Urteil vom Landgericht Düsseldorf - 34 O 12/16
Tenor
Der Antrag vom 22.02.2016 auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des einstweiligen Verfügungsverfahrens trägt die Antragstellerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Streitwert: 30.000,-- €
1
Tatbestand
3Beide Parteien stellen her und vertreiben computergesteuerte Dokumentations- und Messsysteme für die suchtmedizinische Substitutionstherapie, namentlich Methadon. Die Parteien sind die Hauptwettbewerber auf dem deutschen Markt. Soweit den Parteien bekannt, gibt es in Europa einen weiteren Hersteller in Italien und einen Hersteller in Großbritannien. In Deutschland werden die Geräte von Apotheken, Kliniken, Gesundheitsämtern oder den Justizvollzugsanstalten gekauft, bedient werden die Geräte jeweils von einem Arzt.
4Die Antragstellerin entwickelte, stellt her und vertreibt das Gerät A Professional“ für die Vergabe von Methadon. Damit kann der Arzt individuell für einen Suchtpatienten dessen Dosis an Methadon in einen Becher abfüllen und dem Patienten zur oralen Einnahme in die Hand geben. Die exakt verabreichte Dosis wird gleichzeitig im IT-System dokumentiert. Weltweit installierte die Antragstellerin dieses Dosiersystem mehr als 300 Mal, davon im deutschsprachigen Raum 250 Mal.
5Bis zum Jahre 2013 behandelte die Antragstellerin ihr Gerät „A Professional“ als Medizinprodukt. Die B Medizinprodukte GmbH als Benannte Stelle gemäß der Richtlinie 93/42/EWG hatte der Antragstellerin am 27.12.2012 bescheinigt, dass sie ein Qualitätssicherungssystem für die Herstellung und Endprüfung eingeführt und den Nachweis erbracht hat, dass dieses Qualitätssicherungssystem die Forderungen gemäß Anhang V der Richtlinie 93/42/EWG des Rates über Medizinprodukte erfüllt, und zwar hinsichtlich des Medizinprodukts „EDV-basiertes Medizinprodukt A und A Compact“.
6Da die Antragstellerin das Gerät „A“ auch aus der Schweiz heraus international vermarktete und die Schweizer Behörden das Gerät nicht als Medizinprodukt einordneten, beantragte die Antragstellerin im Jahre 2013 die Einordnung für den deutschen Markt beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte. Mit Bescheid vom 08.11.2013 stellte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte auf Antrag der Antragstellerin fest, „dass es sich bei dem Produkt „A professional“ nicht um ein Medizinprodukt handelt. Zur Begründung verwies das BfArM darauf, dass
7„Dosierhilfen, wie Messbecher, Messlöffel aber auch Spacer oder andere Applikationshilfen, die unmittelbar vor Verbrauch des Arzneimittels durch den Patienten angewendet werden, als Medizinprodukte einzustufen sind. Das hier zu bewertende Produkt „A professional“ ist mit pharmazeutischen Compoundersystemen zu vergleichen. Diese Geräte dienen der patientengenauen Herstellung von Infusionsbeuteln bei der parenteralen Ernährung oder in der Onkologie. Auch die Dosierhilfe für die Substitutionstherapie wird im Vorfeld durch den Apotheker und nicht unmittelbar durch den Patienten verwendet und bietet eine Hilfestellung bei der Arzneimittelherstellung.“
8Die Antragsgegnerin bietet ebenfalls ein computergestütztes Medikamenten-Dosiersystem in der Drogensubstitution unter der Bezeichnung B an. Die Antragsgegnerin behandelt ihr Gerät als Medizinprodukt. Der TÜV SÜD stellte am 02.09.2013 ein „EG Zertifikat, Qualitätssicherungssystem Produkt, Richtlinie 93/42/EEC über Medizinprodukte (MDD), Anhang VI, (Produkte in Klasse I mit Messfunktion)“ für das Produkt Arzneimittel Dosiersystem MEDIDOS / PRO aus. Dieses ist gültig bis zum 29.08.2018.
9Am 21.01.2016 bewarb die Antragsgegnerin ihr Produkt B in der Apotheke Außer der C OGH in Bremen. Dabei erklärte der Geschäftsführer der Antragsgegnerin, Herr Andreas D, dass es sich bei B um ein Medizinprodukt handelt. Auch in einer Webebroschüre bewirbt die Antragsgegnerin das B-Gerät als „zertifiziertes Medizinprodukt“. Auf der Web-Seite der Antragsgegnerin wird das Gerät mit der Nummer „E“ beworben.
10Die Antragstellerin mahnte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 12.02.2016 ab.
11Die Antragstellerin vertritt die Auffassung, dass es sich bei dem Gerät der Antragsgegnerin mit der Bezeichnung B nicht um ein Medizinprodukt im Sinne von § 3 Nr. 1 Medizinproduktegesetz handele. Das Gerät ermögliche einen Schritt bei der Herstellung eines Arzneimittels im Sinne von § 4 Abs. 14 Arzneimittelgesetz, denn es fülle das Arzneimittel aus einer großen Menge in eine zu verabreichende Einzeldosis ab – Portionierung im Sinne der Arzneimittelherstellung. Sein bestimmungsgemäßer Einsatz erfolge nicht im oder am Menschen im Sinne von § 3 Nr. 1 Medizinproduktegesetz.
12Wenn die Antragsgegnerin das Gerat als „zertifiziertes Medizinprodukt“ bezeichne, täusche sie den angesprochenen Rechtsverkehr darüber, dass es sich um ein Medizinprodukt im Sinne von § 3 Nr. 1 Medizinproduktegesetz handele und es damit hochwertiger sei als das Dosiersystem der Antragsgegnerin. Ein Produkt könne nicht „als Medizinprodukt zertifiziert“ werden; vielmehr müsse der Hersteller es richtig oder falsch als Medizinprodukt kategorisieren.
13Die Antragsgegnerin täusche den Rechtsverkehr mit der Bezeichnung „zertifiziertes Medizinprodukt“ auch dann, wenn das Dosiergerät tatsächlich ein Medizinprodukt sei. Denn dann würde sie unzulässig mit einer Selbstverständlichkeit werben.
14Die Antragsgegnerin verschaffe sich auch einen spürbaren Vorteil gemäß § 3a UWG iVm § 27 Abs. 2 MPG durch den Rechtsbruch.
15Die Antragstellerin beantragt,
16der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Verfügung bei Meidung von Ordnungsgeld bis zu 250.000,00 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an ihrem Geschäftsführer, für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu untersagen,
17das von der Antragsgegnerin angebotene und vertriebene computergestützte Medikamenten-Dosiersystem E als zertifiziertes Medizinprodukt zu bewerben und/oder bewerben zu lassen.
18Die Antragsgegnerin beantragt,
19den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.
20Die Antragsgegnerin vertritt die Auffassung, dass sie mit der Angabe „zertifiziertes Medizinprodukt“ nicht irreführend werbe. Zum einen liege tatsächlich eine Zertifizierung des TÜV SÜD vor. Zum anderen handele es sich um ein Medizinprodukt im Sinne des Medizinproduktegesetzes, weil das Gerät nicht die Arznei, die Methadonflüssigkeit, herstelle, sondern lediglich dosiere. Das Produkt selbst werde aus der Apotheke angeliefert und dann so wie angeliefert dosiert dem Patienten ausgehändigt.
21Die Angabe „zertifiziertes Medizinprodukt“ täusche den angesprochenen Verkehrskreis der gut informierten Abnehmer nicht, sondern weise ihn auf die Sicherheit und Verkehrsfähigkeit des Produkts hin.
22Wegen des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten und zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.
23Entscheidungsgründe
24Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist zurückzuweisen, weil die Antragstellerin einen Verfügungsanspruch nicht glaubhaft gemacht hat.
25I.
26Die Antragstellerin hat einen Unterlassungsanspruch nach §§ 12 Abs. 1 Satz 1, 8 Abs. 1 und 3, 5 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 UWG gegenüber der Antragsgegnerin wegen Täuschung über wesentliche Merkmale des Geräts B nicht glaubhaft gemacht im Sinne von §§ 936, 920 Abs. 2 ZPO.
27Die Antragstellerin hat im Sinne einer Glaubhaftmachung weder ausreichend dargelegt, dass es sich bei dem Gerät B nicht um ein Medizinprodukt im Sinne von § 3 MPG handelt noch dass der angesprochene Verkehrskreis durch die Werbung mit der Aussage „zertifiziertes Medizinprodukt“ über eine Selbstverständlichkeit getäuscht wird.
28Glaubhaft gemacht im Sinne von §§ 936, 920 Abs. 2 ZPO ist eine Tatsache, wenn eine überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass sie zutrifft. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn bei der erforderlichen umfassenden Würdigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalles mehr für das Vorliegen der in Rede stehenden Behauptung spricht als dagegen. Eine fehlerhafte, in einem etwa nachfolgenden Hauptsacheverfahren zu revidierende Entscheidung darf nicht ernstlich erwartet werden.
291.
30In diesem Sinne hat die Antragstellerin, worauf sie in der mündlichen Verhandlung ausdrücklich hingewiesen worden ist, nicht glaubhaft gemacht, dass es sich bei dem Gerät B objektiv nicht um ein Medizinprodukt handelt.
31a)
32Die unstreitige Tatsache, dass das Gerät der Antragstellerin A Professional zunächst im Jahre 2012/13 in der Schweiz und anschließend vom Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte mit Bescheid vom 08.11.2013 nicht als Medizinprodukt eingeordnet worden ist, macht nicht glaubhaft, dass auch das Produkt B der Antragsgegnerin kein Medizinprodukt ist.
33Denn der Bescheid des Bundesamtes trifft eine Aussage nur zu dem Gerät B Professional der Antragstellerin; der Bescheid trifft keine Aussage zum Gerät der Antragsgegnerin.
34b)
35Der Bescheid des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte macht nach der Überzeugung des Gerichts auch nicht glaubhaft, dass generell Dosiergeräte für Methadon, die dem Gerät A Professional der Antragstellerin oder dem Gerät B der Antragsgegnerin entsprechen, nicht Medizinprodukte im Sinne des Medzinproduktegesetzes sind. Der Bescheid ist zwar bestandskräftig, beruht aber auch im Hinblick auf das Gerät der Antragstellerin nicht auf einer umfassenden Recherche, sondern nimmt vielmehr Bezug auf die Schweizer Behörden, die zuvor das Gerät der Antragstellerin nicht als Medizinprodukt eingeordnet hatten. Die Begründung, wonach „auch die Dosierhilfe für die Substitutionstherapie (wird) im Vorfeld durch den Apotheker und nicht unmittelbar durch den Patienten verwendet (wird) und (bietet) eine Hilfestellung bei der Arzneimittelherstellung“ bietet, entspricht nach dem übereinstimmenden Vortrag beider Parteien in der mündlichen Verhandlung am 09.03.2016 nicht der tatsächlichen Funktionsweise des Geräts. Damit ist diese Begründung aus Sicht der Kammer nicht mehr haltbar. Tatsächlich erwirbt der Apotheker – oder eine JVA oder eine Stadt - das Gerät, stellt es dann jedoch dem Arzt (dauerhaft) zur Verfügung. Nur der Arzt verwendet das Gerät. Er bestückt es mit der Methadonlösung, die er von der Apotheke erhält. An der Lösung wird nichts verändert, sondern die Menge der Lösung wird entsprechend den Bedürfnissen des Patienten individuell dosiert. Aus Sicht der Kammer könnte der Patient das Gerät auch selbst bedienen, wenn es sich nicht gerade um den Drogenersatz Methadon handeln würde. Der Arzt wird nur zwischen das Gerät und den Patienten geschaltet, um einen Missbrauch zu vermeiden.
362.
37Die Antragstellerin hat auch nicht glaubhaft gemacht, dass der angesprochene Rechtsverkehr durch die Werbeaussage „zertifiziertes Medizinprodukt“ getäuscht wird, weil mit einer Selbstverständlichkeit geworben wird.
38Bei dem angesprochenen Verkehrskreis der Käufer, also der Apotheker, Justizvollzugsanstalten und Gesundheitsämter ebenso wie bei den anwendenden Ärzten ist davon auszugehen, dass sie die Grundbegriffe des Medizinproduktegesetzes kennen und wissen, dass ein Produkt nicht „als Medizinprodukt zertifiziert“ wird, sondern der Hersteller das Produkt als Medizinprodukt kategorisiert. Handelt es sich nach der Auffassung des Herstellers um ein Medizinprodukt, darf es nach § 6 Abs. 1 MPG nur in den Verkehr gebracht werden, wenn es mit einer CE-Kennzeichnung versehen ist. Von dieser Regelung gibt es aber auch wieder komplizierte Ausnahmen, etwa in § 10 Abs. 2 MPG. Damit ist weder die CE-Kennzeichnung noch das Zertifikat einer CE-Kennzeichnung eine Selbstverständlichkeit. Vielmehr entspricht es der Rechtssicherheit, wenn ein „EG-Zertifikat“ einer zuständigen Stelle vorliegt, wie dies objektiv für das Produkt der Antragsgegnerin B/Pro vom TÜV Süd am 02.09.2013 erteilt wurde. Mit dieser wahren Aussage darf die Antragsgegnerin dann auch werben, ohne den angesprochenen Verkehrskreis der Fachleute zu täuschen.
39II.
40Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf § 708 Nr. 6 ZPO.
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Referenzen
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