Beschluss vom Landgericht Hamburg (3. Zivilkammer) - 303 OH 2/16

Gründe

I.

1

Es soll ein selbständiges Beweisverfahren durchgeführt werden und durch Einholung eines urologischen Sachverständigengutachtens Beweis darüber erhoben werden,

2

ob die Behandlung der Antragstellerin im Rahmen der stationären Aufenthalte im A. W. vom 17.02. bis 06.03.2013 und vom 14. bis 19.10.2013 nicht sachgerecht entsprechend den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt ist.

II.

3

Ohne das Beweisthema in irgendeiner Form einschränken zu wollen, wird die Sachverständige gebeten, insbesondere die nachfolgenden Fragen zu beantworten:

1.

4

Ist es bei der Antragstellerin nach den streitbefangenen medizinischen Behandlungen (insbesondere bzgl. der Operation am 18.02.2013 und der sich anschließenden ärztlichen Nachbehandlung bzw. Korrekturoperation vom 15.10.2013) zu folgenden Beschwerden und Gesundheitsfolgen gekommen:

5

- massiver Penishautüberschuss,
- subtotal noch vorhandene Glans,
- ausgedehnte Narben im Vulva-Bereich,
- eingezogene Narbe an der linken großen Labie mit eingewachsenen Haaren,
- trichterförmiger Meatus urethrae,
- diffuser Harnstrahl,
- vollständige Glans mit einer Vielzahl von Narben, spitzkegelig, fast über der Harnröhre und Introitus vaginae verortet,
- großer Skrotallappen nach ventral-cranial geschwenkt mit ausgedehnter Vernarbung des Introitus bds.; Spitzenbereich ringförmig ulcerierte Narbe,
- Größe der Neovagina: 2,5 cm tief und 1cm breit,
- postoe prative massive Berührungs- und Belastungsschmerzen,
- Auftreten von Herzrhythmusstörungen?

2.

6

Ist bei der streitbefangenen medizinischen Behandlung (insbesondere bzgl. der Operation am 18.02.2013 und der sich anschließenden ärztlichen Nachbehandlung bzw. Korrekturoperation vom 15.10.2013) der medizinische Standard nicht eingehalten worden, insbesondere:

7

- entsprach die gewählte Operationsmethode vom 18.02.2013 nicht dem Standard,
- wurden einzelne Operationsschritte (z.B. die Schnitttechnik) standardwidrig durchgeführt,
- wurde bei der Nachbehandlung nicht der medizinische Standard eingehalten, insbesondere indem nicht rechtzeitig auf den „krankhaften Zustand der Neovagina“ der Antragstellerin reagiert wurde?

3.

8

Wurden die medizinisch gebotenen Befunde nicht erhoben, insbesondere:

9

- wurden die medizinisch gebotenen Befunde vor der Operation am 18.02.2013
nicht erhoben,
- wurden nach der Operation vom 18.02.2013 die gebotenen Befunde in Bezug
auf die Neovagina nicht erhoben,
- wurden erhobene Befunde anlässlich des ersten stationären Aufenthalts
fundamental falsch diagnostiziert,
- wurden die medizinisch gebotenen Befunde vor der Operation am 15.10.2013
nicht erhoben,
- wurden nach der Operation vom 15.10.2013 die gebotenen Befunde in Bezug
auf die Neovagina nicht erhoben,
- wurden erhobene Befunde anlässlich des zweiten stationären Aufenthalts
fundamental falsch diagnostiziert?

4.

10

Hätte sich (insbesondere bzgl. der Operation am 18.02.2013 und der sich anschließenden ärztlichen Nachbehandlung bzw. Korrekturoperation vom 15.10.2013) bei der gebotenen, aber standardwidrig unterbliebenen Erhebung der medizinisch erforderlichen Befunde mit Wahrscheinlichkeit ein Befund ergeben, dass sich dessen Verkennung als fundamental oder die Nichtreaktion auf ihn als schlicht nicht nachvollziehbar darstellen würde und diese Standardabweichung generell geeignet gewesen wäre, den tatsächlich eingetretenen Gesundheitsschaden herbeizuführen?

5.

11

Für den Fall, dass die Sachverständige Versäumnisse der Ärzte oder sonstiger Mitarbeiter der Antragsgegnerin zu 1) bzw. des Antragsgegners zu 2) oder ihnen anzulastende Verstöße gegen die Regeln der ärztlichen Kunst feststellt:

12

Wie schwerwiegend sind die festgestellten Fehler? Handelt es sich hierbei jeweils oder in der Gesamtschau um grobe Behandlungsfehler, d.h. um solche, die aus ärztlicher Sicht nicht nachvollziehbar erscheinen, weil sie einem Mitarbeiter der Antragsgegnerin zu 1) oder dem Antragsgegner zu 2) schlechthin nicht hätten unterlaufen dürfen?

6.

13

Stellen die unter Ziffer 1. bezeichneten Gesundheitsbeeinträchtigungen und Beschwerden die kausale Folge einer Abweichung vom medizinischen Standard anlässlich der streitbefangenen Behandlungen dar?

7.

14

Ist die gewählte Behandlungsmethode anlässlich der Operationen vom 18.02. und 15.0.2013 eine medizinische Außenseitermethode bzw. eine Neulandmethode gewesen?

8.

15

Gab es zu dem gewählten Vorgehen echte medizinische (Operations-)Alternativen (z.B. „penile Inversion“) mit anderen Chancen und Risiken?

9.

16

Mit welchem Grad an Sicherheit lassen sich die vorstehenden Fragen beantworten: Sicher – sehr wahrscheinlich – wahrscheinlich – möglich – unwahrscheinlich – äußerst unwahrscheinlich – sicher nicht?

III.

17

Sollten der Sachverständigen medizinische Zusammenhänge auffallen, die vom obigen Fragenkatalog nicht berührt werden, die aber für die gutachterliche Bewertung von Bedeutung sind, möge sie eine medizinische Bewertung dieser Zusammenhänge vornehmen und dies im Gutachten hervorheben. Dabei sollen jedoch keine weiteren als die im Prozess geltend gemachten Gesundheitsverletzungen bzw. Beschwerden überprüft und erörtert werden.

IV.

18

Die Kammer erwägt, Prof. Dr. S. K., Direktorin der Klinik für Urologie, Kinderurologie und Urologischer Onkologie, Kliniken E. Mitte, E.. H. Stiftung/Knappschaft GmbH, H. Str... ,... E., zur Sachverständigen zu bestellen.

19

Eventuell bestehende Einwendungen gegen die Person der Sachverständigen können die Parteien binnen drei Wochen schriftsätzlich vortragen.

V.

20

Die Sachverständige wird auf die Behandlungsunterlagen hingewiesen, die der Gerichtsakte beiliegen. Sollten diese unvollständig sein, möge sie das Gericht hierüber informieren und die fehlenden Unterlagen möglichst genau bezeichnen, damit deren Anforderung von hier aus veranlasst werden kann.

VI.

21

Sollte die Sachverständige die Hinzuziehung von Gutachtern anderer Fachrichtungen, namentlich aus dem Bereich der Radiologie, als Zusatzgutachter für erforderlich oder geboten halten, soll sie dies dem Gericht mitteilen und möglichst einen ihr als kompetent bekannten Zusatzgutachter namhaft machen. Ohne eine förmliche Bestellung durch das Gericht darf jedoch kein Zusatzgutachter eingeschaltet werden.

VII.

22

Die Einholung des Sachverständigengutachtens wird von der Zahlung eines Kostenvorschusses durch die Klägerin in Höhe von 5.000 € binnen 3 Wochen abhängig gemacht.

VIII.

23

Der Antragstellerin wird eine Frist von vier Wochen gesetzt, innerhalb der sie die vollständigen Behandlungsunterlagen folgender Ärzte bei Gericht einzureichen hat:

24

- Dres S./ P./ P. W.,
- Dr. S./ M.,
- Dr. M./ P. W..

25

Nach Ablauf der Frist kann das Beweismittel nur benutzt werden, wenn es nach der freien Überzeugung des Gerichts dadurch nicht zu einer Verfahrensverzögerung kommt.

IX.

26

Im Übrigen wird der Antrag auf Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens abgelehnt.

27

Zur Frage in Ziffer 2., Spiegelstrich 3 im Schriftsatz vom 18.04.2016:

28

Die Frage nach der Standardgemäßheit des Operationsresultats knüpft nicht an die Voraussetzungen von § 485 Abs. 2 ZPO an. Weder geht es um den tatsächlichen Zustand der Antragstellerin noch um die möglichen Ursachen für Gesundheitsbeeinträchtigungen. Relevant sind insoweit lediglich Standardabweichungen in der medizinischen Behandlung. Ein Erfolg ist bei einem medizinischen Behandlungsvertrag nicht geschuldet.

29

Zur Frage in Ziffer 6. im Schriftsatz vom 18.04.2016:

30

Die Frage nach Verhaltensweisen des „vorsichtigen Operateurs“ im Zusammenhang mit den Operationen vom 18.02.2013 und 15.10.2013 knüpft nicht an die Voraussetzungen von § 485 Abs. 2 ZPO an. Weder geht es um den tatsächlichen Zustand der Antragstellerin noch um die möglichen Ursachen für Gesundheitsbeeinträchtigungen.

31

Zu den Fragen in Ziffern 7. und 8. im Schriftsatz vom 18.04.2016:

32

Die Frage der (Dringlichkeit der) Indikation der Geschlechtsumwandlung der Antragstellerin ist nach dem bisherigen Parteivortrag bereits bejaht. Die Operation war im Sinne eines elektiven Eingriffs „relativ“ indiziert. Eine Notfallbehandlung wegen unmittelbar drohender erheblicher Gesundheits- oder gar Lebensgefahr ist nicht ersichtlich und auch nicht vorgetragen.

33

Zu den Fragen in Ziffer 10. und 11. im Schriftsatz vom 18.04.2016:

34

Die Fragen nach allgemeinen Risiken und nach der Höhe des Misserfolgsrisikos knüpfen nicht an die Voraussetzungen von § 485 Abs. 2 ZPO an. Weder geht es um den tatsächlichen Zustand der Antragstellerin noch um die möglichen Ursachen für Gesundheitsbeeinträchtigungen.

35

Zur Frage in Ziffer 13. im Schriftsatz vom 18.04.2016:

36

Die Frage nach der Ordnungsgemäßheit des Aufklärungsbogens bezüglich Beschreibung der geplanten Operation und Darstellung der Risiken sowie Alternativen knüpft nicht an die Voraussetzungen von § 485 Abs. 2 ZPO an. Weder geht es um den tatsächlichen Zustand der Antragstellerin noch um die möglichen Ursachen für Gesundheitsbeeinträchtigungen. Entscheidend ist zudem nicht der Aufklärungsbogen, sondern das tatsächlich (nicht?) stattgefundene Gespräch zwischen Patient und Arzt. Dieses ist einer Beweiserhebung durch Einholung eines Sachverständigengutachtens nicht zugänglich, weil der Sachverständige bei dem Gespräch nicht zugegen war. Zudem fehlt hier jeder Vortrag der Antragstellerin zu Verlauf und Inhalt eines etwaigen Aufklärungsgesprächs.

37

Zur Frage zu Ziffer 14. im Schriftsatz vom 18.04.2016:

38

Die Frage nach Unbrauchbarkeit der medizinischen Leistung knüpft nicht an die Voraussetzungen von § 485 Abs. 2 ZPO an. Weder geht es um den tatsächlichen Zustand der Antragstellerin noch um die möglichen Ursachen für Gesundheitsbeeinträchtigungen. Zudem handelt es sich um eine juristische Frage, die vom Gericht zu beantworten sein wird, auch wenn mögliche Standardabweichungen und Gesundheitsfolgen dabei eine Rolle spielen werden. Diese Umstände sind Gegenstand des selbständigen Beweisverfahrens (s.o.).

39

Fragen zu Ziffer 16. im Schriftsatzes vom 18.04.2016:

40

Die Fragen zu den ersten beiden Spiegelstrichen hat die Antragstellerin auf Seite 11 ihrer Antragsschrift bereits unter Angaben ärztlicher Stellungnahmen beantwortet. Es fehlt an einem rechtlichen Interesse, sie sich im Rahmen eines selbständigen Beweisverfahrens ein zweites Mal beantworten zu lassen. Die Frage zum 3. Spiegelstrich knüpft nicht an die Voraussetzungen von § 485 Abs. 2 ZPO an. Weder geht es um den tatsächlichen Zustand der Antragstellerin noch um die möglichen Ursachen für Gesundheitsbeeinträchtigungen. Sie knüpft auch nicht an einen möglichen Beseitigungsaufwand an, da es der Antragstellerin um eine allgemeine Risikoeinschätzung des Sachverständigen geht. Die Frage zum 4. Spiegelstrich hat die Antragstellerin bereits selbst beantwortet. Sie hat ausgeführt, dass die gesamte Operation wiederholt werden müsse. Da sie die Kosten der Erstoperation kennt bzw. durch Erkundigung bei ihrem Krankenversicherer in Erfahrung bringen kann, sind ihr auch die Kosten für eine erneute Vornahme der Operation bekannt.

Verwandte Urteile

Keine verwandten Inhalte vorhanden.

Referenzen