Beschluss vom Landgericht Halle (3. Zivilkammer) - 3 T 17/12

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Insolvenzgläubiger gegen den Beschluss des Amtsgerichts Halle vom 22.06.2012 wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

3. Der Wert des Beschwerdeverfahrens wird auf 14.000,- € festgesetzt.

Gründe

I.

1

Über das Vermögen des Schuldners wurde am 18.02.2005 das Insolvenzverfahren eröffnet. Das Insolvenzverfahren ist noch nicht aufgehoben und ein Schlusstermin im Sinne des § 290 Abs. 1 InsO hat noch nicht stattgefunden. Mit Schriftsatz vom 13.05.2011 stellten die Insolvenzgläubiger einen Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung mit der Begründung, dass der Schuldner durch ein am 04.05.2011 verkündetes Strafurteil (Amtsgericht Halle 957 Js 34506/07) wegen vorsätzlichen Bankrotts gemäß § 283 StGB zu einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen verurteilt worden ist.

2

Mit Beschluss vom 20.10.2011 setzte das Amtsgericht - Insolvenzgericht - das Verfahren zur Entscheidung über die Restschuldbefreiung bis zur Rechtskraft der Entscheidung im Strafverfahren aus.

3

Das Strafurteil wurde am 15.03.2012 rechtskräftig. Durch öffentliche Bekanntmachung vom 31.05.2012 wurde den Gläubigern des Insolvenzschuldners gem. § 300 Abs. 1 InsO Gelegenheit gegeben, zum Restschuldbefreiungsantrag Stellung zu nehmen. Zugleich wurde auf den bereits vorliegenden Antrag der Insolvenzgläubiger auf Versagung der Restschuldbefreiung hingewiesen.

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Das Amtsgerichts Halle - Insolvenzgericht - erteilte mit Beschluss vom 22.06.2012 die Restschuldbefreiung. Der dagegen gerichteten sofortigen Beschwerde der Insolvenzgläubiger half das Amtsgericht nicht ab und legte das Verfahren dem Landgericht zur Entscheidung vor.

II.

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1. Die sofortige Beschwerde ist zulässig. Sie ist insbesondere frist- und formgerecht eingelegt (§§ 6, 300 Abs. 3 InsO, § 569 ZPO). Denn der Beschluss des Amtsgerichts Halle vom 22.06.2012 wurde den Prozessbevollmächtigten der Insolvenzgläubiger am 02.07.2012 zugestellt. Die sofortige Beschwerde ging am 12.07.2012 und damit innerhalb der 2-Wochen-Frist beim Amtsgericht ein.

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2. Die sofortige Beschwerde ist aber nicht begründet.

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Vorliegend ist gem. § 300 InsO über die Erteilung der Restschuldbefreiung zu entscheiden. Denn die Laufzeit der Abtretungserklärung ist am 17.02.2011 verstrichen (§ 287 InsO) und das Insolvenzverfahren noch nicht beendet.

8

Nach § 300 Abs. 2 InsO ist die Restschuldbefreiung auf Antrag eines Insolvenzgläubigers insbesondere dann zu versagen, wenn die Voraussetzungen des § 297 InsO vorliegen. Gem. § 297 Abs. 1 InsO ist die Restschuldbefreiung auf Antrag zu versagen, wenn der Schuldner in dem Zeitraum zwischen Schlusstermin und Aufhebung des Insolvenzverfahrens oder während der Laufzeit der Abtretungserklärung wegen einer Straftat nach den §§ 283 bis 283c StGB rechtskräftig verurteilt wird.

9

Vorliegend lief die Zeit der Abtretungserklärung am 17.02.2011 ab. Das Strafurteil gegen den Schuldner wurde am 04.05.2011 verkündet und wurde am 15.03.2012 rechtskräftig.

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Die Verurteilung und die Rechtskraft liegen außerhalb der Laufzeit der Abtretungserklärung.

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Nach der Systematik des Gesetzes und dem Sinn und Zweck des § 297 Abs. 1 InsO kann aber nur eine solche rechtskräftige Verurteilung Grundlage der Versagung der Restschuldbefreiung sein, die innerhalb der Laufzeit der Abtretungserklärung liegt (vgl. Ahrens in Frankfurter Kommentar zur InsO, 6. Auflage 2011, § 297 Rz. 7; Lang in Braun, Kommentar zur InsO, 4. Auflage 2010, § 297 Rz. 1). Denn § 297 InsO ist für den Normalfall formuliert, dass zunächst der Schlusstermin erfolgt (§ 197 Ins09, dann die Aufhebung des Insolvenzverfahrens (§ 200 InsO) und schließlich bis zum Ende der Laufzeit der Abtretungserklärung die Wohlverhaltensphase. § 297 InsO normiert damit als letztmöglichen Zeitpunkt der Rechtskraft eines Strafurteils, das Grundlage für die Versagung der Restschuldbefreiung sein kann, das Ende der Laufzeit der Abtretungserklärung. Eine danach eintretende Verurteilung und Rechtskraft ist außer Acht zu lassen.

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Die Entscheidung des Gesetzgebers, dass nach 6 Jahren nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens die Entscheidung über die Restschuldbefreiung ergehen soll und nur das Verhalten während und vor dieser Zeit für die Entscheidung maßgeblich sein soll, darf nicht durch einen Rückgriff auf § 290 Abs. 1 Nr. 1 InsO umgangen werden.

13

In der Literatur wird auch die andere Meinung vertreten, dass das Verfahren über die Entscheidung über die Restschuldbefreiung bis zur Rechtskraft der strafrechtlichen Verurteilung auszusetzen ist (vgl. Stephan in Münchener Kommentar zur InsO, Band III, 2003, § 290 Rz. 30). Dem ist nicht zu folgen.

14

Es war der Wille des Gesetzgebers, den Zeitpunkt der Erteilung der Restschuldbefreiung von der Dauer des eröffneten Verfahrens zu lösen. Er hat mit dem Gesetz zur Änderung der Insolvenzordnung (InsOÄndG) vom 26.10.2001 § 287 Abs. 2 S. 1 InsO dahin geändert, dass der Lauf der Abtretungsfrist von sieben auf sechs Jahre verringert wurde und diese Frist nicht mehr erst bei Aufhebung des Insolvenzverfahrens, sondern bereits bei Eröffnung zu laufen beginn. Begründet hat dies der Rechtsausschuss damit, dass die zuvor geltende Wohlverhaltensperiode von sieben Jahren als zu lang kritisiert worden ist. Die beiden beschlossenen Änderungen sollten zu einer deutlichen Erleichterung für den Schuldner beitragen. Unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten sei es kaum vermittelbar, wenn in ähnlich gelagerten Fällen ein Schuldner deutlich später in das Restschuldbefreiungsverfahren gelange als ein vergleichbarer anderer. Insofern sei es geboten, die Laufzeit der Abtretung mit einem Ereignis beginnen zu lassen, das einerseits leicht feststellbar, andererseits von der Dauer des Insolvenzverfahrens, die auch durch die Gerichtsbelastung beeinflusst werde, unabhängig sei (vgl. BGH, Beschluss vom 03.12.2009, IX ZB 247/08). Der Gesetzgeber hat zwar nicht bedacht, dass das Insolvenzverfahren länger als sechs Jahre dauern kann. Er hat jedoch hinreichend deutlich zum Ausdruck gebracht, dass sechs Jahre nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über die Restschuldbefreiung zu entscheiden ist (vgl. BGH a.a.O.).

15

Aus dem Beschluss des BGH vom 16.02.2012 (IX ZB 113/11) ergibt sich nichts anderes. Denn dort heißt es: "Die rechtskräftige Verurteilung, die ebenfalls Voraussetzung des Versagungstatbestandes ist, braucht im Zeitpunkt des Eröffnungsantrags noch nicht vorgelegen zu haben. Wie gezeigt, ist die rechtskräftige strafrechtliche Verurteilung nicht der Grund der Versagung der Restschuldbefreiung. Sie stellt lediglich eine zwingende Beweisregel zur Erleichterung der Arbeit des Insolvenzgerichts dar. Ob der Schuldner tatsächlich eine Insolvenzstraftat begangen hat, muss erst im Zeitpunkt der Entscheidung über den Versagungsantrag abschließend geklärt sein."

16

Da in dem vom BGH zu entscheidenden Fall die strafrechtliche Verurteilung innerhalb der Laufzeit der Abtretungserklärung rechtskräftig wurde, ist in diesem Beschluss die Frage, ob die Restschuldbefreiung zu versagen ist, wenn das strafrechtliche Urteil zwischen Ablauf der Abtretungserklärung und Entscheidungstermin rechtskräftig wird, nicht entschieden.

17

Auch eine umfassende Interessenabwägung führt zu keinem anderen Ergebnis.

18

Wird § 297 InsO - wie hier vertreten - streng am Wortlaut ausgelegt, so hat es der nicht redliche Schuldner in der Hand, durch prozessverschleppende Verhaltensweisen im Strafprozess oder durch das Einlegen von Rechtsmitteln, die Rechtskraft der Verurteilung hinauszuzögern und so die Erteilung der Restschuldbefreiung zu erzwingen.

19

Wird § 297 InsO dagegen weit ausgelegt, so bestimmt das Arbeitstempo des Insolvenzgerichts darüber, ob die Restschuldbefreiung erteilt wird oder, da nach über 6 Jahren aber vor Entscheidung über die Restschuldbefreiung die Rechtskraft einer strafgerichtlichen Verurteilung noch eintrat, die Restschuldbefreiung versagt wird. Das ginge wiederum zum Nachteil auch des redlichen Schuldners, da diesem bei einem Freispruch im Strafverfahren und einer Entscheidung über die Restschuldbefreiung nach 7 Jahren, wegen einer Obliegenheitsverletzung gem. § 290 Abs. 1 Nr. 5 im siebten Jahr, die Restschuldbefreiung zu versagen wäre.

20

Jede Fristenregelungen bringt Härten mit sich, die aber, da die Gesellschaft auf Fristenregelungen angewiesen ist, hinzunehmen sind.

III.

21

Die Nebenentscheidung zu den Kosten beruht auf § 97 ZPO.

22

Der Beschwerdewert war auf 14.000,- € festzusetzen. Denn die Insolvenzgläubiger haben Forderungen im Wert von 45.825,43 € zur Tabelle angemeldet. Diese sind auch zur Tabelle anerkannt worden. Derzeit besteht im Insolvenzverfahren eine Quotenerwartung von 0,50 %. Wegen der zu erwartenden Vollstreckungsschwierigkeiten nach Abschluss eines Insolvenzverfahrens wird der Beschwerde wert auf etwa 1/3 der voraussichtlich nicht befriedigten Forderung festgesetzt.

23

Die Rechtsbeschwerde war gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 ZPO zuzulassen. Denn die hier streitige Rechtsfrage ist von grundsätzlicher Bedeutung und bislang vom Rechtsbeschwerdegericht noch nicht entschieden worden.


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