Urteil vom Landgericht Itzehoe (7. Zivilkammer) - 7 O 292/05

Tenor

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 9.025 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.08.2005 zu zahlen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Beklagte ist eine in Qu. ansässige Direktbank, die sich u.a. mit der Vermittlung von Wertpapiergeschäften über das Internet beschäftigt. Der Kläger erwarb am 13.10.2004 außerbörslich über die Beklagte als Kommissionär um 9.55 Uhr 4.500 Stück und um 10.05 Uhr 5.000 Stück des von der S. GmbH emittierten Optionsscheins WKN SGO EP7 zum Preis von 4,49 EUR pro Stück.

2

Etwa 30 Minuten später beauftragte er die Beklagte, 2.500 Stück des Papiers zu Limit 5,25 EUR über die Börse Stuttgart und 5.000 Stück zu Limit 4,70 EUR über die Börse Frankfurt am Main zu verkaufen. Diese Aufträge führte die Beklagte um 11.03 Uhr zu jeweils 5,44 EUR pro Stück aus.

3

Um 11.01 Uhr erhielt die Beklagte nach einem vorangegangenen Telefongespräch von der S. per E-Mail einen Mistrade-Antrag für die beiden Erwerbsgeschäfte. Die S. begründete den Antrag mit einer falschen Preisstellung durch einen IT-technischen Fehler bei der automatischen Kursversorgung des Produkts. Der richtige Preis habe sich bei Durchführung der Geschäfte auf 5,39 EUR und nicht auf 4,49 belaufen. Angaben zur Berechnung des richtigen Preises enthielt die Mistrade-Meldung nicht. Hinsichtlich des weiteren Inhalts der Mistrade-Meldung wird auf die Anlage K2 verwiesen. Die S. forderte die Beklagte auf, aufgrund der bilateralen Vereinbarung die Geschäfte zu stornieren. Dem kam die Beklagte ohne Überprüfung des angegebenen richtigen Preises nach.

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In dem zwischen der Beklagten und der S. geschlossenen Rahmenvertrag über den außerbörslichen Handel heißt es in § 4:

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„(2.) Ein Mistrade liegt vor, wenn der Preis des Geschäfts (...) erheblich und offenkundig von dem zum Zeitpunkt des Zustandekommens des betreffenden Geschäfts marktgerechten Preis (Referenzpreis) abweicht. (...)

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(3.) Eine erhebliche und offenkundige Abweichung vom marktgerechten Preis liegt insbesondere vor,

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a) bei einem Referenzpreis größer 0,40 Euro, wenn die Abweichung mindestens 10 % beträgt. (...)

8

(4.) Als Referenzpreis gilt der Durchschnittspreis der letzten 3 vor dem Geschäft zustande gekommenen Geschäfte desselben Handelstages. Ist nur ein Preis unmittelbar vor dem Geschäft zustande gekommen, so wird dieser als Durchschnittspreis herangezogen. Referenzbörse kann jedes börsliche oder außerbörsliche System sein, bei dem Kurse nach den Grundsätzen des organisierten Marktes festgestellt werden.

9

Bei Optionsscheinen und Zertifikaten kann der Referenzpreis, sofern nach den oben genannten Bedingungen kein Referenzpreis festgestellt werden kann, mittels einer marktüblichen und objektiv nachvollziehbaren Methode ermittelt werden. Der Nachweis ist in jedem Fall nach Maßgabe von Absatz 6 d von der meldenden Partei zu erbringen. (...)

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(6.) (...)

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d) Die schriftliche Bestätigung muss mindestens enthalten: Wertpapier, Anzahl und Abschlusszeitpunkt der betroffenen Geschäfte mit dem jeweils gehandelten Volumen und den jeweils gehandelten Preisen, Angaben zur Berechnung des marktüblichen Preises (Berechnungsformel und dazugehörige Faktoren) und die Begründung, warum eine fehlerhafte Preisstellung vorliegt. (...)„

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Hinsichtlich des weiteren Inhalts der Vereinbarung wird auf die Anlage B1 verwiesen.

13

Vor den betreffenden Erwerbsgeschäften kam am Handelstag an der Frankfurter Börse kein Geschäft über das Wertpapier zustande. Es lag lediglich ein Kaufangebot zum Preis von EUR 4,39 vor. Der Kurs des Optionsscheins entwickelte sich am 13.10.04 stetig positiv. Hinsichtlich der genauen Kursentwicklung wird auf Anlage K8 verwiesen. Tags zuvor hatte der Kläger bereits 2.000 Stück des Papiers erworben und am selben Tag wieder verkauft. Diesbezüglich wird verwiesen auf Anlage K1.

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Der Kläger ist der Auffassung, es habe nach der bilateralen Vereinbarung kein Mistrade vorgelegen. Er meint, die Beklagte habe schuldhaft Pflichten aus dem Kommissionsvertrag verletzt und müsse ihm einen entgangenen Gewinn in behaupteter Höhe von 9.025 EUR ersetzen.

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Der Kläger beantragt,

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die Beklagte zu verurteilen, an ihn 9.025 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie behauptet, es habe ein Mistrade vorgelegen und sie sei an die mit der S. vereinbarten Regeln gebunden gewesen.

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Die Klageschrift ist der Beklagten am 16.08.2005 zugestellt worden.

21

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die jeweiligen Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig und begründet.

23

Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Schadensersatzanspruch wegen schuldhafter Verletzung der Pflichten aus dem mit dem Kläger abgeschlossenen Kommissionsvertrag in Höhe von EUR 9.025 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.08.2005 (§ 280 Abs. 1 BGB, § 384 Abs. 1 HGB, §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2 BGB).

24

Die Beklagte hat schuldhaft ihre Pflichten aus dem Kommissionsvertrag verletzt.Ein Kommissionär hat die Interessen seines Auftraggebers wahrzunehmen und die Kommission für ihn sachgerecht und vorteilhaft auszuführen.

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Hierzu gehört insbesondere die Geltendmachung von Aufhebungs- oder Rücktrittsrechten durch den Handelspartner auf Begründetheit zu prüfen.

26

Die Beklagte hat die Begründetheit des Mistrade-Antrags ihres Handelspartners nicht geprüft, noch hatte sie überhaupt Vorkehrungen dafür geschaffen, derartige Mistrade-Anträge nachvollziehen zu können. Im blinden Vertrauen auf die Angaben des Emittenten stornierte die Beklagte die Geschäfte. Die Beklagte hat gegenüber der S. nicht einmal darauf bestanden, die gemäß Abs. 6 d) der bilateralen Mistrade-Regelung für eine Mistrade-Meldung erforderlichen Angaben zu erhalten. Dabei war die Beklagte umso mehr in der Pflicht, da sie dem Kläger keine Einsichtnahme in die bilateralen Vereinbarungen mit dem Handelspartner gewährte, so dass der Kläger selbst den Mistrade-Einwand nicht nachvollziehen konnte. Schon die Nichtbeachtung der formellen Voraussetzungen für die Geltendmachung eines Mistrades durch die beauftragte Bank verpflichtet die als Kommissionärin tätige Bank, die Mistrademeldung zurückzuweisen. Denn allein diese ermöglicht eine inhaltliche Nachprüfung, ob ein solcher vorliegt. Unterlässt dies so verletzt die Bank die Ihrem Kunden gegenüber bestehenden Sorgfaltspflichten grob fahrlässig.

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Durch die Pflichtverletzung ist dem Kläger ein kausaler Schaden in Höhe von 9.025.- EUR entstanden.

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Hätte die Beklagte den Mistrade-Antrag ordnungsgemäß geprüft, hätte sie diesen mangels Vorliegens der Voraussetzungen des § 4 des Rahmenvertrages zurückweisen und die Stornierung der Geschäfte ablehnen müssen.

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Die Voraussetzungen von § 4 des Rahmenvertrages lagen nicht vor.

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Zwar konnte nach Abs. 4 kein Referenzpreis festgestellt werden, da am entsprechenden Handelstag noch kein Geschäft über das betreffende Papier zustande gekommen war und lediglich ein Kaufangebot zum Preis von EUR 4,39 vorlag (vgl. Anlage K8).

31

Unter Zugrundelegung der nicht ausreichend substantiiert bestrittenen Tatsache, dass zum Zeitpunkt des Kaufs der Optionsscheine für das Underlying noch kein Kurs des aktuellen Tages vorlag und auf den Schlusskurs des Vortags von 3197 zurückgegriffen werden muss, ergibt sich bei theoretischer Ermittlung des Referenzpreises gemäß Abs. 2 der Mistrade-Vereinbarung kein Mistrade.

32

Bei Einsetzung dieses Kurses in die von der Beklagten gelieferte Formel

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(Finanzierungslevel - Spot Underlying) : Wechselkurs : Bezugsverhältnis

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ergibt sich ein marktgerechter Preis von EUR 3,96:

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(3684.16 - 3197) : 1,23 : 100 = 3,96

36

Der so ermittelte Referenzpreis liegt sogar deutlich unter dem gehandelten Preis, so dass ein Mistrade ausscheidet.

37

Der Kläger ist daher so zu stellen, wie er bei Zurückweisung des Mistrade-Antrags durch die Beklagte gestanden hätte. Er hätte dann unstreitig für die tatsächlich verkauften Stücke den von Ihm genannten Erlös und damit einen entsprechenden Gewinn erzielt. Für die auf Grund der Stornierung durch die Beklagte nicht mehr zu verkaufenden Stücke hätte er jedenfalls den gleichen Gewinn erzielt.

38

Dies ergibt die nach §§ 252 BGB, 287 ZPO vorzunehmende Schadensschätzung.

39

Für die Schadensfeststellung gilt nach § 252 Satz 2 1. Alt. BGB derjenige Gewinn als entgangen, der nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte. Zweck der Bestimmung ist es, dem Geschädigten den Beweis zu erleichtern (vgl. BGHZ 74, 221, 224 m.w.N.; BGHZ 100, 36, 49). Ist ersichtlich, daß der Gewinn nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge oder den besonderen Umständen mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden konnte, dann wird vermutet, daß er gemacht worden wäre. Volle Gewißheit, daß der Gewinn gezogen worden wäre, ist nicht erforderlich (vgl. BGHZ 29, 393, 398; BGHZ 100, 36, 50; BGH, Urt. v. 2.5.2002 - III ZR 100/01, NJW 2002, 2556 = BGHR BGB § 252 Kapitalanlage 1). Insoweit dürfen an das Vorbringen eines Geschädigten Anlegers, ihm seien erwartete Gewinne entgangen, wegen der damit regelmäßig verbundenen Schwierigkeiten keine allzu strengen Anforderungen gestellt werden (vergl. zum entsprechenden Fall der Einführung neuer Produkte BGH, Urt. v. 9.4.1992 - IX ZR 104/91, NJW-RR 1992, 997, 998 = BGHR ZPO § 287 Abs. 1 Gewinnentgang 6; BGH WM 2005, 2003).

40

Nach § 252 Satz 2 BGB ist ein Schadensersatzanspruch nur dann zu verneinen, wenn ein Schadenseintritt nicht mit Wahrscheinlichkeit zu erwarten war. Eine entsprechende Gewinnerwartung bestand jedenfalls wie sich schon aus den Erlösen für die übrigen durchgeführten Geschäfte ergibt. Jedenfalls in einem Fall wie dem vorliegenden, in dem es um die Marktentwicklung eines Wertpapiers und das hypothetische Verkaufsverhalten des Anlegers geht, ist die Wahrscheinlichkeitsprognose notwendig unsicher; eine Differenzierung zwischen "gewisser" oder "überwiegender" Wahrscheinlichkeit führt hier nicht ohne weiteres weiter. Dieser Schwierigkeit muß auch im Bereich der Vertragshaftung nach den gleichen Grundsätzen Rechnung getragen werden, wie sie der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs für Ansprüche aus unerlaubter Handlung entwickelt hat (BGH, Urt. v. 17.2.1998 - VI ZR 342/96, NJW 1998, 1633, 1634; vgl. BGH, Urt. v. 3.3.1998 - VI ZR 385/96, NJW 1998, 1634, 1636 = BGHR BGB § 842 Selbständige 1; v. 20.4.1999 - VI ZR 65/98, VersR 2000, 233 ; v. 6.2.2001 - VI ZR 339/99, NJW 2001, 1640, 1641 = BGHR BGB § 252 Satz 2 Verdienstausfall 8). Demnach darf sich der Tatrichter seiner Aufgabe, auf der Grundlage der §§ 252 BGB und 287 ZPO eine Schadensermittlung vorzunehmen, nicht vorschnell unter Hinweis auf die Unsicherheit möglicher Prognosen entziehen. Wird dem Geschädigten durch vertragswidriges Verhalten der Bank die Möglichkeit genommen oder beschränkt, durch Verkauf der Wertpapiere einen (Spekulation-) Gewinn zu erzielen, darf der Wahrscheinlichkeitsnachweis nicht schon deshalb als nicht geführt angesehen werden, weil sich eine überwiegende Wahrscheinlichkeit nicht feststellen läßt. Vielmehr liegt es im Bereich der Vertragshaftung in einem solchen Fall nahe, nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge von einem angemessenen Erfolg des Geschädigten auszugehen und auf dieser Grundlage die Prognose hinsichtlich des entgangenen Gewinns und des infolgedessen entstandenen Schadens anzustellen, wobei auch ein Risikoabschlag in Betracht kommen mag (vergl. BGH WM 2005, aaO).

41

Nach dem Handelsverhalten des Klägers (vgl. Anlage K1) und der stetig positiven Kursentwicklung des betreffenden Wertpapiers am 13.10.04 (vgl. Anlage K8) konnte mit Wahrscheinlichkeit erwartet werden, dass der Kläger die restlichen 2000 Stück zu einem Kurs von mindestens 5,44 EUR verkauft und einen Gewinn von EUR 0,95/Stück und somit von insgesamt EUR 1.900.- realisiert hätte.

42

Der Anspruch auf die Zinsen seit Rechtshängigkeit folgt aus §§ 291, 288 Abs. 1 S. 2 BGB. Der Zinsantrag „nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz„ war so auszulegen, dass in Anlehnung an § 288 Abs. 1 S. 2 BGB 5 Prozentpunkte über dem Basiszinssatz begehrt wurden (vgl. OLG Hamm, NJW 2005, 2238).

43

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1, 2 ZPO.


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