Beschluss vom Landgericht Frankenthal (Pfalz) (2. Strafkammer) - 2 Qs 186/17

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Tenor

1. Auf die Beschwerde des Angeschuldigten wird der Beschluss des Amtsgerichts Ludwigshafen am Rhein vom 04.07.2017 in Ziffer 1 aufgehoben.

2. Dem Angeschuldigten wird gemäß § 140 Abs. 2 StPO i. V. m. §§ 141 Abs. 4, 142 StPO Rechtsanwalt Alexander Fleck, M1, 1 Breite Straße, 68161 Mannheim zum Pflichtverteidiger bestellt.

3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die dem Angeschuldigten daraus entstandenen notwendigen Auslagen trägt die Staatskasse.

Gründe

I.

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Der 36-jährige Angeklagte ist mehrfach überwiegend wegen Körperverletzungsdelikten vorbestraft. Zuletzt wurde er vom Amtsgericht Ludwigshafen am Rhein am 31.10.2012 wegen gefährlicher Körperverletzung in Tatmehrheit mit vorsätzlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von 7 Monaten mit Bewährung verurteilt.

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Im vorliegenden Verfahren warf ihm die Staatsanwaltschaft in der Anklageschrift vom 06.02.2017 vor, am 19.08.2016 nach einem Platzverweis gegen mehrere Polizeibeamte Widerstand geleistet und dabei einen der Beamten vorsätzlich verletzt zu haben. Bereits mit Schriftsatz vom 12.01.2017 hatte sich Rechtsanwalt Fleck als Verteidiger bestellt und sodann Akteneinsicht genommen. Nach Anklagezustellung beantragte er mit Schriftsatz vom 14.03.2017 seine Beiordnung als Pflichtverteidiger und wies zugleich darauf hin, dass gegen den Angeschuldigten noch ein weiteres Verfahren vor dem Landgericht Mannheim anhängig sei, in dem auch die Voraussetzungen einer Unterbringung nach § 63 StGB geprüft würden. Die Staatsanwaltschaft erklärte gegenüber dem Amtsgericht am 23.03.2017, dass sie dem Beiordnungsantrag nicht entgegentrete und beantragte gleichzeitig die Beiziehung der Akten des Parallelverfahrens am Landgericht Mannheim. Dem kam das Amtsgericht nach. Der Beiordnungsantrag blieb zunächst unbeschieden. Mit Schriftsatz vom 06.06.2017 erinnerte der Verteidiger an seinen Antrag. Am 29.06.2017 wies das Amtsgericht schließlich darauf hin, dass eine Einstellung des Verfahrens gemäß § 154 Abs. 2 StPO im Hinblick auf die in dem Parallelverfahren zu erwartende Strafe beabsichtigt sei und fragte an, ob an dem Beiordnungsantrag festgehalten werde. Mit Schriftsatz vom 03.07.2017 erklärte der Verteidiger, dass an dem Antrag weiterhin festgehalten werde und rügte die verspätete Entscheidung. Mit Beschluss vom 04.07.2017 stellte das Amtsgericht sodann das Verfahren gemäß § 154 Abs. 2 StPO ein und lehnte gleichzeitig den Antrag auf Beiordnung ab. Die Voraussetzungen für eine Pflichtverteidigung lägen nach der Einstellung nicht (mehr) vor. Zweck der Pflichtverteidigerbestellung sei es allein, für die Zukunft eine sachgerechte Verteidigung des Angeklagten zu gewährleisten, nicht dagegen, im Nachhinein die Vergütung des Rechtsanwalts sicherzustellen. Daran ändere auch die frühzeitige Stellung des Beiordnungsantrages nichts. Das Gericht habe erstmals durch die Antragstellung auf Beiordnung von dem Parallelverfahren erfahren und anschließend die Einstellung des Verfahrens ohne Mitwirkung der Verteidigung auf den Weg gebracht, in dem die dortigen Verfahrensakten beigezogen und nach Eingang zur Stellungnahme an die Staatsanwaltschaft übersandt worden seien. Eine für den Angeschuldigten wirkende Tätigkeit des Verteidigers sei deshalb nicht mehr denkbar. Der Antrag der Staatsanwaltschaft auf eine Verfahrenseinstellung sei zwar erst am 29.06.2017 erfolgt. Im Zeitpunkt der Antragstellung auf Beiordnung habe sich jedoch - gerade für die Verteidigung - eine Verfahrenseinstellung aufgedrängt, da der Angeschuldigte auch in dem Parallelverfahren durch denselben Verteidiger vertreten werde.

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Mit seiner Beschwerde vom 07.07.2017 wendet sich der Angeschuldigte gegen die Versagung der Pflichtverteidigerbestellung. Die Staatsanwaltschaft beantragt die Verwerfung aus den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung. Das Amtsgericht hat der Beschwerde nicht abgeholfen.

II.

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Die Beschwerde ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

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Die Voraussetzungen einer notwendigen Verteidigung nach § 140 Abs. 2 Satz 1 StPO lagen jedenfalls bei Antragstellung vor, da nach Anklageerhebung eine empfindliche Freiheitsstrafe und darüber hinaus der Widerruf der Bewährung aus der letzten Vorverurteilung zu erwarten waren. Zuzustimmen ist dem Amtsgericht zwar darin, dass der Verteidigung das Parallelverfahren und somit auch die Möglichkeit der Verfahrenseinstellung oder -verbindung bekannt war. Dazu bedurfte es jedoch gerade ihrer Mitwirkung, denn erst durch den Verteidiger haben Amtsgericht und Staatsanwaltschaft davon Kenntnis erlangt. Somit ist der Verteidiger für seinen Mandanten aktiv tätig geworden.

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Auch die zwischenzeitliche Einstellung des Verfahrens hindert die Beiordnung nicht. Das Landgericht Stuttgart hat in seinem Beschluss vom 18.07.2008 (Az. 7 Qs 64/08, abgedruckt in Justiz 2009, 15) in einer vergleichbaren Konstellation folgendes ausgeführt:

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„[...] Jedoch ist auch nach Verfahrensabschluss eine Beiordnung zulässig, sofern - wie im vorliegenden Fall - der Antrag rechtzeitig vor Verfahrensabschluss gestellt, die Voraussetzungen einer notwendigen Verteidigung vorgelegen haben, der Verurteilte von seinem Verteidiger tatsächlich Beistand erhalten hat und eine Entscheidung über die Beiordnung unterblieben ist (Müller/Schmidt NStZ 2004, 100; 2005, 131 mit jeweils vier Entscheidungen verschiedener Landgerichte; LG Hamburg StV 2000, 16; LG Osnabrück StV 2001, 447; LG Hildesheim NStZ-RR 2003, 115; LG Bremen StV 2004, 126; LG Saarbrücken StV 2005, 82f., LG Potsdam StV 2005, 83; LG Berlin StV 2005, 83; LG Magdeburg StV 2005, 84; LG Dortmund StV 2007, 344; LG Frankenthal/Pfalz StV 2007, 344; LG Erfurt StV 2007, 346; Karlsruher Kommentar/Laufhütte 5. Auflage § 141 Rdn.8 sowie dieser Ansicht vorsichtig zustimmend Meyer-Goßner 51. Auflage § 141 Rdn.8).

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[...] Jedenfalls bei Vorliegen aller oben genannten Voraussetzungen geht es daher nicht darum, dem Verteidiger einen Vergütungsanspruch gegen die Staatskasse zu verschaffen, sondern es soll verhindert werden, dass ein Gerichtsversehen, auf das ein Außenstehender keinen Einfluss hat, sich zu Lasten des Verurteilten auswirkt (LG Hamburg; LG Osnabrück; LG Dortmund; LG Erfurt jeweils aaO.). Zudem formuliert Art.6 Abs.3 c) MRK einen Anspruch auf unentgeltlichen Beistand, wenn dies im Interesse der Rechtspflege geboten ist, was bei notwendiger Verteidigung der Fall ist. Wenn ein Verteidiger befürchten muss, trotz Vorliegens der tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen der notwendigen Verteidigung für Tätigkeiten, die er vor Erhalt des formalen Bestellungsaktes zur Wahrnehmung der Verteidigungsinteressen eines Beschuldigten entfaltet, keine Vergütung zu erhalten, weil - objektiv rechtswidrig - trotz rechtzeitiger Beantragung seiner Beiordnung diese infolge eines Gerichtsversehens unterbleibt, führt dies in der Konsequenz dazu, dass derartige, der formalen Bestellung vorgreifende Tätigkeiten tendenziell eher unterbleiben, was sich aber strukturell zu Lasten des effektiven Rechtsschutzes für den Angeschuldigten auswirken würde (LG Dortmund aaO.). Inhaftierte Angeschuldigte würden dann vielfach keinen anwaltlichen Beistand mehr finden, obwohl gem. § 141 Abs.1 StPO die Beiordnung eines Anwaltes bereits im Zwischenverfahren vorgeschrieben ist (LG Saarbrücken aaO.). In Anbetracht der ausweislich der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes verbindlichen Vorgabe einer möglichst weitgehenden Gleichstellung des Beschuldigten, der auf einen Pflichtverteidiger angewiesen ist, mit einem solchen, der sich einen Wahlverteidiger leisten kann, ist die Möglichkeit der Nachholung der Verteidigerbestellung nicht nur geeignet, sondern im Sinne der anzustrebenden Waffengleichheit, der Wahrheitsfindung und im Interesse der sonstigen geschützten Belange des Beschuldigten zur Gewährleistung eines fairen rechtsstaatlichen Verfahrens erforderlich (LG Dortmund aaO.). Zudem ist in der Rechtsprechung für die vergleichbaren Konstellationen der Beiordnung eines anwaltlichen Verletztenbeistandes (§ 397a Abs. 1 S. 2 StPO) sowie bei der Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Anwaltes gem. § 397 Abs. 2 StPO - zumindest seit einer hierzu ergangenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (NStZ-RR 1997, 69) - anerkannt, dass die Vollziehung der Beiordnung bzw. die Bewilligung von Prozesskostenhilfe auch noch nach Beendigung des Verfahrens bzw. für bereits abgeschlossene Verfahrensabschnitte wirksam erfolgen kann und dabei allein darauf abgestellt wird, ob dem Gericht rechtzeitig ein bescheidungsreifer Beiordnungsantrag vorgelegen hatte (LG Bremen aaO; Meyer-Goßner 51. Auflage § 397a Rdn. 15 mwN). Nachdem das Bundesverfassungsgericht in der genannten Entscheidung einen Verstoß gegen das aus Art. 3 Abs. 1 GG folgende Willkürverbot gesehen hat, sind entsprechende rechtliche Maßstäbe auch bei der Frage der Pflichtverteidigerbestellung anzulegen, zumal der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 397a Abs.1 StPO die Verbesserung der Waffengleichheit zwischen Beschuldigten und Verletzten erreichen wollte und es nicht einzusehen ist, den Beschuldigten im Falle eines rechtzeitig gestellten Beiordnungsantrages schlechter zu stellen als den Verletzten (LG Bremen aaO.).

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Soweit von der Gegenansicht die rückwirkende Bestellung abgelehnt wird (OLG Düsseldorf StraFo 2003, 94; KG StV 2006, 372 ff.; KG StV 2007, 343 f.; OLG Bamberg NJW 2007, 3796 f.), da die Beiordnung allein den Zweck verfolge, im öffentlichen Interesse einen ordnungsgemäßen Verfahrensablauf und rechtskundigen Beistand für den Betroffenen zu gewährleisten, dies jedoch nachträglich nicht mehr erreicht werden könne, da der Verteidiger seine Leistung bereits als Wahlverteidiger erbracht habe und die nachträgliche Bestellung daher auf eine unmögliche Leistung gerichtet sei (KG StV 2007 aaO.), so überzeugt dies nicht. Die §§ 140 ff. StPO setzen den Anspruch des mittellosen Beschuldigten auf Beiordnung gem. Art. 6 Abs. 3 c) um, weshalb die rückwirkende Beiordnung entgegen der Auffassung des Kammergerichts nicht in einem diametralen Gegensatz zum gesetzlichen Leitbild der Pflichtverteidigung steht, sondern dem Umstand Rechnung trägt, dass der Anspruch des Beschuldigten nicht allein dadurch obsolet werden kann, dass auf seinen Antrag nicht reagiert wurde (Wohlers, StV 2007, 379). Zwar ist zutreffend, dass der Beschuldigte auch im Falle der Beiordnung nicht von der Tragung der Verfahrenskosten verschont bleibt und, dass die Pflichtverteidigung keine Sozialregelung für mittellose Beschuldigte darstellt. Jedoch steht - wie oben ausgeführt - nicht das Verschaffen eines nachträglichen Gebührenanspruchs für den Verteidiger, sondern die Korrektur eines Gerichtsversehens im Vordergrund. Die gebührenrechtliche Rückwirkung wird vom Gesetzgeber für zulässig gehalten (vgl. § 48 Abs. 5 RVG), weshalb das fiskalische Argument nicht durchgreift, zudem erscheint es sachgerechter, den Angeschuldigten so zu stellen, als ob über den Antrag von Anfang an zutreffend entschieden worden wäre, nachdem die Gegenmeinung ansonsten einen Schadensersatzanspruch aus Amtspflichtverletzung in Erwägung zieht (LG Saarbrücken aaO.). Die vorgeschlagene Vorgehensweise, ein Verteidiger, der nur als Pflichtverteidiger auftreten möchte, solle dies bedingungslos tun und ausschließlich den Beiordnungsantrag stellen ohne als Wahlverteidiger aufzutreten sowie bei verzögerter Bearbeitung des Antrages bei Gericht Untätigkeitsbeschwerde erheben (KG StV 2007 aaO.), erscheint bei einem im Interesse des Beschuldigten notwendig erscheinenden sofortigen Handeln wenig praktikabel (Meyer-Goßner aaO.). § 141 Abs.1 und 2 StPO normieren ja gerade die Bestellung unmittelbar nach Mitteilung der Anklageschrift gem. § 201 StPO bzw. sofort nachdem sich die Notwendigkeit ergibt.“

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Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich die Kammer an. Alle genannten Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt.

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Jedenfalls dann, wenn - wie hier - aus nicht nachvollziehbaren Gründen und, obwohl die Staatsanwaltschaft schon nach wenigen Tagen ihr Einverständnis erklärt hat, die Entscheidung über den Beiordnungsantrag über Monate hinausgeschoben wird, der Verteidiger noch auf die bevorstehende Einstellung hingewiesen wird und dieser seinen Antrag ausdrücklich aufrecht erhält und dann trotzdem die Einstellung durchgeführt und mit Hinweis auf die erfolgte Einstellung die Beiordnung abgelehnt wird, verstößt dies gegen das Gebot des fair trial. In einem solchen Fall muss es nach Auffassung der Kammer möglich sein, auch noch nachträglich einen Pflichtverteidiger zu bestellen und beizuordnen. Ob diese Rechtsprechung im Widerspruch zu der der 1. Strafkammer steht, kann nicht nachvollzogen werden, da der zitierte Beschluss in der Sache 1 Qs 136/16 jug. keine Sachverhaltsdarstellung enthält und somit nicht festgestellt werden kann, ob die dortige Konstellation vergleichbar war.

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Die Kostenentscheidung ergeht in entsprechender Anwendung von § 467 StPO.

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