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| Der Kläger hat gegen die Beklagte Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld aus §§ 1 Abs. 1 S. 1, 8 ProdHG. |
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| Die Beklagte hat als Herstellerin (A.) des streitgegenständlichen Prothesensystems nach § 4 Abs. 2 ProdHG ein fehlerhaftes (B.) Produkt in Verkehr gebracht. Die Fehlerhaftigkeit des Produkts war erkennbar (C.) und hat kausal zu einem Gesundheitsschaden des Klägers geführt (D.). Dies rechtfertigt ein Schmerzensgeld in Höhe von EUR 25.000,00 und führt zur Begründetheit des Feststellungsantrags (F.). Darüber hinaus kann der Kläger Ersatz der Zuzahlungen für Krankengymnastik und Medikamente in Höhe von EUR 62,28 verlangen (E.). Die weitergehende Klage hingegen war abzuweisen, insbesondere, soweit der Kläger Verdienstausfall (D.6.) geltend macht. |
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| Die Beklagte hat das Prothesensystem in den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) eingeführt und gilt damit nach § 4 Abs. 2 ProdHG als Herstellerin. |
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| Ein Produkt hat nach § 3 Abs. 1 ProdHG einen Fehler, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere seiner Darbietung, des Gebrauchs, mit dem billigerweise gerechnet werden kann und des Zeitpunkts, in dem es in den Verkehr gebracht wurde, berechtigterweise erwartet werden kann. |
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| Die danach maßgeblichen „berechtigten Sicherheitserwartungen“ sind in wertender Betrachtung nach denselben objektiven Maßstäben wie bei der Bestimmung von Verkehrssicherungspflichten des Herstellers im Rahmen der deliktischen Haftung zu bestimmen (vgl. Wagner in Münchner Kommentar, 7. Aufl. 2017, ProdHG § 3 Rn. 6 ff.; BGH Urteil vom 17.03.2009 – VI ZR 176/08 Rn. 5 ff – zitiert nach juris). |
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| Zur Gewährleistung der erforderlichen Produktsicherheit hat der Hersteller diejenigen Maßnahmen zu treffen, die nach den Gegebenheiten des konkreten Falles zur Vermeidung bzw. Beseitigung einer Gefahr objektiv erforderlich und nach objektiven Maßstäben zumutbar sind. Art und Umfang der erforderlichen Sicherungsmaßnahmen steigen mit zunehmendem Umfang der Gefahren. Bei erheblichen Gefahren für Leben und Gesundheit von Menschen sind dem Hersteller weitergehende Maßnahmen abzuverlangen, als bei bloßer Gefährdung von Sachwerten (BGH a.a.O. Rn. 7; BGHZ 99, 167, 174 f.). |
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| Die Verantwortung des Herstellers erweitert sich gegenüber diesen allgemeinen Maßstäben, wenn das Produkt an Risikogruppen vertrieben wird (vgl. BGH a.a.O. Rn. 7). Risikogruppen können beispielsweise Kinder oder - wie hier - vorwiegend ältere und gesundheitlich vorgeschädigte Personenkreise sein. |
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| Es kommen dabei grds. Konstruktions-, Instruktions- und Fabrikationsfehler in Betracht (Kullmann, ProdHG, 6. Aufl. 2010, § 3 Rn. 7 ff.) |
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| Für das Vorliegen eines Fehlers ist auf den Zeitpunkt der Inverkehrgabe des konkreten Produkts, nicht der Produktserie abzustellen (vgl. § 3 Abs. 1 lit. c. ProdHG „des Produkts“; Wagner in: Münchner Kommentar, 7. Aufl. 2017, ProdHG § 1 Rn. 30; Oechsler in Staudinger, Neubearbeitung 2014, ProdHG § 1 Rn. 117; BGHZ 181, 253). Die Beklagte hat der Annahme der Kammer, dass die Inverkehrgabe im Jahr der Implantation stattgefunden hat, nicht widersprochen, so dass von einer Inverkehrgabe im Jahr 2005 auszugehen ist. |
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| Nach diesen Grundsätzen war das von der Beklagten hergestellte Prothesensystem fehlerhaft. |
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| Denn es führt – insbesondere in der Konussteckverbindung - zu erhöhtem Metallabrieb, der gesundheitlich bedenklich ist (I.). |
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| Hierfür kommen verschiedene Fehlerquellen und Schadensmechanismen in Betracht (II.). |
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| Zur Überzeugung der Kammer hat im vorliegenden Fall jedenfalls ein Instruktionsfehler der Beklagten in Bezug auf die bei der Fügung anzuwendende Kraft zu galvanischer Korrosion in der Konussteckverbindung geführt (III.). |
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| Darüber hinaus fallen jedenfalls sämtliche sonstigen denkbaren potentiellen Fehlerquellen und Schadensmechanismen in den Verantwortungsbereich der Beklagten (IV.) |
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| Hingegen können sämtliche von der Beklagten behaupteten Alternativursachen für den erhöhten Metallabrieb sicher ausgeschlossen werden (V.) |
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| Es liegt erhöhter Metallabrieb in der Konussteckverbindung vor. |
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| In der Gleitpaarung tritt stets in gewissem Umfang Abrieb auf, da dort die Reibung zwar minimiert, aber nie auf Null reduziert werden kann. Neben diesem technisch unvermeidbaren Abrieb ist allerdings an den sonstigen Bauteilen einer funktionstüchtigen Prothese nicht mit nennenswertem Abrieb zu rechnen (vgl. Sachverständiger PD Dr. Kl.: „in der Konusverbindung eigentlich gar kein Abrieb“ Protokoll I S. 6 und Prof. Dr. Kr. Protokoll I S.8 unten „minimaler Abrieb“). |
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| Der Sachverständige Prof. Dr. M. hat durch Vermessung des Innenkonus der Adapterhülse des dem Kläger entnommenen Explantats mittels Tastschnittmessung bei einem Vergleich mit der Originalgeometrie am Innenkonus der Adapterhülse ein Verschleiß- bzw. Deformationsvolumen von 14,05 mm³ festgestellt (GA I S.30) bei einer hypothetischen Fehlerwahrscheinlichkeit von +/- 0,75 mm³ (vgl PD Dr. Kl. Protokoll I, S. 5 Mitte). Daraus ergab sich bei einer Standzeit von 4,9 Jahren ein jährliches Verschleiß-/Deformationsvolumen von 2,88 mm³ beziehungsweise unter Berücksichtigung der denkbaren Abweichungen von 3,02 /2,76 mm³. Der Sachverständige Prof. Dr. M. hat ergänzend durch eine auflichtmikroskopische Untersuchung und durch Rasterelektronenmikroskopie (REM)(vgl. GA I S. 13 ff., insb. 16ff) festgestellt, dass am Innenkonus des Adapters insbesondere im Bereich der tragenden Konus-Kontaktfläche schon bei geringen Vergrößerungen Abriebbereiche (vgl. GA I S. 13 ff., 20) vorhanden sind. |
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| Die Messergebnisse des Sachverständigen wurden zwar nicht im vorliegenden Verfahren, aber in zwei Parallelverfahren des Landgerichts Freiburg (AZ 2 O 393/11 und 8 O 125/12) im Labor für Biomechanik und Implantatforschung, Klinik für Orthopädie und Unfallchirurgie des Universitätsklinikums H. unter der Leitung des Sachverständigen Prof. Dr. Kr. extern validiert (GA II S. 5 f). Signifikante Abweichungen ergaben sich dabei nicht. |
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| Die Kammer hält daher die Verschleißwerte für zuverlässig und belastbar. |
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| Dass zu dem Abrieb an der Adapterhülse noch weiterer Abrieb am Schaftkonus hinzukam, lässt sich nicht feststellen. Der Sachverständige PD Dr. Kl. hielt einen solchen nach den im Termin in Augenschein genommenen intraoperativen Lichtbildern des Schaftkonus vom 08.01.2010 zwar für möglich (Protokoll I, S. 6), konnte dazu jedoch keine belastbaren Angaben machen. Für einen zusätzlichen Abrieb am Schaftkonus spricht aber die Beobachtung des Operateurs (OP-Bericht vom 08.01.2010, Anlage K 24), wonach „ein mattschwarzer Konus, der Metallabrieb in typischer Form eines schwarzen Ringes aus Metallstaub um den Hals des Schaftes“ aufwies, vorgefunden wurde. Quantifizierbar ist ein solcher weiterer Abrieb nicht. |
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| Der vorgefundene Metallabrieb ist erhöht (a.) und gesundheitlich bedenklich (b.). |
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| Der Sachverständige Prof. Dr. Kr. hat überzeugend dargelegt, dass eine Auswertung der Studienlage ein mittleres jährliches Verschleißvolumen an der Konussteckverbindung des Prothesensystems an Explantaten von 0,08 mm³ - 0,85 mm ³ ergeben habe (GA III S. 11 f.). Die Studien betrafen bereits ausschließlich Revisionsfälle, bei denen die Implantate wegen klinischer Probleme entfernt werden mussten. Der Verschleiß an der Prothese des Klägers liegt sogar noch deutlich über diesen Durchschnittswerten. |
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| Der Verschleiß übersteigt auch das interne Akzeptanzkriterium der Beklagten von 5,6 mg (entspricht 0,7 mm³) für Konusverschleiß (Prof. Dr. M., GA II, S. 11) um ein Vielfaches. |
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| Der festgestellte Verschleiß ist gesundheitlich bedenklich. |
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| Das Verschleißvolumen von 2,88 mm³ pro Jahr (Prof. Dr. M. GA I, S. 49) liegt noch deutlich über dem im gleichzeitig verhandelten Verfahren festgestellten Volumen von dort 0,8 bis 0,85 mm³ und somit in einer Größenordnung, die üblicherweise mit klinischen Problemen assoziiert werden muss (vgl. Prof. Dr. Kr. GA I S. 29, Protokoll II S. 8 Mitte). |
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| Schließlich weisen auch die beim Kläger am Tag der Revision entnommenen Gewebeproben bei einem Wert von 3524,6 mg/kg TS für Titan Metallkonzentrationen auf, die auffallend sind. Allerdings können die von Prof. Dr. L. ermittelten Werte in ihrer Absolutheit keiner Beurteilung zugrunde gelegt werden, da die fachgerechte Lagerung des erst Jahre nach der Entnahme untersuchten Materials nicht feststeht (Prof. Dr. M., Protokoll II, S. 16). |
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| Es existieren zwar keine Grenzwerte. Nach der Einschätzung des wissenschaftlichen Ausschusses der EU-Kommission (SCENIHR) können die von Metall-Metall-Gleitpaarungen freigesetzten metallischen Produkte jedoch zu lokalen und systemischen Gesundheitsauswirkungen führen, die von kleinen asymptomatischen Gewebeschäden bis hin zur schwerwiegenden Zerstörung von Knochen und Weichteilgewebe reichen können. Es sei mit einem Grenzwert für klinische Bedenken bei Konzentrationen in Blutproben zwischen 2 und 7 µg/l zu rechnen (vgl. Prof. Dr. Kr. GA III S. 14 f.). Die Autoren anderer Studien geben ebenfalls Schwellenwerte für klinische Bedenken etwa für Kobalt mit 4,5 µg/l (Sidaginamale et al.) bzw. 4,0 µg/l (van der Straeten et al.) an (Prof. Dr. Kr. GA III S. 13 ff.). |
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| Die Schadensmechanismen für den erhöhten Metallabrieb sind in der Wissenschaft noch nicht abschließend geklärt und voraussichtlich multifaktoriell. |
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| Als Ursache für den erhöhten Abrieb in der Konussteckverbindung werden verschiedene Arten von Korrosion diskutiert. Bei der Galvanischen Korrosion führen unterschiedliche Spannungspotenziale der verwendeten Metalle (hier Co-Cr-Mo und TiAl7Nb) zu einer elektrochemischen Reaktion und Auflösung der elektrochemisch instabileren Verbindung (hier Co-Cr-Mo). Bei der Reibkorrosion beruht der korrosive Angriff hingegen auf mechanischer Bewegung der Bauteile. Bei der Spaltkorrosion führen Konzentrationsunterschiede des Flüssigkeitsmediums in einem nicht abgeschlossenen Spalt zu einem korrosiven Angriff. |
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| Als konstruktive Ursachen für das Auftreten von erhöhtem Metallabrieb bei den hier streitgegenständlichen Prothesensystemen wird Folgendes erwogen: |
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| Die größeren Köpfe des Prothesensystems führten zu höheren Reibmomenten. |
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| Eine unzureichende Krafteinwirkung bei der intraoperativen Fügung der Konussteckverbindung führe zu Mikrobewegungen, einer Lockerung der Verbindung und Initiierung des Korrosionsprozesses. Das Gleiche gelte für eine unzureichende Säuberung der Verbindung von Blut, Fett und anderen Stoffen und eine ausreichende Trocknung vor der Fügung. |
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| Ein kürzerer Schaftkonus beeinträchtige die Stabilität der Konussteckverbindung. Die hier verwendete Adapterhülse Größe S führe zu einem größeren Hebelarm. |
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| Fertigungsmängel im Herstellungsprozess führten zur Initiierung der Korrosion. |
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| Es steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass eine unzureichende Krafteinwirkung bei der Fügung der Konusverbindung letztlich zu galvanischer Korrosion und zum Versagen der Prothese geführt hat. Die unzureichende Fügekraft beruht auf einem Instruktionsfehler. |
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| Es kam in beiden zur gemeinsamen Verhandlung verbundenen Fällen zu galvanischer Korrosion am Innenkonus der Adapterhülse. Denn in beiden Fällen wurde dort ein sog. Imprinting, also ein Einprägen der Rillenstruktur des aus einer Titanlegierung bestehenden Schaftkonus in die aus einer Kobalt-Chrom-Legierung bestehende Adapterhülse festgestellt (vgl. Prof. Dr. Kr. GA III S. 24, Prof. Dr. M., PD Dr. Kl. GA I S. 42). Dieses Phänomen ist auf den ersten Blick erstaunlich, da der Schaftkonus aus der mechanisch weicheren Verbindung besteht und bei rein mechanischer Korrosion eine umgekehrte Einprägung zu erwarten wäre. Da aber die Titanlegierung im Vergleich zur Kobalt-Chrom-Legierung die elektrochemisch stabilere ist, kann aus dem Imprinting auf eine stattgehabte galvanische Korrosion geschlossen werden (vgl. Prof. Dr. Kr. Protokoll I S. 9 f.). |
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| Der von Beklagtenseite hiergegen zuletzt vorgebrachte Einwand, das Standardpotential von Titan sei niedriger als das von Kobalt und Chrom verfängt bereits deswegen nicht, weil es sich sowohl bei der Adapterhülse wie auch beim Schaftkonus nicht um reines Titan, Kobalt oder Chrom, sondern um Verbindungen und Legierungen (Co-Cr-Mo u. TiAl7Nb) handelt. Je nach Art der Legierung oder Verbindung ändern sich jedoch die elektrochemischen Eigenschaften (vgl. Prof. Dr. M., Protokoll I S. 11). Die hier verwendete Kobalt-Chrom-Molybdän-Legierung hat eindeutig das negativere elektrochemische Potenzial (vgl. Prof. Dr. Kr., Protokoll S. 11). |
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| Offen ist letztlich lediglich, wie die galvanische Korrosion in Gang gesetzt worden ist. Denn an sich bildet sich beim Kontakt zweier Metallverbindungen mit unterschiedlichen Spannungspotenzialen innerhalb von Millisekunden durch Oxidation eine schützende Passivierungsschicht (vgl. Prof. Dr. Kr. GA III S. 23, Prof. Dr. M., PD Dr. Kl. GA I S. 42 und Protokoll I S. 10). |
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| Die Passivierungsschicht kann allerdings durch Reibkorrosion, Spaltkorrosion oder Mikrobewegungen abgetragen worden sein, wodurch die galvanische Korrosion initiiert wird (vgl. Prof. Dr. Kr. Protokoll S. 9 unten und 10). Die verschiedenen Korrosionsformen können dabei auch zusammenwirken und sich wechselseitig verstärken, so dass eine sog. Versagenskaskade entsteht (vgl. Prof. Dr. Kr. GA III S. 23). Insgesamt sind korrosive Prozess zwar schwer durchschaubar und noch nicht in allen Details im Laborversuch nachgebildet. Es ist allerdings mit dem Sachverständigen Prof. Dr. Kr. davon auszugehen, dass es zu einem solchen Schadensmechanismus gekommen ist (vgl. Protokoll I S. 9 „es spreche mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit alles dafür“) |
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| Entscheidend ist weiter, dass sämtliche möglichen Ausgangspunkte für die Initiierung galvanischer Korrosion durch eine ausreichende Fügekraft beherrscht werden können. Denn es lassen sich Reibkorrosion wie auch Mikrobewegungen durch eine Fügekraft von mindestens 7 kN weitgehend minimieren. Auch Ströme entlang des Spalts können durch eine solche Fügekraft praktisch auf Null reduziert werden (vgl. Prof. Dr. Kr., Protokoll I S. 9 ff. und PD Dr. Kl., Protokoll I S. 10 ff.). |
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| Dass die Fügekraft von entscheidender Bedeutung ist, haben zudem die Laborversuche des Sachverständigen Prof. Dr. Kr. ergeben. Denn nur eine Fügung von mindestens 7 kN gewährleistet eine sichere Verbindung (GA II S.69 f.). |
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| Eine solche Fügekraft ist jedoch mit der maßgeblichen OP-Anleitung von Juli 2004 in keiner Weise gewährleistet gewesen. |
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| Vielmehr liegt insoweit ein Instruktionsfehler i.S.v. § 3 ProdHG vor. |
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| Ein Instruktionsfehler ist gegeben, wenn der Verwender des Produkts nicht oder nur unzureichend über die Art und Weise der Verwendung und die damit verbundenen Gefahren aufgeklärt wird (vgl. Wagner in Münchner Kommentar, 7. Aufl. 2017, ProdHG § 3 Rn. 41; Oechsler in Staudinger (2018) ProdHG § 3 Rn. 46 ff.). Dies ist hier der Fall. Denn in der OP-Anleitung ist lediglich von „einem leichten Schlag“ die Rede. Nach der nachvollziehbaren Studienauswertung des Sachverständigen Prof. Dr. Kr. liegt jedoch die von Operateuren angewandte Einschlagskraft meistens im Bereich von 1-2 kN und nur selten über 4 kN (vgl. GA II S. 73). Die Empfehlung zu „einem leichten Schlag“ stellt damit keine feste Verbindung sicher, sondern lässt vielmehr Lockerungen und Korrosion erwarten. |
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| Zwar hat die Streithelferin des verbundenen Verfahrens 1 O 240/10 dort vorgetragen, ihre Operateure hätten im Regelfall mit 5-10 Schlägen aufsteigender Intensität den Prothesenkopf auf den Schaft aufgeschlagen. Die Beklagte hat dies im Laufe des Prozesses unstreitig gestellt. Auch danach bleibt die Fügekraft jedoch offen und es ist nach der Studienlage nicht von einer ausreichenden Fügekraft auszugehen. Der Sachverständige Prof. Dr. Kr. hat zudem dargelegt, dass eine mehrfache Impaktierung oder eine solche mit aufsteigender Kraft keinen signifikanten Einfluss auf die Verbindungsfestigkeit hat, sondern dass letztlich das Maß der Fügekraft den entscheidenden Faktor darstellt (vgl. GA II S. 44 ff.). |
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| Die erforderliche Fügekraft wäre durch eine hinreichende Instruktion erreichbar und die galvanische Korrosion hierdurch vermeidbar gewesen. |
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| Es kann dahingestellt bleiben, ob neben der unzureichend vorgeschriebenen Fügekraft weitere Fehlerquellen (siehe hierzu sogleich) zum erhöhten und gesundheitlich bedenklichen Metallabrieb beigetragen haben. Denn für die zivilrechtliche Haftung ist es seit langem anerkannt, dass eine kumulative Gesamtkausalität ausreichend ist (vgl. BGHZ 174, 205, Rn. 11; BGH Urteil vom 10.05.1990, IX ZR 113/89 Rn. 22 – jeweils zitiert nach juris). |
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| Jedenfalls fallen sämtliche sonstigen Fehlerquellen und Schadensmechanismen in den Verantwortungsbereich der Beklagten. |
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| Die erforderliche Fügekraft wäre durch eine hinreichende Instruktion erreichbar und die galvanische Korrosion hierdurch vermeidbar gewesen. |
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| Auch wenn man wie die Beklagten von der Unaufklärbarkeit einzelner Ursachenzusammenhänge des Korrosionsgeschehens ausgeht, so lag doch die Auswahl der Materialien und die Herstellung einer festen Verbindung im Verantwortungsbereich der Beklagten. |
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| Sollte weiter davon auszugehen sein, dass sich im Einzelfall wegen des Risikos von intraoperativen Knochenfrakturen eine Fügekraft von 7 kN überhaupt nicht sicher applizieren ließe (vgl. Prof. Dr. Kr., GA II S. 75), so fiele auch dies in den Verantwortungsbereich der Beklagten. Denn dann bliebe das Produkt schon seiner Konzeption nach hinter den gebotenen Sicherheitsmaßstäben zurück, womit neben dem Instruktions- auch ein Konstruktionsfehler vorläge (vgl. BGHZ 181, 253, Rn. 15, BGH NJW 2013, 1302 Rn. 13, zitiert jeweils nach juris). Denn ein Prothesensystem, bei dem aus konstruktiven Gründen eine feste Konussteckverbindung überhaupt nicht sicher hergestellt werden kann, hätte nicht in Verkehr gebracht werden dürfen. |
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| Die Beklagten heben im Ergebnis ohne Erfolg darauf ab, dass weitere Ursachen des Metallabriebs in der Konussteckverbindung denkbar sind. Diese möglichen Ursachen sind zwar bei isolierter Betrachtung nicht widerlegt, fallen aber sämtlich in den Verantwortungsbereich der Beklagten und können deshalb keinesfalls eine Entlastung der Beklagten rechtfertigen. |
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| Soweit der Kläger weitere Ursachen des Abriebs behauptet hat, konnte sich die Kammer von der Richtigkeit der Fehlerbehauptung oder deren Kausalität nicht mit der gebotenen Sicherheit überzeugen. Im Einzelnen stehen folgende Ursachen im Raum: |
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| Es deutet vieles darauf hin, dass Großkopfprothesen zu höheren Reibmomenten, Mikrobewegungen und damit einer höheren Belastung der Konussteckverbindung führen. Dies hat nicht nur die von den Sachverständigen Prof. Dr. M. und PD Dr. Kl. durchgeführte Finite-Elemente-Analyse ergeben (GA I S. 32, GA II S. 18 ff.), vielmehr kommen auch Laboruntersuchungen (Bishop et al. 2012) und klinische Studien (Garbuz 2009, Venditolli 2010, Illgen 2010) zu diesem Schluss (vgl. Prof. Dr. M., PD Dr. Kl. GA I S. 37, GA II S. 18, 38 ff.). Selbst der Privatsachverständige der Beklagten geht in einer für den Prozess verfassten Stellungnahme davon aus, dass man jedenfalls heute wisse, dass Großkopfprothesen die Konussteckverbindung höher belasteten (vgl. White Paper M., Anlage B 43 S. 10). |
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| Die Kammer verkennt nicht, dass sich bei den Laborversuchen des Sachverständigen Prof. Dr. Kr. ein solcher Zusammenhang nur bei insuffizienter Schmierung ergeben hat und dass bei rein tribologischer Betrachtung – bei suffizienter Schmierung des Gelenks - sogar von geringeren Reibmomenten bei Großköpfen auszugehen ist. Die Kammer hat auch gesehen, dass der Sachverständige Prof. Dr. Kr. durch eine sog. Start-Stopp-Testung Ruhepausen von 20 Sekunden simuliert hat, ohne einen signifikanten Einfluss auf die Schmierverhältnisse zu ermitteln (GA II S. 16 ff.). Aus dem Verfahren 1 O 240/10 ist zudem bekannt, dass auch die Testungen der Fa. E. einen erhöhten Verschleiß bei großen Köpfen ergeben, jedoch nicht in dem Ausmaß der nun festgestellten Verschleißvolumina. |
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| Bei der Bewertung dieser Ergebnisse muss aber gesehen werden, dass Laborversuche naturgemäß Einschränkungen unterliegen. So können insbesondere die Schmierverhältnisse (aa.) und die Krafteinwirkung (bb.) nur modellhaft nachgebildet werden. |
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| Der Sachverständige Prof. Dr. M. hat plausibel erläutert, dass die Schmierverhältnisse in vivo stark variieren. So ist das Volumen der Gelenkflüssigkeit, der Zustand der Gelenkkapsel und die Größe des Schmierspaltes von Patient zu Patient unterschiedlich (Protokoll I S. 12 unten f.). |
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| Es kann zudem eine beim Einsetzen entstehende Deformation der Pfanne – etwa eine leicht ovale Form - Auswirkungen auf die Reib- und Schmierverhältnisse der Gleitpaarung haben, da sich durch eine solche Deformation das diametrale Spiel, also der Spalt in der Gleitpaarung verändert. |
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| Weil eine Pfannenverformung auch elastisch erfolgen kann, bedeutet das Fehlen von Deformationszeichen nach Explantation nicht, dass die Pfanne in vivo nicht deformiert gewesen sein kann. |
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| Zwar wurden vorliegend keine Zeichen erhöhten Abriebs an der Gleitpaarung aufgefunden. Dies ist aber auch keine notwendige Bedingung für eine Pfannendeformation und/oder erhöhte Reibmomente (PD Dr. Kl., Protokoll I S. 15 unten). Eine Pfannendeformation und damit einhergehende erhöhte Reibmomente sind daher zwar insgesamt nicht nachgewiesen, aber möglich (Prof. Dr. M. und Prof. Dr. Kr. Protokoll I S. 15 unten). |
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| Die Finite-Elemente-Analyse hat unter modellhafter Berücksichtigung der Schmierungsverhältnisse im Reibkoeffizienten erhöhte Reibmomente bei Großköpfen ergeben (vgl. Prof. Dr. M./Prof. Dr. Kl. GA I S. 32, GA II S. 18, Protokoll I S. 14). |
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| Schließlich muss berücksichtigt werden, dass die Gelenkflüssigkeit auf Grund des unvermeidbaren Abriebs in der Gleitpaarung nach einer gewissen Standzeit der Prothese nicht mehr dem als Schmiermittel in Laborversuchen verwendeten (und häufig mehrfach ausgetauschten) Kälberserum entspricht (Prof. Dr. M. Protokoll I S. 16 unten). |
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| In Laborversuchen können auch die Krafteinwirkungen nur modellhaft nachgebildet werden. Bei den Laborversuchen des Sachverständigen Prof. Dr. Kr. wurde bei den Start-Stopp-Bedingungen eine Belastung von 2 kN appliziert, was in etwa der Belastung beim Loslaufen aus dem Stehen entspricht (Protokoll I S. 16 Mitte). Es kommt jedoch bereits beim Treppensteigen zu einer Belastung von etwa dem vierfachen und bei sportlicher Betätigung des zehnfachen des eigenen Körpergewichts, während die Belastung beim Gehen nur etwa dem dreifachen des Körpergewichts entspricht (Prof. Dr. M. Protokoll I S. 19 unten), so dass auch insoweit die Aussagekraft dieser Laborversuche eingeschränkt ist. |
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| Demgegenüber sind insbesondere klinische Studien naturgemäß besser in der Lage, individuelle Patientenverhältnisse zu berücksichtigen. |
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| Insgesamt spricht nach Auffassung der Kammer daher vieles für erhöhte Reibmomente und eine höhere Fehleranfälligkeit von Großkopfprothesen, ohne dass dies mit der erforderlichen Gewissheit bewiesen werden kann. Dass Großkopfprothesen kaum noch am Markt vertreten sind, bietet ein Indiz für ihre Fehleranfälligkeit (Prof. Dr. M., Protokoll I S. 19 unten). |
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| Die Verwendung von Großköpfen als Konstruktionselement fällt aber jedenfalls in den Verantwortungsbereich der Beklagten. |
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| Es wird diskutiert, dass ein kürzerer Schaftkonus die Stabilität der Konussteckverbindung beeinträchtigt (vgl. PD Dr. Kl., Protokoll II S. 4). Dem stehen die Untersuchungen des Sachverständigen Prof. Dr. Kr. entgegen, der bei Fügekräften zwischen 2 und 4 kN keine signifikanten Unterschiede bei unterschiedlich langen Schaftkonen und bei 6-7 kN sogar eine geringere Torsionsfestigkeit langer Konen festgestellt hat (vgl. GA II S. 36 ff., 61 f., Protokoll I S. 20). Im vorliegenden Fall wurde zudem ein Schaftkonus von 12/14 mm und damit kein besonders kurzer verbaut. Es kommt hinzu, dass der Ort der höchsten Flächenpressung nicht zwingend über die gesamte Kontaktzone von Schaftkonus und Adapterhülse reichen muss, sondern die „Klemmung“ aufgrund von Fertigungstoleranzen auch nur im distalen oder proximalen Bereich stattfinden kann (vgl. Prof. Dr. Kr. GA II S. 50 f.; Protokoll I S. 21). Es ist andererseits möglich, dass längere Schaftkonen eine größere Empfindlichkeit gegenüber Biegebelastungen aufweisen, wobei dies nicht abschließend untersucht ist (vgl. Prof. Dr. Kr., Protokoll II S.10). |
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| Die Verwendung kürzerer Schaftkonen fällt aber jedenfalls in den Verantwortungsbereich der Beklagten. |
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| Es ist möglich, dass die von den Beklagten in unterschiedlichen Größen hergestellten Adapterhülsen (Größen S-XL) je nach Größe zu erhöhtem Abrieb führen. Denn die Kraftübertragung liegt nur bei Adapterhülse Größe M genau im Drehzentrum des Prothesenkopfes (vgl. Prof. Dr. M. / PD Dr. Kl. GA I S. 44). Hierdurch können bei den übrigen Größen Hebelarme entstehen. Da es sich aber nur um eine Verlagerung um einige Millimeter handelt, könnte die mechanische Belastung auch vergleichbar sein (vgl. für Adapterhülse S Prof. Dr. Kr. Protokoll I S. 20 unten). Hinzu tritt wiederum der Umstand, dass sich der Ort der höchsten Flächenpressung innerhalb der Kontaktzone nach distal oder proximal verlagern kann (vgl. Protokoll I S. 21 unten), so dass insgesamt Ungewissheit über etwaige nachteilige Auswirkungen besteht. |
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| Die Verwendung unterschiedlicher Größen von Adapterhülsen fällt aber jedenfalls in den Verantwortungsbereich der Beklagten. |
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| Es bestehen wissenschaftliche Erkenntnisse dazu, dass ein sorgfältiges Reinigen der Konussteckverbindung von Resten von Blut, Fett und anderem organischen Material sowie die Trocknung Einfluss auf die Verbindungsfestigkeit haben. So haben mehrere Studien wie etwa von Pennock et al 2012 oder Krull et al 2017 (Anlage B 68) gezeigt, dass insbesondere organische Rückstände die Verbindungsfestigkeit gefährden können. |
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| Anders als beim Kläger des Verfahrens 1 O 240/10 wurden beim Kläger dieses Verfahrens keine organischen Rückstände an der Konussteckverbindung gefunden. Auch im Verfahren 1 O 240/10 blieb offen, woher die organischen Rückstände stammen, insbesondere ob sie vor oder nach der Fügung dorthin gelangt sind. |
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| Selbst wenn an der explantierten Konussteckverbindung des Klägers organische Rückstände vorhanden gewesen wären, entlastet ein etwaiges fehlerhaftes ärztliches Vorgehen die Beklagte nicht. |
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| Denn die OP-Anleitung von Juli 2004 war auch insoweit unzureichend, so dass ein weiterer Instruktionsfehler vorliegt. |
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| Die OP-Anleitung verhält sich zunächst nicht dazu, wie zu reinigen ist, also etwa zu Anzahl und Art des Einsatzes der erwähnten Tupfer oder zum Reinigungsmittel (vgl. Prof. Dr. M., Protokoll I S. 25). Die Anleitung adressiert zudem nur Blut, aber keine sonstigen organischen Rückstände. Es ist also ohne weiteres möglich, dass auch bei vollständiger Entfernung von Blut weniger gut sichtbare Rückstände wie etwa ein Fettfilm verbleiben. Schließlich enthält die Anleitung keinerlei Hinweise dazu, dass es sich um einen wichtigen, die Produktsicherheit betreffenden Arbeitsschritt handelt. |
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| Als weitere Fehlerursache waren Fertigungsmängel der Adapterhülse wie unregelmäßige Drehriefen, Kratzer oder Fehlstellen diskutiert worden. |
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| Dem lag die Untersuchung einer Originaladapterhülse bei einem Institut für Werkstoffe in Warnemünde zu Grunde. Insoweit kann bei der aber nicht ausgeschlossen werden, dass die Unregelmäßigkeiten beim Transport oder der Untersuchung selbst erst entstanden sind. |
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| Der Sachverständige PD Dr. Kl. konnte bei der Untersuchung einer selbst überwachten Untersuchung an einer weiteren Adapterhülse keine Unregelmäßigkeiten feststellen (vgl. Protokoll I S. 26), so dass sich der Vorwurf eines Fabrikationsfehlers jedenfalls nicht erhärten lässt. |
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| In beiden zur gemeinsamen Verhandlung verbundenen Fällen hat sich gezeigt, dass die Hüftpfanne zwar nicht ausreichend ossär integriert, aber gleichwohl noch bei der Revisionsoperation fest im Beckenknochen verankert gewesen ist. Im Zusammenhang mit der Hüftpfanne wird diskutiert, dass eine nicht fachgerechte Präparation des Acetabulums zu einer Pfannenlockerung und über Mikrobewegungen auch zu Konusverschleiß führen kann. |
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| Ob hier ggf. ärztliche Fehler vorliegen, kann aber dahingestellt bleiben. Denn zum einen war auch hier die OP-Anleitung im Hinblick auf die Beschreibung der Subhemisphäre der Pfanne (in 165° „angeschnittene“ Halbkugel) und das Verankerungsprinzip mittels Rippen unzureichend (vgl. GA Prof. Dr. Kr. GA I S. 46 ff.). Zum anderen haben die Beklagten in beiden Fällen unstreitig gestellt, dass sich die konkrete Beschaffenheit der Pfanne nicht auf die Konussteckverbindung ausgewirkt hat (vgl. Schriftsatz vom 30.10.2014, Band III AS 1245; Protokoll I S. 28). |
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| Sonstige Alternativursachen für den erhöhten Metallabrieb können ausgeschlossen werden. |
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| Der Kläger war mit einem Gewicht von 78 kg bei der Implantation (Behandlungsunterlagen Dr. M., Anlagenheft „Kopierte Behandlungsunterlagen“, Befund vom 11.02.2005) nicht übergewichtig (Prof. Dr. M., GA II, S. 23, S. 35). Es bestehen auch keine Anhaltspunkte für eine Überbeanspruchung, zumal das Prothesensystem von den Beklagten gerade als besonders geeignet für jüngere und aktive Personen beworben wurde (vgl. etwa Wissenschaftliche Information S. 5, Anlage B15). Schließlich lagen auch keine tatsächlichen Anhaltspunkte für das Vorliegen einer Allergie oder einer Infektionen vor. |
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| Die im Jahr 1996 in der rechten Körperhälfte des Klägers eingebrachte Stimulationssonde lässt sich als Ursache für eine hohe Metallbelastung ausschließen, auch wenn sie aus Titan bestehen sollte. Eine Stimulationssonde führt in der Regel nur zu einer geringen Metallbelastung, da sie regelmäßig gut eingekapselt und zudem keiner mechanischen Belastung ausgesetzt wird (Prof. Dr. M., Protokoll I, S. 7 oben). Aufgrund der entfernten Lage zur rechten Hüfte des Klägers ist es zudem mehr als unwahrscheinlich, dass sie für eine erhöhte Metallionenkonzentration an der rechten Hüfte verantwortlich sein könnte (Prof. Dr. M., Protokoll II, S. 16 Mitte). |
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| Die Ersatzpflicht der Beklagten ist auch nicht nach § 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHG ausgeschlossen. Denn der Produktfehler war im Zeitpunkt der Inverkehrgabe im Jahr 2005 nach dem Stand der Wissenschaft und Technik erkennbar. |
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| Die Annahme eines sog. Entwicklungsfehlers nach § 1 Abs. 2 Nr. 5 ProdHG, für den die Beklagte nicht einzustehen hätte, setzt voraus, das die potenzielle Gefährlichkeit des Produkts im Zeitpunkt seiner Inverkehrgabe nach dem damaligen Stand von Wissenschaft und Technik nicht erkannt werden konnte, weil die Erkenntnismöglichkeiten nicht bestanden oder noch nicht weit genug fortgeschritten waren (vgl. BGHZ 181, 253, Rn. 28; BGHZ 129 353 Rn. 17; BGH Urteil vom 05.02.2013 VI ZR 1/12 Rn. 9 jeweils zitiert nach juris). |
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| Dabei ist Bezugspunkt für die potenzielle Gefährlichkeit nicht der konkrete Fehler des schadensstiftenden Produkts, sondern das mit der gewählten Konzeption verbundene allgemeine Fehlerrisiko. |
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| Für die Erkennbarkeit maßgeblich ist das objektiv zugängliche Gefahrenwissen. Auf die subjektiven Erkenntnismöglichkeiten des Herstellers kommt es hingegen nicht an (BGHZ 181, 253 Rn. 28). |
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| Der maßgebliche neueste Stand von Wissenschaft und Technik darf dabei nicht mit Branchenüblichkeit gleichgesetzt werden, da die in der jeweiligen Branche praktizierten Sicherheitsvorkehrungen durchaus hinter den technischen Entwicklungen und den rechtlich gebotenen Maßnahmen zurückbleiben können (BGH a.a.O. Rn. 16, m.w.N.). |
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| Die Möglichkeit der Gefahrvermeidung ist bereits dann gegeben, wenn nach gesichertem Fachwissen der einschlägigen Fachkreise praktisch einsatzfähige Lösungen zur Verfügung stehen. |
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| Dabei muss allerdings bei unvermeidbaren Risiken unter Berücksichtigung ihrer Eintrittswahrscheinlichkeit, ihrer Art, ihres Umfangs und andererseits des Produktnutzens abgewogen werden, ob das Produkt überhaupt in Verkehr gebracht werden darf (BGH a.a.O. Rn. 17). |
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| Gemessen an diesen Maßstäben hätte das streitgegenständliche Prothesensystem von den Beklagten nicht, jedenfalls nicht ohne weitergehende Testung und Fortentwicklung in Verkehr gebracht werden dürfen. |
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| Denn das streitgegenständliche Prothesensystem stellte in mehrfacher Hinsicht einen erheblichen Innovationsschritt dar (I.). Dieser ging mit mehreren Risiken für die Patientensicherheit einher, die den Beklagten entweder bekannt oder zumindest erkennbar waren (II.). Die Beklagten testeten das Prothesensystem nur unzureichend. Es standen bereits im Jahr 2005 mehrere Testverfahren zur Verfügung, die die potenzielle Gefährlichkeit des Produkts aufgezeigt hätten (III.). Auf Grundlage des im Jahr 2005 vorhandenen Gefahrenwissens hätte das Prothesensystem nicht auf den Markt gebracht werden dürfen. Selbst wenn man eine Nutzen-Risiko-Abwägung für erforderlich hielte, führte diese zu keinem anderen Ergebnis (IV.). |
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| Mit dem streitgegenständlichen Prothesensystem wurden erstmals (abgesehen von Kappenprothesen) große Köpfe (>40 mm statt wie zuvor < 30 mm) mit einer Metall-auf-Metall-Gleitpaarung konzipiert. Die Pfanne wurde nicht wie zuvor üblich mit einem Inlay, sondern als dünne Monoblockpfanne entwickelt. Von Anfang an wurde die Konussteckverbindung mit einer Adapterhülse kombiniert (vgl. insgesamt zu den wesentlichen Designänderungen Prof. Dr. M. und PD Dr. Kl., Protokoll I S. 4 f.). Zwar war keine der einzelnen Designänderungen völlig neu. Jedoch war der Innovationsgehalt des Systems insgesamt als hoch zu bewerten, da sich bei gleichzeitiger Änderung mehrerer Variablen Risiken potenzieren können (vgl. Prof. Dr. M., Protokoll II S. 6). |
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| Im Jahr 2005 war seit langem bekannt, dass aus modularen Steckverbindungen Metallpartikel bzw –ionen austreten können und dies zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen kann. So wurde etwa durch die Studie Brodner et al im Jahr 1997 erhöhter Kobalt-Gehalt im Serum von Patienten mit Metall-auf-Metall-Gleitpaarungen im Vergleich zu Keramik-Polyethylen-Gleitpaarungen aufgefunden und darauf hingewiesen, dass Kobalt auch aus der Konusverbindung austreten kann. Die Autoren der Studie Bobyn et al empfahlen bereits 1994, aus diesem Grund modular aufgebaute Prothesen unter strengen Prüfbedingungen zu testen (vgl. jeweils Prof. Dr. M. GA II S. 53). Jacobs et al identifizierten in Studien aus den Jahren 1995 und 1998 Korrosion in der modularen Konussteckverbindung als Quelle von Kobalt und Chrom und äußerten ernsthafte klinische Bedenken (Prof. Dr. M. GA II S. 54 f.). Die Beklagten selbst gaben in ihrer klinischen Bewertung im Zulassungsprozess des streitgegenständlichen Prothesensystems an, dass Korrosionserscheinungen an Konusverbindungen beobachtet wurden und sich am effektivsten durch eine stabile Konusverbindung verhindern ließen (vgl. Prof. Dr. M. GA II S. 48 oben). Die Beklagten berichteten zudem in einer „Wissenschaftlichen Information“ aus dem Jahr 2005 selbst, dass Hypersensitivitätsreaktionen und lymphozytische Inflammation in einigen Fällen von stark korrodierten Kopf-Halsverbindungen beobachtet wurden (Anlage B 14 S. 28). |
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| Die Kammer übersieht nicht, dass sich die Beklagten mit dem Sachverständigen Prof. Dr. Kr. (vgl. Protokoll II S. 6) auf den Standpunkt stellen, dass die klinische Relevanz solcher Korrosionserscheinungen im Jahr 2005 noch nicht bekannt gewesen sei, weil etwa klinische Studien hierzu nicht vorgelegen hätten. Dies ändert aber nichts daran, dass das Risiko als solches und seine potenzielle Gefährlichkeit bekannt gewesen sind. |
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| Bei Inverkehrgabe im Jahr 2005 war bekannt, dass der Fügekraft für die Herstellung einer stabilen Konussteckverbindung und zur Vermeidung von Korrosion eine wesentliche Bedeutung zukommt. Dieser Zusammenhang wurde etwa beschrieben in den Studien von Pennock et al (2002), (vgl. Prof. Dr. Kr. GA III S. 32), Goldberg et al (2003), Bobyn et al (1994) (vgl. Prof. Dr. M. GA II S. 55). Es ist aber auch anzunehmen, dass den Beklagten selbst die Rolle der Fügekraft bekannt war. So hat ihr Mitarbeiter M. in einer am 8.4.2005 eingereichten Studie („Effect of Impact Assembly on Fretting Corrosion of Modular Hip Tapers“) genau diese Fragestellung untersucht und zusammenfasend darauf hingewiesen, dass zwischen Fügekraft und Umgebungsbedingungen (insbesondere Trockenheit) bei der initialen Fügung und dem Ausmaß von klinisch relevanter Reibkorrosion ein Zusammenhang besteht. Schließlich wird die Bedeutung einer stabilen Konusverbindung zur Vermeidung von Reibkorrosion in der eigenen Klinischen Bewertung der Beklagten zum streitgegenständlichen Prothesensystem vom 03.07.2003 beschrieben (vgl. Prof. Dr. M. GA II S. 48 oben). Eine stabile Verbindung sei dabei durch die vorzuschreibende OP-Technik, geeignete Instrumente und genaue Konuspassung sicherzustellen. Gerade in dieser Hinsicht war die OP-Anleitung aber fehlerhaft (s.o.). |
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| Bei der Inverkehrgabe des Prothesensystems bestanden mehrere Anhaltspunkte dafür, dass große Köpfe aus Metall zu erhöhtem Metallabrieb führen können. So ergaben sich in einer Studie von Clarke et al 2003 signifikant erhöhte Kobalt- und Chromionenspiegel im Serum von Patienten mit großen Köpfen im Vergleich zu kleinen Köpfen, wobei nicht verkannt wird, dass der Studie Kappenprothesen, also Prothesen ohne Steckverbindung, zu Grunde lagen (vgl. Prof. Dr. M. GA II S. 53). In einer Hüftsimulator-Studie von Nassutt et al aus dem Jahr 2003 ergaben sich höhere Reibmomente bei Großköpfen insbesondere nach Ruhepausen. Dabei wurde allerdings nur die Gleitpaarung ohne Konusverbindung getestet. In den von den Beklagten im Jahr 2005 herausgegebenen „Wissenschaftlichen Informationen zu Metasul“ findet sich, dass die Beklagten selbst einen dreifach erhöhten Einlaufverschleiß der Großkopfgleitpaarung (50 mm) im Vergleich zu herkömmlichen kleinen Köpfen (28 mm) ermittelt hatten (Anlage B 14 S. 21). Erst auf längere Sicht kehrt sich das Verhältnis um. |
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| Die Kammer berücksichtigt, dass sich in der Untersuchung des Sachverständigen Prof. Dr. Kr. ein solcher Zusammenhang nicht bzw. nicht in dem Maße gezeigt hat (vgl. oben B IV Nr. 2). Dies ändert aber wiederum nichts daran, dass angesichts der Studienlage das Risiko als solches und seine potenzielle Gefährlichkeit bekannt waren. |
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| Im Jahr 2005 zählte es bereits seit langem zum medizinischen Grundlagenwissen, dass die Freisetzung von Metallpartikeln bzw -ionen zu Gesundheitsschäden wie entzündlichen Gewebeprozessen oder Prothesenlockerung und –versagen führen kann. Auch wenn Schwellenwerte noch nicht bekannt bzw. festgelegt waren, war das Risiko seit den 90er-Jahren bekannt (vgl. Prof. Dr. M., Protokoll II S. 3 f.). |
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| Der Mitarbeiter der Beklagten M. beschrieb in seiner Studie aus 2005, dass die Folgen von Reibkorrosion in modularen Implantatsystem die Freisetzung von Korrosionsprodukten, schädliche Gewebereaktionen und in seltenen Fällen Implantatversagen sein können (M. et al S. 272). Es war daher auch bereits im Jahr 2005 das Gebot der Minimierung solcher Abriebprodukte anerkannt (Prof. Dr. Kr., Protokoll II S. 4 unten). Die Kammer verkennt nicht, dass im Jahr 2005 längst nicht alle Einzelheiten des konkreten Schadensmechanismus bekannt waren und auch heute wohl noch nicht sind. So hat Prof. Dr. Kr. etwa ausgeführt, dass es einen Unterschied zwischen der Freisetzung von Metallionen aus der Konussteckverbindung und Metallpartikeln aus der Gleitpaarung geben könnte und dass eine unterschiedliche Immunantwort hierauf erst ab dem Jahr 2012 näher untersucht wurde. Dies ändert aber wiederum nichts daran, dass die potenzielle Gefährlichkeit von Metallabrieb aus der Konussteckverbindung bekannt war. |
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| So hat etwa der Mitarbeiter der Beklagten M. in der erwähnten Studie bereits 2005 festgehalten, dass speziell Metallionen eine Rolle bei Immunantworten von Implantatempfängern und beim Auftreten von schädlichen Gewebereaktionen spielen können (S. 272 der Studie). |
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| Die Beklagten haben zwar die Gleitpaarung in den Jahren 2005-2007 getestet (Testberichte ZZR_WI_0012_05, ZZR_WI_0173_06 und ZZR_WI_0768_07). Nur hierfür gilt die von den Parteien in Bezug genommene Norm ISO 14242-1. |
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| Die Beklagten haben die Konussteckverbindung aber nur unzureichend getestet. Nach dem hierzu vorgelegten Testbericht BM1160R vom 31.01.2004 wurde zwar die Konusfestigkeit mittels Torsionstests untersucht. Die gewählte Untersuchungsmethode war aber kritikwürdig. So wurde ein Fallhammer dreimal aus einer Höhe von 12 cm fallengelassen, was einer Impaktierung von ca. 7 kN entsprach. Andere – geringere – Fügekräfte wurden hingegen nicht getestet (Prof. Dr. Kr., GA II S. 89.). Dies wäre aber erforderlich gewesen, da nur solche dem klinischen Alltag entsprechen bzw. zumindest mit einer Bandbreite weit unter 7 kN zu rechnen war (s.o. B III). |
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| Zum Zeitpunkt der Inverkehrgabe standen Labortestverfahren zur Konusfestigkeit zur Verfügung. Die Norm ASTM F 2009-00 beschrieb bereits damals einen Abzugstest an der Konusverbindung, die Norm ISO 7206-9 Abdrehversuche. Solche Tests wurden von den Beklagten aber erst nach der Markteinführung im Jahr 2008 durchgeführt (vgl. insgesamt Prof. Dr. M., PD Dr. Kl. GA I S. 54). |
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| Es wäre im Jahr 2005 zudem möglich gewesen, Tests der Konussteckverbindung am Hüftsimulator durchzuführen, wie dies die Beklagte selbst im Jahr 2010 getan hat (sog. ACF-Test = ZRR_WA_2170_10, vgl. Prof. Dr. Kr. GA II S. 84 ff.). |
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| Die Kammer verkennt nicht, dass sich in diesen Tests bei weitem nicht das Ausmaß an Abrieb im Innenkonus gezeigt hat wie im Fall des Klägers bzw. vergleichbaren Parallelfällen. Gleichwohl hätte sich ergeben, dass es zu relevantem Abrieb auch in der Konussteckverbindung kommt, dass dieser bei großen Köpfen tendenziell höher ist und dass die Fügekraft das Ausmaß des Abriebs beeinflusst (Prof. Dr. Kr. GA II S. 86, Prof. Dr. M. GA II S. 29 oben und Protokoll II S. 11 f.). |
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| Schließlich standen elektrochemische Testaufbauten zur Verfügung, die - wie etwa durch M. et al durchgeführt (s.o.) -, ebenfalls ergeben hätten, dass der Fügekraft und den Umweltbedingungen bei der Fügung erhebliches Gewicht für die Konusstabilität zukommt (vgl. Prof. Dr. M., PD Dr. Kl. GA II S. 32 oben). |
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| Im Jahr 2005 waren zudem bereits Finite-Elemente-Analysen, also die Analyse des Verhaltens von Prothesenkomponenten mittels Computersimulation, in der biomechanischen Wissenschaft etabliert (vgl. PD Dr. Kl., Protokoll II S. 9). Durch solche Analysen hätte sich ergeben, dass Reibmomente bei größeren Köpfen höher sind und dass höhere Spannungen und Mikrobewegungen bei bestimmten Kombinationen, wie etwa bei einem kurzen Stielkonus oder der Verwendung der Adapterhülse Größe S auftreten können (vgl. Prof. Dr. M., PD Dr. Kl., GA II S. 36 ff.). |
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| Die Kammer verkennt nicht, dass sich etwa in den Laborversuchen des Sachverständigen Prof. Dr. Kr. solche Zusammenhänge nicht gezeigt haben. Gleichwohl hätte eine entsprechende Analyse darauf hingewiesen, dass nicht ohne Weiteres vom bisherigen Verhalten der Bauteile ausgegangen werden kann und Anlass zu weitergehenden Untersuchungen besteht. |
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| Vor einer breiten Markteinführung wäre es möglich gewesen, an Hand eines kleinen Patientenkollektivs klinische Studien durchzuführen. Solche klinischen Studien waren nach Auffassung der Kammer bei dem streitgegenständlichen Prothesensystem auch in rechtlicher Hinsicht geboten. |
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| Nach § 6 Abs. 1 Medizinproduktegesetz (MPG) darf ein Medizinprodukt nur mit CE-Kennzeichen in Verkehr gebracht werden. Mit CE-Kennzeichen dürfen nach § 6 Abs. 2 MPG nur solche Medizinprodukte versehen werden, die die Grundlegenden Anforderungen nach § 7 MPG erfüllen. Nach § 7 Abs. 1 sind die Grundlegenden Anforderungen in Anhang I der Richtlinie 93/42/EWG geregelt. |
|
| Nach Anhang I Ziff. I Nr. 1 müssen Produkte u.a. so ausgelegt sein, dass ihre Anwendung weder den klinischen Zustand noch die Sicherheit der Patienten gefährdet. Nach Nr. 2 muss der Hersteller dabei den allgemein anerkannten Stand der Technik berücksichtigen, den Grundsatz der Risikominimierung beachten, hilfsweise angemessene Schutzmaßnahmen ergreifen und weiter hilfsweise den Benutzer über auch dann noch fortbestehende Restrisiken unterrichten. |
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| Nach Anhang X Nr. 1.1 muss der Nachweis, dass die Anforderungen aus Anhang I erfüllt werden, bei implantierbaren Produkten wie vorliegend durch klinische Daten belegt sein. Klinische Daten können nach Nr. 1.1.1. aus einer Zusammenstellung der seinerzeit verfügbaren einschlägigen wissenschaftlichen Literatur oder nach Nr. 1.1.2 aus den Ergebnissen klinischer Studien stammen. |
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| Nach Auffassung der Kammer folgt daraus, dass es entweder bereits einschlägige wissenschaftliche Literatur zu vergleichbaren Produkten geben muss oder aber, dass klinische Studien durchzuführen sind. Dass die Sichtung und Zusammenstellung von wissenschaftlicher Literatur nur dann ausreichen kann, wenn sie sich auf gleichartige Produkte bezieht, ergibt sich nach Auffassung der Kammer bereits aus Sinn und Zweck der Vorschrift, nämlich die Patientensicherheit zu gewährleisten (vgl. Anhang I), aber etwa auch aus der insofern klarstellenden Änderung der Richtlinie durch die Richtlinie 2007/47/EG vom 5.9.2007. Die Ansicht, dass die Verwertung klinischer Daten aus anderen Studien nur bei Gleichartigkeit des Produkts möglich ist, wird auch durch den Sachverständigen PD Dr. Kl. geteilt (Protokoll II S. 9). |
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| Bei dem streitgegenständlichen Prothesensystem war insbesondere auf Grund seines hohen Innovationsgehaltes bei mehreren Bauteilen die bloße Auswertung der bestehenden Studienlage unzureichend. Vielmehr wären zwingend klinische Studien geboten gewesen. |
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| Diese hätten ergeben, dass bei der Kombination von großen Köpfen und modularer Steckverbindung mit signifikant erhöhten Kobalt- und Chromwerten und höheren Revisionsraten zu rechnen ist. Denn zu diesen Ergebnissen sind die später durchgeführten klinischen Studien von Garbuz et al 2009 (Abraten von Großkopfprothesen wegen exzessiv erhöhter Metallionenkonzentrationen), Venditolli et al 2010 ( erhöhte Kobaltwerte bei der Verwendung einer Adapterhülse, Empfehlung zur Modifizierung oder Aufgabe der Kombination Adapterhülse – Großköpfe), Illgen et al 2010 (signifikant höhere Revisionsraten bei modularen Prothesen im Vergleich zu nicht modularen, weitere Forschung empfohlen) und - zumindest bei längerer Beobachtungszeit - auch die Metastudie von Esposito et al 2014 gekommen (Anlage B 66 S. 30 f. – Fehlerhäufung im Sinne eines klinischen Problems ab den Jahren 2008/2009). |
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| Bei dem damit vorhandenen Gefahrenwissen im Jahr 2005 hätte das streitgegenständliche Prothesensystem nicht auf den Markt gebracht werden dürfen, jedenfalls nicht ohne weitere Testung und Fortentwicklung. |
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| Denn es kommt nicht darauf an, dass der konkrete klinische Schadensmechanismus vorhersehbar gewesen sein muss, sondern es reicht aus, dass die potenzielle Gefährlichkeit der gewählten Konzeption des Produkts im Jahr 2005 bekannt gewesen ist. |
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| In Kenntnis der mit dem Prothesensystem einhergehenden Risiken von erhöhtem Metallabrieb, Konuslockerung und Osteolysen wäre aber zwingend zumindest eine Zurückstellung der Markteinführung und weitere Testung geboten gewesen. Denn derartige, die Patientensicherheit gefährdende Risiken wären nach Auffassung der Kammer bei der Entscheidung über die Markteinführung ein Ausschlusskriterium gewesen. |
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| Selbst wenn man aber davon ausginge, dass solche Risiken nach dem damaligen Stand von Wissenschaft und Technik nicht gänzlich vermeidbar gewesen sind, würde die dann gebotenen Nutzen-Risiko-Abwägung zu keinem anderen Ergebnis führen. Denn dem Nutzen größerer Beweglichkeit und geringeren Luxationsrisikos hätten die Risiken einer Gesundheitsgefährdung und des Prothesenversagens gegenüber gestanden. Es wäre bei einer solchen Abwägung zudem zu berücksichtigen gewesen, dass die Versorgung der Bevölkerung mit funktionierenden Hüfttotalendoprothesen etwa mit Kleinkopfprothesen oder nicht-modularen Systemen gesichert war. Vor weiterer Testung und Fortentwicklung wäre es den Beklagten auch unter diesem Gesichtspunkt verwehrt gewesen, das Produkt auf den Markt zu bringen. |
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| Der erhöhte Metallabrieb hat beim Kläger zu Gesundheitsschäden geführt. |
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| Der erhöhte Metallabrieb führte zu einer Osteolyse am Trochanter des Klägers. Diese stellte eine Indikation für den am 08.01.2010 durchgeführten Prothesenwechsel dar. |
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| Auf den intraoperativen Lichtbildern vom 08.01.2010 sind mottenfraßähnliche Auflösungen am Tochanter im Sinne von Osteolysen erkennbar (Prof. Dr. M., Protokoll I S. 6 unten), die auf dem präoperativen Röntgenbild vom 07.01.2010 nicht abgebildet sind (Prof. Dr. M., Protokoll II, S. 17). Bei Osteolysen handelt es sich um die Folge einer Abwehrreaktion des Körpers auf Metallfreisetzung in Form von Partikeln und Ionen (Prof.Dr. M., Protokoll I, S. 5). |
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| Diese Osteolyse begründete die Indikation für den Prothesenwechsel vom 08.01.2010 im Sinne einer relativen Operationsindikation. Zwar waren röntgenologisch keine Osteolysen erkennbar und der fortdauernde Schmerz, unter dem der Kläger litt, war seit der ersten Revisionsoperation im Wesentlichen gleichgeblieben, so dass nicht per se an eine Operation gedacht werden musste. Aus medizinischer Sicht wäre es auch ausreichend gewesen, regelmäßige Kontrollen durchzuführen (Prof. Dr. M., Protokoll II, S. 17). Dennoch war es nicht fehlerhaft, hier einen Prothesenwechsel vorzunehmen. Dass sich die Osteolyse zurückbilden könnte, war jedenfalls auszuschließen und es bestand zudem die Möglichkeit eines Fortschreitens des Prozesses. |
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| Es lässt sich allerdings nicht feststellen, dass die Bursitis, die Anlass für die Revisionsoperation vom 13.7.2006 war, auf einen erhöhten Metallabrieb zurückzuführen ist. Nach den überzeugenden Ausführungen von Prof. Dr. M. (Protokoll II, S. 18 Mitte) erfolgte nach der Darstellung im Operationsbericht die Operation vom 13.07.2006 primär zur Entfernung einer bei der ersten Hüftoperation verbliebenen Restbursa und vorhandener Verknöcherungen (periartikuläre Verkalkungen), die bei der Erstoperation nicht komplett ausgeräumt worden waren. Ein Zusammenhang zwischen der Notwendigkeit dieser ersten Revisionsoperation und dem Metallabrieb lässt sich daher nicht herstellen. Zudem kann die vorgefundene Bursitis nicht sicher auf den Metallabrieb zurückgeführt werden, da eine solche auch auf anderen Ursachen beruhen kann, die nicht sicher auszuschließen sind (vgl. Protokoll II S. 13 oben). |
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| Es lässt sich zudem nicht sicher feststellen, dass der Schmerz, den der Kläger als unmittelbar postoperativ nach Implantation der streitgegenständlichen Hüftprothese auftretend schilderte und der auch nach der ersten Revisionsoperation vom 13.07.2006, wenn auch in geringerem Ausmaß, als solcher aber gleichbleibend, vorhanden war, auf den erhöhten Metallabrieb zurückzuführen ist. Dagegen spricht, dass der Kläger bis zur Revisionsoperation vom 08.01.2010 noch keinen großen Gesundheitsschaden erlitten hatte (Prof. Dr. M., Protokoll II, S. 18). Auf dem präoperativen Röntgenbild vom 07.01.2010, war noch keine wesentliche Osteolyse erkennbar (Prof. Dr. M., Protokoll II, S. 17), sie hatte jedenfalls noch kein solches Ausmaß erreicht, dass mit ihr klinische Beeinträchtigungen einhergehen konnten (Prof. Dr. M., Protokoll II. S. 18). Auch der Umstand, dass der Kläger die Schmerzen als auf dem gleichen Schmerzniveau weitgehend gleichbleibend schilderte, spricht eher gegen eine metallabriebinduzierte Schmerzreaktion. Auf Metallabrieb basierende Schmerzen nehmen typischerweise in einem Zeitraum von 6 bis 12 Monaten zu (Prof. Dr. M., Protokoll II, S. 19). |
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| Dem Kläger sind folgende materielle Schäden entstanden: |
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| 1. Zuzahlungen zur Krankengymnastik ab Mai 2010 (37,28 EUR) |
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| Aufgrund des engen zeitlichen Zusammenhangs zum Operationsgeschehen vom 08.01.2010 mit einem anschließenden stationären Aufenthalt bis zum 18.01.2010 hat das Gericht keine Zweifel daran, dass die erstmals 4 Monate nach der Revisionsoperation erfolgte und dann noch einmalig wiederholte Verordnung von Krankengymnastik aufgrund der Revisionsoperation erforderlich wurde. |
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| 2. Medikamentenzuzahlungen vom 10.01.2010 und 04.02.2010 (Anlagen K 14, K 15, insgesamt 20,00 EUR) |
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| Dass unmittelbar postoperativ die Verordnung eines Gerinnungshemmers (Clexane, Prof. Dr. M., Protokoll II, S. 19) und von Schmerzmitteln (Voltaren Resinat und Tilidin, Prof. Dr. M., Protokoll II, S. 19) erfolgen musste und am 04.02.2010 wiederholend nochmals mit Voltaren Resinat ein Schmerzmittel zusätzlich mit Magenschutz (Pantoprazol, Prof. Dr. M., Protokoll II, S. 19) erforderlich war, ist für die Kammer nachvollziehbar. Die Kosten für die Zuzahlungen in Höhe von 20,00 EUR sind daher von der Beklagten zu erstatten. |
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| 3. Medikamentenzuzahlung vom 29.05.2010 |
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| Das abschwellende (Prof. Dr. M., Protokoll II, S. 19 Mitte) Medikament „Prednisolon“ wurde binnen 5 Monaten postoperativ verordnet. Aufgrund der zeitlichen Nähe zur Revisionsoperation ist das Gericht davon überzeugt, dass die Verordnung im Zusammenhang mit Operationsfolgen erforderlich wurde. |
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| 4. Leih-Fernsehapparat, 45,00 EUR |
|
| Die Kosten für den Leih-Fernsehapparat sind nicht erstattungsfähig. Bei der Frage der Erstattungsfähigkeit der Kosten für ein Fernsehgerät kommt es nicht darauf an, ob der Geschädigte zu Hause ein Fernsehgerät zur Verfügung hat oder ob ein solches heutzutage zur “normalen Lebensführung” gehört, sondern es kommt entscheidend nur auf die Frage an, ob und in welchem Umfang die Benutzung eines Fernsehgerätes im Krankenhaus erforderlich war, um den Heilungsprozess zu fördern (OLG Düsseldorf, Urt. v. 19.11.1003, 22 U 135793, NJW-RR 1994, 352, beck-online). Hierzu fehlt jeder Vortrag des Klägers. |
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| 5. Krankenhaustagegeld (Zuzahlungen) vom 7.1.2010 bis 18.1.2018, 120,00 EUR |
|
| Zuzahlungen im Falle eines stationären Krankenhausaufenthaltes sind nicht erstattungsfähig. Die Zuzahlungen stellen einen Ausgleich für ersparten häuslichen Verpflegungsaufwand dar. |
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| Die Kammer konnte sich nicht davon überzeugen, dass der Kläger durch die Folgen der Implantation der fehlerhaften Hüftendoprothese der Beklagten einen Verdienstausfallschaden erlitten hat. |
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| Der Kläger hatte bereits vor der Implantation der Hüftprothese am 23.02.2005 seine frühere selbständige Tätigkeit als Gipsermeister wegen Beschwerden im linken Knie aufgegeben und war vor der Operation nicht berufstätig. Die ständigen auf die Knieproblematik zurückzuführenden Schmerzen hatten dazu geführt, dass dem Kläger 1996 eine Stimulationssonde eingesetzt wurde. |
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| b.) Zu diesen Beschwerden traten weitere Beschwerden hinzu, insbesondere durch die Coxarthrose rechts, die letztlich dazu führten, dass das streitgegenständliche Implantat eingesetzt wurde, aber auch die einer nach 2005 zunehmend schmerzhaften Coxarthrose links. Insbesondere die andauernden Schmerzen in der Hüfte rechts führten nach Angaben des Klägers dazu, dass er entgegen seiner Erwartungen nach der Hüftoperation vom 23.02.2005 keine Berufstätigkeit aufnehmen konnte. |
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| Diese Schmerzen können jedoch – zumindest nicht für die gesamte postoperative Zeitspanne – auf die Implantation der streitgegenständlichen Hüftprothese zurückgeführt werden. |
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| Dagegen spricht schon der Verlauf. Der Kläger hat angegeben, seit dieser Hüftoperation permanent unter Schmerzen zu leiden (Protokoll I, S. 3). Bereits diese Schmerzschilderung spricht dagegen, dass die andauernden Schmerzen auf einer metallabriebinduzierten Osteolyse beruhen. Bedingt durch den zunehmenden Metallabrieb sind darauf beruhende Schmerzen typischerweise zunehmend, nicht jedoch gleichbleibend wie beim Kläger (Prof. Dr. M., Protokoll II, S. 19 oben). Die Schmerzen beim Kläger traten zudem unmittelbar postoperativ auf, auch dies spricht gegen einen Metallabrieb als Ursache der Schmerzen. Vor diesem Hintergrund sieht das Gericht keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass die andauernden Schmerzen des Klägers auf die Implantation der fehlerhaften Hüftprothese zurückgeführt werden könnten. Insbesondere ist nicht auszuschließen, dass diese durch die fortschreitende Vorerkrankung des Klägers, die Coxarthrose hervorgerufen werden. |
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| F. Immaterieller Schaden, Feststellungsantrag |
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| Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes waren sämtliche Umstände des Einzelfalls zu würdigen (vgl. BGHZ 212, 48; BGHZ 18, 149). Die Kammer hat bei der hier im Vordergrund stehenden Ausgleichsfunktion des Schmerzensgeldes insbesondere die unter D. festgestellten, kausalen Gesundheitsschäden in die Abwägung eingestellt. Dabei stachen insbesondere die Osteolyse, die Notwendigkeit einer Revisionsoperation und die Ungewissheit über den Krankheitsverlauf bis zu diesem Eingriff hervor. Die trotz des Revisionseingriffs weiterbestehenden Schmerzen konnten hingegen bei der Bemessung des Schmerzensgeldes keine Berücksichtigung finden, da deren Ursache nicht sicher in der implantierten Hüftprothese zu sehen ist. |
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| Nach Abwägung aller Umstände hält die Kammer insgesamt ein Schmerzensgeld von 25.000 EUR für angemessen. Damit sind die entstandenen immateriellen Schäden des Klägers angemessen ausgeglichen, so dass aus Sicht der Kammer keine zusätzliche Schmerzensgeldrente zugesprochen werden konnte. |
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| Der Feststellungsantrag ist weitgehend begründet. Denn der Kläger hat ein schutzwürdiges rechtliches Interesse i.S.v. § 256 ZPO an der Feststellung der Eintrittspflicht der Beklagten für zukünftige Schäden. Allerdings musste der Feststellungsantrag hinsichtlich der immateriellen Schäden wegen des Grundsatzes der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes auf die nicht vorhersehbaren zukünftigen Schäden begrenzt werden (vgl. etwa BGH Urteil vom 14.02.2006 - VI ZR 322/04). |
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| Der Anspruch auf Verzugszinsen ergibt sich aus §§ 291, 288 Abs. 1 BGB. |
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| Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Hinsichtlich des Feststellungantrags hat die Kammer ein Obsiegen des Klägers in Höhe von EUR 12.000,00 bezüglich des mit EUR 15.000,00 bewerteten Feststellungsantrags angenommen. |
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| Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO. |
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