Beschluss vom Landgericht Karlsruhe - 6 OH 4/05

Tenor

1. Der Antrag der Antragstellerin vom 07.09.2005 auf Durchführung eines selbständigen Beweisverfahrens wird zurückgewiesen.

2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.

3. Der Streitwert wird auf EUR 5.497,42 festgesetzt.

Gründe

 
Der Antrag war als unzulässig zurückzuweisen, da die Voraussetzungen des selbständigen Beweisverfahrens nach § 485 ZPO nicht gegeben sind.
A.
Die Zulässigkeit des selbständigen Beweisverfahrens ergibt sich nicht aus § 485 Abs. 2 ZPO.
Insbesondere geht es - entgegen der antragstellerischen Auffassung (AS 33) - bei der Frage nach dem Wert des Versorgungsrechts der Antragstellerin nicht um den „Wert einer Sache“ i.S.v. § 485 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Versorgungsrechte sind nämlich Rechte und mithin auch Gegenstände, mangels Körperlichkeit jedoch keine Sachen.
Sachen zeichnen sich gem. § 90 BGB durch ihre Körperlichkeit aus. Das Erfordernis der Körperlichkeit ist darauf zurückzuführen, dass die Sache als Gegenstand von Besitz und Eigentum für den Menschen beherrschbar sein muss. Letztlich entspricht der juristische Sachbegriff damit oftmals dem allgemein-sprachlichen. Sachen müssen wegen des Erfordernisses der Körperlichkeit nicht nur im Raum sinnlich wahrnehmbar, sondern vor allem greifbar (tastbar) sein (Bamberger/Roth, BGB, Aktualisierung April 2004, BGB, § 90, Rn. 5 u. 6). Die Definition des § 90 BGB geht offensichtlich vom Oberbegriff des Gegenstandes aus, den das Gesetz nicht definiert. Rechte zählen zu den Gegenständen, nicht zu den Sachen (Bamberger/Roth, BGB, Aktualisierung April 2004, BGB, § 90, Rn. 3 u. 4). Zur Verdeutlichung sei erwähnt, dass noch nicht einmal die ortsübliche Miete durch ein selbständiges Beweisverfahren ermittelt werden kann, weil es sich nicht auf die Feststellung des Wertes einer Sache richten würde (LG Berlin NJW-RR 1997, 585; LG Köln NJWE-MietR 1996, 268).
B.
Das selbständige Beweisverfahren ist auch nicht nach § 485 Abs. 1 ZPO zulässig.
I.
Die Zustimmung des Gegners liegt nicht vor (AS 23).
II.
Die Besorgnis des Verlustes oder der erschwerten Benutzung des Beweismittels ist nicht gegeben.
Die diesbezügliche, aber durch nichts belegte Behauptung der Antragstellerin, dass relevante „Daten über Sozialversicherungsbeiträge, Steuerlast usw.“ für die Jahre 1985 und 1967 immer schwerer zu ermitteln seien (AS 35) erscheint dem Gericht bereits nicht plausibel. Denn die Antragstellerin geht ersichtlich davon ausgeht, dass insbesondere noch derlei Daten in Büchern oder bei Auskunftsstellen oder aus sonstigen Informationsquellen für den Sachverständigen recherchierbar seien. Warum diese Altdaten trotz ihrer nunmehr schon langen Aufbewahrungszeit demnächst vernichtet oder gelöscht werden sollten, ist nicht dargelegt und auch nicht erkennbar.
Der von Antragstellerseite vorgebrachte Grund für die Verlust- bzw. Erschwerungsgefahr ist jedenfalls nicht von erheblicher Qualität. Dies zeigt bereits der Vergleich mit anerkannten Beispielsfällen. Als Anwendungsfälle für die Besorgnis des Verlustes oder der erschwerten Benutzung des Beweismittels werden folgende Beispiele in Literatur und Rechtsprechung erwähnt: Bei einem Zeugen Gebrechlichkeit, hohes Alter, schwere Erkrankung, längere Abwesenheit z. B. durch Auslandsaufenthalt; bei Vater/Scheinvater/Mehrverkehrszeugen/Mutter der drohende Verlust der Untersuchungsmöglichkeit (insbes. Blutprobeentnahme) zur Feststellung der Abstammung z. B. wegen bevorstehender Auswanderung oder lebensbedrohlicher Erkrankung; bei einer zu besichtigenden oder zu begutachtenden Sache drohender Untergang oder Verderb und bevorstehende Veränderungen, z. B. durch Reparaturmaßnahmen und Baufortschritt (vgl. Musielak, ZPO, 4. Auflage 2005, § 485, Rn. 10 m.w.N). Demgegenüber drohen dem aus Sicht der Antragstellerin relevanten Datenbestand und damit dem begehrten Beweismittel keine dermaßen kurzfristigen Veränderungen.
III.
10 
Es fehlt im Übrigen auch am Rechtsschutzbedürfnis für die Durchführung des selbständigen Beweisverfahrens.
11 
Für ein sicherndes Beweisverfahren besteht ein Rechtsschutzbedürfnis, wenn ein Streitverfahren des Antragstellers - als Kläger oder Beklagter - aufgrund eines Rechtsverhältnisses mit dem Gegner schon anhängig oder zu erwarten ist und die Beweiserhebung in diesem oder im späteren Prozess nach § 493 ZPO benutzt werden kann. Der Richter hat aber weder die Beweisbedürftigkeit oder die Erheblichkeit des Beweismittels für den Hauptprozess noch dessen Erfolgsaussichten zu beurteilen; etwas anderes gilt bei offensichtlicher Nutzlosigkeit, z. B. wenn die Beweisbedürftigkeit oder die Entscheidungserheblichkeit durch das Prozessgericht der letzten Tatsacheninstanz bereits verneint wurde (vgl. Musielak, ZPO, 4. Auflage 2005, § 485, Rn. 7 m.w.N.; OLG München OLGZ 1975, 52; vgl. auch OLG Hamm NJW-RR 1998, 933).
12 
Die erstrebte Beweiserhebung ist in diesem Sinne offensichtlich nutzlos, da die von der Antragstellerin thematisch angegriffene 19. Satzungsänderung seit langem von der höchstrichterlichen Rechtsprechung gebilligt wird und da die von der Antragstellerin aufgeworfenen Beweisfragen schon deshalb nicht weiterführen, weil sie sich nicht auf die individuellen Verhältnisse bei der Antragstellerin, sondern auf den Durchschnittsversicherten beziehen (vgl. das beiden Parteivertretern bekannte Urteil der Kammer vom 16.04.2004, Az. 6 S 22/03, sub I.5).
13 
In mehreren Entscheidungen wurde die 19. Satzungsänderung sowohl vom Bundesgerichtshof (vgl. Urteil vom 16.03.1988, IV ZR 154/87, BGHZ 103, 370-392; Urteil vom 10.12.2003, IV ZR 217/02, sub II 2. b. bb.) als auch vom Bundesverfassungsgericht (Beschluss vom 06.11.1991, Az. 1 BvR 825/88) gebilligt.
14 
Mit der durch die 19. Satzungsänderung eingeführten Berechnungsweise soll nicht etwa ein Einkommensbild gezeichnet werden, das bei einem Arbeitnehmer vorläge, wenn er noch voll im Erwerbsleben stünde. Das erschiene auch nicht zulässig und wäre gerade unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung angreifbar, weil es dazu führen könnte, dass Versicherte trotz nach dem Versicherungsverlauf gleicher Voraussetzungen unterschiedliche Versorgungen erhielten. Ziel der 19. Satzungsänderung war es vielmehr, die bisherige Gesamtversorgung auf ein bestimmtes generelles Maß zurückzunehmen (so BGH, Urteil vom 16.03.1988, am angegebenen Ort, sub II. 2 b.) Vergleichsmaßstab ist daher nicht das Einkommen eines aktiven Arbeitnehmers, sondern das letzte verfügbare Arbeitseinkommen des Versicherten selbst (so BGH, Urteil vom 10.12.2003, am angegebenen Ort). Die Beklagte schuldet schon deshalb keine Rente, die sich an dem Brutto- oder auch Nettoeinkommen eines aktiven Arbeitnehmers orientiert, weil nicht ersichtlich ist, warum die Versicherten beispielsweise an einer grundlegenden Gehaltserhöhung der aktiven Arbeitnehmer teilnehmen sollten.
15 
Zwar zitierte der Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 16.03.1988 aus einem Gutachten der Rentenharmonisierungskommission vom 19.11.1983. Danach sei diese Kommission mehrheitlich zu dem Ergebnis gekommen, dass das Ziel der altersgemäßen Lebensstandardsicherung erreicht werden könne, wenn das Nettoalterseinkommen 70 - 90 % des Nettoarbeitseinkommens betrage. Einzelne Kommissionsmitglieder wären der Auffassung gewesen, dass diese Zielvorstellung im Hinblick auf die wirtschaftlichen, finanziellen und demographischen Risiken zu hoch angesetzt sei (vgl. BGH, Urteil vom 16.03.1988, am angegebenen Ort, I. 1.). Auch in den Entscheidungsgründen des zitierten Urteils nahm das Gericht auf dieses Gutachten Bezug und führte aus, dass die Gesamtversorgung auch nach der 19. Satzungsänderung sich noch im oberen Bereich der Bandbreite von 70 - 90 % des Nettoarbeitseinkommens bewege (am angegebenen Ort, sub II. 2. c). Eine Verknüpfung mit dem Nettoarbeitseinkommen anderer Personen als des Versicherten selbst stellt der Bundesgerichtshof gerade nicht her. In Anbetracht der unterschiedlichen Erwerbsbiographie der Vielzahl der Versicherten wäre eine solche pauschalierende Betrachtungsweise auch nicht sachgerecht und braucht daher vom Gericht auch nicht vorgenommen zu werden.
C.
16 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO und war hier auch im selbständigen Beweisverfahren ausnahmsweise veranlasst (vgl. Zöller, ZPO, § 91, Rn. 13, Stichwort: „Selbständiges Beweisverfahren“).
17 
Zur Begründung der obigen Streitwertentscheidung: Der monatliche Differenzbetrag zwischen der klägerseits begehrten und der tatsächlich gewährten Rente beträgt nach der klägerischen Berechnung DM 320,00 (vgl. AS 1). Bei bereits bewilligten Renten ist der Streitwert in Anlehnung an § 9 ZPO und unter Ermäßigung um 20% bei Stellung eines (regelmäßig sachdienlichen) Feststellungsantrags auf der Grundlage des Differenzbetrags nach der Formel zu berechnen:
18 
monatlicher Differenzbetrag X 42 Monate X 80%.
19 
Das Gericht geht davon aus, dass sich der Streitwert des selbständigen Beweisverfahrens mit dem Wert der Hauptsache deckt.

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