Urteil vom Landgericht Hamburg (10. Zivilkammer) - 310 O 99/18

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 17.144,81 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 04.11.2017 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des VW Caddy mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer W. zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des VW Caddy mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer W. seit dem 04.11.2017 in Annahmeverzug befindet.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1.171,67 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.05.2018 zu zahlen.

4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

5. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 17% und die Beklagte 83% zu tragen.

6. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger in Bezug auf den Tenor zu 1. jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 20.000,00 € und in Bezug auf die Kosten nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten um die Haftung für Schäden in Bezug auf ein Fahrzeug, dessen Dieselmotor vom Typ EA 189 vom sogenannten „Abgasskandal“ um manipulierte Stickoxidwerte betroffen ist.

2

Der Kläger erwarb das streitgegenständliche Fahrzeug VW Caddy mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer W. mit einem von der Beklagten entwickelten und hergestellten Dieselmotor der Baureihe EA 189 am 24.09.2013 als Gebrauchtwagen von einem Händler. Das Fahrzeug war am 03.09.2012 erstmals zugelassen worden, wie sich aus den vom Kläger als Anlage K2 vorgelegten Kopien der Zulassungsbescheinigung Teil I und der Zulassungsbescheinigung Teil II ergibt. Der Kaufpreis betrug 20.500,00 € brutto (Anlage K1). Zum Zeitpunkt des Erwerbs durch den Kläger wies der Pkw einen Kilometerstand von 11.000 km auf. Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 14.11.2018 betrug der Kilometerstand 84.536 km.

3

Der Motor des Fahrzeugs ist von dem sogenannten „Abgasskandal“ betroffen. Die Motorsteuerung sieht hinsichtlich der Abgasrückführung zwei Betriebsmodi vor. Der eine Betriebsmodus ist hinsichtlich des Stickstoffausstoßes optimiert und sieht eine vergleichsweise hohe Abgasrückführungsrate vor. Der andere Betriebsmodus führt bei einer geringeren Abgasrückführungsrate zu einem höheren Stickoxidausstoß. Weiter ist das Fahrzeug mit einer sogenannten Abschaltvorrichtung versehen, die dazu führt, dass der erstgenannte Betriebsmodus nur dann gewählt wird, wenn das Fahrzeug sich auf einem technischen Prüfstand zur Ermittlung der Emissionswerte befindet, während der zweitgenannte Betriebsmodus eingeschaltet wird, wenn das Fahrzeug im Straßenverkehr eingesetzt wird. Eine Software erkannte anhand des Fahrverhaltens, ob sich das Fahrzeug auf dem Prüfstand im Labor oder im realen Fahrbetrieb befand und schaltete zwischen den Modi um. Die Software wurde von der Beklagten gezielt eingesetzt, um bei Abgasmessungen im Laborbetrieb einen geringeren Stickoxidausstoß zu erzielen, der dem Wert im tatsächlichen Fahrbetrieb auf der Straße jedoch nicht entspricht.

4

Die Abschaltvorrichtung wurde von der Beklagten in ihrem Antrag auf Typgenehmigung nicht erwähnt. Die Typgenehmigung wurde erteilt. Die Abschalteinrichtung wird auch nicht in der EG- Übereinstimmungsbescheinigung erwähnt.

5

Im September 2015 gab die Beklagte die Manipulationen zur Umgehung von Abgasnormen zu und teilte mit, dass weltweit Fahrzeuge mit Motoren vom Typ EA 189 in einer Gesamtzahl von ca. 11 Millionen betroffen seien.

6

Das Kraftfahrtbundesamt stellte mit rechtskräftigem Bescheid vom 15.10.2015 fest, dass es sich bei der von der Beklagten verwendeten Software um eine unzulässige Abschaltvorrichtung handelt und erlegte der Beklagten auf, die entsprechende Software aus den betroffenen Fahrzeugen zu entfernen. Die erteilte EG-Typengenehmigung für das Fahrzeug wurde vom Kraftfahrtbundesamt nicht widerrufen. Für die betroffenen Motoren wurde ein Software-Update entwickelt und vom Kraftfahrtbundesamt am 14.12.2016 freigegeben. Dieses wurde im Rahmen einer Rückrufaktion in die betroffenen Fahrzeuge eingespielt. Der Kläger ließ das Update am 19.01.2017 durchführen, auch aufgrund seiner Befürchtung, dass andernfalls eine Stilllegung des Fahrzeugs drohen könne.

7

Der Kläger hatte vom Vorhandensein der zwei Betriebsmodi und der Abschaltvorrichtung Motorsteuerung bei Kaufvertragsschluss keine Kenntnis. Er ging angesichts der Angaben in der EG-Übereinstimmungsbescheinigung davon aus, dass das Fahrzeug mit dem genehmigten Typ übereinstimme und alle europäischen und nationalen Vorschriften erfülle.

8

Mit anwaltlichem Schreiben vom 20.10.2017 (Anlage K36) forderte der Kläger die Beklagte unter Fristsetzung bis zum 03.11.2017 auf, den Kaufpreis, welchen der Kläger in Erfüllung des Kaufvertrages an den Händler entrichtet hatte, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs zu erstatten sowie das Fahrzeug am Wohnsitz des Klägers abzuholen. Die Beklagte wies diese Forderung des Klägers mit Schreiben vom 10.11.2017 zurück (Anlage K37).

9

Der Kläger trägt vor, ihm sei es um den Erwerb eines umweltfreundlichen Fahrzeugs gegangen. Hätte er von dem Vorhandensein der Manipulationssoftware gewusst, hätte er das Fahrzeug nicht erworben. Der Einbau der Software sei mit Wissen und Wollen des Vorstandes der Beklagten erfolgt. Der Betrug sei bei der Beklagten systematisch aufgezogen worden, und zahlreiche hochrangige Mitarbeiter der Beklagten, darunter ehemalige Vorstandsmitglieder, hätten Kenntnis davon gehabt. Das Verschulden der Beklagten ergebe sich auch aufgrund der Grundsätze der Wissenszurechnung. Das Wissen der an der Entwicklung der Manipulationssoftware beteiligten Personen, jedenfalls der jeweiligen Leiter der Motorenentwicklungsabteilung R. K., J. H. und H.- J. N. sowie des Leiters des Qualitätsmanagements, B. G., sowie des Abteilungsleiters der Abgasnachbehandlung, R. D., sei der Beklagten zuzurechnen. Diese hätten weitgehend eigenständig und weisungsfrei gehandelt. Auch der frühere Leiter der Typprüfung bei der Beklagten, Dr. F. v. B., der unstreitig die EG-Übereinstimmungserklärung unterzeichnet hat, habe Kenntnis von der streitgegenständlichen Software gehabt. Zudem spreche eine tatsächliche Vermutung dafür, dass die Entscheidung, Motoren mit einer Einstellung wie der hier in Rede stehenden planvoll und absichtlich zu produzieren und in Verkehr zu bringen, angesichts der Tragweite und Risiken für den Hersteller durch die Geschäftsleitung selbst getroffen wurde und damit der Beklagten gemäß § 31 BGB zurechenbar ist. Im Jahr 2007 hätten die Techniker der Beklagten in einer Entscheidungsvorlage an die Führungsebene geschrieben, dass nur eine Software, die dafür sorge, dass die Abgase nur auf dem Rollenstand ausreichend gereinigt werden, das Problem der strengen US-amerikanischen Grenzwerte lösen könne. Der spätere Entwicklungsvorstand H.- J. N. habe bereits 2011 von der Betrugssoftware gewusst und 2012 sogar deren Verbesserung genehmigt. Dem Vorstandsvorsitzenden der Beklagten M. W. sei bekannt gewesen, dass Motoren der Baureihe EA 189 möglicherweise unzulässige Abschalteinrichtungen enthalten. Das einfache Bestreiten der Beklagten sei unbeachtlich.

10

Das Fahrzeug sei im damaligen Zustand nicht genehmigungsfähig gewesen und habe jederzeit stillgelegt werden können. Er befürchte, dass das aufgespielte Software-Update sich nachteilig auf Verbrauchswerte, die Motorleistung und die Langlebigkeit seines Fahrzeugs auswirke. Es sei bereits zu einem Abgasrückführungsschaden gekommen.

11

Der Kläger ist der Rechtsauffassung, dass ihm durch den Abschluss des Kaufvertrages ein Schaden entstanden sei. Die Beklagte habe dadurch sittenwidrig gehandelt, dass sie die manipulierende Steuerungssoftware überhaupt entwickelt und in die Motoren der Baureihe EA 189 eingebaut habe. Zum anderen habe die Beklagte auch deswegen sittenwidrig gehandelt, weil sie die unzutreffende EG-Übereinstimmungsbescheinigung für das Fahrzeug des Klägers ausgestellt habe. Ihm stehe daher gegen die Beklagte ein Schadensersatzanspruch dahingehend zu, dass diese ihn von dem aufgrund eines Eingriffs in seine Dispositionsfreiheit geschlossenen Kaufvertrag mit dem Händler befreien müsse. Daher habe sie ihm den Kaufpreis zu erstatten Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des erworbenen Fahrzeugs. Er ist außerdem der Meinung, dass er sich - obwohl er das Fahrzeug seit dem Erwerb nutzt - keinen Nutzungsersatz bzw. keine Gebrauchsvorteile in Abzug bringen lassen müsse. Dies ergebe sich zum einen aus dem europarechtlichen Effektivitätsgrundsatz, zum anderen würde aber ein abzuziehender Nutzungsersatz auch dem Zweck des Schadensersatzes widersprechen. Eine Vorteilsausgleichung dürfe nicht stattfinden, wenn sie den Schädiger unbillig entlasten würde.

12

Der Kläger beantragt:

13

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 20.500,00 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 04.11.2017 Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des VW Caddy mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer W. zu zahlen.

14

2. Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Annahme des VW Caddy mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer W. seit spätestens 04.11.2017 in Annahmeverzug befindet.

15

3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 1789,76 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 04.11.2017 zu zahlen.

16

Die Beklagte beantragt,

17

die Klage abzuweisen.

18

Sie bestreitet mit Nichtwissen, dass der Kläger Eigentümer des Fahrzeugs sei, weil er weder die Zulassungsbescheinigung Teil I noch die Zulassungsbescheinigung Teil II vorgelegt habe.

19

Die Beklagte trägt vor, das durch das Kraftfahrzeugbundesamt freigegebene Software-Update führe für den Kläger zu keinerlei Nachteilen. Zudem ist sie der Ansicht, der Kläger habe nicht substantiiert vorgetragen, dass Personen, deren Kenntnisse der Beklagten zuzurechnen wären, mit Vorsatz hinsichtlich eines angeblichen Schadens des Klägers gehandelt hätten. Die Beklagte behauptet, ihr Vorstand im Sinne des Aktienrechts habe eine Schädigung des Vermögens des Klägers weder für möglich gehalten noch billigend in Kauf genommen. Nach ihren derzeitigen Ermittlungen habe der Vorstand der Beklagten in den relevanten Zeitpunkten der Ausstellung der EG-Übereinstimmungsbescheinigung und des Inverkehrbringens des Fahrzeugs im Jahr 2012 und auch im Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses am 24.09.2013 von der Verwendung der Abschaltvorrichtung bzw. Software keine Kenntnis gehabt. Das gelte auch für Dr. F. v. B., früherer Leiter der Typprüfung bei der Beklagten. Den von ihr in Auftrag gegebenen, von einer Anwaltskanzlei erstellten internen Untersuchungsbericht zum Abgasskandal legt die Beklagte nicht vor.

20

Die Beklagte meint zudem, dem Kläger sei durch den Vertragsschluss zum Kauf des streitgegenständlichen Fahrzeugs kein Schaden entstanden. Ihm stehe der begehrte Schadensersatzanspruch daher nicht zu. Selbst wenn dies der Fall sein sollte, müsse er sich jedenfalls die von ihm gezogene Nutzungen als Wertersatz abziehen lassen.

21

Der Kläger hat beantragt, den Rechtsstreit auszusetzen und dem Europäischen Gerichtshof zahlreiche Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen (Schriftsatz vom 16.10.2018, Seiten 1-4).

22

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe

23

Der Prozess ist entscheidungsreif. Ein Vorabentscheidungsverfahren beim Europäischen Gerichtshof muss gemäß Art. 267 Abs. 3 AEUV nicht durchgeführt werden, weil diese Entscheidung mit Rechtsmittel angefochten werden kann.

24

Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.

I.

25

Die Klage ist zulässig, insbesondere besteht für den Kläger das für den Klagantrag zu 2. gemäß § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse mit Blick auf § 756 Abs. 1 ZPO.

II.

26

Dem Kläger steht gegenüber der Beklagten ein Anspruch auf Rückzahlung des gezahlten Kaufpreises Zug um Zug gegen Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs aus § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB zu, allerdings unter Abzug eines Gebrauchsvorteils.

27

Nach § 826 BGB ist derjenige, der in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderen vorsätzlich Schaden zufügt, diesem zum Ersatz dieses Schadens verpflichtet.

28

Diese Voraussetzungen liegen vor.

29

Die Beklagte hat den Kläger in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise zumindest bedingt vorsätzlich geschädigt. Die Beklagte hat, um den Absatz ihrer Dieselmotoren des Typs EA 189 zu steigern, die Motorsteuerungssoftware so programmiert, dass diese den Betrieb des Fahrzeugs auf einem Prüfstand im Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) erkannte und das Fahrzeug in einen hierfür programmierten speziellen Fahrmodus versetzte, um die für die Fahrzeugprüfung maßgeblichen Abgasgrenzen einzuhalten. Dabei hat die Beklagte eine Schädigung der Käufer von mit Dieselmotoren des Typs EA 189 ausgestatteten Fahrzeugen aus eigennützigen Motiven, nämlich aus bloßem Gewinnstreben, in sittlich anstößiger Weise billigend in Kauf genommen (vgl. LG Heilbronn, Urteil vom 14.03.2018, Az. Ve 6 O 320/17 - juris; Urteil vom 09.08.2018, Az. 2 O 278/17 - juris).

30

Im Einzelnen schließt sich das erkennende Gericht im Folgenden unter den Ziffern 1. bis 4. weitestgehend den überzeugenden Ausführungen des Landgerichts Heilbronn (Urteil vom 09.08.2018, Az. 2 O 278/17 - juris) an:

1.

31

Der bei den Käufern - und damit auch beim Kläger - entstandene Schaden, der in jeder nachteiligen Einwirkung auf die Vermögenslage besteht (vgl. allg. BGH NJW 2004, 2668; Münchener Kommentar BGB/Wagner, 7. Auflage 2017, § 826 Rn. 31), folgt aus der Belastung mit einer bei Kenntnis des Manipulationsvorgangs nicht getroffenen Kaufentscheidung und der damit eingegangenen Kaufpreiszahlungsverpflichtung. § 826 BGB schützt nicht nur das Vermögen an sich, sondern setzt bereits bei der Beschränkung der Dispositionsfreiheit des Geschädigten an, so dass der Schaden auch in der Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung bestehen kann (BGH NJW-RR 2015, 275; BGH NJW 2004, 2668). Ein Vermögensschaden ist demnach im Rahmen des § 826 BGB auch bei objektiver Werthaltigkeit von Leistung und Gegenleistung möglich, wenn der Geschädigte durch ein haftungsbegründendes Verhalten zum Abschluss eines Vertrages gebracht worden ist, den er sonst nicht geschlossen hätte, denn im Fall der vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung dient der Schadensersatzanspruch nicht nur dem Ausgleich jeder nachteiligen Einwirkung durch das sittenwidrige Verhalten auf die objektive Vermögenslage des Geschädigten. Vielmehr muss sich der Geschädigte auch von einer auf dem sittenwidrigen Verhalten beruhenden Belastung mit einer „ungewollten“ Verpflichtung wieder befreien können (BGH NJW-RR 2015, 275).

32

In diesem Sinne liegt hier ein Schaden vor. Der Kläger ist durch ein haftungsbegründendes Verhalten der Beklagten zum Abschluss des Kaufvertrages gebracht worden, den er sonst nicht geschlossen hätte.

33

Das haftungsbegründende Verhalten der Beklagten folgt aus der gezielten Programmierung der Motorsteuerungssoftware für den Dieselmotor EA 189 mit einem nur für den Prüfstand im Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) entwickelten Fahrmodus zur Einhaltung der für die EG-Typengenehmigung erforderlichen Emissionswerte. Hierdurch ist der Kläger zum Abschluss eines Kaufvertrages gebracht worden, den er sonst nicht geschlossen hätte. Dabei kommt es weder darauf an, ob das streitgegenständliche Fahrzeug durch die verwendete Software einen Wertverlust erlitten hat, noch darauf, ob das streitgegenständliche Fahrzeug verglichen mit vergleichbaren Modellen anderer Hersteller tatsächlich emissionsarm und kraftstoffsparend ist. Ebenfalls dahin gestellt bleiben kann die Frage, ob die Angaben über die Emissionswerte des streitgegenständlichen Fahrzeugs zutreffend waren oder nicht. Auch die Frage, welche Faktoren und Informationen im Einzelnen für den Kläger kaufentscheidend gewesen sind, muss nicht aufgeklärt werden. Vielmehr kommt es entscheidend auf die Frage an, ob der Kläger das Fahrzeug zu demselben Preis auch dann gekauft hätte, wenn er gewusst hätte, dass der Motor des Fahrzeugs die EG-Typengenehmigung nur erhalten hatte, weil die Beklagte das Testverfahren mit einer unzulässigen Abschaltvorrichtung manipuliert hatte. Dass diese Frage zu verneinen ist, liegt auf der Hand. Kein vernünftiger Käufer würde sich auf die Unsicherheit des möglichen Widerrufs der EG-Typengenehmigung einlassen und ein solches Fahrzeug erwerben, selbst wenn mit dem Fahrzeug weder eine Wertminderung noch nachteilige Emissionswerte verbunden sind. Die berechtigten Erwartungen eines vernünftigen Käufers - und damit auch des Klägers - erstrecken sich darauf, dass das erworbene Fahrzeug die technischen und rechtlichen Voraussetzungen der Zulassung erfüllt und diese nicht durch illegale Mittel erreicht worden sind.

34

Dass auch die Beklagte selbst hiervon ausgehen musste, lässt sich ohne Weiteres aus dem Umstand ableiten, dass die Manipulation des Genehmigungsverfahrens verheimlicht wurde. Es steht daher zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Kläger durch haftungsbegründendes Verhalten der Beklagten, welches in der Verheimlichung des Manipulationsvorgangs zu sehen ist, zum Abschluss eines Kaufvertrages gebracht worden ist, den er sonst nicht geschlossen hätte.

2.

35

Diesen Vermögensschaden hat die Beklagte in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise herbeigeführt. Unter einer gegen die guten Sitten verstoßenden Verhaltensweise versteht man eine Handlung, die nach dem Inhalt oder Gesamtcharakter gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (Palandt/Sprau BGB, 77. Aufl., § 826 Rn. 4). Dies setzt eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens voraus, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zu Tage tretenden Gesinnung oder den eintretenden Folgen ergeben kann.

36

Diese Anforderungen erfüllt das Verhalten der Beklagten, die selbst eingeräumt hat, dass die Motorsteuerungssoftware in dem streitgegenständlichen Fahrzeug so programmiert war, dass sie erkannte, wenn das Fahrzeug sich im Prüfstand befand, um dann ein speziell nur für den Prüfzyklus vorgesehenes Abgasrückführungsverfahren einzuleiten. Das Kraftfahrtbundesamt stellte mit rechtskräftigem Bescheid vom 15.10.2015 fest, dass es sich bei der von der Beklagten verwendeten Software um eine unzulässige Abschaltvorrichtung handelt. Die Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten folgt aus dem Umstand, dass die Beklagte die Motorsteuerungssoftware des streitgegenständlichen Fahrzeugs gezielt so programmiert hat, dass der Eindruck entsteht, dass das Fahrzeug geringere Stickstoffemissionen aufweist, als es im regulären Fahrbetrieb tatsächlich der Fall ist. Hierbei kommt es nicht entscheidend darauf an, dass - wie die Beklagte vorträgt - die erteilte EG-Typengenehmigung wirksam erteilt wurde und dass allgemein bekannt ist, dass die in den Herstellerangaben angegebenen Werte, die unter Laborbedingungen gemessen werden, nicht den Emissionswerten im normalen Straßenverkehr entsprechen. Vielmehr ist für die Entscheidung, ob das Verhalten der Beklagten verwerflich i.S.v. § 826 BGB ist, darauf abzustellen, dass die Beklagte für das Zulassungsverfahren einen Betriebsmodus entwickelt und eingebaut hat, dessen alleiniger Zweck in der Manipulation des Genehmigungsverfahrens bestand.

37

Auch wenn der Gesetzgeber sich dafür entschieden hat, dass es für die EG-Typengenehmigung auf die Laborwerte ankommt und allgemein bekannt ist, dass die Emissionsangaben der Hersteller unter Laborbedingungen gemessen werden, erfasst das von der Beklagten angeführte Allgemeinwissen nur die Kenntnis, dass die im Labor gemessenen Grenzwerte unter anderen äußeren Rahmenbedingungen nicht erreicht werden können, nicht jedoch die Kenntnis, dass die Laborwerte im Normalbetrieb (auch) deswegen nicht erreicht werden, weil das Fahrzeug dann ohne Wissen des Benutzers in einen anderen Betriebsmodus schaltet und der Abweichung der Emissionswerte zwischen Test- und Normalbetrieb eine nur zu diesem Zweck eingebaute Manipulationssoftware zugrunde liegt. Wenn üblicherweise im Labor andere Messwerte erzielt werden, so liegt dies daran, dass die äußeren Rahmenbedingungen nicht dem normalen Fahrbetrieb entsprechen, nicht jedoch daran, dass das Fahrzeug selbst andere Eigenschaften aufweist, die dem Benutzer bewusst verschwiegen wurden.

38

Die darüber hinaus für § 826 BGB nötige besondere Verwerflichkeit des Verhaltens ergibt sich aus dem Umstand, dass die Beklagte die Manipulation in einer Vielzahl von Fällen bzw. in einer ganzen Motorserie vorgenommen hat. Die Beklagte ist der wohl größte Fahrzeughersteller und -exporteur Deutschlands, so dass von ihr vorgenommene gezielte Manipulationen des Genehmigungsverfahrens geeignet sind, das Vertrauen einer Vielzahl von Kunden in die Einhaltung der rechtlichen Rahmenbedingungen zu untergraben. Aus der Konzerngröße der Beklagten können sich aus einer solchen gezielten Manipulation des Genehmigungsverfahrens Risiken in volkswirtschaftlich relevanter Dimension ergeben. Solche Risiken hat sie ihrem mit missbräuchlichen Mitteln verfolgten eigenen Gewinnstreben untergeordnet und damit verwerflich gehandelt.

39

Schon dieses Gewinnstreben um den Preis der bewussten Täuschung und Benachteiligung von hunderttausenden und mehr Autokäufern gibt dem Handeln der Beklagten das Gepräge der Sittenwidrigkeit. Hierbei kann die Beklagte sich nicht damit entlasten, dass der Kläger letztlich nicht getäuscht worden sei, da das Fahrzeug technisch einwandfrei funktioniere, die gesetzlich vorgesehenen Grenzwerte für die EG-Typgenehmigung einhalte und ein Widerruf der Genehmigung nicht drohe. Eine Täuschung des Anspruchstellers ist nicht Tatbestandsvoraussetzung des § 826 BGB. Irrelevant ist auch die Frage, ob das Fahrzeug tatsächlich keinen höheren Schadstoffausstoß hat bzw. die Frage, ob tatsächlich ein wirtschaftlicher Minderwert des Fahrzeugs vorhanden ist. Die Sittenwidrigkeit folgt vor allem daraus, dass die Manipulation heimlich vorgenommen wurde mit dem Ziel, eine Zulassung durch Täuschung zu erwirken. Wenn die Beklagte hier argumentiert, dass das Ziel der Gewinnmaximierung nicht zu beanstanden sei, so kann dies auch aus eigenen wirtschaftlichen Interessen der Beklagten nicht für denjenigen gelten, der dieses Ziel mit illegalen Mitteln, Manipulation und Täuschung verfolgt, um sich Sondervorteile zu verschaffen.

40

Insofern unterscheidet sich der vorliegende Fall von dem Sachverhalt, welcher der von der Beklagten zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 28.06.2016 (Az. VI ZR 536/15, NJW 2017, 250) zugrunde lag. Dort hatte der Bundesgerichtshof die Voraussetzungen für ein sittenwidriges Verhalten im Fall einer unterlassenen Information über Umstände, die für eine Anlageentscheidung erheblich waren, als nicht hinreichend begründet angesehen und ausgeführt, alleine aus der Verletzung der Rechtspflicht zur vollständigen und richtigen Aufklärung könne nicht auf die Sittenwidrigkeit der unterlassenen Aufklärung geschlossen werden. Im hiesigen Fall liegt jedoch nicht nur eine unvollständige oder unrichtige Aufklärung vor, sondern eine gezielte Manipulation zum Zweck der Täuschung im Genehmigungsverfahren.

3.

41

Die schädigende Handlung ist der Beklagten auch zuzurechnen. Zwar setzt die Haftung einer juristischen Person aus § 826 BGB i.V.m. § 31 BGB voraus, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter i.S.d. § 31 BGB den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 826 BGB verwirklicht hat (BGH, NJW 2017, 250). Davon ist aber für die hier zu treffende Entscheidung auszugehen. Denn die Beklagte ist ihrer sekundären Darlegungslast zu der Frage, welches ihrer Organe Kenntnis von der Manipulation der Motorsteuerungssoftware hatte und das Inverkehrbringen entsprechend ausgerüsteter Motoren veranlasst hat, nicht nachgekommen. Die Nichterfüllung der sekundären Darlegungslast der Beklagten hat zur Folge, dass davon auszugehen ist, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter alle Elemente des objektiven und subjektiven Tatbestandes des § 826 BGB verwirklicht hat. Auch in diesem Punkt unterscheidet sich der vorliegende Fall von dem insofern von Beklagtenseite zitierten Urteil des Bundesgerichtshofs vom 28.06.2016. Dort hatte dieser entschieden, dass sich die „Wissens- und Wollenszurechnung“ nicht alleine durch Zusammenrechnung der im Hause der juristischen Person vorhandenen Kenntnisse herstellen lasse. Die Nichterfüllung der sekundären Darlegungslast führt hier jedoch dazu, dass von der Verwirklichung aller Elemente in der Person eines verfassungsmäßigen Vertreters auszugehen ist.

42

Entgegen der Auffassung der Beklagten trifft sie eine entsprechende sekundäre Darlegungslast. Die Beklagte selbst weist zutreffend darauf hin, dass eine solche sekundäre Darlegungslast besteht, wenn der an sich darlegungsbelasteten Partei näherer Vortrag nicht möglich oder nicht zumutbar ist, während die andere Partei alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihr zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. Der Gegner der darlegungspflichtigen Partei darf sich nicht auf ein einfaches Bestreiten beschränken, wenn die darlegungspflichtige Partei außerhalb des von ihr darzulegenden Geschehensablaufs steht und keine nähere Kenntnis der maßgebenden Tatsachen besitzt, während der Prozessgegner sie hat und ihm nähere Angaben zumutbar sind.

43

Dies ist hier der Fall. Der Kläger hat keinen Einblick in die Entscheidungsvorgänge und Verantwortlichkeiten bei der Beklagten und ist auf Veröffentlichungen der Medien und auf Rückschlüsse und Vermutungen angewiesen. Das gälte selbst dann, wenn es nicht um eine verheimlichte, manipulierende Vorgehensweise im Betrieb der Beklagten ginge. Die Beklagte hingegen hat jede Möglichkeit, die in ihrem Unternehmen im Zusammenhang mit der Programmierung und Implementierung der streitgegenständlichen Software abgelaufenen Vorgänge und Entscheidungsprozesse darzulegen, um es so dem Kläger zu ermöglichen, seinerseits die ihm obliegende weitergehende Darlegung und den erforderlichen Beweisantritt vornehmen zu können.

44

Hinzu kommt, dass es vorliegend um die Zurechnung einer objektiv feststehenden gezielten Manipulationsstrategie in einem großen Autokonzern von weltweiter Bedeutung geht. Einer solchen Manipulationsstrategie immanent ist die Verschleierung der Verantwortlichkeit für den Fall, dass die Manipulation entdeckt wird. Wenn aber eine objektiv sittenwidrige Schädigung im Sinne von § 826 BGB in einem solchen Konzern vorgenommen und hierbei zugleich naturgemäß dafür Sorge getragen wird, dass die Zurechnung einer solchen sittenwidrigen Schädigung zu einzelnen verantwortlichen Personen verschleiert wird, kann es nicht Aufgabe des einzelnen Geschädigten sein, die Zurechnung zu verantwortlichen Entscheidungsträgen darzulegen.

45

Ihrer bestehenden sekundären Darlegungslast ist die Beklagte nicht nachgekommen. Angesichts des Zeitablaufs seit Entdeckung der Softwaremanipulation im Jahr 2015 ist der Vortrag, die Beklagte habe das ihr Mögliche unternommen, um den Behauptungen des Klägers entgegenzutreten, unzureichend. Damit, dass die Beklagte sich darauf beschränkt zu behaupten, die Ermittlungen hätten keine Erkenntnisse ergeben, dass ein Vorstand (im aktienrechtlichen Sinn) Kenntnis von der Manipulation gehabt habe, kann sie ihrer sekundären Darlegungslast nicht genügen. Dieser Vortrag ist inhaltsleer und für die Klägerseite nicht nachprüfbar. Der Sinn der sekundären Darlegungslast besteht jedoch darin, der an sich darlegungs- und beweisbelasteten Partei weiteren Vortrag zu ermöglichen. Wenn die Beklagte aber nicht darlegt, welche konkreten Erkenntnisse im Hinblick auf die interne Verantwortlichkeit die Ermittlungen ergeben haben, kann die Klägerseite keinen weiteren Vortrag im Hinblick auf die Kenntnisse der entscheidenden Personen halten.

46

Vor diesem Hintergrund kann die Beklagte gegen die ihr obliegende sekundäre Darlegungslast auch nicht mit Erfolg einwenden, dass diese angesichts der von ihr bestrittenen Kenntnis der Vorstandmitglieder letztlich zu einer gänzlichen Umkehrung der Regelungen zur Darlegungslast führt, weil die Beklagte im Rahmen ihrer sekundären Darlegungslast nunmehr zu einer negativen Tatsache - nämlich der nicht vorhandenen Kenntnis von Vorstandsmitgliedern - vortragen müsse, obwohl selbst im Rahmen der primären Darlegungslast für den Vortrag zu negativen Tatsachen Erleichterungen gelten. Denn es wäre Sache der Beklagten, (jedenfalls auch) zu positiven Tatsachen vorzutragen und nicht (nur) zu negativen. Der bloße Vortrag, die Vorstandsmitglieder hätten keine Kenntnis gehabt, reicht nicht aus, um der sekundären Darlegungslast zu genügen. Um den Kläger in die Lage zu versetzen, den Vortrag der Beklagten überprüfen zu können und dazu Beweise anzubieten, müsste die Beklagte vielmehr konkret darlegen, welche der bei ihr (als Mitarbeiter, Leiter oder Vorstandsmitglieder) beschäftigten Personen überhaupt mit den hier in Rede stehenden, sich über Jahre hinziehenden Vorgängen der Entwicklung und Implementierung einer manipulierenden Software befasst waren. Auch daran fehlt es jedoch vollständig.

47

Wenn die Beklagte sich darauf beruft, Erleichterungen müssten erst recht greifen, wenn sie nur im Rahmen der sekundären Darlegungslast zu negativen Tatsachen vortragen müsse, lässt sie zudem unberücksichtigt, dass Anknüpfungspunkt für die sekundäre Darlegungslast konzerninterne Vorgänge sind, die von ihr bewusst verschleiert wurden mit dem Ziel, sich im Wege der Manipulation Sondervorteile zu verschaffen. In dieser Konstellation kommen Erleichterungen der sekundären Darlegungslast unter dem rechtlichen Anknüpfungspunkt des Vortrags zu negativen Tatschen nicht in Betracht, weil dem Geschädigten die Aufdeckung der bewusst verschleierten internen Zurechnung nicht zugemutet werden kann und die Beklagte andernfalls von ihrer erfolgreichen Verschleierungstaktik noch prozessual profitieren würde.

4.

48

Die Beklagte handelte auch vorsätzlich. Erforderlich hierfür ist im Rahmen von § 826 BGB die Kenntnis von dem Eintritt eines Schadens, der Kausalität des eigenen Verhaltens und der die Sittenwidrigkeit des Verhaltens begründenden Umstände. Eine genaue Vorstellung von dem zu erwartenden Kausalverlauf ist nicht erforderlich. Auf die Kenntnis von der Person des Geschädigten verzichtet die Rechtsprechung (vgl. BGH NJW 2004, 2971). Da hier die streitgegenständliche Motorsteuerungssoftware alleine mit dem Ziel eingebaut wurde, das Genehmigungsverfahren zum Vorteil der Beklagten unzulässig zu beeinflussen und potentielle Käufer hierüber in Unkenntnis zu lassen, ist der Vorsatz der Beklagten hinsichtlich der für den Tatbestand des § 826 BGB relevanten objektiven Tatsachen zu bejahen.

5.

49

Rechtsfolge ist die Erstattung des gezahlten Kaufpreises Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs. Der dem Kläger entstandene Schaden in Gestalt der Beeinträchtigung seiner Dispositionsfreiheit kann nur behoben werden, wenn der Kaufvertrag „rückabgewickelt“ wird. Dies entspricht dem Grundsatz der Naturalrestitution, § 249 Abs. 1 BGB.

50

Diese Rechtsfolge ist auch nicht deswegen ausgeschlossen, weil das vom Kraftfahrtbundesamt freigegebene Software-Update auf das in Streit stehende Fahrzeug aufgespielt wurde - nach Klägervortrag insbesondere aus Furcht vor einer ansonsten drohenden Stilllegung. Mit dem Aufspielen des Software-Updates ist die Beeinträchtigung der Dispositionsfreiheit des Klägers und damit der hier in Rede stehende Vermögensschaden nicht entfallen. Im Übrigen wird auch die Äquivalenz der ausgetauschten Leistungen dadurch nicht hergestellt, weil dem Kläger das - naheliegende - Risiko verbleibt, dass aus den Veränderungen durch das Update Folgeprobleme (z.B. erhöhter Spritverbrauch, herabgesetzte Leistung, erhöhter Verschleiß bzw. geringere Lebensdauer) erwachsen (vgl. LG Bonn, 07.03.2018, 19 O 327/17 - juris, dort Rn. 127).

51

Die Rechtsfolge ist auch nicht deswegen ausgeschlossen, weil der Kläger nicht Eigentümer des streitgegenständlichen Fahrzeugs ist. Die Beklagte hat mit Nichtwissen bestritten, dass der Kläger Eigentümer des Fahrzeugs sei, weil er mit der Anlage K2 wieder die Zulassungsbescheinigung Teil I noch Teil II vorgelegt habe. Indes hat der Kläger als Anlage K2 sowohl die Zulassungsbescheinigung Teil I als auch Teil II in Kopie vorgelegt, die beide auf ihn lauten. Zudem ist der Kläger unstreitig im Besitz des Fahrzeugs, so dass gemäß § 1006 Abs. 1 BGB sein Eigentum zu vermuten ist. Angesichts dessen ist das Bestreiten der Beklagten unsubstantiiert. Im Übrigen kann der Kläger die begehrte und tenorierte Zahlung nur Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs verlangen. Sollte er zur Übereignung nicht in der Lage sein, so kann er auch den Zahlungstenor nicht vollstrecken.

52

Jedoch ist der Schaden nach der Differenzmethode durch einen rechnerischen Vergleich zwischen dem im Zeitpunkt der Schadensberechnung vorhandenen Vermögen des Geschädigten und dem Vermögen, das der Geschädigte ohne das schädigende Verhalten gehabt hätte, zu ermitteln. Bei der Differenzberechnung kommen die allgemeinen Grundsätze der Schadenszurechnung und der Vorteilsausgleichung zur Anwendung. Zu solchen in die Differenzrechnung einzustellenden Vorteilen gehört grundsätzlich auch der Wert der von dem Geschädigten vor der Rückgabe der aufgrund nicht gewollter Verpflichtung erlangten Gegenleistung aus dieser gezogenen Nutzungen (vgl. BGH NJW 2009, 1870 und NJW 2006, 1582).

53

Der Kläger muss sich die von ihm gezogenen Nutzungen jedoch nur bis zu dem Zeitpunkt anrechnen lassen, zu dem er die Beklagte zur „Rückabwicklung“ des Kaufvertrags aufgefordert hat (noch weitergehend und gar keinen Nutzungsersatz in Abzug bringend LG Augsburg, 14.11.2018, 021 O 4310/16 - BeckRS 2018, 33801). Das ergibt sich aus den Billigkeitsgesichtspunkten, die der Vorteilsausgleichung zugrunde liegen.

54

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (hier zitiert nach BGH, NJW 2007, 3130, 3132) gilt insoweit:

55

„Die im Bereich des Schadensersatzrechts entwickelten Grundsätze der Vorteilsausgleichung beruhen auf dem Gedanken, dass dem Geschädigten - jedenfalls in gewissem Umfang - diejenigen Vorteile zuzurechnen sind, die ihm in adäquatem Zusammenhang mit dem Schadensereignis zufließen. Angesichts der dem Gesetz zu Grunde liegenden Differenzhypothese ist jeweils klärungsbedürftig, ob die dem Geschädigten zufließenden Vorteile auf den Schadensersatzanspruch anzurechnen sind, sie also den Schädiger entlasten. Es soll damit ein gerechter Ausgleich zwischen den bei einem Schadensfall widerstreitenden Interessen herbeigeführt werden. Dazu reicht nicht aus, dass der aus dem schädigenden Ereignis herrührende Vorteil durch dieses adäquat-kausal verursacht worden ist. Zu der Adäquanz des Vorteils muss hinzutreten, dass die Anrechnung dem Zweck der Ersatzpflicht entspricht. Insbesondere ist eine unbillige Entlastung des Schädigers zu vermeiden. Vor- und Nachteile müssen bei wertender Betrachtungsweise gleichsam zu einer Rechnungseinheit verbunden sein.“

56

Die erforderliche wertende Betrachtung führt hier dazu, dass der Kläger sich nur diejenigen Nutzungsvorteile in Abzug bringen lassen muss, die er genossen hat, während er das Auto vorbehaltlos genutzt hat. Hingegen würde eine weitergehende, den Zeitraum nach Äußerung seines Rückabwicklungsverlangens bis zur tatsächlichen Rückabwicklung (ggf. nach rechtskräftiger Entscheidung erst in einigen Jahren) vorzunehmende Anrechnung von Nutzungsvorteilen zu einer unbilligen Entlastung der Beklagten führen. Diese hat nach den oben getroffenen Feststellungen den Kläger vorsätzlich sittenwidrig geschädigt. Dies allein lässt es schon als fraglich erscheinen, ob überhaupt eine Vorteilsausgleichung billig ist (in diese Richtung wohl LG Augsburg, 14.11.2018, 021 O 4310/16 - BeckRS 2018, 33801). Nunmehr verweigert sich die Beklagte überdies dem berechtigten Anliegen des Klägers auf Rückabwicklung des Kaufvertrages und zwingt ihn dadurch gleichsam dazu, das Fahrzeug weiter zu nutzen. Aufgrund der - von der Beklagten faktisch erzwungenen - Weiternutzung des Fahrzeugs über die weitere Dauer eines möglichen Instanzenzugs und damit noch über mehrere Jahre könnte der erst im Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung festzustellende und in Abzug zu bringende Gebrauchsvorteil des Klägers sich auf einen Betrag belaufen, der dem gezahlten Kaufpreis nahekommt oder diesen sogar übersteigt. Die Beklagte wäre also bei entsprechend langer Prozessdauer, auf die sie durchaus Einfluss hat, weitgehend oder gar vollständig der Pflicht zur Erstattung des Kaufpreises enthoben, wenn man einen Abzug der Gebrauchsvorteile vornehmen würde. Sie würde dann gegen Zahlung eines noch sehr geringen oder gar keines Geldbetrages das Fahrzeug übereignet bekommen. Das wäre ein offensichtlich mit Billigkeitserwägungen nicht zu vereinbarendes Ergebnis, weil es die vorsätzlich sittenwidrig schädigende Beklagte aufgrund ihrer überdies zu Unrecht eingenommenen Verweigerungshaltung in erheblichem Maße entlasten würde. Ebenso wie in Fällen, in denen Vorteile des Anspruchstellers auf einer Verzögerung der Mängelbeseitigung durch den Anspruchsgegner beruhen (vgl. zum Werkvertragsrecht BGH, NJW 1984, 2457, 2459; OLG Koblenz, NJW-RR 2009, 1318, abrufbar bei juris, dort Rn. 44), kommt eine Anrechnung als den Geschädigten unzumutbar belastend und den Schädiger unbillig entlastend hier nicht in Betracht. Der Grundgedanke ist derselbe: Der Anspruchsgegner darf dadurch, dass er dem berechtigten (Nachbesserungs- oder Rückabwicklungs-) Verlangen nicht nachkommt und der Anspruch erst im Rahmen eines gerichtlichen Prozesses durchgesetzt werden kann, keine Besserstellung erfahren. Wenn dies schon für vertragliche, verschuldensunabhängige Gewährleistungsansprüche gilt, muss dieser Grundgedanke erst Recht Geltung beanspruchen im Falle einer vorsätzlichen sittenwidrigen Schädigung.

57

Andererseits würde ein vollständiger Ausschluss des Abzugs von Gebrauchsvorteilen eine unbillige Entlastung des geschädigten Klägers bedeuten, der über einen gewissen Zeitraum unbeanstandet mit dem Fahrzeug gefahren ist.

58

Es entspricht daher am ehesten dem die Vorteilsausgleichung tragenden Grundsatz der Billigkeit, als entscheidende Zäsur für das Ende des Nutzungsausgleichs auf das gegenüber der Beklagten formulierte Begehren auf Rückabwicklung des Vertrages abzustellen. Damit hat der Kläger deutlich gemacht, dass er sich in seiner Dispositionsfreiheit beeinträchtigt sieht und von den Folgen dieser Schädigung befreit werden möchte. Gleichzeitig hat er damit der Beklagten die Möglichkeit gegeben, auf sein Begehren einzugehen und damit einer weiteren Nutzung des Fahrzeugs durch den Kläger, also weiteren Gebrauchsvorteilen seinerseits, die Grundlage zu entziehen. Die Beklagte hat sich trotz entsprechenden bestehenden Anspruchs dagegen entschieden, so dass auch unter diesem Gesichtspunkt ein weiterer Abzug von Nutzungsvorteilen zu Lasten des Klägers unbillig erschiene.

59

Es ist nicht vorgetragen, welchen Kilometerstand das streitgegenständliche Fahrzeug im Zeitpunkt der Aufforderung an die Beklagte zur Rückabwicklung des Kaufvertrages am 20.10.2017 aufwies. Das Gericht kann den Nutzungsersatz jedoch als zwischen den Parteien streitiges, zu ersetzendes Interesse gemäß § 287 Abs. 1 ZPO unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung schätzen. Dafür geht es von folgenden unstreitigen Eckdaten aus:

60

Zum Zeitpunkt des Erwerbs durch den Kläger am 24.09.2013 wies der Pkw einen Kilometerstand von 11.000 km auf. Im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung am 14.11.2018 betrug der Kilometerstand 84.536 km, d.h. der Kläger war seit Erwerb des Fahrzeugs über einen Zeitraum von ca. fünf Jahren und eineinhalb Monaten 73.536 Kilometer gefahren. Das entspricht einer jährlichen Fahrleistung von ca. 14.300 km. Demnach betrug der Kilometerstand am 20.10.2017, ca. vier Jahre und einen Monat nach Erwerb des Fahrzeugs, ca. 58.300 km, so dass sich der Kläger Gebrauchsvorteile für die von ihm zurückgelegte Fahrtstrecke von ca. 47.300 km anrechnen lassen muss.

61

Die Berechnung des Nutzungsvorteils erfolgt, indem der Bruttokaufpreis in Höhe von 20.500 € mit den vom Kläger gefahrenen Kilometern multipliziert und das Produkt durch die zu erwartende Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs abzüglich der bereits bei Erwerb gefahrenen Kilometer dividiert wird. Die zu erwartende Gesamtlaufleistung schätzt das Gericht gemäß § 287 Abs. 1 ZPO auf 300.000 km. Hieraus ergeben sich gezogene Nutzungen im Wert von 3.355,19 €. Insoweit ist die Klage unbegründet und daher abzuweisen.

62

Etwas anderes, also ein vollständiger Ausschluss von Abzügen wegen Gebrauchsvorteilen, ergibt sich auch nicht aus der vom Kläger insofern herangezogenen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs zum Effektivitätsgrundsatz, wonach das innerstaatliche Recht die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren dürfe. Der Kläger zeigt schon nicht auf, welches seiner durch die Unionsrechtsordnung verliehenen privaten Rechte durch den teilweisen Abzug der Nutzungsvorteile im Wege der Vorteilsausgleichung berührt sein soll, und erkennt selbst, dass es sich bei den Vorschriften im Zusammenhang mit der Richtlinie 2007/46/EG bzw. der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 um öffentlich-rechtliche Vorschriften handelt. Im Übrigen ist durch die hier gefundene Lösung einer Vorteilsausgleichung nur bis zum Zeitpunkt der Geltendmachung des Rückabwicklungsanspruchs auch sichergestellt, dass der Schadensersatzanspruch des Käufers eines vom sogenannten „Abgasskandal“ betroffenen Autos in aller Regel nicht vollständig entfällt und dementsprechend eine Sanktion des Autoherstellers verbleibt.

6.

63

Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 288 Abs. 1, 286 Abs. 1 BGB.

III.

64

Darüber hinaus kann der Kläger auch die Feststellung des Annahmeverzuges verlangen, da sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeuges seit dem 04.11.2017 in Annahmeverzug befindet. Die Beklagte wurde vom Klägervertreter mit Schreiben vom 20.10.2017 unter Fristsetzung zum 03.11.2017 zur Rücknahme des Fahrzeuges aufgefordert. Da die Beklagte jegliche Rückabwicklung ablehnte, war ein weiteres tatsächliches Angebot im Sinne des § 294 BGB überflüssig (vgl. LG Heilbronn, 14.03.2018, Ve 6 O 320/17 - juris, dort Rn. 37).

IV.

65

Dem Grunde nach steht dem Kläger auch der von ihm geltend gemachte Anspruch auf Erstattung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten aus §§ 826, 249 Abs. 1 BGB zu. Vorgerichtliche Anwaltskosten gehören zum erstattungsfähigen Schaden, da die Beauftragung eines Rechtsanwaltes in diesem Falle notwendig und zweckmäßig war.

66

Der Höhe nach beschränkt sich der Anspruch jedoch auf den ausgeurteilten Betrag in Höhe von 1.171,67 €, da für die Berechnung lediglich eine 1,3 Geschäftsgebühr ausgehend vom Gegenstandswert i.H.v. 20.500 € zuzüglich Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer zu Grunde zu legen war. Es handelt sich vorliegend sowohl hinsichtlich des Umfangs als auch hinsichtlich des rechtlichen Schwierigkeitsgrads nicht um einen überdurchschnittlichen Rechtsstreit. Die diskutierten Rechtsfragen sind Gegenstand unzähliger Rechtsstreitigkeiten und Gerichtsentscheidungen, so dass standardisierte Schreiben und Textbausteine formularmäßig in einer Vielzahl von Fällen verwendet werden können (LG Heilbronn, 14.03.2018, Ve 6 O 320/17 - juris). In Bezug auf den darüber hinausgehenden Betrag ist die ist die Klage unbegründet und abzuweisen.

67

Zinsen schuldet die Beklagte insoweit nur gemäß § 291, § 288 Abs. 1 BGB, weil zu einer verzugsbegründenden Mahnung nach dem Schreiben vom 20.10.2017 nicht vorgetragen ist. Das Schreiben selbst war noch keine Mahnung, sodass zum 04.11.2017 kein Verzug eintreten konnte. Auch insofern ist die Klage also teilweise abzuweisen.

V.

68

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich für den Kläger aus § 709 S. 1 und 2 ZPO und für die Beklagte aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Berichtigungsbeschluss vom 21. Februar 2019

Das Urteil des Landgerichts Hamburg - Zivilkammer 10 - vom 19.02.2019 wird im Tenor zu Ziffer 6. wie dahingehend berichtigt, dass der erste Satz dort richtig lautet (Ergänzung hier kursiv):

6. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger in Bezug auf den Tenor zu 1. jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 20.000,00 € und in Bezug auf den Tenor zu 3. und die Kosten nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags.

Gründe:

Es lag eine offensichtliche, unbeabsichtigte Auslassung im Sinne von § 319 ZPO vor.

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Referenzen

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