Urteil vom Landgericht Düsseldorf - 14c O 58/15
Tenor
I.
Die Beklagte wird bei Meidung eines Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 €, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten verurteilt, es zu unterlassen, eines oder mehrere der nachstehend abgebildeten Felgendesigns in Deutschland zu benutzen, insbesondere diese anzubieten und/oder anbieten zu lassen und/oder in den Verkehr zu bringen und/oder in den Verkehr bringen zu lassen:
1) „W677 Xenia X3 (Diamond Anthracite)“:
und/oder
2) „W677 Xenia X3 (Hyper Silver)“
und/oder
3) „W679 Daytona M5 19’”
und/oder
4) „W676 Everest“:
und/oder
5) „Basel W675 M (Silver)“
und/oder
6) „W675 Basel M (Matt Gun Metal)“
und/oder
7) „W680 Zeus S3 18’”
II.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtlichen Schaden zu ersetzen, der dieser durch Handlungen gemäß Ziffer I. entstanden ist und/oder noch entstehen wird.
III.
Die Beklagte wird verurteilt, Auskunft zu erteilen und Rechnung zu legen über den Umfang der Verletzungshandlungen gemäß Ziffer I. durch Vorlage eines verbindlich unterzeichneten Verzeichnisses, das Angaben zu enthalten hat über
a)
Liefermengen, Lieferzeiten, Lieferpreise und gewerbliche Abnehmer sowie den erzielten Umsatz;
b)
Angebotsmengen, Angebotszeiten, Angebotspreise und Angebotsempfänger;
c)
die nach den einzelnen Kostenfaktoren aufgeschlüsselten Gestehungskosten und den erzielten Gewinn;
d)
die betriebene Werbung, insbesondere unter Angabe der Werbemedien, der Auflagenhöhe von Werbeprospekten und der für die Werbung aufgewandten Kosten.
IV.
Die Beklagte wird verurteilt, Auskunft zu erteilen über Herkunft und W-X3 der Verletzungsgegenstände gemäß Ziffer I. durch Vorlage eines verbindlich unterzeichneten Verzeichnisses, das Angaben zu enthalten hat über Namen und Anschrift des Herstellers, des Lieferanten und anderer Vorbesitzer der Verletzungsgegenstände gemäß Ziffer I., sowie über die Menge der erhaltenen und bestellten Verletzungsgegenstände gemäß Ziffer I..
V.
Die Beklagte wird verurteilt, im Umfang der vorstehenden Auskunft gemäß Ziffern III. und IV. Belege herauszugeben (insbesondere die jeweiligen Einkaufs- und Verkaufsbelege sowie Rechnungen und Lieferscheine, wobei Angaben über sonstige Ein- und Verkäufe sowie sonstige Preise auf den Belegen geschwärzt werden können).
VI.
Die Beklagte wird verurteilt, die in ihrem Besitz oder Eigentum stehenden Räder gemäß Ziffer I. zur Vernichtung an einen hierzu bereiten Träger hoheitlicher Gewalt herauszugeben.
VII.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
VIII.
Das Urteil ist hinsichtlich des Tenors zu Ziffern I.1) bis I.7) (Unterlassung) jeweils gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 100.000,- €, hinsichtlich des Tenors zu Ziffern III. bis V. (Auskunftserteilung und Rechnungslegung) gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 15.000,- €, hinsichtlich des Tenors zu Ziffer VI. gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 150.000,- € und im Übrigen gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
T a t b e s t a n d
1Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Unterlassung, Schadenersatzfeststellung, Auskunftserteilung und Rechnungslegung sowie Herausgabe zum Zwecke der Vernichtung aus insgesamt fünf eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmustern in Anspruch.
2Die Klägerin ist Automobilherstellerin. Sie ist unter anderem eingetragene Inhaberin der folgenden eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmuster (nachfolgend Klagegeschmacksmuster) betreffend Aluminiumfelgen:
31) Nr. #####/####-0002, am 02.06.2010 angemeldet und eingetragen sowie am 17.01.2011 veröffentlicht, welches eine vom Harmonisierungsamt akzeptierte Priorität zum 10.12.2009 in Anspruch nimmt und von dem nachfolgend die erste Abbildung wiedergegeben ist:
4 52) Nr. #####/####-0001, am 15.09.2010 angemeldet und eingetragen sowie am 02.11.2011 veröffentlicht, welches eine vom Harmonisierungsamt akzeptierte Priorität zum 25.03.2010 in Anspruch nimmt und von dem nachfolgend die erste Abbildung wiedergegeben ist:
6 73) Nr. #####/####-0002, am 19.01.2010 angemeldet und eingetragen sowie am 17.05.2010 veröffentlicht, welches eine vom Harmonisierungsamt akzeptierte Priorität zum 14.08.2009 in Anspruch nimmt und von dem nachfolgend die erste Abbildung wiedergegeben ist:
8 94) Nr. #####/####-0001, am 19.01.2010 angemeldet und eingetragen sowie am 17.05.2010 veröffentlicht, welches eine vom Harmonisierungsamt akzeptierte Priorität zum 14.08.2009 in Anspruch nimmt und von dem nachfolgend die erste Abbildung wiedergegeben ist:
10 115) Nr. #####/####-0009, am 26.10.2010 angemeldet und eingetragen sowie am 06.08.2012 veröffentlicht, welches eine vom Harmonisierungsamt akzeptierte Priorität zum 28.04.2010 in Anspruch nimmt und von dem nachfolgend die erste Abbildung wiedergegeben ist:
12 13Das nach dem Klagegeschmacksmuster 1) gefertigte Felgenmodell vertreibt die Klägerin unter der Bezeichnung „Styling 310 M“. Das nach dem Klagegeschmacksmuster 2) gefertigte Felgenmodell vertreibt die Klägerin unter der Bezeichnung „Styling 343 M“. Das nach dem Klagegeschmacksmuster 3) gefertigte Felgenmodell vertreibt die Klägerin unter der Bezeichnung „Styling 375“. Das nach dem Klagegeschmacksmuster 4) gefertigte Felgenmodell vertreibt die Klägerin unter der Bezeichnung „Styling 359 M“. Das nach dem Klagegeschmacksmuster 5) gefertigte Felgenmodell vertreibt die Klägerin unter der Bezeichnung „Styling 397“.
14Die Beklagte ist eine Felgenherstellerin für Kraftfahrzeuge. Sie produziert und vertreibt auch nach Deutschland insbesondere über ihre Webseite „wspitaly.com“, welche in deutscher Sprache abrufbar ist, unter der Bezeichnung „WSP Italy“ Leichtmetallräder, so auch die Modelle „W677 Xenia X3 (Diamond Anthracite)“, „W677 Xenia X3 (Hyper Silver)“, „W679 Daytona M5 19`“, „W676 Everest“, „Basel W675 M (Silver)“, „W675 Basel M (Matt Gun Metal)“ sowie „W680 Zeus S3 18`“, wie sie sich aus den Abbildungen im Tenor zu Ziffer I. ergeben. Auf den Felgen der Beklagten ist jeweils auf der Rückseite ihre Marke „WSP Italy“ sowie der Hinweis „Not O.E.M.“ aufgebracht.
15Die Beklagte reichte im Januar 2013 beim Tribunale di Napoli eine Klage gegen die Klägerin ein, mit der u.a. die europaweite Feststellung der Nichtverletzung der hiesigen Klagegeschmacksmuster durch ein Handeln der Beklagten begehrt wird (Anlage B1). Die Klageschrift sowie eine lückenhafte Übersetzung derselben ins Deutsche (Anlage K 22) gingen bei der hiesigen Klägerin am 15.02.2013 ein. Die Klägerin verweigerte am 21.02.2013 die Annahme der Klageschrift (Anlage K 23) und sandte die übermittelten Schriftstücke zurück. Zuvor war am 09.07.2012 eine von der Beklagten beim Tribunale die Napoli eingereichte negative Feststellungsklage gegen einen anderen deutschen Automobilhersteller aufgrund Unzuständigkeit des Tribunale die Napoli ohne Entscheidung in der Sache zurückgewiesen worden (Anlage K 25).
16Die Klägerin ist der Ansicht, das Verfahren sei nicht X-X3 der beim Tribunale di Napoli eingereichten negativen Feststellungsklage nach Art. 29 Verordnung (EU) Nr. #####/#### des Europäischen Parlaments und des Rates v. 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO) auszusetzen. Die dortige Klage habe schon keine zeitliche Priorität, da diese bislang nicht wirksam an sie zugestellt worden sei, obwohl der hiesigen Beklagten Umstand und Gründe der Annahmeverweigerung unstreitig bekannt seien. Sie, die Klägerin, sei auch aufgrund der lückenhaften Übersetzung sowie der fehlenden Anlagen berechtigt gewesen, die Annahme der Klageschrift zu verweigern. Weder der innerhalb ihrer Rechtsabteilung für die Bearbeitung der negativen Feststellungsklage zuständige Sachbearbeiter noch sein Vorgesetzer verfügten über Italienischkenntnisse. Hinzu kämen weitere Zustellungsmängel, die auch nach den italienischen Vorschriften die Rechtshängigkeit verhinderten, wie z.B. eine fehlende Datumsangabe und Beglaubigung der Klageschrift. Jedenfalls sei die Berufung der Beklagten auf Art. 29 EuGVVO rechtsmissbräuchlich und damit unbeachtlich. Diesbezüglich führt sie u.a. aus, die Beklagte habe die negative Feststellungsklage erkennbar nur zu dem Zweck eingereicht, weitere Verletzungsklagen der Klägerin zu blockieren. Dem Tribunale di Napoli fehle überdies offensichtlich die internationale Zuständigkeit, was der Beklagten angesichts der vom 09.07.2012 stammenden Entscheidung des Tribunale di Napoli auch bekannt sei.
17Die Klägerin ist weiter der Ansicht, der Vertrieb der in Streit stehenden Felgen der Beklagten stelle eine Verletzung ihrer Klagegeschmacksmuster dar. Dabei verletze der Vertrieb der Felgen „W677 Xenia X3 (Diamond Anthracite)“ und „W677 Xenia X3 (Hyper Silver)“ das Klagegeschmacksmuster 1), der Felge „W679 Daytona M5 19`“ das Klagegeschmacksmuster 2), der Felge „W676 Everest“ das Klagegeschmacksmuster 3), der Felgen „Basel W675 M (Silver)“ und „W675 Basel M (Matt Gun Metal)“ das Klagegeschmacksmuster 4) und der Felge „W680 Zeus S3 18`“ das Klagegeschmacksmuster 5).
18Art. 110 Abs. 1 Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung (GGV) sei im Hinblick auf die Rechtsetzungsgeschichte, das Scheitern der Harmonisierung einer Liberalisierung des Anschlussmarktes für Ersatzteile, die Vorschrift des Art. 26 Abs. 2 TRIPS-Abkommen und die Vorschrift des Art. 17 Abs. 2 Charta der Grundrechte der Europäischen Union eng auszulegen. Felgen seien schon keine Bauelemente eines komplexen Erzeugnisses, sondern etwas Hinzugefügtes. Entsprechend würden sie vom Verkehr, somit auch vom informierten Benutzer, als Zubehör und nicht als Reparatur-Austauschteil verstanden und angesehen. Sie seien – anders als beispielsweise Kotflügel, Motorhauben und Türen, also Karosserieteile, sowie Scheiben und Beleuchtung - optisch selbständig, frei austauschbar und seien deshalb in keiner Weise vom Erscheinungsbild der Fahrzeugkarosserie abhängig. Dem informierten Benutzer sei bewusst, dass es eine breite Palette von verschiedenen Felgenmodellen für das gleiche Fahrzeugmodell gebe und das gleiche Felgenmodell auch auf ganz unterschiedlichen Fahrzeugen – sogar unterschiedlicher Hersteller – verwendet werden könne. Entsprechend seien im Internet Felgen-Konfiguratoren präsent, die dem Kundenwunsch nach Personalisierung des eigenen Fahrzeuges mit einem bestimmten Felgenmodell nachkämen. Felgen seien auch nie wirtschafts- oder verbandspolitisch oder juristisch Thema einer zukünftigen Liberalisierung des Ersatzteilmarkts gewesen.
19Jedenfalls könne sich die Beklagte vorliegend nicht auf Art. 110 GGV berufen, weil sie die von ihr hergestellten Felgen gerade nicht zu Reparaturzwecken veräußere. Die Auswertung zahlreicher Auskünfte von Kunden der Beklagten in der Europäischen Union sowie Testkäufe bei diesen belegten zweifelsfrei, dass die Beklagte nicht nur im vorliegenden Fall, sondern auch generell eindeutig keinen Vertrieb zu Reparaturzwecken verfolge, sondern schlicht Felgen als Zubehör zu Tuningzwecken verkaufe. Hierzu führt sie näher aus. Von Bedeutung sei für die Beklagte im Zusammenhang mit Angebot und Vertrieb ihrer Felgen allein, ob die vom Endkunden gewünschten Felgen in technischer und zulassungsrechtlicher Sicht auf dem Kundenfahrzeug montiert werden könnten. Wie von der Klägerin durchgeführte Testkäufe gezeigt hätten, vertreibe die Beklagte regelmäßig ganze Felgensätze, zudem für Fahrzeugmodelle, für die sie, die Klägerin, ihre Felgenmodelle gar nicht anbiete, und überdies in Größen, in denen sie ihre Felgenmodelle gar nicht vertreibe. Dabei sei der Beklagten im Zeitpunkt der Durchführung der Testkäufe bekannt gewesen, in welchen Größen und für welche Fahrzeuge die Klägerin das jeweils in Rede stehende Modell anbiete und vertreibe. Insoweit verweist sie auf verschiedene Rechtsstreitigkeiten sowie auf ihren eigenen Internetauftritt, dem sich ohne Weiteres unter http://www.bmw.de/de/topics/service-zubehoer/original-bmw-zubehoer-finden-categoryld=ManufacturerAccessoryCategory.html entnehmen lasse, in welcher Größe und für welche Fahrzeuge sie die jeweilige Felge anbiete. Testkäufe hätten zudem gezeigt, dass die Beklagte selbst dann liefere, wenn bei der Bestellung angegeben werde, dass die Felgen nicht zu Reparaturzwecken benötigt würden. Bestätigt werde der Vertrieb der streitgegenständlichen Felgen nicht zu Reparatur- sondern zu Tuningzwecken auch durch den B2B-Bereich der Internetseite der Beklagten, wo die Beklagte für ihre Kunden unstreitig einen Felgenkonfigurator bereithalte. Überdies lobe sie regelmäßig Rabatte für den Kauf von Felgensätzen in hohen, durch vier teilbaren Stückzahlen aus, was die Beklagte nicht bestreitet. Weder auf ihrer Internetseite noch in ihren Katalogen informiere die Beklagte vollumfänglich über einen Reparaturzweck. Die Kunden der Beklagten seien auch keine Reparaturwerkstätten bzw. Händler, die Reparaturwerkstätten belieferten. Beispielsweise habe die Firma D., eine Kundin der Beklagten, zu keinem Zeitpunkt eine Reparaturwerkstatt betrieben und sei auch nicht von der Beklagten angewiesen worden, nur solche zu beliefern. Dies gelte auch für andere Kunden der Beklagten, wie z. B. der Firma L, DESIGN FELGEN, WHEELS RAPID und Böhm Cars OG. Auch durch das angeblich von der Beklagten im August 2013 eingeführte „Formblatt zur Bestätigung der Nutzung als Reparaturteil“ stelle die Beklagte einen Reparaturzweck nicht sicher. Zum einen sei nach dessen Formulierung die Erklärung des Kunden hinsichtlich des Reparaturzwecks stets unverbindlich und ohne Konsequenzen; die Gewährleistung entfalle nicht dann, wenn die betreffenden Replica-Felgen nicht zu Reparaturzwecken benutzt würden, sondern nur im Falle deren Montage und Vertrieb entgegen der Typengenehmigung für das jeweilige Fahrzeug. Überdies werde die Erklärung erst nach Bestellung und Bezahlung der Replica-Felgen zur Unterschrift vorgelegt. Zum anderen behaupte die Beklagte schon selbst nicht, dass das Formblatt auch im Falle des Versands ihrer Felgen an den Endabnehmer durch den Zwischenhändler ausgefüllt werden müsse. Überdies lasse die Beklagte, wie ein Testkauf gezeigt habe, das Formblatt vom Endabnehmer auch dann ausfüllen, wenn ihr selbst positiv bekannt sei, dass kein Reparaturfall vorliegen könne.
20Die Klägerin beantragt,
21zu erkennen, wie geschehen.
22Die Beklagte beantragt,
23die Klage abzuweisen.
24Die Beklagte ist der Ansicht, das vorliegende Verfahren sei auszusetzen. Die negative Feststellungsklage in Italien begründe eine anderweitige Rechtshängigkeit gemäß Art. 29 EuGVVO. Hierzu behauptet sie, die von ihr beim Tribunale di Napoli eingereichte Klage sei der hiesigen Klägerin am 25.01.2013 wirksam zugestellt worden (Anlage B 2) und entsprechend gegenüber der hiesigen Klage prioritär. Bei der Klägerin handele es sich um ein weltweit operierendes Unternehmen, dem es im X2 des Rückgriffs auf im Unternehmen vorhandene Quellen ohne Weiteres möglich sei, den Inhalt der Klage auch ohne Übersetzung in Gänze zu verstehen. Überdies sei die Klage nur in einem minimalen Umfang lückenhaft gewesen und hätte die Klägerin nicht darin gehindert, ihre Rechte in dem Verfahren geltend zu machen. Bei den Anlagen habe es sich um bloße Beweisunterlagen gehandelt, die für das Verständnis und den Grund des Klageantrages nicht unerlässlich gewesen seien. Schließlich aber falle auch die Klärung von Zustellungsfragen in den Zuständigkeitsbereich des Tribunale di Napoli. Die negative Feststellungsklage sei auch nicht rechtsmissbräuchlich erhoben worden, sondern mit dem legitimen Zweck, die für sie bestehende Rechtsunsicherheit einer umfassenden Klärung durch ein Gericht zuzuführen. Zum Zeitpunkt der Klageeinreichung habe sie schließlich von der Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts keine Kenntnis gehabt.
25Jedenfalls sei das hiesige Verfahren nach Art. 30 EuGVVO zur Vermeidung einander widersprechender Entscheidungen auszusetzen.
26Die Klage sei auch unbegründet. Ihr komme die sog. „Reparaturklausel“ in Art. 110 GGV zu Gute, die Herstellung und der Vertrieb der Leichtmetallräder seien somit rechtmäßig. Die von ihr vertriebenen Leichtmetallräder seien Bauelemente des komplexen Erzeugnisses „Kraftfahrzeug“. Sie gehörten anders als beispielsweise Dachboxen, Gepäckkörbe oder Fahrradhalterungen zum ursprünglichen Design des Fahrzeuges und seien daher keine bloßen Zubehörteile. Sie seien vielmehr sowohl aus technischer Sicht als auch unter Design-Aspekten integraler Bestandteil eines Kraftfahrzeuges. Art. 110 GGV müsse im Lichte der Geschmacksmusterrichtlinie (Richtlinie 98/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.10.1998), der Regeln über den freien Warenverkehr (Art. 28-37 AEUV) sowie der Kfz-Gruppenfreistellungsverordnung (Verordnung (EU) Nr. 461/2010 der Kommission vom 27.05.2010, Verordnung (EG) Nr. #####/#### der Kommission vom 31.07.2002) ausgelegt werden, worin zum Ausdruck gebracht werde, dass ein Wettbewerb auf dem Markt für sichtbare Ersatzteile möglich sein solle. Auch die Regelung Nr. 124 UN/ECE der Vereinten Nationen bringe zum Ausdruck, dass der Markt für „Nachrüsträder“ gestärkt werden solle. Überdies hätten verschiedene Gerichte in Italien, namentlich das Berufungsgericht in Neapel (Anlage B 21) und ein Gericht in La Spezia eine weite Auslegung der Reparaturklausel bejaht. Diese Sicht bestätige auch ein Gutachten von Professor B. Stefano Sandri (Anlage B 15), nach dem die Reparaturklausel auf Felgen anwendbar sei, die erwiesenermaßen als Replica-Ersatz für Originalteile der Fahrzeuge dienten, sowie ein weiteres Gutachten von Professor G (Anlage B 16), nach dem Räder in technisch-funktionaler Hinsicht ebenso wie unter ästhetischen Gesichtspunkten einen wesentlichen Bestandteil des Fahrzeuges und nicht bloß Zubehör darstellten. Schließlich impliziere die Entscheidung des EuGH vom 06.10.2015 (Rechtssache C-500/14, Ford Motor Company / Wheeltrims srl), dass Radkappen – und damit auch Felgen - aus der Sicht des EuGH grundsätzlich in den Anwendungsbereich des Art. 110 GGV fallen können. Bei Zweifeln sei die Frage über die entsprechende Anwendung des Art. 110 GGV dem EuGH vorzulegen.
27Ihrer Auffassung nach könne es bei der Frage, ob der Anwendungsbereich des Art. 110 GGV für ein bestimmtes Teil eröffnet sei, allein darauf ankommen, ob das Teil in identischer Form vom Originalhersteller angeboten werde oder nicht. So lasse sich auch begründen, dass unabhängige Felgenhersteller wie RIAL für eigene Felgendesigns Geschmacksmusterschutz genießen könnten, denn bei den Felgen unabhängiger Felgenhersteller handele es sich nie um ein Reparaturteil i.S.d. Art. 110 GGV, das dazu verwendet werden könne, dem Fahrzeug wieder sein ursprüngliches Erscheinungsbild zu verleihen. So liefere die Klägerin unstreitig eigene Fahrzeuge werksmäßig mit eigenen Felgendesigns aus. Das Vorbringen der Klägerin zu den Größen, in welchen sie einzelnde Felgendesigns ausschließlich vertreibe, und zu den Fahrzeugmodellen, für die sie diese ausschließlich anbiete, bestreitet die Beklagte mit Nichtwissen. Sie ist der Ansicht, sie habe sich vielmehr an den in der Schweizer Datenbank für ein bestimmtes Fahrzeugmodell hinterlegten Felgengrößen orientieren dürfen, da die Klägerin nicht bereit gewesen sei, ihr nähere Angaben, unter anderem bezüglich der Größe der Räder mitzuteilen, die die Klägerin bei Erstauslieferung ihrer Fahrzeuge verwende. Ohnehin seien ihrer Ansicht nach all die Felgen als Ersatzteile im Sinne des Art. 110 GGV anzusehen, die ihrer Größe nach den in der Schweizer Datenbank für ein bestimmtes Fahrzeug hinterlegten Größen entsprächen. Denn selbst wenn die Klägerin bislang ein bestimmtes Felgendesign nicht in allen Größen vertreiben sollte, sei zumindest möglich, dass sie diese in Zukunft anbiete.
28Weiter behauptet sie, sie vertreibe die Felgen ausschließlich auf dem sog. Sekundärmarkt, also zum Zwecke des Austauschs einer beschädigten Originalfelge. Zwar prüfe sie nicht nach, ob ein Reparaturfall vorliege. Sie stelle aber insbesondere auf ihrer Internetseite (Anlage B 4), aber auch in ihren Katalogen ausreichend klar, dass es sich lediglich um Ersatzfelgen handele, die dazu bestimmt seien, das Fahrzeug zu reparieren, um dessen ursprüngliches Erscheinungsbild wiederherzustellen. Entsprechend dieser Zweckbestimmung verkaufe sie insbesondere einzelne Felgen, aber auch die Auslieferung ganzer Felgensätze diene der Wiederherstellung des ursprünglichen Erscheinungsbildes des komplexen Erzeugnisses „Kraftfahrzeug“. Überdies vertreibe sie ihre Felgen ausschließlich an Gewerbetreibende mit USt-ID (Händler oder Reparaturwerkstätten) und nie an Endverbraucher. Um sicherzustellen, dass die gewerblichen Abnehmer und die Endkunden, an die sie auf entsprechende Weisung der Abnehmer auch direkt ausliefere, die Felgen tatsächlich nur zu Reparaturzwecken einsetzten, gebe sie bei jedem Verkauf ein „Formblatt zur Bestätigung der Nutzung als Reparaturteil“ heraus und lasse sich hierauf bestätigen, dass der Ersatz nur zu Reparaturzwecken erfolge, anderenfalls die Garantie entfalle (Anlagen B 11 und 13). Hierdurch werde der ausschließliche Verwendungszweck hinreichend gesichert.
29Sie täusche auch nicht über die Herkunft der Felge. Zwar würden die Ersatzfelgen den „Originalfelgen“ nachgebildet, es handele sich aber nicht um Plagiate, sondern um klar als Produkte der Beklagten gekennzeichnete Waren. Die von ihr hergestellten Felgen wiesen alle erforderlichen Genehmigungen auf und erfüllten alle Sicherheitsstandards.
30Schließlich liege in dem Vorgehen der Klägerin der Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung nach Art. 102 AEUV. Denn infolge ihres Monopols und der damit einhergehenden marktbeherrschenden Stellung auf dem Markt für mit Erstausrüsterfelgen kompatiblen Ersatzfelgen könne die Klägerin für die von ihr angebotenen Ersatzfelgen völlig überzogene Preise verlangen, jeweils in dem Wissen, dass der Verbraucher keine Möglichkeit habe, auf Konkurrenzprodukte anderer Anbieter umzusteigen. Demzufolge sei auch das Bundeskartellamt gemäß § 90 Abs. 1 GWB von dieser Rechtsstreitigkeit zu unterrichten.
31X-X3 des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien überreichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die tatsächlichen Feststellungen in den nachfolgenden Entscheidungsgründen Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
32Die Klage ist zulässig und vollumfänglich begründet.
33A.
34Die Klage ist zulässig, insbesondere ist die Kammer zuständig. Das Verfahren ist auch nicht im Hinblick auf das vor dem Tribunale di Napoli geführte negative Fest-stellungsverfahren auszusetzen.
35I.
36Die internationale Zuständigkeit des Landgerichts Düsseldorf und die Reichweite der Zuständigkeit für Verletzungen folgt aus Art. 82 Abs. 5, 83 Abs. 2 GGV, Art. 82 Abs. 5 GGV begründet eine Zuständigkeit der Gerichte des Mitgliedsstaates, in dem eine Verletzungshandlung begangen worden ist oder droht. Dabei ist unter dem Ort der Verletzungshandlung sowohl der Ort des ursächlichen Geschehens (Handlungsort) als auch der Ort, an dem der Handlungserfolg eingetreten ist (Erfolgsort), zu verstehen. Die Beklagte bietet sämtliche streitgegenständlichen Felgen über ihre in Deutschland und in deutscher Sprache abrufbare Internetseite www.wspitaly.com an, so dass die Angebote bestimmungsgemäß in ganz Deutschland, mithin auch in Nordrhein-Westfalen abrufbar sind.
37Die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts ergibt sich aus Art. 80 Abs. 1 GGV i. V. m. § 63 Abs. 1 Designgesetz (DesignG). Die örtliche Zuständigkeit folgt aus § 63 b DesignG, § 32 ZPO. Das Landgericht Düsseldorf ist aufgrund der Verordnung vom 30.08.2011 (GV.NRW S. 468) als Gemeinschaftsgeschmacksmustergericht für alle nordrhein-westfälischen Landgerichtsbezirke ausschließlich zuständig.
38Die Kammer ist schließlich, obwohl nicht mehr mit der Spezialzuständigkeit für Kartellsachen betraut, trotz des von der Beklagten erhobenen Kartelleinwands nach Art. 102 AEUV, funktionell zuständig. Denn ein Nicht-Kartellgericht hat trotz § 87 S. 2 GWB seine Zuständigkeit zu bejahen, wenn es die kartellrechtlichen Fragen ohne Weiteres beantworten kann, beispielsweise weil die kartellrechtlichen Einwendungen eindeutig unbegründet sind oder die Fragen aufgrund höchstrichterlichen Rechtsprechung hinreichend geklärt sind (vgl. Lange/Bunte, Kartellrecht Kommentar Band 1, 12. Aufl. 2014, § 87 GWB Rz. 17 und 19). Beides ist hier der Fall, wie später noch ausgeführt werden wird.
39II.
40Das Verfahren ist nicht nach Art. 29 Abs. 1 EuGVVO im Hinblick auf die seitens der Beklagten beim Tribunale di Napoli eingereichte negative Feststellungsklage der Beklagten auszusetzen.
41Art. 29 Abs. 1 EuGVVO bestimmt, dass, wenn bei Gerichten verschiedener Mitgliedstaaten Klagen X-X3 desselben Anspruchs zwischen denselben Parteien anhängig gemacht werden, das später angerufene Gericht das Verfahren von Amts X-X3 aussetzt, bis die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts feststeht. Dabei ist der Begriff „derselbe Anspruch“ konventionsautonom und nach Auffassung des EuGH (NJW 1989, 665 Rn. 14 ff. – Gubisch Maschinenfabrik; NJW 2005, 1883 Rn. 38 ff. – Tatry) weit auszulegen: dieselben Ansprüche sind dann betroffen, wenn die Klagen auf derselben Grundlage, sprich Sachverhalt und herangezogene Rechtsvorschrift, beruhen und denselben Gegenstand, sprich Zweck der Klage haben (vgl. hierzu auch OLG Hamburg, GRUR 2015, 272 ff.). So greift Art. 29 EuGVVO auch dann ein, wenn – wie hier - eine Partei auf Leistung und die andere auf negative Feststellung (also Nichtbestehen der Leistungspflicht) klagt (vgl. Zöller-Geimer, ZPO, 31, Aufl. 2016, Art. 29 EuGVVO Rn. 23 mwNw.).
42Vorliegend lässt sich zwar feststellen, dass die Parteien der beiden Verfahren dieselben sind und bezogen auf das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland und bezogen auf alle hiesigen Klagegeschmacksmuster dieselben Ansprüche im Sinne von Art. 29 Abs. 1 EuGVVO vorliegen.
43Allerdings ist nach Auffassung der Kammer das Tribunale di Napoli nicht als das zuerst angerufene Gericht anzusehen (nachfolgend unter a)). Jedenfalls erachtet die Kammer im vorliegenden Fall eine Berufung der Beklagten auf Art. 29 Abs. 1 EuGVVO für rechtsmissbräuchlich (nachfolgend unter b)).
44a)
45Im Rahmen von Art. 29 EuGVVO gilt das sog. Prioritätsprinzip: Das spätere Verfahren wird durch das frühere Verfahren blockiert. Maßgebend ist dabei, wann die Klage anhängig gemacht wurde und damit die Rechtshängigkeit im autonomen Sinne des Art. 32 Abs. 1 S. 1 lit. a) EuGVVO eingetreten ist, bei der die Einreichung des bestimmenden Schriftsatzes bei Gericht genügt, wenn der Kläger es in der Folge nicht versäumt hat, die ihm obliegenden Maßnahmen zu treffen, um die Zustellung des Schriftstückes an den Beklagten zu bewirken.
46Die hiesige Klage ist am 09.04.2015 bei Gericht eingegangen. Gleichzeitig zahlte die Klägerin den Gerichtskostenvorschuss und einen Vorschuss für die Übersetzung ein. Nach Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens durch Verfügung vom 27.04.2015 wurde zum Zwecke der Zustellung der Klage die Übersetzung der Klageschrift in Auftrag gegeben. Nach Eingang der Übersetzung wurde unverzüglich die Zustellung der Klage nebst Anlagen inkl. Übersetzungen durch Einschreiben mit Rückschein veranlasst, die sodann am 16.06.2015 erfolgte.
47Da mithin die Klägerin des hiesigen Verfahrens ihrerseits alles getan hat, um die Zustellung an die Beklagte zu bewirken, wirkt der Zeitpunkt der Zustellung der Klage vorliegend auf den Zeitpunkt der Einreichung der Klage am 09.04.2015 zurück.
48Zu diesem Zeitpunkt war die beim Tribunale di Napoli eingereichte negative Feststellungsklage der Beklagten gegen die Klägerin nicht i.S.d. Art. 32 Abs. 1 S. 1 lit. a) EuGVVO anhängig, da die Beklagte es versäumt hat, die ihr obliegenden Maßnahmen zur schnellstmöglichen Zustellung des Schriftstücks an die Klägerin zu bewirken.
49Das erkennende deutsche Gericht hat die Frage, ob die im anderen (ausländischen) Prozess veranlasste Zustellung nach dem maßgeblichen ausländischen Recht wirksam war und deshalb eine zeitlich frühere Rechtshängigkeit begründet hat, selbständig – ohne Bindung an die tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen des ausländischen Gerichts – zu prüfen (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 28.03.2006, 8 U 218/05, juris; Zöller, a.a.O., Rn. 15). Vorliegend kann von einer wirksamen Zustellung der negativen Feststellungsklage an die Klägerin bislang nicht ausgegangen werden.
50Es ist unstreitig, dass die Klägerin die Annahme der bei ihr am 15.02.2013 ohne Anlagen eingegangenen negativen Feststellungsklage gemäß Art. 8 EuZustVO verweigert und die Schriftstücke zurückgesandt hat (Anlage K 23).
51Die Klägerin war auch zur Verweigerung der Annahme gemäß Art. 8 EuZustVO berechtigt. Hiernach darf der Empfänger die Annahme eines zuzustellenden Schriftstücks verweigern, wenn das Schriftstück weder in einer Sprache, die der Empfänger versteht, noch in der Amtssprache des Empfangsstaates abgefasst ist und auch keine entsprechende Übersetzung vorliegt.
52Diese Voraussetzung ist vorliegend deshalb gegeben, weil die Übersetzung der Klageschrift, vorgelegt als Anlage K 22, erkennbar auf ihren Seiten 40 und 48 Lücken, sprich nicht übersetzte Teile beinhaltet.
53Die wenn auch nur in sehr geringem Umfang lückenhafte Übersetzung gab der Klägerin das Recht, die Annahme zu verweigern. Auch wenn streitig sein mag, in welchem Umfang auch Anlagen zum verfahrenseinleitenden Schriftstück übersetzt werden müssen, um ein Annahmeverweigerungsrecht des Empfängers auszuschließen, ist unstreitig, dass jedenfalls das verfahrenseinleitende Schriftstück selbst übersetzt werden muss. Wenn der EuGH (NJW 2008, 1721 – Ingenieurbüro X2) den Begriff des verfahrenseinleitenden Schriftstücks nun dahin auslegt, dass es das Schriftstück oder die Schriftstücke bezeichnet, deren rechtzeitige Zustellung an den Beklagten diesen in die Lage versetzt, seine Rechte in einem gerichtlichen Verfahren des Übermittlungsstaates geltend zu machen, kann hieraus nicht der Schluss gezogen werden, dass auch eine nur teilweise Übersetzung eines einheitlichen Schriftsatzes, hier der Klageschrift, genügt, wenn sich dieser Übersetzung noch mit Bestimmtheit Gegenstand und Grund des Antrags entnehmen lassen. Vielmehr ist jedenfalls hinsichtlich des verfahrenseinleitenden Schriftstückes eine vollständige und lückenlose Übersetzung zu fordern. Eine vollständige Übersetzung gebieten die Rechtssicherheit und Rechtsklarheit. Denn der Empfänger kann gerade nicht beurteilen, sondern nur mutmaßen, wie wichtig die nicht übersetzten Abschnitte der Klageschrift sind.
54Die Annahmeverweigerung der Klägerin war auch nicht unberechtigt, weil sie die italienische Sprache versteht. Die EuZustVO regelt nicht, auf wessen Sprachkenntnisse bei Zustellungen an juristische Personen abzustellen ist. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass es nicht erforderlich ist, dass ein Organmitglied die entsprechende Sprache beherrscht (vgl. OLG Frankfurt, GRUR-RR 2015, 183 f.). Nach Auffassung der Kammer kann es andererseits aber auch nicht ausreichend sein, dass irgendeine Person im Unternehmen, egal welche Aufgaben sie wahrnimmt und welche Stellung sie hat, über die entsprechenden Sprachkenntnisse verfügt. Insoweit schließt sich die Kammer der Auffassung des OLG Frankfurt (a.a.O.) an, dass jedenfalls dann kein Recht zur Annahmeverweigerung besteht, „wenn im Rahmen einer üblichen dezentralen Organisationsstruktur eines Unternehmens die mit der Sache befasste Abteilung über einen entsprechenden Sprachkundigen verfügt, dessen Einschaltung in die Übersetzung des Schriftstücks nach den gesamten Umständen erwartet werden kann“. Die Klägerin hat vorgetragen, weder der innerhalb ihrer Rechtsabteilung für die Bearbeitung der negativen Feststellungsklage zuständige Sachbearbeiter noch sein Vorgesetzter verfügten über Italienischkenntnisse. Dem ist die Beklagte nicht beachtlich entgegen getreten. Soweit sie vorgetragen hat, der Internetauftritt der Klägerin sei auch in italienischer Sprache verfügbar, lässt dies keinen Rückschluss auf die Mitarbeiter der mit der Angelegenheit befassten Abteilung zu. Überdies hat die Klägerin ausgeführt, diese Internetseite werde von ihrer Tochtergesellschaft BMW Italien S.p.A. betrieben und verantwortet.
55Der Fehler der fehlenden Übersetzung kann weiter nur durch Nachreichen einer Übersetzung korrigiert werden, die ebenfalls zugestellt werden muss, Art. 8 Abs. 3 S. 1 EuZustVO, wobei gemäß Art. 8 Abs. 3 S. 2 EuZustVO von einer wirksamen Zustellung ab dem Zeitpunkt ausgegangen werden kann, zu dem auch die fehlende Übersetzung eingegangen ist. Dies ist bislang nicht erfolgt, obwohl die Beklagte schon seit langem von den Gründen der Annahmeverweigerung Kenntnis hat.
56Somit kann von einer wirksamen Zustellung der negativen Feststellungsklage an die Klägerin bislang nicht ausgegangen werden. Da hierzu zumindest auch die Beklagte beigetragen hat, indem sie jedenfalls eine lückenhafte Übersetzung zur Zustellung überreicht hat, kann für die für Art. 29 Abs. 1 EuGVVO entscheidende Frage der Priorität auch nicht auf den Zeitpunkt der Einreichung der negativen Feststellungsklage beim Tribunale di Napoli abgestellt werden.
57b)
58Überdies erachtet die Kammer im vorliegenden Fall eine Berufung der Beklagten auf Art. 29 Abs. 1 EuGVVO als rechtsmissbräuchlich und damit unbeachtlich. Die Kammer verkennt nicht, dass es dem später angerufenen Gericht nach der Systematik der Verordnung grundsätzlich verwehrt ist, die Zuständigkeit des zuerst angerufenen Gerichts zu prüfen (vgl. Musielak, ZPO, 11. Aufl. 2014, Art. 27 VO (EG) 44/2001 Rz. 7), und zudem strenge Anforderungen an den Missbrauchseinwand in Bezug auf Art. 29 EuGVVO gestellt werden (vgl. EuGH, EuZW 2004, 188 – Grasser; BGH, BeckRS 2013, 19171 Rz. 21). Eine Berufung auf Art. 29 Abs. 1 EuGVVO kann nach Auffassung der Kammer aber ausnahmsweise unter dem Gesichtspunkt des Verbots unzulässiger Rechtsausübung dann zu versagen sein, wenn die Erhebung der negativen Feststellungsklage vor einem offensichtlich unzuständigen Gericht eines anderen Mitgliedstaates erfolgte und dies dem Kläger bekannt war. Dieser Fall liegt hier vor.
59aa)
60Die von der Beklagten beim Tribunale di Napoli eingereichte Klage, mit der unionsweit die Feststellung der Nichtverletzung einer Vielzahl von Gemeinschaftsgeschmacksmustern der Klägerin begehrt wird, ist offensichtlich beim unzuständigen Gericht erhoben. Ohne Deutungsmöglichkeit ergibt sich dies zwingend aus dem Gesetz: Die Anwendung von Art. 5 Nummer 3 EuGVVO a.F. (Art. 7 Nr. 2 EuGVVO n. F.) ist nach Art. 79 Abs. 3 lit. a) GGV ausgeschlossen. Art. 82 Abs. 5 GGV ist für negative Feststellungsklagen ebenfalls nicht anwendbar, da diese Vorschrift nicht auf Art. 81 lit. b) GGV verweist. Auch durch eine wie auch immer geartete Verbindung der negativen Feststellungsklage mit weiteren Ansprüchen wird eine Zuständigkeit des Tribunale di Napoli für erstere nicht begründet.
61bb)
62Die fehlende Zuständigkeit war der Beklagten auch positiv bekannt aufgrund einer bereits zuvor beim Tribunale di Napoli eingereichten negativen Feststellungsklage gegen einen anderen deutschen Automobilhersteller, die das Tribunale di Napoli bereits mit Urteil vom 09.07.2012 in der Sache ohne Entscheidung X-X3 Unzuständigkeit zurückgewiesen hatte. Es ist kein Grund ersichtlich und auch nicht dargetan, weshalb die Beklagte berechtigten Anlass zur Annahme haben sollte, das Tribunale di Napoli werden nunmehr anders entscheiden.
63Der Einwand der Beklagten, ihr gehe es darum, sich im Rahmen des prozessual Möglichen und Zulässigen gegen die lawinenartige Inanspruchnahme seitens der Klägerin vor deutschen Gerichten zu wehren, rechtfertigt ihr Vorgehen vor dem Tribunale di Napoli gerade nicht. Der X3 der negativen Feststellungsklage steht ihr durchaus offen, gemäß Art. 82 Abs. 1 GGV indes nur vor einem Gericht am Sitz der hiesigen Klägerin.
64cc)
65Schließlich muss der Grundsatz, dass einem Kläger im Falle des Art. 29 EuGVVO ein Zuwarten auch im Falle der Erhebung einer offensichtlich unzulässigen Klage zumutbar ist, weil sich das Vertrauen unter den Mitgliedsstaaten in die jeweils andere Rechtsordnung im Ausgangspunkt auch darauf bezieht, dass die Frage der Unzuständigkeit vom zuerst angerufenen Gericht, sei es auch nach längerer Zeit, zutreffend erkannt wird, jedenfalls bei Schutzrechten mit kurzer Schutzfrist eingeschränkt werden. Insoweit hat das Landgericht Hamburg in seinem einen Parallelfall betreffenden Urteil vom 18.09.2015 (308 O 143/14, vorgelegt als Anlage K 27) wie folgt ausgeführt (unter A.II.1.c.bb.(3)(c)):
66„Die Gemeinschaftsgeschmacksmusterverordnung i.V.m. Art. 6 EMRK, Art. 47 Abs. 2 EU-Grundrechte-Charta hat das Ziel, den Schutzrechtsinhaber in die Lage zu versetzen, sein Schutzrecht effektiv zu verteidigen. Dieser unionsrechtliche Grundsatz lässt sich auch den Erwägungsgründen der Richtlinie #####/#### zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums entnehmen. Würde Art. 27 EuGVVO (Anmerkung der Kammer: a.F., Art. 29 EuGVVO n.F.) im vorliegenden Fall uneingeschränkte Anwendung finden, so müsste die Klägerin als Schutzrechtsinhaberin eine zeitlich ernst zu nehmende Einschränkung der Rechte aus dem Geschmacksmuster befürchten, die faktisch eine Verkürzung der Schutzrechtsdauer gleichkäme. In der Abwägung dieser materiell-rechtlichen Position der Klägerin mit der – ausschließlich – verfahrensrechtlich geschützten Position der Beklagten ist in diesem Ausnahmefall den Belangen der Klägerin der Vorzug zu geben.“
67Diesen Ausführungen schließt sich die Kammer an. Zwar steht nach Auffassung der Kammer weniger im Raum, dass eine die Zuständigkeit bejahende Entscheidung des Tribunale die Napoli im Inland nicht anerkannt würde. Denn Art. 45 Abs. 3 EuGVVO bestimmt, dass bei der Entscheidung, ob die Anerkennung einer Entscheidung zu versagen ist, grundsätzlich, also mit Ausnahme der ausschließlichen Zuständigkeit gemäß Kapitel II Abschnitte 3 bis 6, die Zuständigkeit des Ursprungsgerichtes nicht nachgeprüft werden darf. Allerdings ist mit einer solchen die Zuständigkeit bejahenden Entscheidung auch nicht ernsthaft zu rechnen, wie der bisherige Verfahrensverlauf in Italien und die als Anlage K 214 vorgelegte Stellungnahme des „PROCURA GENERALE DELLA CORTE DI CASSAZIONE“ vom 04.03.2015 im von der Klägerin eingeleiteten Vorab-Verfahren zur separaten und endgültigen Entscheidung über die Zuständigkeitsfrage zeigen. Der lange Verfahrensverlauf in Italien zeigt indes weiter, dass die Beklagte es durch alleiniges Berufen auf eine ausschließlich verfahrensrechtlich geschützte Position vermag, die Klägerin an der Durchsetzung ihrer berechtigten Ansprüche zu hindern.
68All dies rechtfertigt es im vorliegenden Ausnahmefall, von einer Aussetzung des Verfahrens gemäß Art. 29 Abs. 1 EuGVVO im Hinblick auf die negative Feststellungsklage abzusehen.
69III.
70Schließlich besteht kein Anlass für eine Aussetzung nach Art. 30 Abs. 1 EuGVVO im Hinblick auf die negative Feststellungsklage, da mangels Zuständigkeit des Tribunale di Napoli eine Entscheidung in der Sache im dortigen Verfahren nicht zu erwarten ist und schon deshalb die Gefahr sich widersprechender Urteile, Art. 30 Abs. 3 EuGVVO, nicht besteht.
71B.
72Die Klage ist auch begründet. Der Klägerin stehen die geltend gemachten Ansprüche in vollem Umfang gegen die Beklagte zu.
73I.
74Die Klägerin als Inhaberin der Klagegeschmacksmuster hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Unterlassung in der beantragten Form gemäß Art. 19 Abs. 1, 10 Abs. 1, 89 Abs. 1 lit. a) GGV. Denn die Beklagte benutzt die Klagegeschmacksmuster, an deren Rechtsbeständigkeit kein Zweifel besteht.
751.
76Die Klagegeschmacksmuster stehen in Kraft. Ihre Rechtsgültigkeit wird gemäß Art. 85 Abs. 1 GGV vermutet. Diese Vermutung hat die Beklagte nicht in statthafter Weise durch die Erhebung einer Nichtigkeitswiderklage angegriffen.
772.
78Die im Tenor unter Ziffer 1. abgebildeten, von der Beklagten angebotenen und vertriebenen Felgen rufen denselben Gesamteindruck wie die durch die Klagegeschmacksmuster geschützten Felgen hervor, indem sie deren Merkmale 1:1 übernehmen. Dies stellt auch die Beklagte nicht in Abrede.
793.
80In der Folge steht der Klägerin aus Art. 19 Abs. 1 GGV das Recht zu, der Beklagten die Benutzung der Klagegeschmacksmuster ohne ihre Zustimmung zu verbieten.
81a)
82Die Reichweite des Schutzes des Klagegeschmacksmusters ist nicht durch Art. 110 GGV eingeschränkt. Nach dieser Vorschrift besteht bis zum Inkrafttreten von Änderungen der GGV kein Schutz als Gemeinschaftsgeschmacksmuster für ein Muster, das als Bauelement eines komplexen Erzeugnisses verwendet wird, um die Reparatur dieses komplexen Erzeugnisses zu ermöglichen, damit dessen Erscheinungsbild wieder hergestellt wird. Das Nichtbestehen eines Schutzes bezieht sich dabei nicht auf den Bestand des Gemeinschaftsgeschmacksmusters, sondern nur auf die Verwendung eines Bauteils mit dem Ziel der wiederherstellenden Reparatur (Eichmann/von Falckenstein/Kühne, Designgesetz, 5. Aufl. 2015, § 73 Rz. 2). Dabei begründen die geschmacksmusterrechtlichen Reparaturklauseln ihrer Systematik und ihrem Wortlaut nach eine Einrede des Drittherstellers und nicht etwa ein Benutzungsrecht (Ruhl, Keine geschmacksmusterrechtliche Schutzschranke im Markenrecht, GRUR 2015, 753, 757) Es ist bisher nicht höchstrichterlich entschieden, inwieweit Art. 110 GGV auf Felgen Anwendung findet. Nach ständiger Auffassung der Kammer gebietet eine Auslegung der Vorschrift den Schluss, dass Felgen nicht unter die Privilegierung des Art. 110 GGV, mithin in dessen Anwendungsbereich fallen.
83aa)
84Bei Art. 110 GGV handelt es sich um eine eng auszulegende Übergangs- und Ausnahmevorschrift, die eine entsprechend restriktive Auslegung der Tatbestands-voraussetzungen erfordert.
85Eine restriktive Auslegung gebieten zum einen die Entstehungsgeschichte und Formulierung der Vorschrift. Nachdem die Einführung einer dauerhaften Reparaturklausel im Gesetzgebungsverfahren am politischen Widerstand gescheitert war, wählte man die Form einer Übergangsbestimmung, die bis zur Annahme eines Änderungsvorschlags der Kommission Geltung haben sollte. Die Kommission brachte bereits 2004 einen entsprechenden Vorschlag ein, der über die derzeitige Regelung insoweit hinausging, als zusätzlich eine Informationspflicht gegenüber den Verbrauchern über den Ursprung der Ersatzteile vorgesehen war. Dieser Vorschlag wurde indes bislang nicht umgesetzt, im Gegenteil jetzt zurückgezogen (Amtsblatt der Europäischen Union vom 21.05.2014, 2014/C 153/03), so dass die „Übergangsvorschrift“ entgegen der ursprünglichen Intention immer noch in Kraft ist (vgl. Ruhl, Gemeinschaftsgeschmacksmuster, 2. Aufl. 2010, Art. 110 Rz. 3; LG Stuttgart, Urteil vom 15.10.2013, 17 O #####/####, S. 11, vorgelegt als Anlage K 32 Nr. 8).
86Darüber hinaus ist eine restriktive Auslegung aufgrund des Ausnahmecharakters der Vorschrift geboten. Seiner Natur nach erstreckt sich der Geschmacksmusterschutz grundsätzlich auch auf die Verwendung als sichtbares Ersatzteil (Ruhl, a.a.O., Art. 10 Rz. 9); nur innere, nicht sichtbare Teile eines komplexen Erzeugnisses erfüllen bereits nicht die Schutzvoraussetzungen des Art. 4 Abs. 2 GGV, sind also von vornherein vom Geschmacksmusterschutz ausgenommen. Auch in der Rechtsprechung des EuGH ist anerkannt, dass der Schutz zur Verwendung als Ersatzteil zum spezifischen Gegenstand eines Geschmacksmusterrechts gehört (EuGH, Rs. C-144/81 – Keurkoop gg. Nancy Kean Gifts, Slg. 1982, 2853; eingehend Straus, Ende des Geschmacksmusterschutzes für Ersatzteile in Europa? Vorgeschlagene Änderungen der EU Richtlinie: Das Mandat der Kommission und seine zweifelhafte Ausführung, GRUR Int 2005, 965, 968 f.). Der BGH erkennt ebenfalls in ständiger Rechtsprechung die grundsätzliche Schutzfähigkeit von äußeren Ersatzteilen an (BGH GRUR 1987, 518 f. – Kotflügel, zum alten deutschen Geschmacksmusterrecht).
87Gilt demnach der Geschmacksmusterschutz grundsätzlich auch für Ersatzteile, stellt eine Abweichung hiervon eine Ausnahme und zugleich einen entschädigungslosen Eingriff in die Rechte des Schutzinhabers dar. Insoweit bedarf es einer besonderen Begründung der Rechteeinschränkung, die eine möglichst zurückhaltende Anwendung der Vorschrift verlangt (vgl. LG Stuttgart, a.a.O., S. 12).
88Eine restriktive Auslegung des Art. 110 GGV im Sinne einer Ausnahmevorschrift gebieten auch Art. 25 und 26 TRIPS. Nach Art. 25 Abs. 1 S. 1 TRIPS sehen die Mitgliedsstaaten den „Schutz unabhängig geschaffener gewerblicher Muster und Modelle, die neu sind oder Eigenart haben“ vor. Eine Ausnahme ist nach Art. 25 Abs. 1 S. 3 TRIPS nur zulässig, wenn die fragliche Gestaltungsform „im Wesentlichen aufgrund technischer und funktionaler Überlegungen“ vorgegeben ist. Darunter fallen jedoch nicht die außen liegenden Teile, da deren Gestaltung in aller Regel und auch hier nicht im Einzelnen von ihrer Funktion diktiert wird. Für diese können allenfalls nach Art. 26 Abs. 2 TRIPS die „Mitglieder begrenzte Ausnahmen vom Schutz gewerblicher Muster und Modelle vorsehen, sofern solche Ausnahmen nicht unangemessen im Widerspruch zur normalen Verwertung geschützter gewerblicher Muster oder Modelle stehen“ und „die berechtigten Interessen des Inhabers des geschützten Musters oder Modells nicht unangemessen beeinträchtigen“, „wobei auch die berechtigten Interessen Dritter zu berücksichtigen sind“.
89bb)
90Zweck des Art. 110 GGV ist die Liberalisierung des Handels mit Ersatzteilen (vgl. hierzu allg. Drexl, Hilty, Kur, Designschutz für Ersatzteile – Der Kommissionsvorschlag zur Einführung einer Reparaturklausel, GRUR Int 2005, 449 ff.). Die Schutzausnahme wird damit begründet, dass anderenfalls kein Preiswettbewerb stattfände, sondern der Schutzinhaber ungebührlich hohe Preise verlangen könnte (vgl. Ruhl, a.a.O., Art. 110 Rz. 12). Selbst wenn eine solch wirtschaftspolitisch motivierte Schutzeinschränkung im Grundsatz zu billigen ist, ist stets im Einzelfall zu prüfen, ob sich aus der konkreten Schutzeinschränkung überhaupt gesamtwirtschaftlich nachweisbar ein erheblicher Nutzen ergeben kann. Denn die Begründung der überdies entschädigungslos hinzunehmenden Schutzeinschränkung trägt nur, wenn sich die Preise gerade einer Zwangssituation verdanken, nicht aber, soweit schutzrechtsgeschützte Waren ohnehin teurer sind als andere. Dies wird man, und entsprechend eng ist demnach auch die Vorschrift des Art. 110 GGV auszulegen, nur hinsichtlich solcher Ersatzteile annehmen können, deren originalgetreues Erscheinungsbild zur Reparatur objektiv notwendig („must match“) ist. Denn nur dann ist eine Monopolisierung des Sekundärmarktes für Reparaturen und Wartung, sprich ein Produktmonopol überhaupt denkbar. Für Teile, die über eine eigenständige und unabhängige Stilfunktion verfügen, die das Ergebnis einer Wahl des Designs darstellt und die vom Design des übrigen Erzeugnisses unbeeinträchtigt bleibt, stellt sich die Frage und Notwendigkeit der Öffnung des Sekundärmarktes gar nicht. Denn die Verhinderung eines bloßen Formenmonopols ist nicht beabsichtigt.
91Im vorliegenden Fall fehlt es an der objektiven Notwendigkeit, das ursprüngliche Erscheinungsbild wiederherzustellen. Felgen sind nicht Teile des Fahrzeuges, die dergestalt das Fahrzeug in seiner äußeren Form kennzeichnen, dass die Notwendigkeit eines originalgetreuen Ersatzes besteht.
92Anders als bei Motorhauben, Kotflügeln oder Autoteilen, sprich Karosserieteilen, die unmittelbar die Fahrzeugsilhouette bestimmen und bei deren Austausch das Design des komplexen Erzeugnisses „Kraftfahrzeug“ insgesamt verändert wird, hat der Austausch der Felgen keinen für den Verbraucher maßgeblichen Einfluss auf das Karosseriedesign. Baute man etwa an ein Fahrzeug der Marke Porsche die Kotflügel eines solchen der Marke Ferrari an, veränderte sich das Gesamtprodukt dergestalt, dass das ursprüngliche Erscheinungsbild verloren ginge. Der Einbau eines Kotflügels, einer Motorhaube oder eines sonstigen Karosserieteils mit einem veränderten Design ist erkennbar unsinnig und wird nicht nachgefragt werden. Ist eine Marktfähigkeit eines im Design abweichenden Ersatzteils aber zu bejahen, dann fehlt es an der objektiven Notwendigkeit der Wiederherstellung des ursprünglichen Erscheinungsbildes. So liegt es bei Felgen. Die Felge ist zwar ein technisch unverzichtbares, im Gesamterscheinungsbild des Kraftfahrzeuges aber eigenständiges Gestaltungsmerkmal (vgl. auch Ruhl, Keine geschmacksmusterrechtliche Schutzschranke im Markenrecht, GRUR 2015, 753, 754). Ihr Design ist unstreitig schon bei Ersterwerb des Fahrzeuges frei wählbar. Unstreitig ist auch, dass ein bedeutender Markt für Zubehörfelgen existiert, der von namhaften Unternehmen wie Borbet, Aluett, Rondell und Wheelworld bedient wird, und zahllose Formen von Leichtmetallrädern unabhängig von der jeweiligen Karosserieform des Fahrzeugs und für alle gängigen Automobilmarken angeboten werden. Im Schadensfall muss die Felge daher zwar zwingend ersetzt werden, nicht aber zwingend durch dasselbe Felgendesign.
93cc)
94Soweit die Beklagte meint, Felgen müssten als typische Ersatzteile im Interesse der Liberalisierung des Handels mit Ersatzteilen unter Art. 110 GGV fallen, und sich insoweit auf die Kfz-Gruppenfreistellungsverordnung beruft, vermag dem die Kammer nicht zu folgen. Die Kfz-Gruppenfreistellungsverordnung betrifft einen anderen, eigenständigen Regelungszusammenhang. Eine Übertragung dortiger Begrifflichkeiten bzw. Auslegungsergebnisse auf Art. 110 GGV scheidet deshalb aus (LG Hamburg, Urteil vom 18.09.2015, 308 O 143/14, S. 17, vorgelegt als Anlage K 27; OLG Stuttgart, Urteil vom 11.09.2014, 2 U 46/14, S. 26, vorgelegt als Anlage K 32 Nr. 4).
95Aus der Erteilung von Typengenehmigungen für ihre Felgen kann die Beklagte auch nichts für sie Günstiges herleiten. Die Genehmigung für ein Nachrüstrad wird entsprechend Ziffer 4.1 der Regelung Nr. 124 der Wirtschaftskommission der Vereinten Nationen für Europa (UN/ECE) erteilt, wenn das zur Genehmigung vorgeführte Rad „den Vorschriften entspricht“. Diese werden in Ziffer 6 der Regelung genannt, sind technischer Natur und dienen der Sicherheit. Demgegenüber hat die Regelung nicht zum Gegenstand, dass ein Nachrüstrad folgenlos von einem Schutzrecht, insbesondere einem solchen, das sich auf die Erscheinungsform bezieht, Gebrauch machen darf (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 24.03.2015, I-20 U 267/12, S. 8 f.).
96dd)
97Zu einer abweichenden Auslegung sieht sich die Kammer schließlich auch nicht durch die Entscheidung des EuGH vom 06.10.2015 (Rechtssache C-500/14; Ford Motor Company/Wheeltrims srl) veranlasst. Gegenstand des dortigen Verfahrens war die Frage, ob die Reparaturklausel des Art. 110 GGV bzw. Art. 14 der Richtlinie 98/71/EG als Schutzschranke markenrechtlicher Ansprüche in Frage kommt. Auch wenn die von dem Tribunale Ordinario de Turino gestellten Vorfragen streng genommen nicht zulässig, da nicht entscheidungserheblich waren (vgl. Ruhl, Keine geschmacksmusterrechtliche Schutzschranke im Markenrecht, GRUR 2015, 753, S. 754 unter Ziffer 2.), ist der EuGH auf den Einwand, Art. 110 GGV sei schon aus anderen Gründen gar nicht anwendbar, nicht eingegangen. Er hat sich allein mit der Frage der grundsätzlichen Anwendbarkeit der Reparaturklauseln im Markenrecht beschäftigt. Soweit er darauf hingewiesen hat, dass die Vorschriften des Designrechts einen Hersteller „von Kraftfahrzeugersatzteilen und –zubehör“ wie Radkappen“ nicht dazu berechtigen, die Marke in rechtsverletzender Weise zu verwenden, und mit dieser Formulierung die Begriffe „Ersatzteile“ und „Zubehör“ ohne weitere Differenzierung verwendet hat, rechtfertigt dies nicht den Schluss, dass der EuGH eine solche Differenzierung im Kontext von Art. 110 GGV für unangebracht hielte. Insoweit folgt die Kammer der Auffassung von Kur (GRUR 2016, 20 ff.), dass eine solche Interpretation zu weit ginge, da es auf diese Frage in dem zur Entscheidung stehenden Verfahren nicht ankam.
98ee)
99Auf Art. 110 GGV kann sich die Beklagte darüber hinaus auch deshalb nicht berufen, da sie ihre Felgen nicht mit dem Ziel anbietet und vertreibt, um die Reparatur eines komplexen Erzeugnisses zu ermöglichen. Nach dem Wortlaut des Art. 110 GGV ist der Nachweis der Absicht zur Benutzung als Reparaturaustauschteil durch den Ersatzteilhersteller zu führen. Dabei kann der Ersatzteilhersteller eine derartige Absicht nur beweisen, indem er darlegt, wie er sicherstellen kann, dass das von ihm gelieferte Teil nur als Reparaturaustauschteil verwendet wird (vgl. Ruhl, a.a.O., Art. 110 Rz. 30).
100Zum einen hat die Beklagte selbst eingeräumt, dass sie nicht nachprüft, ob jede bei ihr bestellte Felge eine baugleiche beschädigte Originalfelge ersetzt. Der bloße Hinweis der Beklagten in ihrem Internetauftritt, dass es sich um „nachgebaute Nachrüsträder“ oder „ähnlich gebaute Nachrüsträder“ handele, „die vollkommen kompatibel mit einem bestimmten Fahrzeug sind, für das sie ausschließlich bestimmt sind, um es zu reparieren, um so sein ursprüngliches Erscheinungsbild wieder herzustellen“ (Anlage B 4, Übersetzung Bl. 77 GA), vermag indes nicht sicherzustellen, dass sich der Besteller an diese Vorgaben auch hält (so auch OLG Stuttgart, a.a.O., S. 24). Auch das von der Beklagten angeführte „Formular für die Aktivierung des Versandes von Rädern an Dritte“ (Anlage B 13) ist untauglich, die Verwendung als Reparaturaustauschteil sicherzustellen. Denn entgegen der Behauptung der Beklagten ist eine seitens des Erwerbers der Felgen fälschlicherweise abgegebene Bestätigung an keine Konsequenzen geknüpft. So entfällt ausweislich des Wortlauts der Bestätigung die Garantie nicht bereits dann, wenn die betreffenden Felgen nicht zu Reparaturzwecken benutzt werden, sondern nur im Falle deren Montage und Betrieb entgegen der Typengenehmigung des jeweiligen Fahrzeuges.
101Zum anderen vertreibt die Beklagte ihre Felgen in Größen (Durchmessern/Einpresstiefen), in denen die Klägerin ihre Felgen gar nicht anbietet. Die Klägerin hat im Einzelnen dargelegt, in welchen Größen sie die hier in Streit stehenden Felgen ausschließlich vertreibt und dass die von der Beklagten vertriebenen Felgen hiervon abweichen. Soweit die Beklagte mit Nichtwissen bestritten hat, dass zu den von ihr vertriebenen Größen keine baugleichen Originalfelgen existieren, ist dies nicht gemäß § 138 Abs. 4 ZPO zulässig. Denn die Beklagte hat sich mit dem Einwand, dem Internetauftritt der Klägerin lasse sich ohne Weiteres entnehmen, in welcher Größe und für welche Fahrzeuge die Klägerin die jeweilige Felge anbiete, überhaupt nicht auseinandergesetzt. Auch der Verweis der Beklagten auf die bei der Datenbank der Schweizer Eidgenossenschaft hinterlegten Daten verfängt nicht. Die Klägerin hat insoweit nachvollziehbar ausgeführt, dass dieser Datenbank lediglich entnommen werden kann, welche Felgengrößen für ein bestimmtes Fahrzeug technisch erlaubt sind, diese aber weder Angaben dazu enthält, in welcher Größe die Klägerin tatsächlich für das Fahrzeugmodell eine Felge vertreibt, noch welches Design die Felge hat. Dem ist die Beklagte nicht in beachtlicher Weise entgegen getreten.
102b)
103Die Geltendmachung der Verletzung des Klagegeschmacksmusters stellt erkennbar auch keinen Verstoß gegen Art. 102 AEUV dar, so dass auch eine Benachrichtigung des Bundeskartellamtes gemäß § 90 Abs. 1 GWB nicht angezeigt war.
104Der EuGH vertritt in ständiger Rechtsprechung die Auffassung, dass der bloße Erwerb eines von der Rechtsordnung gewährten ausschließlichen Rechts, dessen Substanz in der Befugnis besteht, die Herstellung und den Verkauf der geschützten Erzeugnisse durch unbefugte Dritte zu untersagen, grundsätzlich nicht als ein missbräuchliches Mittel zur Ausschaltung des Wettbewerbs angesehen werden kann, selbst wenn sie von einem Unternehmen in einer beherrschenden Stellung ausgehen sollte (vgl. EuGH, GRUR Int. 1990, 141 – Volvo; GRUR Int. 1995, 490 – Magill). Die Ausübung des ausschließlichen Rechts durch den Inhaber kann hiernach vielmehr nur unter außergewöhnlichen Umständen ein missbräuchliches Verhalten des Rechtsinhabers darstellen (vgl. EuGH a.a.O.). So kommt eine solche Schutzeinschränkung nach Auffassung des EuGH etwa dann in Betracht, wenn der Rechteinhaber willkürlich die Belieferung bestimmter Werkstätten verweigert, unangemessene Ersatzteilpreise verlangt oder die Lieferung von Ersatzteilen einstellt, obwohl die entsprechenden Fahrzeuge noch im Gebrauch sind (vgl. EuGH, GRUR Int. 1990, 140 – CICRA/Régie Renault). Weiter können außergewöhnliche Umstände dann gegeben sein, wenn die Inanspruchnahme des eingeräumten Immaterialgüterrechts ohne rechtfertigenden Grund in einer Weise ausgeübt wird, der jeglichen Wettbewerb ausschließt und die Einführung neuer Produkte verhindert (vgl. EuGH, GRUR 2004, 524 – IMS/Health).
105Dass solche außergewöhnlichen Umstände im Streitfall gegeben sind, ist weder dargetan noch ersichtlich. Das konkrete Design ist unstreitig nicht ausschließlich technisch bedingt. Der Beklagten bleibt es damit unbenommen, qualitativ gleichwertige aber optisch abweichende Ersatzteile zu fertigen und hiermit in Wettbewerb zur Klägerin auf dem Ersatzteilmarkt zu treten. Die Klägerin vermag mit der Berufung auf ihre Klagegeschmacksmuster daher nicht jeglichen Wettbewerb auszuschließen. Zwar beansprucht sie Schutz für bestimmte Felgengestaltungen und schließt damit für konkret diese Felgenmodelle einen Wettbewerb aus. Dies ist aber das Charakteristikum des Geschmacksmusterrechts. Die Klägerin missbraucht die ihr von Gesetzes X-X3 eingeräumte Monopolstellung aber nicht, wenn sie dem Verbraucher zumutet, ein von ihr stammendes Kraftfahrzeugradset durch ein bei ihr nachgekauftes Rad zu ergänzen oder ein komplett neues Radset von einem anderen Hersteller zu erwerben (vgl. insoweit auch OLG Düsseldorf, Urteil vom 24.03.2015, I-20 U 267/12, S. 12 f.). Dies ist hinzunehmen und bei vielen Produkten der Fall, von denen der Verbraucher eine größere Anzahl besitzt (wie z. B. Gläser, Besteck, Stühle u.v.m.).
1064.
107Die Androhung des Ordnungsmittels beruht auf Art. 88 Abs. 2 GGV i.V.m. § 890 ZPO.
108II.
109Die Beklagte ist überdies gemäß Art. 19 Abs. 1, 88 Abs. 2 GGV i.V.m. §§ 38, 42 Abs. 2 DesignG dem Grunde nach zum Schadenersatz verpflichtet. Die Beklagte handelte jedenfalls unter Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt und damit fahrlässig, § 276 BGB. Sie kannte die Klagegeschmackmuster und hat diese bewusst für ihre Felgendesigns übernommen. Ein etwaiger Rechtsirrtum über die Reichweite des Geschmacksmusterschutzes bei Felgen entlastet sie nicht (vgl. insoweit auch LG Stuttgart, Urteil vom 15.10.2013, 17 O #####/####, S.17). An der Feststellung der Schadenersatzpflicht hat die Klägerin ein rechtliches Interesse im Sinne des § 256 ZPO, da sie Art und Umfang der rechtsverletzenden Handlungen bisher nicht kennt.
110III.
111Der Auskunfts- und Rechnungslegungs- und Belegherausgabeanspruch der Klägerin (Ziffern III. bis V. des Tenors) folgt aus Art. 19 Abs. 1, 88 Abs. 2 GGV i.V.m. § 46 Abs. 1 und 3 DesignG und §§ 242, 259 BGB. Die Klägerin ist auf die Auskünfte angewiesen, um ihren Schadensersatzanspruch ermitteln und weitere Verletzungen ihrer Geschmacksmuster verhindern zu können.
112IV.
113Der Herausgabeanspruch zum Zwecke der Vernichtung (Ziffer VI. des Tenors) ist begründet aus Art. 19 Abs. 1, 89 Abs. 1 lit. d) GGV i.V.m. § 43 Abs. 1 DesignG.
114C.
115Schließlich sah die Kammer keinen Anlass, im Streitfall die Sache auszusetzen und ein Vorabentscheidungsersuchen an den EuGH zu richten. Die Kammer ist zunächst als erstinstanzliches Gericht nicht zu einer Vorlage verpflichtet, Art. 267 AEUV. Sie hält überdies eine Vorlage nicht für erforderlich, da die Auslegung des Art. 110 GGV nicht derart zweifelhaft ist, dass eine Vorlage geboten erscheint. Im Gegenteil ist aufgrund der angeführten Argumente und der Übereinstimmung mit einer Vielzahl nationaler und internationaler Gerichtsentscheidungen ohne Weiteres davon auszugehen, dass Leichtmetallfelgen nicht der Ausnahmevorschrift des Art. 110 GGV unterfallen.
116D.
117Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 709 S. 1 ZPO.
118Streitwert: insgesamt 750.000,- €
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