte Herr Q angesichts seiner Gehbehinderung eine dieser Personen bitten müssen, ihm einen Sitzplatz zu überlassen, wenn er nicht bereits von außen erkennen konnte, daß sich gerade in der Nähe der von seiner Frau benutzten Tür freie Plätze befanden. Zumindest hätte er in Erwartung des jederzeitigen Anfahrens sich solange festhalten müssen, bis entweder ein gefahrloses Platznehmen möglich oder eine sonstige Position erreicht war, die eine gefahrlose Beförderung gewährleistete. Der Anfahrvorgang als solcher war nach den Angaben aller Zeugen nicht gefahrträchtig. Der Beklagte zu 2. ist weder ruckartig noch sonst in gefahrbegründender Weise angefahren. Von einem plötzlichen oder unerwarteten Anfahren kann nicht gesprochen werden. Vielmehr muß in einem Linienbus nach dem Einsteigen jederzeit mit der Fortsetzung der Fahrt gerechnet werden. Unter gewöhnlichen Umständen hält gerade im Interesse der Fahrgäste kein Bus länger an einer Haltestelle als unbedingt notwendig.
18Wägt man die Verursachungsbeiträge der Parteien gegeneinander ab, steht einem allenfalls als äußerst gering einzustufenden Verschulden des Beklagten zu 2. und der Betriebsgefahr des Busses das erhebliche Eigenverschulden des ehemaligen Mitglieds der Klägerin gegenüber. Die Betriebsgefahr eines Busses ist normalerweise zwar hoch anzusetzen. Vorliegend hat sich diese Betriebsgefahr, die in erster Linie auf die Größe und das Gewicht des Fahrzeugs zurückzuführen ist, jedoch nicht gegenüber einer an dem Betriebsvorgang unbeteiligten Person ausgewirkt. Der Verletzte hat sich nicht nur selbst in das Fahrzeug begeben, um sich befördern zu lassen, vielmehr hat er die in der konkreten Situation aus der Größe des Busses resultierende Gefährlichkeit bewußt ausgenutzt, indem er trotz einer Gehbehinderung vom mittleren Eingang sich zum vorderen Eingang bewegt hat.
19Die gefahrerhöhend busspezifischen Umstände haben das Unfallgeschehen nicht maßgeblich geprägt, da der Anfahrvorgang keinerlei Besonderheiten aufgewiesen hat. Insgesamt erscheint es daher angemessen, hinter dem Verursachungsbeitrag des Herrn Q die Anteile der Beklagten vollständig zurücktreten zu lassen.
20Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
21Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus den §§ 7o8 Nr. 11 und 711 ZPO.
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