Urteil vom Landgericht Düsseldorf - 1 O 215/12
Tenor
Es wird festgestellt, dass die am 3. Dezember 2011 in E verstorbene Frau C, geborene F, zuletzt wohnhaft in E aufgrund letztwilliger Verfügung vom 31. Oktober 2007 (Urkundenrolle-Nr. des Notars X in E) von den Klägerinnen zu je ½ Anteil allein beerbt worden ist.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
Tatbestand
2Die Parteien sind die einzigen Kinder der Eheleute C1, geborene F. Sie wurden am 26. Juli 1955 (Klägerin zu 1), am 15. Oktober 1957 (Klägerin zu 2) und am 21. Dezember 1961 (Beklagter) geboren.
3Der Vater der Parteien wurde am 18. April 1906 geboren und verstarb am 12. September 1990 im Alter von 84 Jahren. Die Mutter C2 (im Folgenden „Erblasserin“) wurde am 7. Januar 1926 geboren und verstarb am 3. Dezember 2011 im Alter von 85 Jahren.
4Zum Nachlass gehören – neben mehreren Immobilien – u.a. der mittelbare Anteil der Erblasserin an dem Familienunternehmen C3 und die Warenzeichen L und F1.
5Der Vater der Parteien übernahm das Einzelunternehmen Q, das im Jahr 1858 aus einem Kolonialwarenladen entstanden war, in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts von seinem Vater. In den fünfziger Jahren nahm der Vater der Parteien seinen Bruder, C4, als Minderheitengesellschafter mit 40 % in das danach als Q1 firmierende Unternehmen auf. Dem Gesellschafter X1 folgte nach dessen Tode im Jahr 1969 dessen Ehefrau C5, die 1979 verstarb. Die Erblasserin erhielt einen eigenen Anteil an dem Unternehmen im Jahr 1979. Hierbei handelte es sich um den Gesellschaftsanteil der C5, der ihr im Rahmen eines Vermächtnisses zufiel. Von da an waren die Eheleute C1 Alleingesellschafter der Q1. Mit dem Tod ihres Ehemannes im Jahre 1990 wurde die Erblasserin Alleingesellschafterin.
6Zum 1. Januar 1995 gründeten die Erblasserin und der Beklagte die „C3“, an der zuletzt die Erblasserin mittelbar mit 51 % und der Beklagte mit 49 % beteiligt waren. Beide sind bis zum Tod der Erblasserin Geschäftsführer gewesen. An der Gestaltung des operativen Geschäfts hat die Erblasserin bis Frühjahr 2010 aktiv mitgewirkt.
7Die Erblasserin hat folgende Verfügungen von Todes wegen hinterlassen, die am 16. Dezember 2011 eröffnet wurden:
81. Notarieller Erbvertrag vom 27. November 1969, Urkunde-Nr. des Notars D in E (Anlage K1)
92. Notarieller Erbvertrag vom 17. Januar 1975, Urkunde-Nr. des Notars I in E (Anlage K2)
103. Notarielles Testament vom 31. Oktober 2007, des Notars X in E (Anlage K3)
114. Notarielles Änderungstestament vom 26. Februar 2010, Urkunde-Nr. des Notars X in E (Anlage K4)
12Der Beklagte hat das im Testament der Erblasserin vom 31. Oktober 2007 für ihn vorgesehene Vermächtnis nicht innerhalb der im Testament hierfür vorgesehenen Monatsfrist angenommen.
13Dem in § 8 Nr. 3 des Testaments vom 31. Oktober 2007 ernannten Testamentsvollstrecker C6 wurde am 26. Januar 2012 ein Testamentsvollstreckerzeugnis erteilt.
14Auf Basis einer eidesstattlichen Versicherung des Beklagten vom 23. Februar 2012 beantragte der Notar X2 am 27. Februar 2012 für den Beklagten die Erteilung eines Teilerbscheins gemäß § 2353 2. Alt. BGB, durch den bezeugt werden soll, dass der Beklagte zu einem Drittel Anteil Erbe der Erblasserin sei. Die Klägerinnen sind dem Antrag entgegengetreten. Mit der vorliegenden Klage begehren die Klägerinnen die rechtskräftige Feststellung ihres alleinigen Erbrechts unter Ausschluss des Beklagten.
15Die Klägerinnen tragen vor, dass sie in § 2 des notariellen Testamentes unmissverständlich als Erben der Erblasserin eingesetzt worden wären. Für den Beklagten wäre in § 4 des Testaments ein Vermächtnis ausgesetzt worden, welches dieser nicht angenommen habe.
16Die Motivation der Eheleute C1 zur Ergänzung des notariellen Erbvertrages vom 27. November 1969 durch den notariellen Erbvertrag vom 17. Januar 1975 sei nicht die Absicht gewesen, die Erbfolge von Todes wegen zu regeln, sondern vielmehr der folgende Hintergrund: Im August 1972 hätten die Eheleute C1 den Notar I kontaktiert, weil sie eine mehrwöchige Reise nach N geplant hätten. Eine solche Reise wäre für die Eheleute C1, die normalerweise in der Alpenregion Urlaub gemacht hätten, ein Novum gewesen. Insbesondere für die Erblasserin sei die Reise aufgrund der Entfernung und Exotik des Reiseziels sowie des geplanten „Herumreisens“ vor Ort auch nicht risikolos gewesen. Keines der Kinder sei im Sommer 1973 nach damaligem Recht volljährig gewesen. Die Frage „was passiert mit den Kindern im Falle eines Falles?“ habe im Raum gestanden. Darüber hinaus sei die älteste Tochter, die Klägerin zu 1), zu diesem Zeitpunkt nur noch sporadisch zuhause gewesen. An den Wochenenden und in den Ferien sei sie regelmäßig bei ihrem damaligen Freund und jetzigen Ehemann in Bonn gewesen. Darüber hinaus sei sie in den Ferien häufig auf Reisen gewesen. Sie habe sich nicht in der Lage gesehen, im Notfall die Verantwortung für ihre jüngeren Geschwister zu übernehmen, welches sie den Eltern gegenüber auch zum Ausdruck gebracht habe. Die Eltern C1 seien deshalb darauf bedacht gewesen, für den Fall, dass sie beide versterben sollten, bevor auch der Beklagte zu eigenverantwortlichen Handeln in der Lage sein würde, die Sorge für ihre Kinder und die Abwicklung des den Kindern dann zufallenden Nachlasses in vertrauter Hände zu geben. Um dies zu regeln, habe jedoch eine Erbeinsetzung der Kinder nicht vorgenommen werden müssen. Dass die Angelegenheit im Jahr 1973 zunächst nicht weiter verfolgt worden sei, habe daran gelegen, dass der Vater der Parteien erkrankt sei und die geplante Reise nicht stattgefunden habe. Das im Sommer 1973 entwickelte Konzept sei sodann am 17.9.1975 umgesetzt worden, da der Vater der Parteien vor der Vollendung seines 70. Lebensjahres gestanden habe und die Eltern gemeinsame Reisen hätten unternehmen wollen.
17Die Unternehmensnachfolge habe Hand in Hand mit der erbrechtlichen Gestaltung gehen sollen. Mitte der 70er Jahre sei jedoch noch nicht absehbar gewesen, wie die Unternehmensnachfolge in Zukunft habe geregelt werden sollen. Vor diesem Hintergrund habe noch kein Konzept für die Regelung der Erbfolge nach dem Letztversterbenden bestanden. Die Ausgangslage im Jahre 1969 habe sich bis 1975 nicht geändert gehabt.
18Die Eltern der Parteien hätten darüber hinaus dem Zeugen C7, dem Ehemann der Klägerin zu 1), im Jahr 1982, als sich der Zeuge C7 und die Klägerin zu 1) Gedanken über ihre Erbregelung gemacht hätten, gegenüber erklärt, dass sie die Erbfolge nach dem Überlebenden noch nicht geregelt hätten und der Längstlebende dies alles nach billigem Ermessen entscheiden solle.
19Im Zusammenhang mit der Gründung der Kommanditgesellschaft habe die Erblasserin begonnen, sich auch mit dem Thema der erbrechtlichen Vermögensnachfolge zu befassen. An konkreten Entwürfen hierfür, die der Steuerberater N verfasst habe, habe die Erblasserin nach Aktenlage spätestens seit 1999 gearbeitet. Die Entwürfe des Steuerberaters sowie die handschriftlichen Anmerkungen der Erblasserin würden einen differenzierten Umgang der Erblasserin mit dem Thema der Erbfolge dokumentieren. Dies stehe der vom Beklagten propagierten Anordnung einer ungeteilten Erbengemeinschaft diametral entgegen.
20Der Wortlaut der notariellen Urkunde vom 17. Januar 1975 sei eindeutig. Eine Schlusserbeneinsetzung der Parteien des Rechtsstreits enthalte diese nicht. Auf den Umstand, dass die Testierfreiheit des Längstlebenden nicht ausdrücklich vorbehalten sei, könne sich der Beklagte zu seinen Gunsten nicht berufen. Das Fehlen einer ausdrücklichen Regelung in der einen oder anderen Richtung könne allenfalls eine Auslegungsbedürftigkeit der Urkunde indizieren, würde das Ergebnis dieser Auslegung aber nicht präjudizieren. Im Falle notarieller Urkunden sei, wegen der Verpflichtung des Notars nach § 17 BeurkG den Willen der Parteien zu erforschen, der Wortlaut besonders aussagekräftig. Die notarielle Urkunde vom 17. Januar 1975 habe darüber hinaus eine klare Systematik. In Ziffer 1 sei die Erbeinsetzung geregelt, in Ziffer 2 habe jeder Ehegatte für sich als Letztlebenden für seinen Nachlass die Testamentsvollstreckung angeordnet, in Ziffer 3 sei eine Anordnung zur Personen- und Vermögenssorge der Kinder für den Fall des Versterbens beider Eltern getroffen worden, in Ziffer 4 sei die Anordnung des Längstlebenden gemäß den Ziffern 2 und 3 auf den Fall des gemeinsamen Versterbens festgelegt worden. Diese gliederungstechnische Trennung der Regelungsbereiche spreche dafür, dass auch in der Sache eine Differenzierung zwischen Erbeinsetzungen, Testamentsvollstreckung und Vormundschaft gewollt gewesen sei und die Ziffer 2 des Erbvertrages neben der Anordnung der Testamentsvollstreckung keine (weitere) Erbeinsetzung habe enthalten sollen.
21Es sei zwischen einer Erbeinsetzung und einer Testamentsvollstreckung zu unterscheiden. Die Anordnung einer Testamentsvollstreckung für minderjährige gesetzliche Erben enthalte keine gewillkürte Erbfolgeregelung. Solange die Eheleute C1 von ihren (minderjährigen) Kindern gesetzlich beerbt würden, sei es notwendig gewesen, die Anordnung der Testamentsvollstreckung auf diese Situation zu beziehen. Änderte sich jedoch die erbrechtliche Lage, wären die zur Testamentsauslegung getroffenen Anordnungen jederzeit anpassbar gewesen. Sie würden die Nachfolgeregelung nicht präjudizieren.
22Der Notar X habe im Rahmen des Entwurfes des Testamentes vom einen 30. Oktober 2007 den Erbvertrag vom 17. Januar 1975 geprüft und darin keine Hinderungsgründe für das beabsichtigte Testament der Erblasserin gesehen. Hätte er eine Auslegung des Erbvertrages in der Lesart des Beklagten auch nur ansatzweise für möglich gehalten, hätte dieser die Erblasserin darauf hingewiesen. Dies sei jedoch nicht geschehen.
23Schließlich sei die Erblasserin in den Jahren 2007 und 2010 in persönlichen Gesprächen mit dem Prozessbevollmächtigten der Klägerinnen davon ausgegangen, dass sie berechtigt sei, ihren Nachlass, nach dem Tod ihres Mannes, frei regeln zu dürfen.
24Die Klägerinnen beantragen,
25festzustellen, dass die am 3. Dezember 2011 in E verstorbene Frau C, geborene F, zuletzt wohnhaft in E aufgrund letztwilliger Verfügung vom 31. Oktober 2007 (Urkundenrolle-Nr. des Notars X in E) von den Klägerinnen zu je ½ Anteil allein beerbt worden ist.
26Der Beklagte beantragt,
27die Klage abzuweisen.
28Der Beklagte trägt vor, dass er Erbe der Erblasserin zu ein Drittel und somit zu gleichen Teilen wie die beiden Klägerinnen geworden sei. Maßgeblich hierfür seien die Regelungen des Erbvertrages vom 17. Januar 1975, der unter anderem eine mit erbvertraglicher Bindungswirkung getroffene (jedenfalls konkludente) Schlusserbenregelung beinhalte, nach der Erbe des Längstlebenden die drei Kinder der Eheleute C1 zu gleichen Teilen seien. Aufgrund der erbvertraglichen Bindungswirkung sei die Erblasserin gehindert gewesen, durch Einzeltestament eine hiervon abweichende Erbfolgeregelung zu verfügen.
29Entscheidend sei der bei der Beurkundung des Erbvertrages am 17. Januar 1975 geäußerte Erblasserwille, der in der Notarurkunde seinen Niederschlag gefunden habe. Zeitlich spätere Ereignisse und Entwicklungen sowie Willensbekundungen, insbesondere soweit diese erst nach dem Tod des Erstversterbenden durch den Längstlebenden der beiden Erbvertragsparteien geäußert worden seien, würden allenfalls Indizwirkung im Rahmen der Vertragsauslegung entfalten. Ein erst später gebildeter Erblasserwille sei für die Auslegung jedoch unbeachtlich.
30Eine Schlusserbeneinsetzung müsse nicht ausdrücklich geregelt sein. Diese könne vielmehr auch im Wege der Auslegung aus dem im Erbvertrag erklärten gemeinsamen Willen der Eheleute ermittelt werden. Ausreichend deutliche Anhaltspunkte für den übereinstimmenden Willen der Eheleute nach dem Tode des Längstlebenden die gemeinsamen Kinder als Schlusserben einzusetzen ließen sich in den Abschnitten II. bis V. des Erbvertrages vom 17. Januar 1975 in mehrfacher Hinsicht entnehmen. Im Einzelnen:
31Im ersten Absatz von Abschnitt II des Erbvertrages vom 17. Januar 1975 werde zum Ausdruck gebracht, dass, ergänzend zu der schon im Jahre 1969 geregelten gegenseitigen Erbeinsetzung, nunmehr auch Regelungen für den Fall des Todes des Längstlebenden getroffen würden.
32Die Dauer der Testamentsvollstreckung werde auf die Vollendung des 25. Lebensjahres durch den Beklagten befristet.
33Der Testamentsvollstrecker solle bei der Auseinandersetzung des Nachlasses die Wünsche der Kinder und deren Vorstellungen nach Möglichkeit berücksichtigen. Es würde somit allen Kindern ein Mitsprache- und Entscheidungsrecht eingeräumt.
34Das Mitbestimmungsrecht beziehe sich auch auf die Frage der Auseinandersetzung des Nachlasses. Dieses Recht stehe nach § 2042 BGB jedem Miterben zu.
35In Abschnitt V. des Erbvertrages werde Bezug genommen auf Erklärungen mit erbvertraglicher Bindungswirkung. Nach § 2278 Abs. 2 BGB könnten mit vertragsmäßiger Bindungswirkung nur Erbeinsetzungen, Vermächtnisse oder Auflagen getroffen werden. Da Vermächtnis- oder Auflagenverfügungen im Sinne von § 2278 Abs. 2 BGB in den Abschnitten II. bis V. des Erbvertrages vom 17. Januar 1975 nicht enthalten seien und eine anderweitige Erbeinsetzungen nicht stattgefunden habe, könne sich dies nur auf die verfügte Schlusserbeneinsetzung aller Kinder beziehen.
36Aufgrund der notariellen Beratung sei, sofern die Eheleute C1 eine Schlusserbeneinsetzung der Kinder nicht habe regeln wollen, zu erwarten gewesen, dass diese begehrte Nichtregelung ausdrücklich aufgenommen worden wäre.
37Beweggrund zur übereinstimmenden Willensbekundungen zur gleichberechtigten Erbenstellung der Kinder sei das von den Eheleuten empfundene erhöhte Todesfallrisiko und dessen Abdeckung gewesen, welches sich ungeachtet des zwischen den Eheleute bestehenden Altersunterschied sich aus Sicht der Eheleute C1 seinerzeit zeitnah habe realisieren können. Es sei deshalb naheliegend gewesen, dass der Erbvertrag vom 17. Januar 1975, anders als der Erblasser vom 27. November 1969, für den Fall des Todes des Längstlebenden bzw. für den Fall des gleichzeitigen Versterbens eine übereinstimmende Willensbekundung auch zu der Frage beinhalte, wer Erbe des Längstlebenden habe werden sollen.
38Die gesamten im Erbvertrag vom 17. Januar 1975 von den Eheleuten C1 über die gegenseitige Erbeinsetzung hinaus zusätzlich getroffenen Regelungen seien von dem grundlegenden Gedanken getragen, den Nachlass des Längstlebenden bzw. den gemeinsamen Nachlass im Falle des gleichzeitigen Versterbens für die gemeinsamen Kinder als die gleichberechtigten Rechtsnachfolger und damit Schlusserben zu sichern.
39Anlässlich der Beurkundung des Erbvertrages vom 17. Januar 1975 hätten die Eheleute C1 Gespräche mit den im Erbvertrag als Testamentvollstrecker vorgesehenen Eheleuten N1 über die im Erbvertrag vom 17. Januar 1975 zusätzlich getroffenen Regelungen geführt. Eines dieser Gespräche habe wenige Tage vor dem Beurkundungstermin und ein weiteres Gespräch habe wenige Tage nach der Beurkundung vom 17. Januar 1975 stattgefunden. Die Eheleute C1 hätten in diesem Gespräch darauf hingewiesen, dass es ihr übereinstimmender Wille sei, dass der Nachlass jeweils an die gemeinsamen Kinder als ihre Erben habe fallen sollen. Darüber hinaus sei der Zeuge N, als Steuerberater der Eheleute C1, in die Gespräche mit den Eheleuten N1 eng mit eingebunden gewesen. Insbesondere der Vater der Parteien habe großen Wert darauf gelegt, dass die Rechtsnachfolge aller drei Kinder zu gleichen Teilen bereits zu seinen Lebzeiten gesichert und festgeschrieben gewesen sei.
40Der Erblasserin sei darüber hinaus bewusst gewesen, dass in dem Erbvertrag aus dem Jahr 1975 eine mit Bindungswirkung getroffene Schlusserbeneinsetzung vorgelegen habe. Dies folge daraus, dass die von der Klagebegründung in Bezug genommenen Testamentsentwürfe aus dem Jahre 1999 am Ende jeweils die Regelung enthielten: „Hiermit widerrufe ich ausdrücklich meine früheren letztwilligen Verfügungen. Es soll ausschließlich dieses Testament gelten.“ Im Testament vom 31. Oktober 2007 heißt es darüber hinaus in § 1 Abs. 2 wie folgt: „Alle bisher von mir etwa errichteten Verfügungen von Todes wegen hebe ich hiermit vorsorglich auf.“ Auch habe der Notar X vor der Beurkundung des Testaments vom 31. Oktober 2007 tatsächlich keine Kenntnis von der Existenz und dem Inhalt der Erbvertäge aus den Jahren 1969 und 1975 erhalten.
41Dass die Erblasserin ihrerseits davon ausgegangen sei, dass es dem übereinstimmenden Erblasserwillen entsprochen habe, den drei Kindern die Rolle gleichberechtigter Schlusserben zuzuweisen, habe diese gegenüber dem Zeugen P zum Ausdruck gebracht. Diesem gegenüber habe sie zum Ausdruck gebracht, dass sie davon ausgehe, dass Erforderliche bereits in dem Erbvertrag geregelt sei, den sie mit ihrem vorverstorbenen Mann vereinbart habe. Aufgrund dieses Erbvertrages, so die Meinung der Erblasserin, habe alles was sie hinterlassen würde an die gleichberechtigten Kindern fallen sollen.
42Im Übrigen sei die Erblasserin durch die Klägerin zu 1) bei der Errichtung des sie begünstigenden Testamentes unter Druck gesetzt und bedroht worden, weshalb das Testament nichtig oder jedenfalls anfechtbar sei.
43Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und die zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen.
44Das Gericht hat Beweis erhoben durch schriftliche Vernehmung des Zeugen N sowie die Vernehmung der Zeugen C7 und P. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die schriftliche Zeugenaussage des Zeugen N sowie das Protokoll zur mündlichen Verhandlung am 05.08.2014 Bezug genommen.
45Entscheidungsgründe
46Die Klage ist vollumfänglich begründet.
47I.
48Die Klage ist zulässig. Das Feststellungsinteresse folgt daraus, dass der Beklagte das alleinige Erbrecht der Klägerinnen bestreitet.
49II.
50Die beiden Klägerinnen sind Erben der Erblasserin geworden. Dies folgt aus dem notariellem Testament vom 31. Oktober 2007. An der Erbeinsetzung der Klägerinnen war die Erblasserin nicht durch den Erbvertrag vom 17. Januar 1975 gehindert gewesen. Dieser enthält keine Erbeinsetzung mit erbvertraglicher Bindungswirkung.
511.
52Mit notariellem Testament vom 31.Oktober 2007 setzte die Erblasserin die Klägerinnen zu ihren Erben ein, jeden der Klägerinnen zu dem Anteil ½. Der Beklagte seinerseits wurde in diesem Testament in § 4 mit einem Vermächtnis bedacht.
53Die Erblasserin war an der Erbeinsetzung der Klägerinnen nicht nach § 2290 Abs. 1 S. 2 BGB durch den Erbvertrag zwischen ihrem Ehemann und ihr gehindert. Der Erbvertrag vom 17. Januar 1975 enthält insoweit keine Schlusserbeneinsetzung, die die Erblasserin in ihrer Testierfreiheit einzuschränken vermochte.
54a.
55Der Erbvertrag vom 17. Januar 1975 enthält keine ausdrückliche Schlusserbeneinsetzung. Auch ergibt sich eine solche nicht durch Auslegung.
56b.
57Ein Erbvertrag ist der Auslegung grundsätzlich zugänglich. Diese ist nicht durch eine notarielle Beurkundung generell unterbunden, wenngleich diese Formbedürftigkeit nach § 2276 BGB der Auslegung Grenzen setzt. Gegenstand der Vertragsauslegung ist auch, ob eine nicht ausdrücklich bezeichnete Verfügung gleichwohl als vertragsmäßig gewollt anzusehen ist. Insoweit ist der Wille beider Vertragsparteien maßgebend (Palandt-Weidlich, BGB, 72. Aufl., § 1941 Rn. 8).
58aa.
59Eine Auslegung des Erbvertrages setzt voraus, dass der Erklärungstatbestand feststellbar ist, die entsprechende Willenserklärung auslegungsbedürftig und auslegungsfähig ist.
60Gegenstand der Auslegung und somit feststellbarer Erklärungstatbestand ist in erster Linie der Abschnitt unter der Ziffer „II.“ des Erbvertrages vom 17. Januar 1975. Dieser schließt sich an die gegenseitige Erbeinsetzung der Erblasserin und ihres Ehemannes unter Ziffer „I.“ an und enthält Regelungen zur Testamentsvollstreckungen im Falle des Versterbens beider Vertragsparteien. Da die dort angeordnete Testamentsvollstreckung durch die Vertragsparteien unmittelbar mit dem Alter des Beklagten verknüpft worden ist sowie die Anordnung erfolgte, dass der Testamentsvollstrecker bei der Auseinandersetzung des Nachlasses „nach Möglichkeit die Vorstellungen und Wünsche [der] Kinder berücksichtigen“ solle sowie die Erbeinsetzung der Eheleute C1 gegenseitig zum alleinigen und unbeschränkten Erben bereits mit Erbvertrag vom 27. November 1969 erfolgte, bietet die Regelung in Ziffer „II.“ des Erbvertrages vom 17. Januar 1975 Raum für eine Auslegung.
61bb.
62Ausgangspunkt der Auslegung an sich hat grundsätzlich der Wortlaut des Vertrages als solches zu sein, wobei in einem zweiten Schritt aus den Begleitumständen und weiteren Anknüpfungspunkten auf den Willen der beiden Vertragsparteien, vorliegend der Erblasserin und ihrem vorverstorbenen Ehemann, Rückschlüsse zu ziehen sind. Hierbei ist auch die Interessenlage der Parteien des Vertrages in den Blick zu nehmen.
63Dem Wortlaut nach haben die Eheleute C1 in Ziffer „II.“ des Erbvertrages vom 17. Januar 1975 lediglich eine Testamentsvollstreckung angeordnet, wobei zentraler Bestandteil der Testamentsvollstreckung die Verwaltung des Nachlasses sein sollte.
64Durch die Benennung der Kinder und insbesondere des Beklagten könnten die Eheleute C1 die gleichberechtigte Erbenstellung aller drei Kinder zu gleichen Teilen angeordnet haben. Dieser Auslegung vermag die Kammer indes nicht zu folgen.
65Zwar ist dem Beklagten dahingehend zuzustimmen, dass die Eheleute C1 durch die Bestimmung der Testamentsvollstreckung bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres des Beklagten und damit ihres jüngsten Kindes davon ausgegangen sind, dass dieser ihr Erbe sein wird. Im Zusammenhang mit der Bindung des Testamentsvollstreckers an die Wünsche und Vorstellungen aller Kinder legt dies dar, dass die Eheleute C1 sogar von einer Erbenstellung ihrer Kinder zu gleichen Teilen ausgegangen sind. Dies entsprach jedoch der gesetzlichen Erbfolge und hätte vor diesem Hintergrund keiner eigenständigen Anordnung bedurft. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Eheleute C1 bei diesen Anordnungen die gesetzliche Erbfolge zwar vor Augen hatten, jedoch keine Verfügung dahingehend treffen wollten, dass dies auch der gewillkürten Erbfolge entsprechen sollte und der jeweils Längstlebende hieran gebunden sein soll. Hierfür sind die folgenden Begleitumstände und Indizien ausschlaggebend:
66Zunächst ist zu berücksichtigen, dass der Erbvertrag von einem Notar aufgesetzt wurde, weshalb der reine Wortlaut aussagekräftiger ist, als wenn dies von einem juristischen Laien geschehen wäre. Ein Notar hätte, sofern die Eheleute C1 dies gewollt hätten, in Ergänzung zur gegenseitigen Erbeinsetzung ohne größere Herausforderungen eine Schlusserbeneinsetzung ausdrücklich aufnehmen können. Das Fehlen eines klarstellenden Zusatzes, dass eine Schlusserbeneinsetzung nicht gewollt ist und dem Längstlebenden die Testierfreiheit erhalten bleibt, wäre zwar für die Deutlichkeit der Aussage möglich, jedoch keinesfalls zu erwarten gewesen. Es entspricht der Natur der Sache, dass in einem Erbvertrag dasjenige ausdrücklich geregelt werden soll, welches Regelungsgegenstand sein soll und gegebenenfalls von den gesetzlichen Bestimmungen abweicht und dass nicht dasjenige klargestellt werden soll, welches nicht von den Parteien gewollt ist.
67Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Eheleute C1 im Zeitpunkt des Erbvertrages aus dem Jahr 1975 eine größere Auslandsreise vor Augen hatten und sich in diesem Zusammenhang, auch im Hinblick auf das Alter des Vaters der Parteien, mit einem möglichen Versterben einer der Vertragsparteien auseinandersetzten. Vor dem Hintergrund der Minderjährigkeit ihrer Kinder ist es naheliegend, dass sie für das Wohl ihrer Kinder gesorgt wissen wollten. Dies wird insbesondere an Ziffer „III.“ des Erbvertrages aus 1975 erkennbar, in welchem die Eheleute N1 als Vormund der minderjährigen Kinder eingesetzt worden sind. Die Eheleute N1 wurden darüber hinaus mit der Testamentsvollstreckung bedacht. Bereits dies zeigt, dass ein größerer Zusammenhang zwischen Ziffer „II.“ (Anordnung der Testamentsvollstreckung) und Ziffer „III.“ (Anordnung der Vormundschaft) besteht als zwischen Ziffer „II.“ (Anordnung der Testamentsvollstreckung) und Ziffer „I.“ (gegenseitige Erbeinsetzung). Auch wird die Ziffer „II.“ des Erbvertrages mit den Worten „Weiter bestimmen wir heute folgendes“ eingeleitet, welches belegt, dass die gegenseitige Erbeinsetzung in Ziffer „I.“, welche ausdrücklich Bezug nimmt auf den Erbvertrag vom 27. November 1969, durch die Eheleute C1 lediglich deklaratorisch und als eine Art „Einleitung“ aufgefasst worden ist. Dies zugrunde gelegt lässt darauf schließen, dass die Eheleute C1 eine Regelung hinsichtlich der Erbfolge mit dem Erbvertrag vom 17. Januar 1975 nicht treffen wollten, da dies bereits im Jahr 1969 geschehen war. Vielmehr sollte in Ergänzung des Erbvertrages aus 1969, der die Regelung der Erbfolge beinhaltete, mit dem Erbvertrag vom 17. Januar 1975 das weitere Vorgehen bei einem Versterben der Eheleute C1 bei Minderjährigkeit ihrer Kinder gemeinsam bestimmt werden.
68Es ist weiterhin nicht erkennbar, was Anlass für ein Überdenken der Erbfolge in dem Zeitraum von 1969 bis 1975 gewesen sein soll. Weder wurde zwischen 1969 und 1975 ein weiteres Kind der Eheleute C1 geboren, noch hat sich eines der Kinder angesichts des Alters dieser im Hinblick auf die Unternehmensnachfolge profilieren können. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass auch im Jahr 1975 für die Eheleute C1 noch nicht erkennbar war, welches ihrer Kinder gegebenenfalls Interesse an der Unternehmensführung zeigen würde und hierfür auch geeignet sei. Vor diesem Hintergrund ist anzunehmen, dass die Eheleute C1 die Schlusserbenstellung im Jahr 1975 gerade mit Blick auf die Unternehmensnachfolge bewusst offenlassen wollten, um in Zukunft hierauf reagieren zu können, falls einer von ihnen versterben sollte.
69Ebenfalls zu beachten ist, dass die Anordnung der Testamentsvollstreckung bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres des jüngsten Kindes und damit dem Gewinn einer gewissen Verstandesreife für sich genommen Sinn ergibt, ohne dass die konkludente Anordnung einer Schlusserbenstellung erforderlich wäre.
70Letztlich spricht auch die Regelung der Ziffer „V.“ nicht gegen eine fehlende Schlusserbeneinsetzung, da dort lediglich auf Erklärungen abgestellt wird, „soweit sie nicht mit erbvertraglicher Bindungswirkung getroffen“ worden sind. Dies erfordert nicht, dass es entsprechende Erklärungen gegeben hat. Vielmehr stellt sich ein Großteil der Ziffer „V.“ als standardisierte Schlusserklärungen dar, denen nicht zwingend ein besonderer Aussagegehalt zukommt.
71Auch steht dem nicht entgegen, dass der Beklagte anführt, dass durch einen Erbvertrag nach § 2278 Abs. 2 BGB neben Erbeinsetzungen, Vermächtnisse und Auflagen andere Verfügungen nicht getroffen werden können und der Erbvertrag aus 1975 weder Vermächtnisse noch Auflagen enthalte. Hierbei ist jedoch zu beachten, dass die Eheleute C1 eine Verknüpfung zu dem Erbvertrag aus dem Jahr 1969 hergestellt haben, in welchem die Erbeinsetzung geregelt wurden und diese in dem Erbvertrag aus 1975 noch einmal bestätigend aufgegriffen worden ist.
72cc.
73Die nicht getroffene Schlusserbeneinsetzung wurde durch den Zeugen C7 in seiner Aussage bestätigt, dessen Aussage insoweit ergiebig war. Inwieweit es glaubhaft erscheint, dass der Zeuge C7 sich auch nach 30 Jahren noch an Kernpunkte eines Gespräches erinnert, kann indes dahinstehen, da diese Aussage jedenfalls keinen Anlass bietet die dargelegte Auslegung des Erbvertrages in Zweifel zu ziehen.
74Zweifel an der dargelegten Auslegung lässt auch die Aussage des Zeugen P nicht aufkommen. Die Ergiebigkeit der Aussage sei dahingestellt. Der Zeuge P war unglaubwürdig. Die Aussage vermochte die Kammer nicht zu überzeugen. Es ist für die Kammer bereits nicht erkennbar, wie der Zeuge P in dieses Verfahren einbezogen wurde. Der Beklagte hat angegeben, dass der Zeuge P an ihn herangetreten sei, wohingegen der Zeuge angegeben hat, von dem Beklagten angesprochen worden zu sein. Auch habe er zunächst nicht als Zeuge aussagen wollen, wobei nicht ersichtlich ist, warum er nicht habe aussagen wollen und was seinen Sinneswandel zu begründen vermochte. Insoweit wurde durch ihn der Grund auch nicht dargelegt. Weiter ist für die Kammer nicht erkennbar, in welchem Verhältnis der Zeuge zu der Erblasserin gestanden hat. Ein Großteil der Familie kennt den Zeugen nach dem Vortrag der Klägerinnen nicht, welches der Zeuge so auch bestätigt hat. Dennoch gab der Zeuge P an, seit den 90er Jahren bis 2011 und damit insgesamt 20 Jahre für die Erblasserin tätig gewesen zu sein und sich mit dieser auch in ihrer Wohnung getroffen zu haben. Der Zeuge gab insoweit auch an, dass die Erblasserin ihn über ihre persönlichsten und familiären Probleme unterrichtet und in seiner Anwesenheit geweint habe. Dies würde auf eine engere Freundschaft hindeuten. Insoweit ist nicht erkennbar, warum der Zeuge den Beklagten und dessen Familie sowie einen Sohn einer der Klägerinnen kennen will, die übrige Familie indes nicht. Angesichts der behaupteten engen Beziehung wäre zu erwarten gewesen, dass dieser im Laufe von 20 Jahren einen größeren Teil der Familie kennengelernt haben müsste. Auch ist für die Kammer nicht erkennbar, welche Rolle der Zeuge für die Erblasserin gespielt hat. Er selbst gab an, für die Erblasserin Inkassodienste vorgenommen zu haben und säumige Mieter zum Teil – wenn auch nur auf dem Papier – bis nach O verfolgt zu haben. Dies alles sei unentgeltlich geschehen. All dieses ist für die Kammer in der Summe nicht nachvollziehbar und macht den Zeugen P für die Kammer unglaubwürdig.
75b.
76Soweit der Beklagte die Nichtigkeit des Testamentes vom 31. Oktober 2007 wegen einer Drucksituation der Erblasserin und eine mögliche Anfechtung gegenüber dem Nachlassgericht anführt, stützt er sich hierauf ausschließlich unter Bezugnahme auf die Aussage des Zeugen P. Mangels Glaubwürdigkeit des Zeugen P vermag dies die Nichtigkeit des Testamentes nicht zu begründen. Auf die Ausführungen zur Glaubwürdigkeit des Zeugen P wird insoweit Bezug genommen.
77II.
78Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 709 ZPO.
79III.
80Der Streitwert wird auf EUR 20 Mio. festgesetzt.
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