Beschluss vom Landgericht Heidelberg - 1 Qs 62/12

Tenor

Die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen den Beschluss des Amtsgerichts Heidelberg vom 09.10.2012 wird verworfen.

Die Staatskasse trägt die Kosten der sofortigen Beschwerde der Staatsanwaltschaft und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen des Angeklagten.

Gründe

 
Das Amtsgericht erließ gegen den Angeklagten am 08.05.2012 einen Strafbefehl, in dem ihm zur Last gelegt wurde, im Jahr 2004 erzielte Zinseinkünfte in seiner Einkommensteuererklärung verschwiegen und daher Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer in Höhe von 13.043,61 EUR hinterzogen zu haben. Nachdem das Amtsgericht eine am 11.09.2012 stattgefundene Hauptverhandlung ausgesetzt hatte, stellte es durch den angefochten Beschluss das Verfahren wegen eines - seiner Auffassung nach vorliegenden - Verfahrenshindernisses ein.
I.
Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde der Staatsanwaltschaft, die zulässig, im Ergebnis aber unbegründet ist.
Denn das vom Amtsgericht angenommene Verfahrenshindernis liegt - aufgrund einer besonderen Fallgestaltung - vor, weil dem Angeklagten der persönliche Strafaufhebungsgrund des § 371 Abs. 1 und 3 AO zugutekommt. Im Einzelnen liegt dem folgendes Verfahrensgeschehen zugrunde:
Mit Schreiben seines Steuerberaters vom 08.02.2010 wies der Angeklagte das für ihn zuständige Finanzamt Heidelberg darauf hin, in den Jahren 2003 bis 2008 Zinseinkünfte verschwiegen zu haben, die er mit weiterem Schreiben vom 17.02.2010 detailliert belegte. Dem Finanzamt war dieser Sachverhalt bis dahin nicht bekannt. Durch Bescheide vom 01.03.2010 wurde die für die Jahre 2003 bis 2008 zu zahlende Einkommensteuer festgesetzt, für das Jahr 2004 (vgl. AS 271 ff.) Einkommensteuer in Höhe von 11.488,- EUR, Kirchensteuer in Höhe von 859,68 EUR und der Solidaritätszuschlag in Höhe von 695,53 EUR. Der Angeklagte wurde zugleich aufgefordert, den Betrag bis zum 06.04.2010 zu zahlen. Dem kam er am 01.04.2010 nach und zahlte die rückständigen Steuern ebenso in vollem Umfang wie zusätzlich festgesetzte Zinsen auf die Einkommensteuer in Höhe von 2.690,- EUR (vgl. AS 279).
Am 05.03.2010 legte der Angeklagte gegen den Einkommensteuerbescheid für die Jahre 2003, 2004 sowie 2006 bis 2008 Einspruch ein, den er im Einzelnen begründete. Soweit sich der Einspruch gegen die Festsetzung für die Jahre 2003 und 2006 bis 2008 richtet, wird von der Darstellung der Einwände abgesehen, da dies ohne Bedeutung ist für das vorliegende Verfahren, das lediglich die Einkommensteuer für das Jahr 2004 betrifft. Gegen die Neufestsetzung der Einkommensteuer für das Jahr 2004 berief sich der Angeklagte auf eine - seiner Auffassung nach - eingetretene Festsetzungsverjährung nach § 169 Abs. 2 Nr. 2 AO. Die in § 169 Abs. 2 S. 2 AO auf zehn Jahre verlängerte Festsetzungsfrist sei in seinem Fall nicht anzuwenden. Zwar habe er tatsächlich die Zinseinkünfte verschwiegen und daher den Tatbestand der Steuerhinterziehung verwirklicht; allerdings leide er seit vielen Jahren an einer psychiatrischen Erkrankung, derentwegen er zur Tatzeit schuldunfähig gewesen sei. Zum Beleg der Krankheit legte er ein ärztliches Attest des ihn behandelnden Psychiaters vor.
Das Amtsgericht vertritt in der angefochtenen Entscheidung die Auffassung, mit der Selbstanzeige und der anschließenden Zahlung der festgesetzten Einkommensteuer habe der Angeklagte die hinterzogene Steuer im Sinne von § 371 Abs. 3 AO „entrichtet“ und damit die Voraussetzungen für den Strafaufhebungsgrund erfüllt. Demgegenüber ist die Staatsanwaltschaft der Ansicht, nur in einer vorbehaltlosen Zahlung der Steuer könne ein „Entrichten“ im Sinne von § 371 Abs. 3 AO erblickt werden. Eine solche vorbehaltlose Zahlung liege hier nicht vor, weil der Angeklagte gegen den Steuerbescheid Einspruch eingelegt und daher den Steueranspruch der Finanzverwaltung für das Jahr 2004 gerade nicht anerkannt habe.
II.
Der sofortigen Beschwerde der Staatsanwaltschaft ist der Erfolg zu versagen, wenngleich die Kammer im Ansatz die Auffassung der Beschwerdeführerin teilt. Der Strafaufhebungsgrund des § 371 AO kann nach dessen eindeutigem Wortlaut nur dem Steuerpflichtigen zugutekommen, der den steuerrelevanten Sachverhalt der Finanzbehörde mitteilt, bevor dieser bekannt wurde, und sodann binnen einer bestimmten angemessenen Frist die Steuer entrichtet, wenn - wie hier - eine Steuerverkürzung bereits eingetreten ist. Zutreffend weist das Amtsgericht zwar darauf hin, das Gesetz regele den Begriff des „Entrichtens“ nicht näher. Daraus lässt sich allerdings nicht ohne weiteres ableiten, jedwede Zahlung an die Finanzverwaltung sei bereits eo ipso geeignet, die von § 371 Abs. 3 AO normierte Folge auszulösen. Hinzukommen muss vielmehr der entweder ausdrücklich erklärte oder zumindest den Umständen unzweideutig zu entnehmende Wille des Steuerschuldners, die Forderung zu tilgen. Nur dann erlischt nach § 47 AO der Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis (vgl. Klein/Ratschow, AO, 10. Auflage, § 47, Rn. 3). Bei der Prüfung, ob ein derartiger Wille vorliegt, kann, worauf die Staatsanwaltschaft mit Recht hinweist, auf die Regelungen der §§ 362 ff. BGB zurückgegriffen werden (vgl. Pahlke/Koenig, AO, 2. Auflage, § 47, Rn. 6). Ob ein bei der Zahlung erklärter Vorbehalt den Anspruch erlöschen lässt, ist nicht unumstritten. Während in der Literatur die Ansicht vertreten wird, bei einem Vorbehalt bleibe der Anspruch bestehen (vgl. Klein/Ratschow, a.a.O, Rn. 4 und § 224, Rn. 3; Pahlke/Koenig, a.a.O., § 224, Rn. 6), ist nach finanzrechtlicher höchstrichterlicher Rechtsprechung ein Zahlungs- oder Rückforderungsvorbehalt der AO fremd und daher ungeeignet, ein Erlöschen nach § 47 AO zu verhindern (vgl. BFH NV 1988, 105). Erklärt der Steuerschuldner, nur unter Vorbehalt zu zahlen, ist seine Erklärung auszulegen.
Die Auffassung der Staatsanwaltschaft, mit seinem Einspruch gegen den Steuerbescheid habe der Angeklagte einen Vorbehalt gegen die Zahlung erhoben oder seine Selbstanzeige rückgängig gemacht, teilt die Kammer nicht. § 371 AO beruht auf fiskalischen Erwägungen; er gewährt Straffreiheit nicht als Belohnung für bessere Einsichten, sondern als Anreiz zur Aufdeckung bisher verschlossener Steuerquellen (vgl. Klein/Jäger, a.a.O., § 371, Rn. 1). Der Steuerpflichtige muss, um Straffreiheit zu erlangen, eine Tätigkeit in Richtung einer Berichtigung oder Ergänzung seiner früheren oder Nachholung unterlassener Angaben entfalten und hierdurch wesentlich dazu beitragen, dass die betreffende Steuer nachträglich richtig festgesetzt werden kann. Er muss seine Fehler nach Art und Umfang offenbaren und von seinem Standpunkt aus, so wie er die Sachlage beurteilt, mit seinen Auskünften und gegebenenfalls Unterlagen dem Finanzamt eine bisher verschlossene Steuerquelle offenbaren. An den Inhalt einer Selbstanzeige dürfen dabei keine zu hohen Anforderungen gestellt werden. Es genügt, dass das Finanzamt auf dieser Grundlage ohne langwierige Nachforschungen den Sachverhalt aufklären und die Steuer berechnen kann (vgl. BGH NJW 1974, 2293; OLG Celle wistra 2000, 177). Daraus folgt - und insoweit tritt die Kammer der Beschwerdebegründung der Staatsanwaltschaft bei -, dass Straffreiheit jedenfalls demjenigen nicht zuteil werden kann, der zwar eine Anzeige erstattet und damit eine Nachprüfung ermöglicht, zugleich aber den Steueranspruch bereits dem Grunde nach in Zweifel zieht oder gar bestreitet und dadurch die weiteren Ermittlungen der Finanzbehörde mindestens erschwert, wenn nicht vereitelt.
So verhält es sich hier aber nicht. Denn der Angeklagte hat weder in seiner Anzeige vom 2010 noch zu einem späteren Zeitpunkt den Steueranspruch der Finanzbehörde dem Grunde nach bestritten. Er berief sich lediglich auf eine seine Schuldfähigkeit angeblich ausschließende Krankheit, die die Durchsetzbarkeit des Anspruchs im Hinblick auf § 169 AO tangiert, den Anspruch selbst aber nicht in Frage stellt. Dies lässt die Wirkung der Selbstanzeige und der nachfolgenden Zahlung der Steuer nach § 371 AO nicht entfallen.
10 
Die gegenteilige Ansicht würde zudem zu einem ungereimten Ergebnis führen. Gemäß § 88 AO obliegt es der Finanzbehörde, den Sachverhalt von Amts wegen zu ermitteln. Im Hinblick auf §§ 169 Abs. 2 S. 2, 370 AO hat der BFH daraus abgeleitet, die subjektiven und objektiven Voraussetzungen einer Steuerhinterziehung seien dem Grunde nach auch bei der Verletzung von Mitwirkungspflichten immer mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit festzustellen (vgl. BFHE 215, 66). Daraus folgt, dass auch eine schuldhafte Begehungsweise, die allein die zehnjährige Verjährungsfrist auslöst (vgl. BFHE 186, 1) grundsätzlich von Amts wegen festzustellen ist. Allerdings geben weder die Art des in Rede stehenden Delikts noch der regelmäßig ohne persönlichen Kontakt abgewickelte Verkehr der Finanzverwaltung mit dem Steuerschuldner der Finanzbehörde ganz generell dazu Anlass, der Frage nachzugehen, ob bei einem Steuerschuldner zum oft - wie auch hier - Jahre zurückliegenden Tatzeitpunkt eine die Schuldfähigkeit aufhebende Erkrankung vorlag. Teilt der Steuerschuldner dies nicht bereits mit der Selbstanzeige mit, wobei er gute Gründe haben mag, ein entsprechendes Krankheitsbild zu verschweigen, bleibt ihm allein noch der Einspruch gegen den Festsetzungsbescheid, um sich gegen einen Anspruch zu wehren, der möglicherweise von Rechts wegen gar nicht mehr durchgesetzt werden kann. Ließe dieser Einspruch die Wirkung des § 371 AO entfallen, sähe sich der Steuerschuldner vor die missliche Wahl gestellt, entweder einen vielleicht rechtswidrigen Steuerbescheid zu akzeptieren oder sich auf ein Strafverfahren mit ungewissem Ausgang einzulassen.
11 
Daher vertritt die Kammer die Ansicht, dass unter den gegebenen Umständen Straffreiheit nach § 371 AO eingetreten ist, was ein Verfahrenshindernis nach sich zieht. Dabei ist ergänzend zu bedenken, dass ungeachtet des Amtsermittlungsgrundsatzes nach § 88 AO den Angeklagten die Beweislast für das Vorliegen einer seine Schuldfähigkeit aufhebenden Erkrankung trifft. Denn nur bei Zweifeln am Vorliegen steuerbegründender Tatsachen ist zugunsten des Steuerschuldners zu entscheiden (vgl. BFH NV 2010, 1507). Ob er bei Tatbegehung tatsächlich schuldunfähig war, hat die Kammer nicht zu entscheiden, wenngleich die bisher hierzu vorgelegten Beweismittel allenfalls die Erkrankung, aber unter keinen Umständen eine hierdurch begründete Aufhebung der Unrechtseinsicht oder Steuerungsfähigkeit auch nur als möglich erscheinen lassen.
12 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.

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