Urteil vom Landgericht Essen - 10 S 240/07
Tenor
hat die 10. Zivilkammer des Landgerichts Essen
auf die mündliche Verhandlung vom 29.11.2007
durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht Dr. N.
die Richterin am Landgericht S. und
den Richter am Landgericht St.
für R e c h t erkannt:
Die Berufung der Klägerin gegen das am 01.06.2007 verkündete Urteil des Amtsge-richts Essen-Borbeck (23 C 33/07) wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird zugelassen.
1
Tatbestand
2Die Klägerin bezieht von der Beklagten Strom. Mit Rechnung vom 28.3.2006 hat die Beklagte den Zeitraum vom 7.1.2004 bis 27.3.2006 abgerechnet. Die Klägerin ist nicht bereit, die auf die Zeit vom 7.1.2004 – 6.1.2005 in Höhe von 450,50 € entfallende Nachforderung zu bezahlen. Sie hat eine negative Feststellungsklage erhoben, welche für erledigt erklärt worden ist, nachdem die Beklagte im Wege der Widerklage die mit Rechnung vom 28.3.2006 in Höhe von 1.288,26 € insgesamt berechnete Forderung geltend gemacht hat. Die Klägerin hat den auf die Zeit vom 7.1.2005 – 27.3.2006 in Höhe von 837,76 € entfallenden Verbrauch anerkannt.
3Wegen des Tatbestands im übrigen wird auf die Feststellungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen, § 540 ZPO.
4Das Amtsgericht hat der Widerklage durch Teilanerkenntnis- und Schlussurteil stattgegeben. Zur Begründung ist darauf abgestellt worden, dass entgegen der Ansicht der Klägerin die Ausschlussfrist des § 556 III Satz 3 BGB nicht entsprechend anwendbar sei. Die Berufung ist zugelassen worden.
5Die Klägerin hat Berufung eingelegt, mit welcher sie sich gegen die Bewertung des Amtsgerichts wendet.
6Die Klägerin beantragt, auf ihre Berufung das Urteil des Amtsgerichts Essen – Borbeck vom 1.6.2007 – AZ: 23 C 33/07 – abzuändern und wie folgt neu zu fassen:
7Die Klägerin wird verurteilt, an die Beklagte 837,76 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 2.4.2007 zu zahlen.
8Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
9Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
10Entscheidungsgründe
11Die gem. § 511 II Nr. 2 ZPO statthafte, weil vom Amtsgericht zugelassene Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das Amtsgericht hat der Klage zu Recht auch insoweit stattgegeben, als die Klägerin die Forderung der Beklagten aus der Abrechung vom 28.3.2006 nicht anerkannt hat. Die Klägerin schuldet den Ausgleich des von der Beklagten für die Zeit vom 7.1.2004 bis 6.1.2005 in Höhe von 450,50 € berechneten Entgelts für in Anspruch genommene Stromlieferungen.
12Es bestehen schon Bedenken daran, ob die Beklagte den während des hier in Rede stehenden Zeitraum veranlassten Verbrauch verspätet im Sinne des § 24 AVBeltV bzw. § 12 der Verordnung zum Erlass von Regelungen für die Grundversorgung von Haushaltskunden und die Ersatzversorgung im Energiebereich vom 26.10.2006 abgerechnet hat. Beide, gleichlautende Vorschriften regeln keine zwingende Frist, sondern bestimmen, dass der Verbrauch wahlweise monatlich oder in anderen Zeitabschnitten abzurechnen ist, die jedoch zwölf Monate nicht wesentlich überschreiten dürfen. Vorliegend ist die Verbrauchsperiode 7.1.2004 – 6.1.2005 am 28.3.2006 und damit 1 Jahr und etwa 2 1/ 2 Monate nach deren Ende berechnet worden.
13Selbst wenn dies als Verstoß gegen vorgenannte Vorschriften zu werten wäre, hätte das keinen Anspruchsverlust zu Lasten der Beklagten zur Folge. Entgegen der von der Klägerin vertretenen Ansicht findet § 556 III Satz 3 BGB keine analoge Anwendung auf vorliegende Fallgestaltung.
14§ 556 III Satz 3 BGB, welcher eine Ausschlussfrist für Nachzahlungsansprüche des Vermieters regelt, ist in Anlehnung an § 20 III Satz 4 NMV neu durch die Mietrechtsreform geschaffen worden. Nach ihrer systematischen Stellung im Regelungszusammenhang gilt die Vorschrift für Wohnraummietverhältnisse, einschließlich der in § 549 II und III BGB aufgeführten Mietverhältnisse. Zweck der Norm ist, dem Mieter Sicherheit über den Verbleib seiner Vorauszahlungen zu geben und Streit über lange zurückliegende Abrechnungszeiträume zu vermeiden ( Staudinger § 556 BGB Rdn. 106; Beck- online, Kommentar zum BGB § 556 BGB Rdn. 3 ). Anknüpfungspunkt für die Regelung ist, dass es den Parteien eines Mietvertrags frei steht, abweichend von
15§ 535 I Satz 3 BGB zu vereinbaren, dass die auf der Mietsache ruhenden Lasten – hierzu zählen im Rahmen von Wohnraummietverträgen die Betriebskosten - nicht vom Vermieter, sondern vom Mieter zu tragen sind. Ohne eine solche Abrede verbleibt es bei der Grundregel des § 535 I Satz 3 BGB, wonach der Vermieter von Wohnraum die Betriebskosten zu tragen hat ( Staudinger § 535 BG Rdn. 63 ).
16§ 556 III Satz 3 BGB stellt unter Berücksichtigung seiner historischen Entwicklung und seiner systematischen Stellung im Regelungszusammenhang eine für das Wohnraummietrecht geltende Ausnahmevorschrift dar.
17Zwar ist mittlerweile wohl anerkannt, dass auch Ausnahmevorschriften analogiefähig sind und damit auf solche Fälle anzuwenden sind, die zwar in der Ausnahmeregelung nicht scharf angesprochen sind, für die aber bei sinngemäßer Wertung der der Ausnahmeregelung zugrunde liegenden gesetzgeberischen Gedanken die Anwendung der Ausnahmeregelung erforderlich ist ( MüKo Einleitung Band 1, Rdn. 112 ff mwN ).
18Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Es besteht schon Streit darüber, ob
19§ 556 III Satz 3 BGB auf gewerbliche Mietverhältnisse anzuwenden ist, denen sicherlich vergleichbare Sachverhalte zugrunde liegen ( Staudinger § 556 BGB Rdn. 8 mwN – auch das OLG Düsseldorf – Urteil vom 27.4.2006 – AZ: 10 U 169/05 - lehnt dies ab, weil der Gesetzgeber die allein für das Wohnraumietrecht konzipierte Regelung bewusst nicht in den Verweisungskanaon des § 578 BGB aufgenommen hat - ).
20Vorliegend kommt hinzu, dass der hier zu entscheidende Sachverhalt nicht demjenigen, welcher einem Wohnraumietvertrag üblicherweise zugrunde liegt, so sehr gleicht, dass es geboten erscheint, die durch § 556 III Satz 3 BGB getroffene Wertung heranzuziehen.
21Aufgrund des zwischen den Parteien bestehenden Stromlieferungsvertrags ist die Klägerin verpflichtet, den von ihr veranlassten Stromverbrauch zu bezahlen, wobei der zu berechnende Verbrauch durch eine ihr jederzeit zugängliche Messvorrichtung festgehalten wird.
22Das ermöglicht dem Kunden eines Stromlieferanten während der laufenden Abrechnungsperiode eine gewisse Kontrolle dahin, ob die erbrachten Vorauszahlungen zur Abdeckung des bezogenen Verbrauchs ausreichen.
23Die Verhältnisse, welche üblicherweise im Rahmen eines Wohnraummietverhältnisses herrschen, weichen davon ab. Die von einem Mieter einheitlich erbrachte Vorauszahlung wird im Regelfall nicht nur auf eine Nebenkostenart, sondern auf eine Vielzahl von unterschiedlichen Positionen im voraus geleistet. Anders als im hier zu entscheidenden Fall erlangt ein Mieter während einer laufenden Abrechnungsperiode keine einigermaßen gesicherte Erkenntnisse darüber, welcher Verbrauch bzw. Anteil an nicht verbrauchsabhängigen Nebenkosten in etwa ihm zuzuordnen ist. Dazu bedarf es der vom Vermieter zu erstellenden Abrechnung, mittels der ihm von dritter Seite berechnete Kosten offengelegt werden.
24Nimmt man hinzu, dass ein Vermieter im Regelfall den ihm von anderer Seite in Rechnung gestellten Verbrauch auf mehrere Mieter umzulegen hat, ist damit anders als hier bei länger zurückliegender Abrechnungsperiode die Gefahr von Unstimmigkeiten verbunden.
25Ließe man vorliegend eine analoge Anwendung des § 556 III Satz 3 BGB zu, wäre in Konsequenz dessen die so geregelte Ausschlussfrist stets dann heranzuziehen, wenn ein Gläubiger aus welchem Rechtsgrund auch immer erlangte Vorauszahlungen nicht binnen Jahresfrist abrechnet.
26Dem Zivilrecht ist aber eine generelle Ausschlussfrist bei nicht zeitnaher Abrechnung fremd. Der Schuldner ist nicht schutzlos. Er kann zum einen, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, die Einrede der Verjährung erheben bzw. den Einwand der Verwirkung geltend machen.
27Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97, 708 Nr. 10 ZPO.
28Die Kammer hat die Revision zugelassen. Die Klärung der Rechtsfrage, ob die durch
29§ 556 III Satz 3 ZPO geregelte Ausschlussfrist analoge Anwendung auf Verbrauchsabrechnungen findet, die von Versorgungsunternehmen erstellt werden, ist sowohl von grundsätzlicher Bedeutung, als sie auch der Fortbildung des Rechts dient, § 543 II ZPO.
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