Beschluss vom Landgericht Düsseldorf - III-Qs-27/06
Tenor
wird die Beschwerde des Beschuldigten gegen den Beschluss des Amtsgerichts Düsseldort vom 6. März 2006 – 150 Gs 1475/06 – als unbegründet verworfen.
1
Gründe
2Das Amtsgericht Düsseldorf hat auf Antrag der Staatsanwaltschaft mit dem angefochtenen Beschluss vom 6. März 2006 den dinglichen Arrest in Höhe von 14.930.256,64 € in das Gesellschaftsvermögen der ( … ) in ( … ) angeordnet (Bl. 130 – 135). Dagegen wendet sich der Beschuldigte mit Beschwerde vom 27. März 2006, welcher das Amtsgericht mit Beschluss vom 11. April 2006 nicht abgeholfen hat.
3Die gem. § 304 Abs. 1 StPO zulässige Beschwerde ist unbegründet.
41. Nach § 111b Abs. 2 StPO kann zur Sicherung des Verfalls von Wertersatz oder der Einziehung von Wertersatz der dingliche Arrest angeordnet werden, wenn Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass die Voraussetzungen des Verfalls von Wertersatz oder der Einziehung von Wertersatz vorliegen. Voraussetzung des Verfalls von Wertersatz ist gemäß §§ 73 Abs. 1 S. 1, 73a S. 1 StGB, dass der Täter oder Teilnehmer einer Straftat für die Tat oder aus ihr etwas erlangt hat und die Anordnung des Verfalls des Erlangten wegen seiner Beschaffenheit – zum Beispiel aufgrund Vermischung erlangten Geldes – oder aus einem anderen Grund – zum Beispiel wegen Verbrauchs des Erlangen – nicht möglich ist (Tröndle/Fischer, StGB, 52. Aufl., § 73b Rn. 3 – 5). Dass eine Verfallsanordnung gem. § 73 Abs. 1 S. 2 StGB unterbliebe, weil dem Verletzten aus der Tat ein Anspruch erwachsen ist, dessen Erfüllung dem Täter oder Teilnehmer den Wert des aus der Tat Erlangten entziehen würde, steht der Anordnung des dinglichen Arrestes nicht entgegen (§ 111b Abs. 5 StPO). Nach § 111d Abs. 2 StPO gelten die §§ 917 und 920 Abs. 1 sowie die §§ 923, 928, 930 bis 932 und 934 Abs. 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) im Rahmen des strafprozessualen Arrestverfahrens sinngemäß.
52. Das Amtsgericht hat aufgrund der unter Ziff. 1 genannten Vorschriften zu Recht den dinglichen Arrest in das Vermögen der ( … ) angeordnet, weil nach dem Ergebnis der bisherigen Ermittlungen der dringende Verdacht besteht, dass sich der Beschuldigte des Betruges schuldig gemacht hat, indem er in der Absicht, die ( … ) in Hilden rechtswidrig zu bereichern, als Geschäftsführer der Zweigniederlassung seine Meldepflicht über die sozialversicherungspflichtige Beschäftigung der Arbeitnehmer in Deutschland aus § 28a SGB IV verletzt bzw. mit Hilfe fingierter Arbeitsverträge zwischen der Hauptniederlassung und den polnischen Arbeitnehmern sowie mit falschen Angaben erschlichener Entsendebescheinigungen der Einzugsstelle vorgespiegelt hat, es bestünden die Sozialversicherungspflicht in Deutschland ausschließende Arbeitsverhältnisse mit der Hauptniederlassung, worauf die Einzugsstelle infolge eines entsprechenden Irrtums die Festsetzung und den Einzug der geschuldeten Sozialversicherungsbeiträge mit der Folge unterlassen hat, dass die Sozialkasse in Höhe der Gesamtversicherungsbeiträge geschädigt ist. Hierzu wird auf die zutreffende Begründung des Tatverdachts in der angefochtenen Entscheidung verwiesen, der sich die Kammer insoweit anschließt. Das Amtsgericht hat auch mit zutreffender Begründung den dringenden Verdacht von Verstößen gegen das Ausländerrecht angenommen, wobei für die Zeit bis Ende 2004 § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG a.F. die Strafgrundlage bildet.
6Ob der Beschuldigte, wie das Amtsgericht angenommen hat, daneben auch verdächtig ist, sich des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) schuldig gemacht zu haben, oder eine sozial- und europarechtsakzessorische Auslegung des § 266a StGB den Tatverdacht insoweit ausschließt, bedarf im Rahmen des Arrestverfahrens keiner Entscheidung, weil schon aufgrund des Betrugsverdachtes Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass die Voraussetzungen des Verfalls von Wertersatz vorliegen (§ 111b Abs. 2 StPO).
73. Das Beschwerdevorbringen des Beschuldigten rechtfertigt keine andere Entscheidung.
8a. Soweit der Beschuldigte einwendet, die nach Deutschland entsandten Arbeitnehmer seien bei der Hauptniederlassung in Polen beschäftigt gewesen, haben die seit Anordnung des dinglichen Arrestes durchgeführten weiteren Ermittlungen demgegenüber den dringenden Verdacht erhärtet, dass es sich bei der Hauptniederlassung nicht um eine Produktionsstätte handelt, sondern lediglich um ein Rekrutierungsbüro für die in Deutschland eingesetzten Arbeitskräfte. Die Vernehmung des Mitarbeiters der Hauptniederlassung ( … ) vom 8. März 2006 hat ergeben, dass die Angaben und Anweisungen zur Beschäftigung der polnischen Arbeiter von der Zweigniederlassung in Hilden erteilt wurden, in deren Händen auch die Entlohnung der polnischen Arbeitnehmer gelegen haben soll. Obgleich der Zeuge bereits seit 1992 für die Hauptniederlassung arbeitet und als deren Bevollmächtigter aufgetreten ist, vermochte er keine nennenswerte eigene Produktionstätigkeit der ( … ) in Polen aufzuzeigen. Soweit er überhaupt eine Produktionstätigkeit in Polen beschrieben hat, soll diese in betriebsfremden Räumen einer Firma ( … ) von 2 – 4 Mitarbeitern ausgeübt worden sein. Nach dem Ermittlungsbericht des Zollbeamten ( … ) vom 10. April 2006 hat die Durchsuchung der Büroräume der Hauptniederlassung in ( … ) ergeben, dass diese nicht über Produktionsstätten verfügt und die Beiträge für die polnische Sozialversicherung sowie die Kosten für die Büroräume in ( … ) der deutschen Zweigniederlassung in Rechnung stellt. Es ist danach nichts dafür ersichtlich, auf welche Weise die zirka 65 in Deutschland eingesetzten Arbeitskräfte bei der Hauptniederlassung in Polen beschäftigt gewesen sein sollten. Hierfür bietet auch die Beschwerdebegründung keine nachvollziehbare Erklärung.
9b. Der dringende Tatverdacht eines Betruges zu Lasten der Sozialversicherungsträger wird entgegen der Auffassung des Beschuldigten auch nicht durch die Entsendebescheinigungen ( … ) bzw. ( … ) entkräftet. Der Europäische Gerichtshof hat mit Urteil vom 10. Februar 2000 (EuZW 2000, S. 380 ff.) zwar entschieden, dass eine von der zuständigen Behörde ausgestellte ( … ) Entsendebescheinigungen die Sozialversicherungsträger des Gaststaates bindet, soweit sie bescheinigt, dass der entsandte Arbeitnehmer dem System der sozialen Sicherheit des Mitgliedsstaates angeschlossen ist, in dem das entsendende Unternehmen seine Betriebsstätte hat. Zugleich hat der Europäische Gerichtshof aber festgelegt, dass der ausstellende Träger die Richtigkeit der Bescheinigungen überprüfen und diese gegebenenfalls zurückziehen muss, wenn der zuständige Träger anderer Mitgliedstaaten Zweifel an der Richtigkeit des der Bescheinigung zu Grunde liegenden Sachverhaltes oder an dessen rechtlicher Bewertung geltend macht (EuGH, a.a.O., S. 384). Mit Urteil vom 26. Januar 2006 (Az. C-2/05) hat der Europäische Gerichtshof seinen Standpunkt wie folgt konkretisiert:
10„Solange eine ... Bescheinigung E 101 nicht von den Behörden des Ausstellungsstaats zurückgezogen oder für ungültig erklärt wird, bindet sie den zuständigen Träger und die Gerichte des Mitgliedstaats, in den die Arbeitnehmer entsandt worden sind. Folglich ist ein Gericht des Gaststaates dieser Arbeitnehmer nicht befugt, die Gültigkeit einer Bescheinigung E 101 im Hinblick auf die Bestätigung der Tatsachen, auf deren Grundlage eine solche Bescheinigung ausgestellt wurde, insbesondere das Bestehen einer arbeitsrechtlichen Bindung ... zwischen dem Unternehmen mit Sitz in einem Mitgliedstaat und den von ihm in das Gebiet eines anderen Mitgliedstaates entsandten Arbeitnehmern während der Dauer der Entsendung dieser Arbeitnehmer zu überprüfen.“ (zitiert nach Beck-Online, BeckRS 2006 70078)
11Obgleich der Europäische Gerichtshof in seiner jüngsten Entscheidung die Gerichte des Gaststaates mit der Wendung „ein Gericht des Gaststaates“ allgemein anzusprechen scheint, ist damit nach dem Dafürhalten der Kammer keine Bindung der Strafgerichte im Hinblick auf den der E-101-Bescheinigung zu Grunde liegenden Sachverhalt gemeint. Das ergibt sich schon aus der in den Entscheidungsgründen beider Urteile dargelegten Rechtsnatur der E-101-Bescheinigungen sowie der Schutzrichtung der angenommenen Bindungswirkung. Zur Rechtsnatur der E-101-Bescheinigungen hat der Europäische Gerichtshof ausgeführt, dass diese ebenso wie die materiell-rechtliche Regelung nach Art. 14 I lit. a der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 die Freizügigkeit der Arbeitnehmer und die Dienstleistungsfreiheit fördern soll (EuZW 2000, 380 ff. Rn. 48). Die Bindungswirkung begründet der Europäische Gerichtshof mit dem Grundsatz des Anschlusses der Arbeitnehmer an ein einziges System der sozialen Sicherheit sowie den Gesichtspunkten der Vorhersehbarkeit des anwendbaren Systems und der Rechtssicherheit. Bei alledem geht es darum, die Arbeitnehmer vor der Gefahr einer doppelten Inanspruchnahme zu schützen, die sich ergeben würde, wenn jeweils der zuständige Träger beider Mitgliedstaaten sein eigenes System der sozialen Sicherheit für anwendbar erklären könnte (a.a.O. Rn. 54). Diese Gefahr wird aber mit einer Bindung der Sozialversicherungsträger und der Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit hinreichend ausgeschlossen, so dass für eine Bindung der Strafgerichte kein Grund besteht. Darüber hinaus rechtfertigt keiner der vom Europäischen Gerichtshof angeführten Gesichtspunkte, einen Arbeitgeber, der die Sozialkassen des Gaststaates dadurch schädigt, dass er mit erschlichenen E-101-Bescheinigungen die Sozialversicherungsfreiheit der Arbeitnehmer vorspiegelt, vor Bestrafung wegen Betruges (§ 263 StGB) zu verschonen. Dementsprechend ist auch das Landgericht Stade in der vom Beschuldigten in der Beschwerdebegründung angezogenen Entscheidung vom 26.05.2005 (Bl. 241/242 der Akte) zutreffend davon ausgegangen, dass die Bindung der E-101-Bescheinigungen eine Strafbarkeit wegen Betruges zum Nachteil der deutschen Sozialversicherungsträger durch Täuschung der polnischen Behörden bei der Erteilung der Entsendebescheinigungen nicht ausschließt.
12d. Der Verdacht des Betrugsvorsatzes wird auch nicht durch die Einlassung des Beschuldigten entkräftet, er habe auf die Richtigkeit der Entsendebescheinigungen und die damit einhergehende Sozialversicherungsfreiheit der entsandten Arbeitskräfte in Deutschland vertraut. Da der Beschuldigte nicht nur Geschäftsführer der Zweigniederlassung ist, sondern auch Direktor der Hauptniederlassung, und den Einsatz der Arbeitskräfte selbst organisiert hat, ist nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen davon auszugehen, dass er über die tatsächlichen Verhältnisse der Hauptniederlassung umfassend informiert war und daher wusste, dass die Arbeitnehmer in Wahrheit nicht bei der Hauptniederlassung beschäftigt waren. Unter diesen Umständen durfte er auf die Richtigkeit der Entsendebescheinigungen nicht vertrauen.
13c. Die Straftaten, die den Gegenstand des Ermittlungsverfahrens bilden, sind auch nicht teilweise verjährt. Für Betrug (§ 263 StGB), Vorenthalten und Veruntreuen von Arbeitsentgelt (§ 266a StGB) und Verstöße gegen § 92 Abs. 2 Nr. 2 AuslG gilt aufgrund der Strafdrohung im Höchstmaß von mehr als einem bis zu drei bzw. fünf Jahren gemäß § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB eine Verjährungsfrist von fünf Jahren. Die Handlungen, die den Gegenstand des Ermittlungsverfahrens bilden, fallen in den Zeitraum von Mai 2000 bis Dezember 2004, so dass frühestens ab Mai 2005 eine teilweise Verjährung hätte eintreten können. Hierzu ist es aber nicht gekommen, weil die richterliche Durchsuchungsanordnung des Amtsgerichts Düsseldorf vom 21. Dezember 2004 (150 Gs 7990/94, Bl. 70/71 der Akte) gemäß § 78c Abs. 1 Nr. 4 StGB eine Unterbrechung der Verjährung mit der Folge bewirkt hat, dass die fünfjährige Verjährung von neuem begonnen hat (§ 78c Abs. 3 S. 1 StGB).
14d. Entgegen der Ansicht des Beschuldigten fehlt es auch nicht an einem Arrestgrund gemäß § 111d Abs. 2 StPO in Verbindung mit § 917 ZPO. Zwar ist es richtig, dass der Arrestgrund der Auslandsvollstreckung gemäß § 917 Abs. 2 ZPO nicht besteht, weil im Verhältnis der Staaten der Europäischen Union durch die EuGVVO die Gegenseitigkeit verbürgt ist (§ 17 Abs. 2, 2. Halbsatz). Das Amtsgericht ist aber zutreffend davon ausgegangen, dass ohne Anordnung des Arrestes eine Vereitelung oder wesentliche Erschwerung der Vollstreckung des Anspruchs auf Verfall des Wertersatzes im Sinne des § 917 Abs. 1 ZPO zu besorgen ist, weil die Gefahr besteht, dass der Beschuldigte noch bei der Werpol Sp.z.o.o. vorhandenes Vermögen beiseite schafft. Diese Besorgnis erscheint der Kammer aufgrund des dringenden Verdachts, dass der Beschuldigte zur Erlangung rechtswidriger Vermögensvorteile in erheblichem Umfang Arbeits- und Werkverträge fingiert und sowohl polnische als auch deutsche Behörden absichtlich über die tatsächlichen Umstände der Arbeitseinsätze getäuscht hat, berechtigt.
15Düsseldorf, den 27. Juni 2006
16Landgericht, III. Strafkammer
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