Urteil vom Landgericht Hagen - 10 S 418/89
Tenor
Auf die Berufung der Kläger wird unter Zurückweisung des Rechtsmittels im übrigen das am 01. August 1989 verkündete Urteil des Amtsgerichts Hagen abgeändert und wie folgt neu gefaßt:
Die Klage wird abgewiesen.
Das Mietverhältnis zwischen den Parteien betreffend die Einliegerwohnung im Hause xxx wird auf unbestimmte Zeit fortgesetzt.
Die Beklagten sind verpflichtet, ab dem 01. Mai 1990 einen monatlichen Mietzins von 450,74 DM (in Worten: Vierhundertfünfzig 74/100 Deutscher Mark) an die Kläger zu zahlen.
Die Beklagten sind weiter verpflichtet folgende Betriebskosten anteilig zu tragen:
- Grundsteuer
- Kosten der Wasserversorgung
- Kosten der Entwässerung
- Kosten der Heizungsreinigung und Schornsteinfegergebühren
- Kosten der Straßenreinigung und Müllabfuhr
- Kosten der Sach- und Haftpflichtversicherung
- Kosten des Betriebs der Gemeinschafts-Antennenanlage.
Die Kläger bestimmen den Umlegungsschlüssel.
Die Kosten des Betriebs der Gemeinschaftsantenne betragen pauschal 3,-- DM/Monat.
Auf die übrigen Betriebskosten sind monatliche Vorauszahlungen in Höhe von 59,-- DM zu entrichten; davon entfallen 20,-- DM auf die Kosten der Wasserversorgung und Entwässerung.
Der Mietzins und die Betriebskostenvorauszahlungen sowie die Pauschale für die Gemeinschafts-Antennenanlage sind monatlich im voraus, spätestens am dritten Werktag eines Monats zu entrichten.
Die Schönheitsreparaturen haben die Beklagten auf ihre Kosten durchzuführen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Kläger.
1
Entscheidungsgründe:
2(Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO abgesehen)
3Die Berufung führt zu dem Ergebnis, daß die Klage mit der Maßgabe abgewiesen bleibt, daß das Mietverhältnis nur unter veränderten, angemessenen Bedingungen fortgesetzt wird. Zwar ist die Eigenbedarfskündigung der Kläger wirksam, jedoch ist das Mietverhältnis aus sozialen Gründen fortzusetzen.
4Das Amtsgericht hat im Ergebnis zutreffend den Abschluß eines Mietaufhebungsvertrages zwischen den Rechtsvorgängern der Kläger und den Beklagten verneint.
5Die Kläger haben den Abschluß eines Aufhebungsvertrages nicht bewiesen. Die von den Eheleuten xxx bestätigten Gespräche über den Auszug der Beklagten haben die Zeugen ausschließlich mit der Beklagten zu 1.) geführt. Vertragspartner war und ist aber auch der Beklagte zu 2.). Damit fehlt es zur Wirksamkeit eines Mietaufhebungsvertrages bereits an der notwendigen Mitwirkung aller Vertragsparteien. Daß die Beklagte zu 1.) gleichzeitig im Namen und mit Vollmacht des Beklagten zu 2.) gehandelt hätte, haben die Kläger nicht behauptet.
6Darüber hinaus ist auch mit der Beklagten zu 1.) eine unbedingte Vereinbarung nicht erkennbar. Die Beklagte zu 1.) hatte ihren Auszug davon abhängig gemacht, daß angemessener Ersatzwohnraum zur Verfügung stünde. Diese Verknüpfung konnten die Zeugen xxx als Erklärungsempfänger mit Rücksicht auf die Interessen der Beklagten zu 1.) (§ 133 BGB) höchstens als aufschiebende Bedingung (§ 158 Abs.1 BGB) verstehen. Daß angemessener Ersatzwohnraum zur Verfügung gestanden hätte und die Bedingung so eingetreten wäre, haben die Kläger nicht dargetan. Die von den Zeugen xxx bekundeten Bemühungen, für die Beklagten angemessenen Ersatzwohnraum zu finden, und ablehnenden Reaktionen der Beklagten zu 1.) reichen nicht aus anzunehmen, die Beklagten hätten den Eintritt der Bedingung (Anmietung einer anderen Wohnung) treuwidrig vereitelt. Unter diesen Umständen kann dahinstehen, ob die Erklärungen der Beklagten zu 1.) überhaupt erkennbar von einem rechtsgeschäftlichen Bindungswillen getragen waren oder ihnen nur die Bedeutung einer unverbindlichen Absichtserklärung beizumessen war. Eine solche Wertung liegt wegen der für die Beklagten mit einem Aufhebungsvertrag verbundenen erheblichen Risiken und des Fehlens jedweden Abschlußinteresses sehr viel näher als die Annahme eines aufschiebend bedingten Mietaufhebungsvertrages.
7Das Mietverhältnis wurde jedoch durch die Eigenbedarfskündigung vom 16. März 1989 zum 30. April 1990 beendet.
8Ein berechtigtes Interesse im Sinne des § 564b BGB ist anzunehmen, wenn der Vermieter vernünftige, nachvollziehbare Gründe für die Inanspruchnahme des Raumes für sich oder eine begünstigte Person darlegt. Hier haben die Kläger ein - im Kündigungsschreiben dargelegtes (§ 564b Abs. 3 BGB) - berechtigtes Interesse an der Inanspruchnahme der Wohnung der Beklagten. Der Wunsch, Raum für ein zweites Arbeitszimmer und ein Gästezimmer zu gewinnen, ist auch unter Berücksichtigung des den Klägern bereits zur Verfügung stehenden Wohnraumes mit einer Fläche von ca. 180 qm für eine 5-köpfige Familie noch vernünftig und nachvollziehbar. Die Kläger machen nicht rechtsmißbräuchlich überhöhten Wohnbedarf geltend.
9Das Kündigungsrecht war nach Auffassung der Kammer nicht durch den Vertrag zwischen den Rechtsvorgängern der Kläger und den Beklagten vom 17. September 1975 ausgeschlossen. Zwar liegt in den Vereinbarungen eines Wohnrechts auf Lebenszeit, jedenfalls aber für die Abwohndauer der gegebenenen Mitevorauszahlung, ein Ausschluß des Kündigungsrechtes. Jedoch bewirkte diese Vereinbarung eine Mietvertragsdauer von mehr als einem Jahr und bedurfte daher gemäß § 566 BGB der Schriftform (OLG Celle NJW 56, 1281; Emmerich-Sonnenschein, Miete., 5. Aufl., § 566 Rd. 2; a.A.: LG Oldeburg ZMR 56, 59; Sternel, Mietrecht, 3. Aufl.; III 153 u. IV 60). Diese Schriftsform erfordert die Unterzeichnung der Vertragsurkunde durch die Vertragsparteien (§ 126 Abs. 2 BGB). Die Vereinbarung vom September 1975 war dementgegen nicht unterzeichnet worden, so daß der Mietvertrag als für unbestimmte Zeit geschlossen gilt (§ 566 S. 2 BGB).
10Dem Berufen der Kläger auf den Formmangel steht der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung (§ 242 BGB) schon deshalb nicht entgegen, weil die Kläger an dem Abschluß des Vertrages nicht beteiligt waren und von ihm bei Erwerb des Grundstücks keine Kenntnis hatten. Der gegen den Rechtsvorgänger begründete Arglisteinwand kann dem Grundstückserwerber grundsätzlich nicht entgegengehalten werden. Andernfalls würde der Zweck des Schriftformerfordernisses gefährdet. Die Schriftform soll dem Erwerber Gelegenheit geben, sich über die auf ihn übergehenden Rechte und Pflichten zuverlässig zu unterrichten, (BGH LM BGB § 566 Nr. 7; Emmerich-Sonnenschein, § 566 Rd. 11).
11Die Beklagten haben jedoch gemäß § 556a BGB einen Anspruch auf Fortsetzung des Mietverhältnisses.
12Die Beklagten haben fristgerecht und in der notwendigen Form der Kündigung widersprochen und die Fortsetzung des Mietverhältnisses verlangt. Der Widerspruch ist am 27. November, also mehr als zwei Monate vor der Beendigung des Mietverhältnisses am 30. April 1990, erklärt worden (§ 556a Abs. 6 S. 1 BGB).
13Allerdings bedarf das Fortsetzungsverlangen grundsätzlich der schriftlichen Form (§ 556a Abs. 5 S. 1 BGB), die gemäß §§ 126 Abs. 3, 127a BGB durch die Aufnahme in einen gerichtlichen Vergleich, nicht aber durch die von den Beklagten vorgenommene Erklärung zum Sitzungsprotokoll ersetzt werden kann. Erteilt der Vermieter aber den ihm gemäß § 564a Abs. 2 BGB obliegenden Hinweis auf das Formerfordernis sowie die einzuhaltende Frist nicht rechtzeitig, kann der Mieter die Fortsetzung noch im ersten Termin des Räumungsrechtsstreits verlangen (§ 556a Abs. 6 S. 2 BGB). Darüber hinaus hat das Unterlassen des Hinweises auf die erforderliche Schriftform zur Folge, daß das Verlangen im Räumungsprozeß zum Sitzungsprotokoll erklärt werden kann (Schmidt-Futterer/Blank, Wohnraumschutzgesetze, 6. Aufl., B339; Nasall MDR 85, 898; a.A.: Sternel, IV 192, Emmerich-Sonnenschein, § 556a Rd. 37/. Andernfalls bliebe die Obliegenheitsverletzung für den Vermieter folgenlos, und der Mieter würde durch die Eröffnung der Möglichkeit den Widerspruch im ersten Termin zu erklären, geradezu über das Fortbestehen des Schriftformerfordernisses getäuscht. Zweck der Hinweisobliegenheit ist es, den Mieter davor zu bewahren, einen Fortsetzungsanspruch wegen fehlender Rechtskenntnis nicht oder nicht form- und fristgerecht geltend zu machen. Das Interesse des Vermieters an Rechtssicherheit wird ausreichend durch die Aufnahme der Erklärung ins Protokoll geschützt. Dieselben Grundsätze müssen nach Auffassung der Kammer auch für den Widerspruch in einem späteren Termin bei noch laufender Kündigungsfrist gelten.
14Das Fortsetzungsverlangen ist begründet, weil die vertragsgemäße Beendigung des Mietverhältnisses für die Beklagten eine Härte bedeuten würde, die auch unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen der Kläger nicht zu rechtfertigen ist.
15Die Beklagten sind 77 und 76 Jahre alt, und ihr Leistungsvermögen ist krankheitsbedingt erheblich vermindert.
16Die Bei der Beklagten zu 1.) bestehenden Erkrankungen sind Zustand nach Myokardinfarkt Dezember 1987, koronare Herzkrankheit bei Hypertonie, Gicht und Hypercholesterinaemie sowie beidseitig Arthrose der Hüftgelenke und arterielle Verschlußkrankheit der Beine (Gehbehinderung). Diese Krankheiten bedingen unter anderem Kurzatmigkeit, Schwindelzustände, Herzbeschwerden und lösen bei seelischem Druck lebensbedrohliche Zustände aus. Der Beklagte zu 2.) leidet unter Hirn-, Herz- und peripheren Durchblutungsstörungen bei allgemeiner Gefäß-Sklerose, einer koronaren Herzkrankheit, einem Wirbelsäulenleiden und Arthrose beider Hüftgelenke. Der Grad seiner Behinderung beträgt 60%.
17Bei beiden Beklagten ist aufgrund der Chronizität der Erkrankungen und des zunehmenden Alters mit keiner Besserung, eher mit einer Verschlechterung des gesundheitlichen Zustandes zu rechnen. Diese Feststellungen stützt die Kammer auf das überzeugende schriftliche Gutachten des Gesundheitsamtes der Stadt Hagen, Stadtärztin Dr. Cxxx.
18Mit einer Wohnungssuche, einem Umzug - auch wenn er von Dritten ausgeführt wird - und der Notwendigkeit, sich in einer neuen Wohnung und einem neuen sozialen Umfeld einzuleben, sind erhebliche physische und psychische Beladungen verbunden, die für die Beklagten angesichts ihres hohen Alters und des festgestellten Gesundheitszustandes eine unzumutbare Härte bedeuten und das Interesse der Kläger an der Gewinnung von Raum für ein Gästezimmer und ein zweites Arbeitszimmer zurücktreten lassen.
19Das Mietverhältnis ist wegen der negativen Prognose zur gesundheitlichen Entwicklung der Beklagten auf unbestimmte Zeit fortzusetzen (§ 556a Abs. 2 S. 2 BGB).
20Es ist den Klägern jedoch nicht zumutbar, das Mietverhältnis zu den geltenden von den persönlichen Beziehungen zwischen ihren Rechtsvorgängern und den Beklagten geprägten Vertragsbedingungen fortzusetzen. Insbesondere der seit 1975 unveränderte Mietzins entspricht nicht den heutigen Verhältnissen auf dem Wohnungsmarkt. Die Kammer hat "angemessen Bedingungen" zu bestimmen (§ 556a Abs. 3 ZPO).
21Entscheidendes Kriterium für die Mietzinshöhe ist neben der Wohnungsausstattung und -größe die Qualität der Wohnlage. Die Kläger haben die behauptete gute Wohnlage nicht substantiiert unter Beweis gestellt, so daß die Kammer die von den Beklagten eingeräumte mittlere Wohnlage zugrundelegt. Für sie weist die Vergleichsmietentabelle für das Gebiet der Stadt Hagen, Stand 1. Juni 1985, einen Nettomietzins von 6,80 bis 7,55 DM pro qm aus. Unter Berücksichtigung der unstreitig guten Wohnungsqualität und der seit Erstellung der Tabelle eingetretenen Mietzinsentwicklung geht die Kammer von dem oberen Eckwert aus. Bei der Wohnungsgröße von 59,7 qm ergibt sich der festgelegte monatliche Nettomietzins von 450,97 DM. Die Leistung monatlicher Vorauszahlungen auf den Nettomietzins und die im Tenor genannten, anteilig von den Beklagten zu tragenden Nebenkosten sowie die Abwälzung der während des Mietverhältnisses auszuführenden Schönheitsreparaturen auf die Mieter erscheinen angemessen. Der Umfang der zu übernehmenden Betriebskosten und die Höhe der Vorauszahlungen entsprechen dem Begehren der Kläger im Schriftsatz vom 11. Dezember 1989. Für die sogenannten Schornsteinfegergebühren ist klarzustellen, daß diese auch insoweit von den Beklagten zu tragen sind, als sie unter Nr. 4 der Anlage 3 II.BV fallen, nicht nur unter Nr. 12.
22Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Beklagten haben unverzüglich über die Gründe ihres Fortsetzungsverlangens Auskunft erteilt. (§ 93b Abs. 2 ZPO).
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