Urteil vom Landgericht Essen - 1 S 207/02
Tenor
hat die 1. Zivilkammer des Landgerichts Essen
auf die mündliche Verhandlung vom 26. März 2003
durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht T und die Richterinnen am Landgericht Dr. E. und X.
für R e c h t erkannt:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 18.11.2002 verkündete Urteil des Amtsgerichts Essen (13 C 334/02) wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
1
Gründe
2I.
3Die klagende Krankenversicherung begehrt von dem Beklagten Altenpflegeheim- Kostenerstattung für Leistungen in Höhe von insgesamt 4.644,46 EURO, die sie für ihr Mitglied T. geboren am 20.05.1909, im Zusammenhang mit einem Sturz im Speisesaal der Beklagten vom 12.4.2001 erbrachte. Frau T. litt an seniler Demenz, sowie arteriellen und vaskulären Durchblutungsstörungen. Sie war in Pflegestufe II eingestuft. Am 12.4.2001 saß sie im Speisesaal angegurtet auf einem Rollstuhl, löste irgendwann den Gurt, stand auf und kam neben dem Rollstuhl zu Fall. Zu diesem Zeitpunkt war die Pflegekraft, die normalerweise die Aufsicht im Speisesaal führt, in ein Nachbarzimmer zu einem Notfall abberufen worden.
4Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen: Weder unter dem Gesichtspunkt der positiven Vertragsverletzung noch nach Deliktsrecht bestünde hier ein gemäß § 116 I SGB X auf die Klägerin übergegangener Schadensersatzanspruch der Frau T. Mit der Berufung macht die Klägerin geltend, dass das amtsgerichtliche Urteil in sich widersprüchlich und nicht überzeugend sei.
5Hinsichtlich des Tatbestandes im Übrigen wird auf das Urteil des Amtsgerichts
6Bezug genommen.
7II.
8Die zulässige Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Zu Recht hat das Amtsgericht in dem sorgfältig begründeten, mit der Berufung angegriffenen Urteil eine Haftung der Beklagten im vorliegenden Fall aus den genannten, allein in Betracht zu ziehenden Anspruchsgrundlagen versagt. Das Urteil ist nicht in sich widersprüchlich. Soweit das Amtsgericht zunächst allgemein feststellte, dass sich nicht zwingend allein aus der Pflegestufe der seitens des Heimes zu gewährleistende Betreuungsumfang festlegen läßt, bezog sich diese Festlegung noch nicht konkret auf den vorliegenden Fall. Vielmehr wollte das Amtsgericht damit klarstellen, dass es allein aufgrund der bei Frau T. vorliegenden Pflegestufe II nicht das Ausmaß der ihr geschuldeten Betreuung festlegen wollte. Vielmehr hat es sich im folgenden konkret und differenziert mit den Umständen, warum Frau T. sich in die Obhut der Beklagten begeben hat, einerseits ihre Altersdemenz, andererseits die bei ihr bestehende Sturzgefahr im Stehen auseinandergesetzt und festgestellt, dass die Vorkehrungen, die seitens der Beklagten für diese zwei Risiken getroffen wurden, ausreichend waren.
9So waren die Durchblutungsstörungen nur dann gefährlich für die Betroffene, wenn sie stand und ging; dem habe die Beklagte dadurch Rechnung getragen, dass Frau T. für diesen Fall ein Rollator zur Verfügung stand und dass sie auf ihren Wegen begleitet wurde. Beim Gehen ist sie ja auch nicht zu Fall gekommen, sondern bei einem nicht vorgesehenen Stehen. Wegen der Sturzgefahr war sie im Speisesaal nicht ständig zu beaufsichtigen und auch nicht so auf ihrem Stuhl festzuschnallen, dass ihr ein Öffnen des Gurtes unmöglich gewesen wäre.
10Auch die Demenz von Frau T. für sich genommen rechtfertigte vor dem Schadensfall eine solch einschneidende Maßnahme nicht. Der einfache, von dem "'Angeschnallten zu öffnende Gurt wurde laut Auskunft der Beklagtenvertreterin im Kammertermin vom 26. 3. 2003 nur deshalb verwendet, weil sie unruhig saß und dies im Speisesaal störte. Anlass für eine Fixierung, das Anschnallen mit einem Gurt, den der Betroffene selbst nicht öffnen kann, welches einer vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung bedurft hätte, gab es bis zu dem Vorfall nicht. Denn es ist nicht bekannt, dass sie je vorher die Tendenz gezeigt hätte, eigenständig den Gurt zu öffnen und aufzustehen. Entsprechendes wurde von der Klägerin nicht schlüssig vorgetragen.
11Für eine Umkehr der Beweislast gibt der vorliegende Fall nichts her. Denn anders als in den Fällen, in denen eine solche Umkehr angenommen wurde, handelt es sich hier gerade nicht um ein von der Beklagten beherrschbares Geschehen. Der Unfall ereignete sich weder bei einer konkreten Pflegeleistung noch in einem voll von der Beklagten beherrschbaren Gefahrenbereich.
12Soweit sich die Klägerin mit der Berufung noch einmal ausdrücklich auf die Entscheidung des OLG Frankfurt vom 12.4.2002 -10 U 247/01-bezieht, übersieht sie, dass die dortige Betroffene nicht nur in Pflegestufe III eingeordnet war, sondern auch eine entsprechend intensive Betreuung erforderte. Sie war schwerst pflegebedürftig, das heißt, ihr Hilfebedarf war so groß, dass jederzeit eine Pflegeperson unmittelbar erreichbar sein musste, weil konkreter Hilfebedarf jederzeit Tag und Nacht anfallen konnte (S. 3 des Urteils). Dieser extreme Pflegebedarf bestand bei Frau T. gerade nicht. Es war vertretbar, sie angeschnallt auf dem Rollstuhl beim Essen sitzen zu lassen. Damit befand sie sich aber auch in einem nicht vollständig beherrschbaren Bereich.
13Eine schuldhafte für den Schaden kausale Pflichtverletzung der Beklagten kann
14nicht darin gesehen werden, dass die für den Speisesaal vorgesehene Aufsicht für einen Notfall in einem Nachbarzimmer abberufen war. Selbst wenn sie im Speisesaal gewesen wäre, hätte sie nicht mit 100%iger Sicherheit ausschließen können, dass sich der Vorfall ereignet hätte. Es ist nicht zwingend, dass diese Pflegeperson rechtzeitig gesehen hätte, dass Frau T. sich abschnallte - dieser Vorgang kann ganz schnell gegangen sein -, ebenso wenig ist sicher, ob sie hätte rechtzeitig eingreifen können.
15Darüber hinaus ist die vertragliche Nebenpflicht, dafür zu sorgen, dass kein Heimbewohner zu Schaden kommt, begrenzt auf die in Pflegeheimen üblichen Maßnahmen, die mit einem vernünftigen finanziellen und personellen Aufwand realisierbar sind (OLG Hamm FamRZ 1993, 1490 (1492), LG Essen VersR 2000,893). Unter diesem Gesichtspunkt ist der Beklagten nichts vorzuwerfen.
16Nach allem ist die Berufung mit der Kostenfolge des § 97 ZPO zurückzuweisen, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 713, 708 Nr. 10 ZPO analog.
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