Urteil vom Landgericht Halle (2. Kammer für Handelssachen) - 8 O 40/15

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

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Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Leistung einer weiteren Bauhandwerkersicherheit nach § 648 a BGB.

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Die Parteien schlossen unter dem 30.06.2011 einen VOB/B-Bauvertrag, in dem sich die Klägerin zur Erstellung des Rohbaus für das Bauvorhaben "..., Halle" zu einem Pauschalpreis incl. 3 % Skonto von 1.480.000,-- EUR netto zzgl. Umsatzsteuer, mithin 1.761.200,-- EUR brutto verpflichtete. Wegen der näheren Einzelheiten wird auf den als Anlage K 1 vorgelegten Bauleistungsvertrag vom 30.06.2011 (Anlagenordner Klägerin I) Bezug genommen.

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Die Klägerin erhielt im Rahmen der Vertragsdurchführung am 06.11.2012 von der Beklagten eine Sicherheit nach § 648 a BGB in Form einer Bankbürgschaft über 350.000,-- EUR.

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Unter dem 14.06.2013 rechnete die Klägerin ihre Leistungen ab. Die Schlußrechnung endet unter Berücksichtigung einer Vorauszahlung und Abschlagszahlungen mit einem Bruttobetrag von 865.732,92 EUR. Die Schlußrechnung legt folgende Komplexe mit Brutto-Beträgen zugrunde: Hauptauftrag 1.783.582,17 EUR, Nachtragsleistungen 235.884,07 EUR, Ziel- und Fertigstellungsvereinbarung 44.627,13 EUR, Mehrkosten Bauzeitverlängerung 632.147,03 EUR, Verzugszinsen 19.753,35 EUR. Wegen der näheren Einzelheiten der Schlußrechnung wird auf die Anlage K 3 (Anlagenordner Klägerin I) verwiesen.

5

Die Parteien streiten in einem anderen vor der Kammer anhängigen Verfahren (8 O 80/13) über den Zahlungsanspruch der Klägerin aus dieser Schlußrechnung und dessen Fälligkeit.

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Unter Berücksichtigung der erhaltenen Sicherheit über 350.000,-- EUR forderte die Klägerin die Beklagte unter Fristsetzung bis 10.03.2015 erfolglos zur Leistung einer weiteren Bauhandwerkersicherheit in Höhe von 515.732,92 EUR auf, den sie nunmehr mit ihrer Klage geltend macht.

7

Die Klägerin vertritt die Ansicht, daß für § 648 a BGB der Vortrag eines schlüssigen Vergütungsanspruchs ausreiche, der sich vorliegend aus ihrer Schlußrechnung ergebe. Auch streitige Vergütungsansprüche nach § 2 Abs. 5 und 6 VOB/B seien sicherbar. Gleiches gelte für vergütungsähnliche Ansprüche aus § 6 Abs. 6 VOB/B und § 642 BGB.

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Die Klägerin beantragt,

9

die Beklagte zu verurteilen, ihr für ihre Vergütungsansprüche aus dem Bauleistungsvertrag vom 30.06.2011 über die Ausführung der Rohbauarbeiten bei der Baumaßnahme Wohn- und Geschäftshaus, ..., Halle, in Höhe von 515.732,92 EUR eine Sicherheit zu leisten.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Die Beklagte behauptet, die Klägerin sei bereits übersichert. Allenfalls der streitige Anspruch auf Mehrkosten wegen Bauzeitverlängerung in Höhe von 531.215,99 EUR netto könne als ungesichert angesehen werden. Dieser Anspruch sei indes nicht sicherbar. Aber selbst wenn dies der Fall sein sollte, so habe die Klägerin jedenfalls Mehrkosten wegen Bauzeitverlängerung nicht schlüssig dargelegt, geschweige denn bewiesen. Ein Verweis auf ihre Schlußrechnung reiche nicht aus. Darüber hinaus sei der Klägerin eine weitere Sicherheit verwehrt, nachdem sie auf ihr Verlangen hin im November 2012 die Sicherheit über 350.000,-- EUR erhalten habe und danach keine erheblichen weiteren Vergütungsansprüche mehr entstanden seien.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist unbegründet.

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Die Klägerin kann von der Beklagten keine Sicherheitsleistung in Höhe von 515.732,92 EUR nach § 648 a BGB verlangen.

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Unstreitig hat die Klägerin auf ihren mit Schlußrechnung vom 14.06.2013 (Anlage K 3 (Anlagenordner Klägerin I)) abgerechneten Brutto-Gesamtbetrag von 2.715.993,75 EUR Zahlungen und Sicherheiten im Umfang von insgesamt 2.200.260,83 EUR erhalten, so daß ein unbezahlter Brutto-Betrag von 515.732,92 EUR nicht gesichert ist. Auf den Brutto-Gesamtbetrag entfällt allein ein streitiger, unbezahlter Betrag von 531.215,99 EUR netto für Mehrkosten wegen Bauzeitverlängerung. Grundlage eines solchen Anspruchs kann – wie von der Klägerin geltend gemacht – § 6 Abs. 6 VOB/B oder § 642 BGB sein. In der Literatur ist allerdings streitig, ob der Unternehmer eine Sicherung für Mehrkosten wegen Bauzeitverlängerung gem. § 648 a Abs. 1 BGB fordern kann.

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Nach § 648 a Abs. 1 S. 1 BGB kann der Unternehmer Sicherheit für die auch in Zusatzaufträgen vereinbarte und noch nicht gezahlte Vergütung einschließlich dazugehöriger Nebenforderungen, die mit 10 % des zu sichernden Vergütungsanspruchs anzusetzen sind, verlangen. S. 1 gilt in demselben Umfang für Ansprüche, die an die Stelle der Vergütung treten (§ 648 a Abs. 1 S. 2 BGB).

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Nach einer hauptsächlich in der Literatur vertretenen Ansicht werden Entschädigungsansprüche nach § 642 BGB als nach § 648 a Abs. 1 S. 1 BGB sicherbar angesehen, weil es sich um vergütungsähnliche Ansprüche handele, die ihre Grundlage in dem sicherbaren Vergütungsanspruch selbst hätten und ein Äquivalent für eine vom Unternehmer zusätzlich erbrachte Leistung in Ergänzung zu dem weiter fortbestehenden Vergütungsanspruch darstelle (vgl. Ingenstau/Korbion/Joussen, VOB, 19. Aufl., Anhang 1 Rdnr. 168; Werner/Pastor, Der Bauprozeß, 15. Aufl., Rdnr. 328; Mü-Ko/Busche, BGB, 6. Aufl., § 648 a Rdnr. 20; Staudinger/Peters/Jacoby, BGB (2014), § 648 a Rdnr. 8; Erman/Schwenker, BGB, 14. Aufl., § 648 a Rdnr. 7 a; Schmitz, BauR 2009, 714, 723 aber unter S. 2 subsumierend; offen gelassen Palandt/Sprau, BGB, 75. Aufl., § 648 a Rdnr. 15). Ebenso werden Ansprüche nach § 6 Abs. 6 VOB/B zumindest dann von § 648 Abs. 1 S. 1 BGB als erfaßt angesehen, wenn sie bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise ein Äquivalent für eine erbrachte Leistung darstellen würden und somit zumindest faktisch dem Vergütungsbereich zuzurechnen seien (vgl. Ingenstau/Korbion/Joussen, a. a. O., Rdnr. 168; Werner/Pastor, a. a. O., Rdnr. 328; Mü-Ko/Busche, a. a. O., dnr. 20; Staudinger/Peters/Jacoby, a. a. O., Rdnr. 8; Erman/Schwenker, a. a. O., Rdnr. 7 a; so auch LG Berlin IBR 2003, 535 zu § 648 a BGB a. F.).

18

Dieser Auffassung vermag sich die Kammer nicht anzuschließen. Vielmehr folgt sie aufgrund der überzeugenderen Argumenten der gegenteiligen Ansicht von Fuchs in BauR 2012, 326, 337 ff., die dieser folgt begründet:

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"Der Anspruch aus § 6 Abs. 6 VOB/B ist – trotz seiner Verankerung im Vertrag – ein Schadensersatzanspruch (vgl. BGH BauR 2008, 821, 822). Er kann daher allenfalls nach § 648 a Abs. 1 S. 2 BGB sicherbar sein. Dafür müßte er aber an die Stelle der vereinbarten Vergütung treten. Tatsächlich ersetzt der Behinderungsschadensersatzanspruch aber keinen Vergütungsanspruch, sondern tritt vielmehr neben ihn, wenn und soweit der Besteller eine Pflichtverletzung (Behinderung) zu vertreten hat. Damit gleicht er dem Anspruch auf Schadensersatz neben der Leistung aus § 280 BGB und ist – wie dieser – nicht sicherbar (so offenbar auch Schmitz, BauR 2009, 714, 723). Aber auch der Entschädigungsanspruch aus § 642 BGB fällt weder unter § 648 a Abs. 1 S. 1 BGB noch unter S. 2 dieser Norm. Denn er tritt ebenso wie der Anspruch aus § 6 Abs. 6 VOB/B jedenfalls im Regelfall nicht an die Stelle des Vergütungsanspruchs, sondern daneben, so daß S. 2 nicht einschlägig ist. S. 1 findet keine Anwendung, da der Anspruch aus § 642 BGB keine vereinbarte Vergütung ist. Wegen der Anknüpfung an die vereinbarte Vergütung mag er der Höhe nach zwar vergütungsähnlichen Charakter haben (vgl. BGH a. a. O., der die Einordnung ausdrücklich offen läßt), dem Grunde nach ist er aber nach dem Gesetzeswortlaut gerade kein Vergütungs-, sondern ein Entschädigungsanspruch und als solcher weit entfernt davon, vergütungsähnlich zu sein. Denn das vereinbarte und von der Vergütung abgegoltene Werk bleibt das Bauwerk und nicht das annahmeverzugsbedingte – überspitzt ausgedrückt – Herumstehen des Personals des Auftragnehmers und die Vorhaltung seines Geräts. Ganz im Gegenteil hat der Besteller einen Anspruch darauf, daß der Werkunternehmer i. S. d. § 254 BGB alles unternimmt, um den entschädigungspflichtigen Aufwand zu begrenzen. Auch der (redliche) Werkunternehmer stellt im Annahmeverzug des Bestellers nicht seine Ressourcen bereit, um Vergütung zu verdienen, sondern weil er sie nicht anderweitig einsetzen kann. Es besteht also insoweit keine Vorleistungspflicht des Werkunternehmers, ganz im Gegenteil bekommt er gem. § 642 Abs. 2 BGB gerade keine Entschädigung für kurzfristig abbaubare Kosten. Dem Grunde nach entspricht der Entschädigungsanspruch daher, ebenso wie der Anspruch aus § 6 Abs. 6 VOB/B, dem Schadensersatzanspruch neben der Leistung aus § 280 BGB, auch wenn er der Höhe nach an die vereinbarte Vergütung anknüpft und nicht nach den für Schadensersatz geltenden §§ 249 ff. BGB berechnet wird."

20

Auch für umstrittene Zusatzaufträge – in welcher Höhe auch immer – kann die Klägerin keine weitere Sicherheit verlangen. Unter Zusatzaufträge i. S. v. § 648 Abs. 1 S. 1 BGB fallen zwar Vergütungsansprüche nach § 2 Abs. 5 und 6 VOB/B. Bei der Höhe der Sicherheit können aber nur dem Grunde und der Höhe nach unstreitige Nachträge berücksichtigt werden, also solche Zusatzaufträge für die bereits eine Preisvereinbarung i. S. v. § 2 Abs. 5 S. 2 und Abs. 6 Nr. 2 VOB/B vorliegt (vgl. Schmidt, NJW 2013, 497, 501; Ingenstau/Korbion/Joussen, a. a. O., Anhang 1 Rdnr. 166; OLG Düsseldorf, Urteil v. 20.07.2004 – 21 U 178/03 – bei juris Rdnr. 20 zu § 648 a BGB a. F.). Denn nach § 648 a Abs. 1 S. 1 BGB n. F. soll nur noch die in einem Zusatzauftrag vereinbarte und nicht gezahlte Vergütung abgesichert werden. Diese klare gesetzliche Formulierung läßt keinen Interpretationsspielraum offen. Wenn das Gesetz ausdrücklich in Bezug auf Zusatzaufträge eine "vereinbarte" Vergütung verlangt, gehört auch das tatbestandlich zur Voraussetzung des Sicherungsanspruchs, die entgegen der gesetzlichen nicht einfach negiert werden kann. Dieses Ergebnis ist auch für die Abwicklung von Prozessen zu Sicherheitsverlangen nach § 648 a BGB hilfreich: Denn in der Tat muß jetzt nicht in einem Anforderungsprozeß zu einer Bauhandwerkersicherheitsleistung zur Bestimmung der Höhe inzident über die Berechtigung eines Nachtrags gestritten werden. Stattdessen werden mit der Anknüpfung an die in einem Zusatzauftrag "vereinbarte Vergütung" klare Verhältnisses geschaffen. Diese gesetzliche Sichtweise ist nicht einmal inkonsequent insoweit, als § 648 a BGB auch an anderer Stelle klarstellt, daß für die Bestimmung der Höhe der Sicherheit streitige Gegenansprüche außer Betracht bleiben (§ 648 a Abs. 1 S. 4 BGB). Zwar wird dadurch der durch § 648 a BGB bezweckte Schutz des Auftragnehmers in Bezug auf die Absicherung der Vergütung von Zusatzaufträgen weitgehend entwertet. Denn der Auftraggeber kann sich allein durch Verzögerungen bei den Preisverhandlungen einen Vorteil dadurch verschaffen, daß er noch keine Sicherheit stellen muß, demgegenüber der Auftragnehmer i. d. R. wegen seiner Kooperationspflicht die Arbeiten nicht bis zu einer getroffenen Vergütungsvereinbarung einstellen darf. Nach dem geltenden Recht ist diese mißliche Lage aber durch den Auftragnehmer hinzunehmen (vgl. Ingenstau/Korbion/Joussen, a. a. O., Rdnr. 166).

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Nach allem ist dem Sicherheitsverlangen der Klägerin kein Erfolg beschieden.

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Die Nebenentscheidungen ergehen nach §§ 91 Abs. 1, 709 S. 1 und 2 ZPO.


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