Urteil vom Landgericht Hamburg (16. Kammer für Handelssachen) - 416 HKO 114/20

Tenor

1. Die einstweilige Verfügung des Landgerichts Hamburg vom 02.06.2020 (315 O 115/20) wird aufgehoben.

2. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.

3. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Antragstellerin bleibt nachgelassen, die Vollstreckung der Antragsgegnerin im Kostenpunkt durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Antragsgegnerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Zulässigkeit des Inverkehrbringens der Software d. und hierüber gemachte Werbeaussagen.

2

Die Antragstellerin und die Antragsgegnerin sind direkte Wettbewerber auf dem Markt für Softwarelösungen zur Dokumentation der Aufbereitung medizinischer Instrumente. Die Antragstellerin vertreibt die Software S.®, eine Software mit CE-Kennzeichnung, die ausweislich der eigenen Anpreisung mittels vollautomatischer, digitaler Chargen- und Prozessdokumentation der Unterstützung des Aufbereitungsprozesses und der Verhütung von Krankheiten dient. Konkurrenzprodukt ist die von der Antragsgegnerin ohne CE-Kennzeichnung vertriebene Software d.. Die Antragsgegnerin bewirbt die Software im Internet sowie in ihren Produktbroschüren damit, dass Anwender mit der Softwarelösung ihr Medizinprodukte- und Hygienemanagement höchst effizient gestalten können. Danach ermöglicht sie es ihnen, eine gesetzeskonforme Aufbereitung, Qualitätssicherung und Verwaltung der Medizinprodukte sicherzustellen und Dokumentations- und Hygienestandards zu erfüllen. Die d. Software ist nicht in ein anderes Medizinprodukt (etwa ein Desinfektionsgerät) integriert, sondern wird losgelöst von den bei der Aufbereitung verwendeten Geräten vertrieben und angewendet.

3

Zielgruppe der d. Software sind vorwiegend Ärzte und Zahnärzte. Für diese ist die Software in drei aufeinander aufbauenden Varianten mit unterschiedlichen Kombinationen von Modulen erhältlich, d. Steridat, d. Hygiene und d. Premium, sowie zusätzlich in einer Variante, die auf die Organisation des Bestell- und Lieferwesens spezialisiert ist, d. Materialmanagement. Darüber hinaus ist die Software mit ihrer neusten Variante, d. für Dental- und Praxislabore, auf Dental- und Praxislabore ausgerichtet. Diese preist die Antragsgegnerin im Internet als „MDR-konforme Software“ an. Die jeweiligen Software-Varianten werden durch einen ausführbaren Programmcode sowie unterschiedliche Lizenzschlüssel bestimmt. Einzelne Funktionen anderer Varianten sind optional gegen Aufpreis zubuchbar.

4

Bereits in den Jahren 2014 und 2015 gab es Unterredungen zwischen den Geschäftsführern der Parteien, weil nur das Produkt der Antragstellerin nicht aber das der Antragsgegnerin, d., ein CE-Kennzeichen aufwies. Im Anschluss daran besprach man eine mögliche Kooperation sowie einen Verkauf der Antragstellerin an die Antragsgegnerin, was jedoch ohne Erfolg blieb.

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Die Antragstellerin begehrt von der Antragsgegnerin nun die Unterlassung des Inverkehrbringens sämtlicher Versionen der d. Software ohne CE-Kennzeichnung.

6

Mit Schreiben vom 23.4.2020 (AST 3) hat die Antragstellerin die Antragsgegnerin erfolglos abgemahnt. Im Anschluss daran hat das Landgericht Hamburg auf Antrag der Antragstellerin am 2.6.2020 eine einstweilige Unterlassungsverfügung gegen die Antragsgegnerin erlassen (Az.: 315 O 115/20), durch welche dieser bei Meidung der gesetzlichen Ordnungsmittel verboten wurde,

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a) die Software d. ohne CE-Kennzeichen in Deutschland in den Verkehr zu bringen,
b) für die d. Software mit der Aussage „MPR-konforme Software“ zu Zwecken des Wettbewerbs zu werben oder werben zu lassen, wenn dies geschieht, wie in der Beschlussanlage ersichtlich. Hiergegen hat die Antragsgegnerin Widerspruch eingelegt.

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Die Antragstellerin behauptet, die d. Software habe Funktionen, die über die reine Dokumentation und Speicherung von Daten hinausgehen würden, und ist diesbezüglich der Ansicht, die Software stelle ein Medizinprodukt i. S. d. § 3 Nr. 1 MPG dar, das nach § 6 Abs. 1 MPG nur mit CE-Kennzeichen vertrieben werden dürfe. Insofern stehe ihr ein Unterlassungsanspruch aus §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1, 3 Abs. 1, 3a UWG zu.

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Die für die Qualifizierung als Medizinprodukt erforderliche medizinische Zweckbestimmung ergebe sich aus der von der Antragstellerin im Internet sowie der in den Produktbroschüren und im Benutzerhandbuch gemachten Anpreisungen. So diene die Software insbesondere dazu sicherzustellen, dass die gesetzlichen Anforderungen an eine einwandfreie Aufbereitung von Medizinprodukten erfüllt würden, und damit gleichzeitig dazu, Erkrankungen und Gefahren für Patienten bei der Verwendung unsachgemäß aufbereiteter Instrumentarien zu vermeiden. Aufgrund ihrer umfangreichen Funktionen sei der Software d. der Charakter einer reinen Archivierungs- und Dokumentationssoftware abzusprechen. Dazu gehöre, dass die Software die von medizinischen Geräten übertragenen Daten über einen Algorithmus eigenständig umwandle und interpretiere. Hinzu komme, dass medizinische Instrumente nach protokollierter Aufbereitung im Rahmen der Softwarenutzung zur weiteren Verwendung freigegeben werden könnten. Darüber hinaus könne die Software andere Aufbereitungsparameter (etwa den Temperaturverlauf) über ein Blackbox-Gerät auslesen und damit den Desinfektionsprozess eigenständig bewerten. Dass diese Blackbox-Funktion nicht von jedem Nutzer aktiviert werden könne, führe nicht zu einer abweichenden Einschätzung, weil die der Blackbox entstammende Auslese- und Bewertungsfunktion zumindest – was zutrifft – im Quellcode der gesamten d. Software integriert sei.

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Entscheidend sei zudem, dass die Software – auch nach neusten Updates noch – eigenständig Verfalldaten berechne und damit Empfehlungen für einen gefahrlosen Anwendungszeitraum der aufbereiteten medizinischen Instrumente gebe. Sie warne den Anwender nach Überschreitung ausdrücklich vor der Gefahr einer Kontamination und nehme damit unmittelbar Einfluss auf die patienten- und vorgangsbezogene Verwendung. Vor diesem Hintergrund seien auch die Voraussetzungen der MEDDEV-Leitlinie 2.1/6 für die Qualifizierung als Medizinprodukt, insbesondere der geforderte Einsatz der Software zum Wohl eines individuellen Patienten, gegeben.

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Auch dürfe die Antragsgegnerin die Software d. ohne CE-Kennzeichen nicht als „MDR-konforme Software“ bewerben. MDR-konform könne nur ein Medizinprodukt sein, das mit CE-Kennzeichen vertrieben werde und das Konformitätsbewertungsverfahren durchlaufen habe.

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Der Dringlichkeit stehe nicht entgegen, dass sie das Produkt bereits aus Kooperationsgesprächen aus den Jahren 2014 und 2015 kenne. Sie sei zu diesem Zeitpunkt davon ausgegangen, dass die d. Software entsprechend der damaligen Zusicherung nur eine Archivierungs- und Dokumentationsfunktion habe, es also kein Medizinprodukt sei. Dies habe sich erst Ende März 2020 geändert, als sie erstmals auf die Bewerbung des Produkts mit „MDR-konform“ gestoßen sei und dies zum Anlass genommen habe, eigene Nachforschungen zur Funktionsweise anzustellen.

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Die Antragstellerin beantragt,

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die einstweilige Verfügung des Landgerichts Hamburg vom 2.6.2020 – Az.: 315 O 115/20 – zu bestätigen.

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Die Antragsgegnerin beantragt,

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die einstweilige Verfügung aufzuheben und den Antrag auf ihren Erlass zurückzuweisen,

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hilfsweise

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die Anwendung oder Vollziehung der einstweiligen Verfügung von einer Sicherheitsleistung der Antragstellerin abhängig zu machen.

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Sie stellt das Bestehen eines Verfügungsgrundes in Abrede, erhebt die Einrede der Verjährung und vertritt die Auffassung, der Verfügungsantrag sei zu unbestimmt und zu weit und daher unzulässig. Im Übrigen sei die Software d. kein Medizinprodukt und daher auch nicht CE-kennzeichenpflichtig, weil sich ihre Funktionen in Archivierung, Verwaltung, Strukturierung und Organisation erschöpfen würden. Etwas darüber Hinausgehendes, wie etwa die Verhütung von Krankheiten, habe die Antragsgegnerin weder in ihrem aktuellen Benutzerhandbuch noch in der Online-Hilfe oder in Produktbroschüren und Internetwerbung angepriesen. Weil die d. Software lediglich wie ein normales Textverarbeitungsprogramm die Aufbereitungsprozesse protokolliere und verwalte, sei sie nicht – wie von § 3 Abs. 1 MPG vorausgesetzt – für therapeutische oder diagnostische Zwecke bzw. sonst zur Anwendung für Menschen bestimmt.

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Auch interpretiere die Software nicht selbstständig Daten von den ausgelesenen Desinfektionsgeräten und gebe auch keine konkreten Empfehlungen. Denn nicht die Software, sondern der Verwender entscheide eigenständig über die Freigabe der Protokolle. Auch eigenständige Berechnungen und Bewertungen würde die Software nicht vornehmen. Die insofern von der Antragstellerin vorgetragenen Funktionen würden zu einem ganz anderen Programm, der d. blackbox, gehören, die im Rahmen der d. Software nicht genutzt werden könne, weil dazu ein eigener Lizenzschlüssel aktiviert werden müsse. Das Produkt d. blackbox und ihren Lizenzschlüssel vertreibe die Antragsgegnerin schon seit 2015 nicht mehr aktiv, da infolge einer Veränderung der medizinischen Geräte durch ihre Hersteller der Bedarf für das spezielle Ausleseprogramm weggefallen sei. Die Informationen, auf die sich Antragstellerin in diesem Zusammenhang berufe, seien veraltet.

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Die Software nehme auch dann keine eigenständigen Berechnungen vor, wenn sie dem Verwender ein Verfalldatum anzeige. Es handele sich dabei lediglich um eine „Rechenhilfe“ mit Kalenderfunktion, weil der Anwender selber Anfangszeitpunkt und Frist eingeben müsse und anschließend bloß einen Vorschlag für den Endzeitpunkt erhalte. Dass die Software dem Verwender bei Überschreiten des Verfalldatums dann einen Warnhinweis anzeige, rechtfertige mangels einer damit ausgesprochenen Empfehlung keine Qualifizierung als Medizinprodukt.

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Soweit es die Unterlassungsverfügung zu b) betreffe, seien sowohl der Antrag der Antragstellerin als auch die vom Landgericht erlassene einstweilige Unterlassungsverfügung fehlerhaft. Da die Antragsgegnerin die d. Software für Dental- und Praxislabore lediglich mit „MDR-konform“ und nicht mit „MPR-konform“ beworben habe, bestehe insoweit schon keine Wiederholungsgefahr. Die Anpreisung als „MDR-konforme Software“ sei für die Software-Variante für Dental- und Praxislabore ohne CE-Kennzeichen zulässig, weil diese ebenfalls kein Medizinprodukt darstelle und mit der Aussage auch nicht der Eindruck erweckt werde, sie sei ein solches. Der angesprochene Verkehrskreis verstehe die Aussage nur dahingehend, dass die Software dabei helfe, die ab 2021 neu geltenden gesetzlichen Dokumentationspflichten zu erfüllen.

23

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt und die Aufmachung der von den Parteien zur Akte gereichten Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist nicht gerechtfertigt, so dass die einstweilige Verfügung des Landgerichts Hamburg vom 2.6.2020 (Az.: 315 O 115/20) aufzuheben und der Antrag auf Bestätigung derselben zurückzuweisen war. Es fehlt an einem Verfügungsanspruch sowohl in Bezug auf das Inverkehrbringen der Software d. ohne CE-Kennzeichnung als auch in Bezug auf die Anpreisung „MDR-konforme Software“.

I.

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Die Antragstellerin hat aus §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1, 3 Abs. 3, 3a UWG i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 3 Nr. 1 MPG keinen Anspruch gegen die Antragsgegnerin, es zu unterlassen, die Software d. ohne CE-Kennzeichnung in den Verkehr zu bringen. Es liegt keine unlautere Wettbewerbshandlung i. S d. §§ 3 Abs. 1, 3a UWG vor, weil die Antragsgegnerin mit ihrem Verhalten nicht gegen § 6 Abs. 1 MPG verstoßen hat.

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Zwar dürfen Medizinprodukte nach dieser Vorschrift nur dann in Deutschland in den Verkehr gebracht werden, wenn sie die grundlegenden Anforderungen der §§ 6 Abs. 2, 7 MPG erfüllen und eine CE-Kennzeichnung tragen. Bei der Software d. handelt es sich jedoch nicht um ein solches kennzeichnungspflichtiges Medizinprodukt. Sie stellt weder eine Steuerungssoftware noch eine eigenständige Software i. S. d. § 3 Nr. 1 MPG dar.

27

1. Um als Steuerungssoftware gemäß § 3 Nr. 1 MPG dem Medizinproduktebegriff zu unterfallen, muss die betroffene Software vom Hersteller speziell zur Anwendung für diagnostische oder therapeutische Zwecke bestimmt sein und für ein einwandfreies Funktionieren des Medizinprodukts eingesetzt werden. Diese Voraussetzungen erfüllt die Software d. nicht: Sie hat als Software, die den Aufbereitungsprozess medizinischer Instrumente dokumentieren soll, keinen Einfluss auf die Auswahl therapeutischer Maßnahmen oder die gegenüber einem Patienten gestellte Diagnose. Auch hängt die Funktionstüchtigkeit der bei der Aufbereitung von medizinischen Instrumenten verwendeten Geräte (etwa Desinfektionsgeräte) nicht vom Einsatz der Software ab. Da sie für die Protokollerstellung lediglich Daten überträgt, aber ansonsten nicht mit dem medizinischen Gerät interagiert, ist der Aufbereitungsprozess von ihr unabhängig.

28

2. Eigenständige Software i. S. d. § 3 Nr. 1 MPG ist demgegenüber jede Software, die vom Hersteller zur Anwendung für Menschen mittels ihrer Funktionen zum Zwecke der Erkennung, Verhütung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten zu dienen bestimmt ist und ihre bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper erreicht. Auch diese Voraussetzungen erfüllt die d. Software nicht. Zwar ist es nach den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs nicht erforderlich, dass die Software unmittelbar im oder am menschlichen Körper eingesetzt wird. Sie definiert sich vielmehr maßgeblich über die medizinische Zweckbestimmung durch den Hersteller (EuGH, Urt. v. 7.12.2017 – C-329/16, EuZW 2018, 166, 167). Entsprechend ist es unschädlich, dass die d. Software nur mittelbar, nämlich über die Dokumentation der Aufbereitung, der die Freigabe der medizinischen Instrumente für die Verwendung nachfolgt, auf die Behandlung von Patienten wirkt. Es fehlt jedoch an der maßgeblichen medizinischen Zweckbestimmung.

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a) Zweckbestimmung definiert § 3 Nr. 10 MPG als die Verwendung, für die das Medizinprodukt in der Kennzeichnung, der Gebrauchsanweisung oder den Werbematerialien nach den Angaben des Herstellers bestimmt ist. Entscheidend ist insoweit die subjektive Bestimmung durch den Hersteller, der allein durch objektive Haltbarkeit und Willkür Grenzen gesetzt sind (BGH, Urt. v. 18.4.2013 – I ZR 53/09, GRUR 2013, 1261, 1262; Lücker, in: Spickhoff, Medizinrecht, 3. Aufl. 2018, § 3 Rn. 14).

30

Da die Vorschrift des § 3 Nr. 1 MPG die europäischen Vorgaben aus der Richtlinie EG/42/93 umsetzt (siehe BT-Drs. 12/6991, S. 1; BT-Drs. 14/6281, S. 1; BT-Drs- 16/12258, S. 1), sind bei der Frage, ob in den genannten Materialien eine medizinische Ausrichtung durch den Hersteller erfolgt, neben den Kriterien aus der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs die Hinweise aus der von der Europäischen Kommission herausgegebenen Leitlinie 2.1/6 zur Einschränkung und Auslegung der Richtlinie (MEDDEV Guidline 2.1/6) zu berücksichtigen (EuGH, Urt. v. 7.12.2017 – C-329/16, EuZW 2018, 166, 167; OLG Hamburg, Urt. v. 10.4.2002 – 5 U 63/01, GRUR-RR 2002, 360, 361; OLG Hamburg, Urt. v. 24.9.2009 - 3 U 42/09, BeckRS 2011, 05027). Danach fällt eine Software nicht schon deshalb unter den Anwendungsbereich des § 3 Nr. 1 MPG, weil sie im medizinischen Bereich von Ärzten oder Zahnärzten verwendet wird. Vielmehr muss die Software ihrer Funktionsweise nach über die einer bloßen Archivierungs-, Kommunikations- und Dokumentationssoftware hinausgehen (S. 9 Figure 1, MEDDEV Guidline 2.1/6), etwa indem sie in automatisierter Form Analysen liefert und auf diese Weise die Behandlung eines Patienten beeinflusst (vgl. EuGH, Urt. v. 7.12.2017 – C-329/16, EuZW 2018, 166, 167). Dies ist bei der Software d. nicht der Fall. Ausweislich der Angaben des Herstellers auf seiner Webseite und den Produktbroschüren sowie den umfangreichen Hinweisen zur Funktionsweise in Online-Hilfe und Benutzerhandbuch dient sie lediglich der „lückenlosen Dokumentation, Speicherung, Archivierung“ sowie der „Verwaltung der Medizinprodukte“. Darüber hinausgehende eigenständige Analyse-Funktionen, die eine abweichende Beurteilung rechtfertigen würden, hat die Software nicht.

31

b) An dieser Einschätzung ändert sich nichts im Hinblick darauf, dass der Hersteller die Software damit bewirbt, dass der Anwender mit ihr die „gesetzeskonforme Aufbereitung sicherstellen“ und „Dokumentations- und Hygienestandards“ erfüllen könne. Der Hersteller rekurriert damit nämlich nicht auch darauf, dass mit der von der Software geleisteten Dokumentation des Aufbereitungsprozesses die gefahrlose Verwendung der medizinischen Instrumente am Patienten einhergehe. Den Zweck des Vorbeugens von (Infektions-)Krankheiten preist er nicht an. Unerheblich ist insoweit, dass die Dokumentation objektiv dazu beitragen kann, dass sich der Anwender – weil von einem wirksamen Aufbereitungsprozess ausgehend – für die Verwendung der medizinischen Instrumente am Patienten entscheidet. Denn die maßgebliche subjektive Zweckbestimmung schließt es ein, dass die objektive Eignung zur Erfüllung medizinischer Zwecke allein noch nicht ausreicht, eine Software als Medizinprodukt zu qualifizieren (vgl. BGH, Urt. v. 18.4.2013 – I ZR 53/09, GRUR 2013, 1261, 1262).

32

c) Die Software d. dient auch nicht deshalb einem medizinischen Zweck, weil sie ausweislich der Angaben in Online-Hilfe und Benutzerhandbuch Aufbereitungsdaten von einem medizinischen Gerät (etwa einem Desinfektionsgerät) über eine Schnittstelle überträgt, diese ausliest und für den Anwender lesbar darstellt.

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aa) Es fehlt insoweit an eigenständigen Datenerhebungen und -analysen, auf deren Grundlage die Software Empfehlungen macht. Denn die Daten werden vom medizinischen Gerät selbst erhoben und sind für die Software fest vorgegeben. Eine andere Beurteilung rechtfertigt sich entgegen der Ansicht der Antragstellerin nicht dadurch, dass die Daten zur Übertragung über die Schnittstelle zunächst codiert und im Anschluss von der d. Software entschlüsselt werden müssen, dass also die eingespeisten Daten bei einem Ausdruck eine andere Form aufweisen als die im Protokollfeld der Software angezeigten Daten. Der Übersetzungsschlüssel wird nämlich vom Hersteller der medizinischen Geräte vorgegeben und nicht von der Software d.. Die Software ersetzt die Zeichen (ähnlich wie bei einem Listenabgleich) nur nach den Vorgaben des angeschlossenen medizinischen Geräts. Ein solcher Decodiervorgang ist Teil einer jeden Speichersoftware, die Daten von einem anderen Gerät übertragen bekommt. Allein dies lässt noch nicht den Schluss auf eine medizinische Zweckbestimmung zu (vgl. dazu auch die vom EuGH angeführten Beispiele zu Software mit bloß allgemeiner Zweckbestimmung: EuGH, Urt. v. 7.12.2017 – C-329/16, EuZW 2018, 166, 167).

34

bb) Die Software fügt entgegen der Behauptung der Antragstellerin zudem keine bewertenden Zusätze wie „sterile Beladung“ oder „cycle successful“ in das Protokoll ein. Die Antragsgegnerin hat insoweit glaubhaft gemacht, dass diese Hinweise vom medizinischen Gerät stammen und die Software keinen Einfluss auf den Inhalt des später angezeigten Protokolls hat. Belegt wird dies noch dadurch, dass das medizinische Gerät die später im Protokollfeld angezeigten Daten ebenso auf seinem Display anzeigt.

35

Dem steht nicht entgegen, dass die Software in den Jahren vor 2015 im Zusammenspiel mit einem sog. Blackboxgerät eingesetzt wurde, das man über eine Schnittstelle anschließen konnte. Dieses Gerät wurde zwar in den Aufbereitungsprozess hineingelegt und erhob dann eigenständig die für die Bewertung des Prozesses relevanten Parameter wie Temperatur und Druck. Anschließend wurde in der Software dann eine Analyse in Form der Berechnung und Anzeige des sog. A0-Wertes (Wert, mit dessen Hilfe im Rahmen einer thermischen Desinfektion festgelegt wird, ab wann Mikroorganismen abgetötet werden) wiedergegeben und die Wirksamkeit der Aufbereitung mittels einer Ampel dargestellt. Eine medizinische Zweckbestimmung der d. Software folgt daraus aber schon deshalb nicht, die Antragsgegnerin glaubhaft machen konnte, dass diese Analysefunktion zum (von der Software unabhängigen) Blackboxgerät gehörte. Nur die zugehörige Auslese- und Anzeigefunktion ist über den Quellcode Teil der d. Software, kann jedoch ohne den zugehörigen Lizenzschlüssel und den Anschluss des Blackboxgerätes nicht aktiviert werden. Die Antragsgegnerin hat darüber hinaus glaubhaft gemacht, dass sie das Blackboxgerät heute nicht mehr aktiv vertreibt. Weil die thermischen Desinfektionsgeräte nunmehr alle selbstständig die relevanten Daten erheben und zur Protokollerstellung an die Software übertragen können, besteht für die Erhebungs- und Analysefunktion kein Bedarf mehr. Auch im aktuellen Benutzerhandbuch der Software und der abrufbaren Online-Hilfe finden sich keine Hinweise auf die Blackbox und die damit zusammenhängenden Analysefunktionen.

36

d) Unschädlich ist im Übrigen, dass die Software d. eine „mitarbeitergesteuerte Freigabe“ aufbereiteter medizinischer Instrumente ermöglicht, in deren Folge die gespeicherten Daten unabänderbar werden. Denn der Hersteller weist in der abrufbaren Online-Hilfe und dem Benutzerhandbuch ausdrücklich darauf hin, dass diese Freigabe und die damit einhergehende Bewertung des Aufbereitungsprozesses nicht durch die Software erfolgt, sondern von qualifiziertem Fachpersonal auf Grundlage der erstellten Protokolle selbst vorzunehmen ist. Die Software gibt dem Anwender dabei keinerlei Empfehlungen – auch nicht im Hinblick auf die Verwendbarkeit der so freigegebenen Instrumente. Sie ist „Entscheidungshilfe“ nur insoweit als sie entscheidungsrelevante Parameter des Aufbereitungsgeräts lesbar darstellt. Damit unterscheidet sie sich aber nicht von einer Speichersoftware für medizinische Patientendaten, auf deren Grundlage ebenfalls Behandlungsentscheidungen getroffen werden, der es aber an einer medizinischen Zweckbestimmung fehlt (vgl. EuGH, Urt. v. 7.12.2017 – C-329/16, EuZW 2018, 166, 167).

37

e) Eine medizinische Zweckbestimmung folgt ferner nicht daraus, dass die Software d. Verfalldaten berechnet und bei Überschreiten des Datums einen „Warnhinweis“ anzeigt.

38

aa) Die Software nimmt zum einen schon keine eigenständige Berechnung vor. Vielmehr ist sie bloße Rechenhilfe, weil der Anwender den Anfangszeitpunkt, d h. den Tag der Aufbereitung, sowie die Haltbarkeitsfrist selbstständig eingeben muss. Der so ermittelte Endzeitpunkt ist veränderbar und kann vom Anwender korrigiert werden. Die „Berechnung“ geht damit in ihrer Funktionsweise nicht über die einer allgemeinen Betriebs- oder Tabellenkalkulationssoftware hinaus, die selbst bei Einsatz im medizinischen Zusammenhang bloß einem allgemeinen Zweck zu dienen bestimmt sind (vgl. BT-Drs. 16/12258, S. 26; Lücker, in: Spickhoff, Medizinrecht, 3. Aufl. 2018, § 3 Rn. 13; Rehmann, in: Rehmann/Wagner, MPG, 3. Aufl. 2018, § 3 Rn. 1). Dies zu ändern vermag auch nicht der Umstand, dass man das Verfalldatum mit Hilfe der Software auf ein für das medizinische Instrument bestimmte Etikett aufdrucken kann. Denn dies ist lediglich eine besondere Form der Anzeige des Verfalldatums, die ebenso wenig wie die Darstellung auf einem Bildschirm eine vom Anwender nicht überprüfbare Verwendbarkeitsempfehlung ausspricht.

39

bb) Zum anderen nimmt die Software bei Anzeige des – so auch in der Online-Hilfe, der Werbung und dem Benutzerhandbuch ausgewiesenen – „Warnhinweises“ bei Überschreiten des Verfalldatums keine eigenständige Interpretation vor. Es handelt sich lediglich um eine Erinnerungsfunktion, die bei allgemeinen Verwaltungs- und Kalendersystemen ebenso wenig eine medizinische Zweckbestimmung rechtfertigt wie bei der Software d..

40

3. Die Software d. stellt darüber hinaus kein Zubehör i. S. d. § 3 Nr. 9 MPG dar, das nach § 2 Abs. 1 S. 2 MPG als eigenständiges Medizinprodukt zu behandeln und deshalb ebenfalls CE-kennzeichnungspflichtig wäre. Software hat der Gesetzgeber explizit vom Zubehörbegriff des § 3 Nr. 9 MPG ausgenommen und dabei klargestellt, dass diese allenfalls eigenständig und dann nur unter den Voraussetzungen des § 3 Nr. 1 MPG Medizinprodukt sein kann (BT-Drs. 16/12258, S. 26 Lücker, in: Spickhoff, Medizinrecht, 3. Aufl. 2018, § 3 Rn. 13; Rehmann, in: Rehmann/Wagner, MPG, 3. Aufl. 2018, § 3 Rn. 1, 13).

II.

41

Die einstweilige Verfügung ist auch im Hinblick auf Ziffer 2 zu Unrecht ergangen und war deshalb auch insoweit aufzuheben.

42

1. Die Antragsgegnerin hat die Software-Variante für Dental- und Praxislabore lediglich mit „MDR-konform“ und nicht mit „MPR-konform“ beworben, weshalb in Bezug auf das in der Verfügung ausgesprochene Verbot schon mangels Wiederholungsgefahr kein Verfügungsanspruch gegeben ist.

43

2. Der Antragstellerin steht aber auch hinsichtlich der tatsächlichen Bewerbung mit „MDR-konforme Software“ kein Unterlassungsanspruch aus §§ 8 Abs. 1, Abs. 3 Nr. 1, 3 Abs. 1, 5 Abs. 1 UWG zu. Es handelt sich bei der in Rede stehenden Aussage nicht um eine irreführende geschäftliche Handlung im Sinne des § 5 Abs. 1 UWG, weil sie entgegen der Ansicht der Antragstellerin keine täuschende Angabe dahingehend enthält, die damit angepriesene Software-Variante d. für Dental- und Praxislabore stelle ein (kennzeichnungspflichtiges) Medizinprodukt dar.

44

a) Eine Irreführung setzt gemäß § 5 Abs. 1 S. 2 Nr. 1 und 4 UWG voraus, dass der Werbeslogan unwahre oder zur Täuschung geeignete Angaben über wesentliche Merkmale der Ware oder deren Zulassung enthält. Da die Software-Variante d. für Dental- und Praxislabore ebenso wenig wie die anderen Software-Varianten ein Medizinprodukt i. S. d. § 3 Nr. 1 MPG darstellt, kommt vor diesem Hintergrund eine Irreführung nur in Betracht, wenn mit der in Rede stehenden Aussage der Eindruck erweckt wird, die Software-Variante sei ein Medizinprodukt, welches das nach dem MPG und den europäischen Vorgaben erforderliche Konformitätsbewertungsverfahren durchlaufen habe.

45

b) Zur Feststellung des Vorliegens einer solchen wettbewerbsrechtlichen Irreführung ist auf die Auffassung der Verkehrskreise abzustellen, an die sich die Werbung richtet (st. Rspr., vgl. BGH, Urt. v. 2.10.2003 – I ZR 150/01, GRUR 2004, 244, 245 – Marktführerschaft; BGH, Urt. v. 15.2.1996 – I ZR 9/94, GRUR 1996, 910, 912 – der Meistverkaufte Europas; Bornkamm/ Feddersen, in: Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 38. Aufl. 2020, § 5 Rn. 1.64 ff.). Die verfahrensgegenständliche Werbung adressiert Leiter und Mitarbeiter von Dental- und Praxislaboren, für die die zugehörige Software-Variante eigens konzipiert wurde. Diese pflegen vor allem Umgang mit Waren und Geräten, die – nach derzeitigem Stand – nicht unter den Anwendungsbereich des MPG fallen.

46

c) Der so eingegrenzte Verkehrskreis hält die Software aufgrund der Anpreisung als „MDR-konform“ nicht für ein kennzeichnungspflichtiges Medizinprodukt. Die Antragstellerin irrt schon insofern, als sie meint, die mit dem Slogan „MDR-konform“ in Bezug genommene Verordnung der Europäischen Union („Medical Devices Regulation“, Verordnung [EU] 2017/745 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5.4.2017) erstrecke ihren Anwendungsbereich nur auf Medizinprodukte. Die am 25.5.2017 in Kraft getretene und im deutschen Recht ab 2021 unmittelbar anwendbare Verordnung (Art. 288 Abs. 2 AEUV) regelt zwar überwiegend den Umgang mit und das Inverkehrbringen von Medizinprodukten neu. Art. 1 Abs. 2 und Art. 9 MDR erstrecken einige der in der Verordnung aufgestellten umfangreichen Dokumentationspflichten indes über Anhang XVI MDR auch auf bestimmte Produkte ohne medizinische Zweckbestimmung, etwa solche Produkte, die in Dental- und Praxislaboren eingesetzt werden. Der Anwendungsbereich ist daher weiter als von der Antragstellerin angegeben.

47

Auch Leiter und Mitarbeiter von Dental- und Praxislaboren sind von den neuen Regelungen in der Verordnung betroffen und stehen deshalb ab 2021 erstmals vor der Herausforderung, im Umgang mit ihren (Nichtmedizin-)Produkten den strengen europäischen Dokumentationsvorgaben gerecht zu werden. Sie verstehen die in Rede stehende Aussage vor diesem Hintergrund lediglich dahingehend, dass die Software ihnen dabei helfen kann, sich auf die neuen Pflichten und Standards vorzubereiten und so die gesetzlichen Anforderungen im Umgang mit den Produkten zu erfüllen. Darin liegt keine Fehlvorstellung, wie sie § 5 Abs. 1 UWG voraussetzt.

48

Die prozessualen Nebenentscheidungen richten sich nach den §§ 91, 708 Nr. 6 und 711 ZPO.

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