Urteil vom Landgericht Düsseldorf - 004 KLs 17/02
Tenor
Die Angeklagte wird wegen Zuwiderhandlung gegen ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot zu einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 10,- € auf ihre Kosten verurteilt.
Angewendete Vorschrift: § 20 Abs. 1 Nr. 4 Vereinsgesetz
1
Gründe:
2I.
31.
4Die Angeklagte ist als eines von acht Kindern eines Landwirts und seiner Ehefrau in Gölbasi/Provinz Adiyiaman in Zentralanatolien geboren worden und aufgewachsen. Sie entstammt einer Familie kurdischer Volkszugehörigkeit. Die Grund- und Mittelschule besuchte sie in dem ca. 30 km entfernt gelegenen Pazarcik. Anschließend besuchte sie das Gymnasium in der 90 km von Gölbasi entfernt gelegenen Stadt Antep. Dort erlangte sie nach insgesamt 11 Schuljahren einen dem Abitur entsprechenden Schulabschluss. Wegen ihres bereits während der Schulzeit begonnenen Eintretens für die Freiheitsbestrebungen des kurdischen Volkes in der Türkei und der ihr seitens der türkischen Sicherheitsbehörden zur Last gelegten Unterstützung der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) lebte die Angeklagte nach ihrem Schulab-schluss im Untergrund. Sie wurde schließlich verhaftet und inhaftiert. In Ma-latya verbrachte sie ein Jahr im Gefängnis. Anschließend - 1994 - flüchtete sie in die Bundesrepublik Deutschland. Die Angeklagte wurde in der Türkei in Abwesenheit wegen ihrer prokurdischen Aktivitäten zu einer Freiheitsstrafe von 28 Jahren verurteilt. Zwei ihrer Geschwister sind inzwischen im politischen Kampf gegen die türkische Staatsmacht ums Leben gekommen. 1995 erhielt die Angeklagte in der Bundesrepublik Deutschland eine Anerkennung als Asyl berechtigte. Seit ihrem Aufenthalt in Deutschland lebt sie von der Sozialhilfe. Ein eigenes Einkommen durch Arbeit hat sie bisher nicht erzielt. Bis 1997 litt sie unter Rückschmerzen sowie Schmerzen im Bereich des Haut- und Fettgewebes der Brust, welche sie auf ihr zugefügte Misshandlungen in der Haft zurückführt. Nach 1997 ließ sich die Angeklagte zwei Jahre lang zur Modenäherin ausbilden. In diesem Beruf hat sie anschließend jedoch noch nicht gearbeitet. Seit ca. zwei Jahren ist die Angeklagte mit einem Musiker kurdischer Volkszugehörigkeit verheiratet. Aus dieser Ehe ist ein inzwischen 10 Monate altes Kind hervorgegangen. Die Familie erhält zusammen 1.000,- € Sozialhilfe, da der Ehemann der Angeklagten kein Einkommen hat. Von dem Sozialhilfebetrag entfallen auf die Mietwohnung 350,-€.
52.
6Die Angeklagte sympathisiert mit den politischen Bestrebungen der PKK, wenngleich ihr bekannt ist, dass diese sich aufgrund behördlicher Anordnung auf dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland nicht betätigen darf. Durch Verfügung des Bundesministers des Inneren vom 22.11.1993 wurde die PKK einschließlich ihrer Teilorganisation „Nationale Befreiungsfront Kurdistans" (ERNK) gemäß § 18 Satz 2 Vereinsgesetz mit einem - sofort vollziehbaren -Betätigungsverbot belegt, welches am 26. März 1994 in Rechtskraft erwachsen ist.
7Nach der Inhaftierung des Generalsekretärs der PKK P1 nahm die Angeklagte im Februar 1999 in Bonn neun Tage an einem Hungerstreik teil, um P1 Freilassung zu erreichen. Anschließend besetzte sie mit anderen das Gebäude der griechischen Botschaft in Bonn-Rüngsdorf, ### 10 -12. Mit Urteil des Amtsgerichts Bonn vom 13. Oktober 1999 (###) wurde sie deshalb wegen gemeinschaftlichen schweren Hausfriedensbruchs in Tateinheit mit gemeinschaftlicher Sachbeschädigung und Landfriedensbruch zu einer auf die Dauer von zwei Jahren zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von vier Monaten verurteilt. Das Urteil ist am 23.02.2000 in Rechtskraft erwachsen.
83.
9Mitte Mai 2001 erhielten deutsche Staatsschutzdienststellen Kenntnis davon, dass der PKK-Präsidialrat eine Offenlegung der Identität aller PKK-Kader beschlossen und die PKK-Anhängerschaft aufgefordert habe, sich ab dem 31.05.2001 an deutsche Behörden zu wenden, um sich als PKK-Kader bzw. PKK-Sympathisanten zu bekennen und die Aufhebung des PKK-Verbots zu fordern. Der großangelegten Kampagne, für die damals im Internet geworben wurde, lag der verlautbarte Gedanke zugrunde, „dass die, die das Problem (gemeint war das PKK-Verbot) erschaffen haben, damit in ihrem eigenen System fertig werden müssen". Voraussetzung für den Erfolg der Kampagne war eine möglichst große Beteiligung an der Aktion, die den staatlichen Stellen der Bundesrepublik Deutschland eine Sanktionierung strafbaren Verhaltens erschweren, wenn nicht nahezu unmöglich machen sollte. Der offizielle Beginn der als „zweite Friedensinitiative" bezeichneten I-dentitätsverkündung war eine Demonstration am 13.06.2001 vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf, wo zu diesem Zeitpunkt unter großer Beachtung kurdischer Sympathisanten gegen einen hohen PKK-Funktionär verhandelt wurde. In Fortsetzung der Kampagne fand am 20.06.2001 vor dem Landtagsgebäude in Düsseldorf eine angemeldete und unter Auflagen genehmigte Versammlung von Kurdinnen und Kurden unter dem Motto: „Freiheit für P1 - Frieden in Kurdistan" statt. Die überwiegend weiblichen Teilnehmer hielten Plakate hoch mit Aufschriften wie:
10„Es ist verboten, den Frieden zu verbieten." „Die Kurden wollen Frieden. Und Sie?" „Freiheit für P1 - Frieden in Kurdistan."
11Im Rahmen dieser Veranstaltung wurde gegen 11.30 Uhr ein Ordner an das Mitglied des Landtages Frau E1 übergeben, welcher 273 Selbsterklärungen enthielt, die übereinstimmend wie folgt lauteten:
12Selbsterklärung: „Auch ich bin eine PKK'lerin"
13Während die Geschichte, die Sprache und die Kultur des kurdischen Volkes als nicht vorhanden gezählt wurde, war auch die Frau in einer Position, in der ihre Existenz geleugnet und ihre Identität nicht anerkannt wurde. In diesem Sinne sind die gerechtfertigten Forderungen des kurdischen Volkes gleich den Forderungen der kurdischen Frau. Deshalb fordern die kurdischen Frauen noch mehr als alle anderen Sektoren, dass ihre nationale und politische Identität offiziell anerkennt wird und dass jegliche Verbote zum freien Ausdruck ihrer Identität aufgehoben werden.
14Die Arbeit zur Freiheit der kurdischen Frau ist eine der wichtigsten Werte, die unser 20jähriger Kampf geschaffen hat. Der nationale Befreiungskampf unter der Führerschaft der PKK ist von einem Gesichtspunkt auch der Kampf um die Schöpfung der Frau. Durch diesen Kampf hat die Frau zusammen mit der national-politischen Identität auch zu ihrer Geschlechtsidentität gefunden.
15Die PKK zu verbieten, dessen Suche nach einem politischen Kampf und einer politischen Lösung zu verbieten, heißt die Existenz der Frau zu verbieten. In diesem Sinne bedeutet die PKK die Suche der kurdischen Frau nach Freiheit. Deshalb sehe ich als kurdische Frau meine national-politische Identität als meine Würde an. Ich erkläre, dass ich jegliche Verbote über die PKK, die ich als mein Existenzmotiv bewerte, nicht anerkenne.
161.
17Auf dieser Grundlage erkläre ich als Angehörige des kurdischen Volkes, insbesondere als kurdische Frau, dass ich die neue Linie der PKK teile, die seit zwei Jahren ihren politischen Kampf auf legaler Grundlage führt. Weiterhin erkläre ich mich der PKK zugehörig.
182.
19Ich rufe die europäischen Mitgliedstaaten dazu auf, sich an den Maßstäben messen zu lassen, die sie gegenüber anderen Nicht-Mitgliedstaaten anlegt. Außerdem rufe ich diese Staaten dazu auf, bezüglich den in Europa lebenden Kurden, den erklärten Kriterien eines Beitritts zur Europäischen Union selbst gerecht zu werden. Deshalb fordere ich für das kurdische Volk die juristische Anerkennung der Rechte, die auch anderen Völkern zugestanden werden.
203.
21Weiterhin fordere ich die offizielle Anerkennung der kulturellen und politischen Werte, welche das kurdische Volk in einem großen Kampf geschaffen hat. In diesem Zusammenhang fordere ich die Achtung der nationalen und politischen Identität meines Volkes.
224.
23Ich unterstütze die Linie des demokratischen Kampfes der PKK, welche auch von ihrem 7. Kongress bestätigt wurde. In Anbetracht der Tatsache, dass die PKK in einem Zeitraum von zwei Jahren keine einzige Aktion unter Anwendung von Gewalt durchgeführt hat, fordere ich die Aufhebung sämtlicher Verbote, die sich gegenüber der PKK in Anwendung befinden.
245.
25Des weiteren erkläre ich, dass die einzige Garantie für eine dauerhafte Lösung, die Freiheit unseres nationalen Führers, P1, und die Schaffung von Möglichkeiten für sein politisches Wirken sind. Deshalb fordere ich: „Freiheit für P1 - Frieden in Kurdistan".
26Hiermit erkläre ich, dass ich das gegen die PKK ausgesprochene Verbot und die strafrechtliche Verfolgung der Mitgliederschaft in der PKK sowie der strafrechtlichen Verfolgung der aktiven Sympathie für die PKK, auf das Schärfste verurteile. Weiterhin erkläre ich, dass ich dieses Verbot nicht anerkenne und sämtliche Verantwortung übernehme, die sich daraus ergibt.
27Die Selbsterklärungen waren mit Vornamen, Namen, Adresse, Datum und Unterschrift versehen. Eine der in deutscher Sprache formulierten Selbsterklärungen wurde von der Angeklagten unter dem 18.06.2001 unterzeichnet. Dabei war sich die Angeklagte über die Umstände der Kampagne und deren Ziele im klaren, nachdem sie den Inhalt der Selbsterklärung mit Landsleuten erörtert hatte, die jedoch keinen Druck auf sie ausübten. In der gesamten Bundesrepublik gelangten insgesamt ca. 100.000 gleichlautende Selbsterklärungen an Behörden, in Düsseldorf ca. 10.000.
28II.
29Die getroffenen Feststellungen beruhen auf den Angaben der in vollem Umfang glaubhaft geständigen Angeklagten, der Vernehmung des Zeugen K1 (Kriminalpolizei/Staatsschutz), sowie den ausweislich der Sitzungsniederschrift eingeführten Urkunden (Selbsterklärung vom 18.06.2001, Urteil des Amtsgerichts Bonn vom 13.10.1999).
30III.
311.
32Den getroffenen Feststellungen zufolge hat sich die Angeklagte gemäß § 20 Abs. 1 Nr. 4 Vereinsgesetz strafbar gemacht, indem sie vorsätzlich einem vollziehbaren Betätigungsverbot nach § 18 Satz 2 Vereinsgesetz zuwider gehandelt hat. Zur Tatbestandsverwirklichung genügt jedes auf die verbotene Vereinstätigkeit bezogene Handeln, das unter dem Gesichtspunkt der Verbotsgründe erheblich und konkret geeignet ist, die Vereinstätigkeit zu fördern (vgl. BVerfG, NStZ RR 2002, 120, 124, BGH NStZ 2000, 377, BGH St 43, 312, 313 = NJW 1998, 1652, BGH St 42, 30, 36 = NJW 1996, 1906). Hierbei muss sich für den unbefangenen Betrachter der Eindruck ergeben, es handele sich um eine Aktion mit Außenwirkung unmittelbar zugunsten der verbotenen Partei selbst. Des Nachweises einer messbaren Förderungswirkung bedarf es nicht (vgl. BVerfG a.a.O. S. 121). Mit Rücksicht auf den Schutz des Grundrechts der Meinungsfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, welcher allerdings durch § 20 Abs. 1 Nr. 4 Vereinsgesetz gemäß Art. 5 Abs. 2 GG wirksam eingeschränkt worden ist, bleibt die bloße auf die Aufhebung eines Tätigkeitsverbots hinwirkende Meinungsäußerung straffrei, wenn sie nicht ein verbotenes Weiterhandeln des Vereins fördert, sondern lediglich die Voraussetzungen erlaubter Vereinstätigkeit zu schaffen sucht.
332.
34Die vorgenannten Strafbarkeitsvoraussetzungen liegen hier vor. Die vpn der Angeklagten unterzeichnete Selbsterklärung enthält neben Lobes-, Sympathie- und Zugehörigkeitserklärungen auch die Äußerung, Verbote betreffend die PKK nicht anzuerkennen und diese Verbote sowie die strafrechtliche Verfolgung der aktiven Sympathie für die PKK aufs Schärfste zu verurteilten.
35Diese Äußerung erfolgt ausdrücklich in Kenntnis der Strafbarkeit und unter Übernahme sämtlicher Verantwortung, die sich daraus ergibt. Hiernach beschränkt sich die Selbsterklärung nicht darauf, die Aufhebung des PKK-Verbotes zu fordern und zu begründen, sondern befürwortet zugleich den Ungehorsam gegenüber dem Betätigungsverbot. Damit wird aber unter den gegebenen rechtlichen und politischen Verhältnissen - auch - zugunsten der bestehenden PKK und deren verbotenen politischen Aktivitäten geworben. Dies geschieht im Rahmen einer auf solidarische Außenwirkung zugunsten der PKK bedachten groß angelegten Kampagne und in der Absicht, die Strafverfolgungsbehörden der Bundesrepublik Deutschland aufgrund der Vielzahl der an der Kampagne beteiligten sich strafbar verhaltenden Personen in eine hilflose Lage zu versetzen. Diese Umstände waren offensichtlich und der Angeklagten bekannt. Hiernach ist von einer strafbaren Förderung der PKK durch die von der Angeklagten vorgenommene Unterzeichnung der Selbsterklärung auszugehen.
36IV.
37Bei der Strafzumessung ist ein Strafrahmen von Geldstrafe oder Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr zugrunde zu legen. Zugunsten der Angeklagten ist ihr freimütiges Geständnis zu berücksichtigen, desweiteren ihre soziale Prägung, die durch die kurdische Volkszugehörigkeit, die Verfolgung in ihrer Heimat und ein dominantes, kämpferisches politisches Engagement gekennzeichnet ist. Dies hätte ihr eine Weigerung, an der Selbstbelastungskampagne mitzuwirken, schwer gemacht. Zu Lasten der Angeklagten fällt ins Gewicht, dass sie innerhalb einer laufenden Bewährungszeit erneut straffällig geworden ist. Nach alle dem hält die Kammer eine Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je 10,- € für tat- und schuldangemessen sowie den wirtschaftlichen Verhältnissen der Angeklagten angepasst.
38V.
39Die Kostenentscheidung folgt aus § 465 StPO.
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Referenzen
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