Urteil vom Landgericht Frankenthal (Pfalz) (5. Zivilkammer) - 5 O 27/01
Tenor
1. Das Versäumnisurteil vom 23. Januar 2002 bleibt aufrechterhalten.
2. Der Kläger hat auch die weiteren Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist zu vorstehender Ziffer 2. vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit leistet.
Tatbestand
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Der Kläger macht gegen die beklagte Verbandsgemeinde nachbarrechtliche Ausgleichsansprüche geltend.
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Der Kläger ist - in Eigentümergemeinschaft mit seinem Bruder - Miteigentümer des mit 2 Wohnhäusern bebauten Eckgrundstücks Straße (Ecke Straße) in Ort. Das 1956 errichtete, gemäß der Teilungserklärung dem Sondereigentum des Klägers zugeordnete, im Aufteilungsplan mit Nr. I bezeichnete Gebäude (Altbau) weist umfangreiche, zum Teil bis zu 5 bis 8 cm starke Risse in allen Wänden und in der Decke auf, die auf Setzungen der südöstlichen Gebäudeecke um mindestens 5 bis 8 cm zurückzuführen sind. Das Gefüge des Mauerwerks ist infolge der Rissbildungen so gestört, dass die Standsicherheit des Gebäudes stark eingeschränkt ist und ein Zusammenbruch desselben nur durch die zwischenzeitlich durchgeführten Sicherungsmaßnahmen verhindert werden konnte.
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Der Kläger führt die Risse auf in den Jahren 1972/73 durchgeführte Kanalarbeiten an der Ortskanalisation zurück, mit deren Planung die Beklagte das Ingenieurbüro A, Ludwigshafen am Rhein, beauftragt hatte; die Arbeiten wurden seinerzeit durch die von der Beklagten beauftragte B GmbH, Kaiserslautern, ausgeführt. Im Zuge der Arbeiten wurde auch eine Kanalleitung (sogenannter Sammler gemäß DIN 1000) im Straße sowie in der Straße verlegt. Im Jahre 1978/79 kam es in einer Reihe von Straßen der Gemeinde Ort zu Absenkungen, welche erhebliche Sanierungsaufwendungen erforderlich machten, von denen indes weder der Straße noch die Straße betroffen waren. In diesem Bereich verlief früher einmal der Eckbach, der mitten durch den Ort floss, bevor er 1926 endgültig zugeschüttet wurde.
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Der Kläger trägt vor:
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Bei den Kanalarbeiten seien massive Fehler gemacht worden. Am streitgegenständlichen Anwesen seien erste Risse unmittelbar nach Durchführung der Kanalarbeiten aufgetreten, die sich in der Folgezeit langsam erweitert hätten. Ursache sei eine starke Auflockerung der Grabenfüllung durch mangelhafte Arbeiten der von der Beklagten beauftragten Firma, welche zu den schadensursächlichen Setzungen, vor allem an der Südostecke des Hauses, geführt hätten. Auch sei möglich, dass beim Einbau der Grabenfüllung mangelhaft verdichtet worden sei.
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Der Kläger hat, nachdem er zunächst beantragt hatte, die Beklagte zur Zahlung von 350.000,— DM zuzüglich Zinsen zu verurteilen, die Klage mit Schriftsatz vom 22. Januar 2002 (Bl. 220 ff d.A.) in Höhe von 252.560,— DM (= 129 . 131, 88 Euro) mit Zustimmung der Beklagten teilweise zurückgenommen. Mit Versäumnisurteil der Kammer vom 23. Januar 2002, dem Kläger zugestellt am 30. Januar 2002, ist die Klage abgewiesen worden. Der Kläger hat hiergegen mit am 01. Februar 2002 eingegangenem Schriftsatz Einspruch eingelegt und
beantragt nunmehr,
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das Versäumnisurteil vom 23. Januar 2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 49.820,28 Euro ( = 97 .440,— DM) zuzüglich 4 % Zinsen hieraus seit dem 10. November 1999 zu zahlen.
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Die Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen, und bringt hierzu vor:
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Sie sei für die Risse nicht verantwortlich. Die Tragfähigkeit des natürlich anstehenden Erdreiches sei stark eingeschränkt. Auch hätten sich die Grundwasserverhältnisse im Sinne einer beträchtlichen Absenkung des Grundwasserspiegels wesentlich verändert, was aufgrund des schluffig anstehenden Erdreichs zu einer beträchtlichen Verschlechterung der Baugrundverhältnisse geführt habe.
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Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beschluss vom 01. Februar 2001 (Bl. 25 d.A.) über den baulichen Zustand des klägerischen Anwesens sowie die Ursache der Rissbildungen durch Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. C, dem in Ergänzung des vorgenannten Beschlusses mit Beschluss vom 06. März 2001 (Bl. 94 R.d.A.) aufgegeben wurde, den Sachverständigen für Erd- und Grundbau, Bodenmechanik, Dipl.-Ing. Dr. D, hinzuziehen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des Sachverständigen C vom 09. Oktober 2001 (Bl. 117 ff d.A.) und die geotechnische Stellungnahme des Sachverständigen Dr. D vom 24. Oktober 2001 (Bl. 194 ff d.A.) verwiesen.
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Zur ergänzenden Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze nebst deren Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage ist unbegründet. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Ansprüche gegen die Beklagte nicht zu.
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Nach § 906 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 BGB kann der Eigentümer eines Grundstücks eine wesentliche Beeinträchtigung seines Grundstücks etwa durch Erschütterungen und ähnliche von einem anderen Grundstück ausgehende Einwirkungen insoweit nicht verbieten, als die wesentliche Beeinträchtigung durch eine ortsübliche Benutzung des anderen Grundstücks herbeigeführt wird und nicht durch Maßnahmen verhindert werden kann, die Benutzern dieser Art wirtschaftlich zumutbar sind. Hat der Eigentümer hiernach indes eine Einwirkung zu dulden, so kann er von dem Benutzer des anderen Grundstücks einen angemessenen Ausgleich in Geld verlangen, wenn die Einwirkung eine ortsübliche Benutzung seines Grundstücks oder dessen Ertrag über das zumutbare Maß hinaus beeinträchtigt (§ 906 Abs. 2 Satz 2 BGB). Die Voraussetzungen des nach der zuletzt genannten Vorschrift vorgesehenen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs, den der Kläger mit seiner Klage geltend macht, sind vorliegend nicht gegeben.
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Zwar stellen die zwischen den Parteien unstreitigen, massiven, die Standsicherheit des Gebäudes in erheblicher Weise gefährdenden Rissbildungen am klägerischen Anwesen ohne weiteres eine die ortsübliche Benutzung seines Grundstücks über das zumutbare Maß hinaus einschränkende Beeinträchtigung dar. Dass die Rissbildungen indes auf eine von der Beklagten zu vertretende Emission zurückzuführen ist, hat der hierfür beweisbelastete Kläger (vgl. BGHZ 70, 102 ) nicht bewiesen. Nach dem Ergebnis der durchgeführten Beweisaufnahme steht nämlich nicht zur Überzeugung der Kammer fest, dass die Ursache der Gebäudesetzungen und der hierauf zurückzuführenden Rissbildungen darin zu sehen sind, dass die seinerzeit von der jetzigen Beklagten für die Ortsgemeinde Ort aufgrund eines privatrechtlichen Vertrages in Auftrag gegebenen Arbeiten, für welche die Beklagte analog § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB einzustehen hätte (vgl. OLG Koblenz, OLGR 2000, 425; OLG Saarbrücken, VersR 1988, 131; OLG Koblenz, Urteil vom 27. Mai 1999 - 5 U 1041/98; allgemein zu Ausgleichsansprüchen aufgrund von Kanalisationsarbeiten: BGH NJW 1988, 1202 ff) zu den Setzungen unter dem Wohngebäude des Klägers geführt haben. Hiergegen spricht schon die klägerseits nicht bestrittene Feststellung der Beklagten, dass der Mitteltorweg bzw. die Straße von den 1978/1979 aufgetretenen Setzungen, welche seinerzeit einen erheblichen Sanierungsaufwand erforderlich machten, nicht betroffen waren. Es erscheint kaum vorstellbar, dass im Zuge der seinerzeitigen Ermittlung des erforderlichen Sanierungsaufwandes entsprechende Schäden am Haus des Klägers unentdeckt geblieben sein sollen, zudem nach dem - von der Beklagten indes bestrittenen - Vortrag des Klägers erste Risse sich bereits unmittelbar nach Durchführung der Kanalarbeiten gezeigt haben sollen, die sich in der Folgezeit langsam erweitert hätten. Bereits der eigene Vortrag des Klägers spricht somit dafür, dass in den Jahren 1978/79 ein ursächlicher Zusammenhang der angeblich bereits eingetretenen Rissbildungen mit den 1972/73 durchgeführten Kanalarbeiten im Gemeindegebiet nicht erkennbar war.
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Zudem hat der gerichtlich beauftragte Sachverständige Dipl.-Ing. C im Rahmen seines Gutachtens vom 09. Oktober 2001 (Bl. 117 ff d.A.) u.a. folgendes ausgeführt: "Der anstehende Baugrund unter den Fundamenten des Gebäudes ist ein weicher brauner Schluff. Wie die Bohrsondierungen ergeben haben, hat dieser Schluff unterschiedliche Mächtigkeit. (...) Bedingt durch die unterschiedlich starken Schluffschichten innerhalb des Gebäudes konnte es zu unterschiedlich starken Setzungen in den einzelnen Gebäudebereichen kommen, so dass sich die bereits beschriebene Sattellage des Gebäudes diagonal durch das Gebäude zieht. Die Rissempfindlichkeit des Gebäudes ist, bedingt durch die Tatsache, dass Zuggurte fehlen, erheblich und hat zu den vorgefundenen Rissbildungen geführt. Die durch die Kanalbaumaßnahme begünstigte Grundwasserabsenkung durch die Drainagewirkung des Kanalgrabens wird durch den Sachverständigen Dr. D nicht ausgeschlossen (siehe Seite 10 des Gutachtens). (...) Bei der Beurteilung der Rissbildungen am Gebäude des Antragstellers und der starken Setzungen an der Giebelwand in der Straße sind der schlechte Baugrund und die Mächtigkeit des schlechten Baugrundes unter der Giebelwand Hauptursache der Setzungen und als Folge davon die Rissbildungen im Gebäude. Durch den Wasserentzug, infolge Dränagewirkung des Kanalgrabens, sind jedoch zusätzliche Setzungen und Rissbildungen bzw. Rissverbreiterungen entstanden.
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Bei der Beurteilung der Risse und die Verantwortlichkeit der Rissbildung ist davon auszugehen, dass durch den unterschiedlichen Baugrund ca. 60 bis 70 % der Risse entstanden sind und durch die Dränagewirkung des Kanalgrabens ca. 30 bis 40 %."
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Der im gerichtlichen Auftrag zur Begutachtung hinzugezogene geotechnische Sachverständige Dr. D führt in seiner gutachterlichen Stellungnahme vom 24. Oktober 2001 (Bl. 194 ff, 197 R ff d.A.) folgendes aus:
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"Aufgrund der Untersuchungsergebnisse zur Baugrundbeschaffenheit sind die Setzungen an der südöstlichen Hausecke durch die minderwertigen Aueablagerungen bedingt. (...) Es stellt sich allerdings die Frage, weshalb die Setzungen nicht in kurzer Zeit nach der Bauwerksfertigstellung eingetreten sind, sondern eher zeitlich gesehen in kausaler Abhängigkeit zum Neubau des Abwasserkanals. Hierzu ist folgendes anzumerken: (...) Äußere Störungen - etwa in Form von Erschütterungen - bewirken häufig eine Synchronizität derart, dass man auf einen kausalen Zusammenhang schließen könnte. Dies liegt aber daran, dass z.B. Erschütterungen selbstverständlich die Rissebildung begünstigen bzw. deutlicher in Erscheinung treten lassen; entsprechend DIN 4150 sind von jedem Tragwerk bis zu einer gewissen Grenze Schwingungen und Erschütterungen schadlos aufzunehmen. Im vorliegenden Fall wird man auch in Betracht ziehen können, dass der grabenförmige Aushub im Zuge der Kanalmaßnahme, günstigere Randbedingungen für eine rasche Konsolidierung herbeigeführt hat; dies ist aber noch kein kausaler Zusammenhang, denn die Endsetzungen wären so und so aufgetreten, nur eventuell etwas langsamer. (...) Zusammenfassend kann nicht von einem kausalen Zusammenhang zwischen der Kanalbaumaßnahme oder dem Abwasserkanal an sich und den Setzungen von knapp 12 cm an der Südostecke des Wohnhauses ausgegangen werden, obwohl die Chronologie einen derartigen Zusammenhang zunächst als naheliegend darstellt."
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Nach diesen in sich schlüssigen, auch für den technischen Laien ohne weiteres nachvollziehbaren Ausführungen der Sachverständigen, die sich die Kammer als Urteilsgrundlage zu eigen macht, steht fest, dass Ursache der Setzungen des Erdreichs unter dem Wohngebäude des Klägers nicht wie von diesem behauptet mangelhafte Verfüllungs- bzw. Verdichtungsarbeiten im Rahmen der Kanalbaumaßnahmen der Jahre 1972/73 gewesen sind. Insbesondere die zuletzt zitierte Aussage des Sachverständigen D lässt an Deutlichkeit insoweit nichts zu wünschen übrig. Dass eine vom Sachverständigen C vermutete Dränagewirkung des Kanalgrabens die Rissbildungen bzw. Rissverbreiterungen vermehrt bzw. intensiviert haben soll, zwingt nicht zu einer anderen Bewertung.
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Dass eine durch den Kanalgraben als solchen hervorgerufene - unvermeidliche - Dränwirkung zu den streitgegenständlichen Rissbildungen geführt haben soll, hat der Kläger zunächst selbst nicht behauptet. Auch soweit er sich nach Vorliegen des Gutachtens C dessen Aussagen hierzu dadurch offenbar zu eigen machen will, dass er die Rissbildungen nunmehr pauschal "zu 30 bis 40 % auf den Kanalgraben" zurückführt, führt dies nicht zum Erfolg. Entgegen den klägerischen Ausführungen im Schriftsatz vom 21. Januar 2002 war der an das Hausanwesen des Klägers unmittelbar angrenzende Kanalgraben gerade nicht condi-cio sine qua non. Dass es nicht "mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu dem von allen Sachverständigen festgestellten Schadensbild gekommen" wäre, wenn man sich den Bau des Kanalgrabens hinweg denkt, ergibt sich ohne weiteres aus den oben bereits genannten Ausführungen des Sachverständigen D, nach denen die für die Rissbildungen maßgeblichen Endsetzungen des Erdreichs unter dem klägerischen Anwesen "so und so aufgetreten" (Bl. 9 der gutachterlichen Stellungnahme, Bl. 198 d.A.) wären.
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Auch ein nach den Grundsätzen der Rechtsprechung bei mehreren Verursachern (vgl. Palandt-Bassenge, BGB, 60. Aufl., § 906 Rdnr. 36) zu quotelnder Anspruch kommt demnach nicht in Betracht. Die angeblichen Beeinträchtigungen durch die Kanalbaumaßnahmen - Auflockerung bzw. mangelhafte Verdichtung des Erdreichs mit der Folge von Setzungen - sind durch die eingeholten Sachverständigengutachten nicht nachgewiesen. Ebensowenig ist nachgewiesen, dass die durch die Beschaffenheit des unter dem Grundstück des Klägers vorhandenen Erdreichs bedingten natürlichen Setzungen desselben nur im Zusammenwirken mit den vom Sachverständigen C vermuteten Dränwirkungen des Kanalgrabens, die streitgegenständlichen Risse verursacht hätten. Die zuletzt angesprochene Problematik hat allenfalls die ohnehin bestehende Problematik verschärft. Im Rahmen der Würdigung aller Umstände ist die Ursache der Rissbildungen nach der Überzeugung der Kammer unter Würdigung aller Umstände (§ 287 ZPO) jedenfalls ganz überwiegend in der natürlichen Bodenbeschaffenheit des Geländes und nicht in einer von der Beklagten zu vertretenden Beeinträchtigung zu suchen. Vor diesem Hintergrund bedurfte es auch der Einholung des vom Kläger begehrten ergänzenden Sachverständigengutachtens nicht.
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Die Klage ist nach alledem unbegründet und mit der Kostenfolge der §§ 91, 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO abzuweisen.
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Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit fußt auf §§ 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 2 ZPO.
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