Beschluss vom Landgericht Hagen - 6 T 91/16
Tenor
Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten der Drittschuldnerin zurückgewiesen.
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hat die 6. Zivilkammer des Landgerichts Hagen auf die sofortige Beschwerde der Drittschuldnerin vom 23.03.2016 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Schwelm vom 03.03.2016 durch den Vorsitzenden Richter am Landgericht U, die Richterin am Landgericht und die Richterin am Landgericht Dr. G
2am 24.05.2016 beschlossen :
3Die sofortige Beschwerde wird auf Kosten der Drittschuldnerin zurückgewiesen.
4Gründe:
5I.
6Die Gläubigerin betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung aus einem Zahlungstitel. In diesem Zusammenhang hat das Amtsgericht Schwelm durch Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 27.04.2015 die Pfändung von Ansprüchen des Schuldners gegen die Drittschuldnerin angeordnet und unter „Sonstige Anordnungen“ bestimmt: „Drittschuldner: Deutsche Rentenversicherung. Gepfändet wird weiterhin der Anspruch auf Herausgabe des Rentenbescheids sowie der jeweils aktuellen Rentenmitteilung und der evtl. vorliegenden Vorpfändung durch den Schuldner (in Kopie) an den Gläubigervertreter.“
7Die Drittschuldnerin hat gegen diese Anordnung aus dem Pfändungs- und Überweisungsbeschluss die Erinnerung mit der Begründung eingelegt, dass die Übermittlung von Sozialdaten nur in engen Grenzen der §§ 68-77 SGB X oder nach einer anderen Rechtsvorschrift des SGB zulässig sei. Diese Voraussetzungen seien nicht erfüllt, weshalb die Anordnung nicht habe ergehen dürfen. Durch Beschluss vom 03.03.3016 hat das Amtsgericht Schwelm die Erinnerung im Wesentlichen mit der Begründung zurückgewiesen, dass die sozialversicherungsrechtlichen Datenschutzregelungen den Anspruch der Gläubigerin nicht verdrängen würden.
8Mit der am 23.03.2016 eingelegten sofortigen Beschwerde wendet sich die Drittschuldnerin gegen die Entscheidung des Amtsgerichts Schwelm vor allem mit der Begründung, die Herausgabe des Bescheids sowie der Rentenmitteilungen sei nicht von der in § 840 Abs.1 ZPO normierten Drittschuldnererklärung erfasst und nach den §§ 68-77 SGB X sei dies ohnehin unzulässig. Der verfassungsrechtlich geschützten informationellen Selbstbestimmung sei hier der Vorrang vor dem Vollstreckungsinteresse des Gläubigers einzuräumen. Wegen der weitergehenden Begründung dieser Rechtsauffassung wird auf die Schriftsätze der Drittschuldnerin im Erinnerungsverfahren und Beschwerdeverfahren inhaltlich Bezug genommen.
9Das Amtsgericht Schwelm hat mit Beschluss vom 05.04.2016 der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und hat die Sache dem Landgericht Hagen zur Entscheidung vorgelegt.
10II.
11Die nach den §§ 793, 567 Nr.1 ZPO statthafte und im Übrigen auch sonst zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg.
12Das Amtsgericht hat aus den zutreffenden Gründen des angefochtenen Beschlusses, auf die ergänzend inhaltlich Bezug genommen wird und denen sich die Kammer anschließt, die Erinnerung zu Recht zurückgewiesen. Die Anordnung in dem zu Grunde liegenden Pfändungs- und Überweisungsbeschluss auf Herausgabe des Rentenbescheids sowie der Rentenmitteilungen gegenüber der Drittschuldnerin ist nicht zu beanstanden.
13Grundsätzlich hat der Gläubiger bei der Forderungspfändung gegen den Schuldner einen Anspruch auf Herausgabe der über die Forderung vorhandenen Urkunden gemäß § 836 Abs.3 ZPO. Die Pfändung des Hauptrechts erstreckt sich nach überwiegender Ansicht auch auf die Ansprüche der Auskunftserteilung und Rechnungslegung, die der Feststellung des Gegenstandes und des Betrages des Hauptanspruchs dienen (vgl. BGH, Beschluss vom 18.07.2003 - IXa ZB 148/03, BKR 2003, 877; LG Bochum, Beschluss vom 24.02.2009 - 7 T 407/08, BeckRS 2009, 18954; LG Düsseldorf, Beschluss vom 21.02.2008 – 25 T 58/08, BeckRS 2008, 12301). Zu den Urkunden im Sinne des § 836 Abs.3 ZPO zählen dementsprechend u.a. Lohnabrechnungen aus Arbeitsverhältnissen sowie Bescheide über öffentlich-rechtliche Leistungen, wie Leistungsbescheide betreffend Arbeitslosengeld. Nach der Rechtsprechung des BGH sind auch Rentenbescheide von der Vorlagepflicht erfasst (vgl. BGH, Beschluss vom 21.02.2013 – VII ZB 59/10, NJW-RR 2013, 766; Becker in: Musielak/Voit, ZPO, 13.Aufl., 2016, § 836, Rn.7c; LG Stuttgart, Beschluss vom 16.04.2002 - 2 T 219/01, InVo 2002, 514). Dies gilt auch für die ebenfalls zur Vervollständigung der Informationen erforderlichen Rentenmitteilungen.
14Nach der gesetzlichen Systematik stehen die Ansprüche aus § 836 Abs.3 ZPO gleichberechtigt neben denen aus § 840 ZPO. Befindet sich die herauszugebende Urkunde nicht in der Hand des Schuldners, sondern im Besitz des Drittschuldners, so ist der angebliche Herausgabeanspruch des Schuldners gegen den Dritten durch den Überweisungsbeschluss neben der Forderung mitüberwiesen. Der Gläubiger hat somit die Möglichkeit, den Anspruch des Schuldners auf Herausgabe z. B. der Lohnabrechnung, des Leistungsbescheides als Nebenrecht mit in den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss aufzunehmen. So kann der Gläubiger direkt gegen den Drittschuldner vorgehen. Eine Herausgabeanordnung nach § 836 Abs.3 ZPO entfällt in diesem Fall. Das Verhältnis zwischen Schuldner und Drittschuldner gewährt einen Anspruch auf Übersendung der jeweiligen Leistungsbescheide. Dieser Auskunftsanspruch in Gestalt des Herausgabeanspruchs ist als Nebenrecht von der Pfändung umfasst. Diesen Anspruch kann daher auch der pfändende Gläubiger gegen den Drittschuldner geltend machen. Im Pfändungsbeschluss kann die Erstreckung der Einkommenspfändung auf den Auskunftsanspruch in Gestalt der Herausgabe des Leistungsbescheides, des Rentenbescheides, der Lohnabrechnung deklaratorisch mit ausgesprochen werden (vgl. LG Bochum, Beschluss vom 24.02.2009 - 7 T 407/08, BeckRS 2009, 18954; LG Düsseldorf, Beschluss vom 21.02.2008 – 25 T 58/08, BeckRS 2008, 12301; LG Dresden, Beschluss vom 05.11.2009 - 2 T 816/09, BeckRS 2012, 05330)
15Die Datenschutzbestimmungen der §§ 68ff SGB X stehen der Pfändung des Herausgabeanspruchs nicht entgegen. Soweit die Vorschrift des § 71 Abs.1 S.2 SGB X vorsieht, dass die Drittschuldnerin lediglich ihren „Erklärungspflichten als Drittschuldner, welche das Vollstreckungsrecht vorsieht" nachkommen muss, bezieht sich dies nach Auffassung der Kammer nicht nur auf die Erklärungspflicht nach § 840 ZPO. Zu den Erklärungs- und Mittelungspflichten im Rahmen des Vollstreckungsrechts gehört nicht nur die Drittschuldnererklärung nach § 840 ZPO, sondern auch die Auskunftserteilung auf wirksam als Nebenanspruch zu einem Rentenanspruch gepfändete Auskunftsansprüche. Eine Pfändung von Rentenansprüchen und der damit als Nebenansprüche verknüpften Ansprüche lässt § 54 Abs.1, 2, 4 SGB I ausdrücklich zu (so auch LG Dresden, Beschluss vom 05.11.2009 - 2 T 816/09, BeckRS 2012, 05330; zur verfassungskonformen Auslegung von § 71 Abs.1 S.2 SGB: LG Bochum, Beschluss vom 24.02.2009 - 7 T 407/08, BeckRS 2009, 18954).
16Eine entgegen dem Wortlaut einschränkende Auslegung des § 71 Abs.1 S.2 SGB X dahingehend, dass dieser sich nur auf Auskunftsrechte nach § 840 ZPO bezieht, ist nicht veranlasst. Verfassungsrechtliche Bedenken, wie sie die Drittschuldnerin vorbringt, begegnet ein solches Verständnis jedenfalls nicht. Durch die sozialversicherungsrechtlichen Datenschutzregelungen wird das Recht auf informelle Selbstbestimmung des Schuldners geschützt. Dieses Grundrecht des Schuldners ist jedoch nicht absolut, sondern steht im Konflikt mit dem über Art.14 GG ebenfalls grundrechtlich geschützten Vollstreckungs- und Befriedigungsanspruch des Gläubigers. Gegenüber diesem grundrechtlichen Schutz muss in der vorliegenden Fallkonstellation das Geheimhaltungsinteresse des Schuldners zurücktreten. Dem Grundrechtschutz des Schuldners auf Wahrung seiner persönlichen Daten kommt hier nur eine untergeordnete Bedeutung zu. Der Schuldner wäre nämlich im Rahmen seiner Auskunftspflicht nach § 836 Abs.3 ZPO gegenüber dem Gläubiger ohnehin verpflichtet, den Inhalt des Leistungsbescheides preiszugeben und wohl auch den in seinem Besitz befindlichen Bescheid selbst dem Gläubiger zu überlassen. Da aber - wie hier - die Gläubigerin die von der Drittschuldnerin begehrte Kenntnis nach der Gesetzeslage vom Schuldner ohnehin erlangen könnte, wäre eine Geheimhaltung durch die Drittschuldnerin lediglich von untergeordneter Bedeutung (vgl. LG Bochum, Beschluss vom 24.02.2009 - 7 T 407/08, BeckRS 2009, 18954; LG Dresden, Beschluss vom 05.11.2009 - 2 T 816/09, BeckRS 2012, 05330).
17Soweit der Rentenbescheid solche Daten enthält, die die Gläubigerin für einen gedachten Gerichtsprozess nicht benötigt, kann die Drittschuldnerin die entsprechenden Stellen in dem Bescheid oder in der Mitteilung ohne Weiteres anonymisieren, also z.B. durch schwärzen unkenntlich machen. Hierauf hat auch bereits das Amtsgericht in seinem Beschluss vom 03.03.2016 zutreffend hingewiesen. Mit dieser Anonymisierung wird den berechtigten datenschutzrechtlichen Interessen des Schuldners hinreichend Rechnung getragen, ohne dass die Einbehaltung des Bescheids sowie der Rentenmitteilungen erforderlich wäre.
18.
19III.
20Die Kostenentscheidung im Beschwerdeverfahren folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
21U |
K |
Dr. G |
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