Urteil vom Landgericht Karlsruhe - 6 S 1/05

Tenor

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Amtsgerichts Karlsruhe vom 1. August 2008, Az. 2 C 58/04, wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass festgestellt wird, dass die von der Beklagten gemäß ihrer Satzung erteilte Startgutschrift den Wert der von der Klägerin bis zum 31. Dezember 2001 erlangten Anwartschaft auf eine bei Eintritt des Versicherungsfalles zu leistende Betriebsrente nicht verbindlich festlegt.

II. Die Kosten der Berufung werden gegeneinander aufgehoben.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien dürfen jeweils die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Gegenseite vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV. Die Revision der Beklagten wird zugelassen.

Gründe

 
Die zulässige Berufung der Klägerin hat nur hinsichtlich des in der zweiten Instanz gestellten Hilfsantrags Erfolg. Das Urteil des Amtsgerichts ist wie aus dem Tenor ersichtlich abzuändern.
A.
(§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO):
Wegen des Parteivorbringens in erster Instanz und der dort getroffenen tatsächlichen Feststellungen wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Lediglich zur Ergänzung wird folgendes angemerkt:
Die ehemals im öffentlichen Dienst beschäftigte Klägerin wendet sich mit ihrer Klage gegen die Rentenmitteilung der Beklagten vom 18.11.2003, mit der die Beklagte die Rente der Klägerin erstmals berechnete, und – erstmals in der zweiten Instanz - hilfsweise gegen die nach Umstellung der Zusatzversorgung im öffentlichen Dienst von einem Gesamtversorgungssystem auf ein Punktesystem erteilte Startgutschrift für eine beitragsfrei versicherte Person.
Die beklagte Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) hat die Aufgabe, Angestellten und Arbeitern der an ihr beteiligten Arbeitgeber des öffentlichen Dienstes im Wege privatrechtlicher Versicherung eine zusätzliche Alters-, Erwerbsminderungs- und Hinterbliebenenversorgung zu gewähren. Mit Neufassung ihrer Satzung vom 22. November 2002 (BAnz. Nr. 1 vom 3. Januar 2003) hat die Beklagte ihr Zusatzversorgungssystem rückwirkend zum 31. Dezember 2001 (Umstellungsstichtag) umgestellt. Den Systemwechsel hatten die Tarifvertragsparteien des öffentlichen Dienstes im Tarifvertrag Altersversorgung vom 1. März 2002 (ATV) vereinbart. Damit wurde das frühere - auf dem Versorgungstarifvertrag vom 4. November 1966 (Versorgungs-TV) beruhende - endgehaltsbezogene Gesamtversorgungssystem aufgegeben und durch ein auf einem Punktemodell beruhendes Betriebsrentensystem ersetzt.
Die neue Satzung der Beklagten (VBLS) enthält Übergangsregelungen zum Erhalt von bis zur Systemumstellung erworbenen Rentenanwartschaften. Diese werden wertmäßig festgestellt und als sogenannte Startgutschriften auf die neuen Versorgungskonten der Versicherten übertragen. Dabei werden Versicherte, deren Versorgungsfall noch nicht eingetreten ist, in rentennahe und rentenferne Versicherte unterschieden. Rentennah ist nur, wer am 1. Januar 2002 das 55. Lebensjahr vollendet hatte und im Tarifgebiet West beschäftigt war bzw. dem Umlagesatz des Abrechnungsverbandes West unterfiel oder Pflichtversicherungszeiten in der Zusatzversorgung vor dem 1. Januar 1997 vorweisen kann. Die Anwartschaften der ca. 200.000 rentennahen Versicherten werden weitgehend nach dem alten Satzungsrecht ermittelt und übertragen. Die Anwartschaften der übrigen, ca. 1,7 Mio. rentenfernen Versicherten berechnen sich demgegenüber nach den §§ 78 Abs. 1 und 2, 79 Abs. 1 Satz 1 VBLS i.V. mit § 18 Abs. 2 BetrAVG.
Die Anwartschaften der am 1. Januar 2002 beitragsfrei Versicherten, zu denen die Klägerin gehört, werden nach der am 31. Dezember 2001 geltenden Versicherungsrentenberechnung ermittelt (§ 80 S. 1 VBLS n. F.).
Die am … 1943 geborene Klägerin war vom 01.01.1970 bis zum 31.07.1970 und vom 01.10.1974 bis zum 30.09.1999 als Beschäftigte im öffentlichen Dienst insgesamt 307 Monate bei der Beklagten pflichtversichert (I 91). In der Zeit von April 1958 bis März 1961 war die Klägerin in Ausbildung. Zum 30.09.1999 endete die Pflichtversicherung wegen einvernehmlicher Auflösung des Arbeitsverhältnisses.
Mit Mitteilung vom 06.09.1999 (I 55) erteilte die Beklagte eine von der Klägerin begehrte Rentenauskunft, wonach sich unter den in der Mitteilung genannten Voraussetzungen und bei Anwendung der damals geltenden Satzungsbestimmungen für die Klägerin eine monatliche Versorgungsrente in Höhe von monatlich 1.344,37 DM ergäbe.
10 
Die Beklagte hat die Rentenanwartschaft der Klägerin – als einer beitragsfrei versicherten Person – gemäß § 80 VBLS n. F. i.V.m. § 18 BetrAVG und § 44 VBLS a. F. zum 31.12.2001 auf 256,84 EUR errechnet und ihr dementsprechend eine Startgutschrift von 64,21 Versorgungspunkten erteilt (I 135).
11 
Seit dem 01.10.2003 bezieht die Klägerin von der BfA eine Altersrente für Frauen in Höhe von 991,05 EUR netto (I 33). Daneben erhält sie von der Beklagten eine Betriebsrente, die die Beklagte mit Rentenmitteilung vom 18.11.2003 (I 83) ab dem 01.10.2003 auf 208,60 EUR netto und ab dem 01.01.2004 auf 191,07 EUR netto errechnete.
12 
Das Amtsgericht hat in seiner Entscheidung vom 08.12.2004 (I 183 ff.) die Klage hinsichtlich des Hauptantrags mit der Begründung abgewiesen, dass die Klägerin eine Anwartschaft auf Gewährung einer Versorgungsrente gemäß § 37 Abs. VBLS a. F. nicht erworben habe, da der Anspruch neben dem Eintritt des Versicherungsfalles zur Voraussetzung habe, dass im Zeitpunkt des Versicherungsfalles noch eine Pflichtversicherung bestehe, was in der Person der Klägerin unstreitig nicht zuträfe. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 14.01.2004 – IV ZR 56/03) habe die Klägerin die Differenzierung zwischen Versorgungs- und Versicherungsrente nach der alten Satzung der Beklagten hinzunehmen. Die Beklagte habe die Betriebsrente im Übrigen in zutreffender Anwendung des § 18 Abs. 2 BetrAVG berechnet. Sie habe in nicht zu beanstandender Weise die aufgrund der Unwirksamkeit des § 44 a VBLS a. F. entstandene Regelungslücke durch die unmittelbare Anwendung des § 18 Abs. 2 BetrAVG geschlossen. Gegen § 18 BetrAVG bestünden keine verfassungsrechtlichen Bedenken.
13 
Den Hilfsantrag wies das Amtsgericht mit der Begründung ab, dass durch die der Klägerin im Jahr 1999 erteilte Rentenauskunft keine unverfallbare Anwartschaft festgeschrieben worden sei, was in der Rentenauskunft auch eindeutig zum Ausdruck gekommen sei.
14 
Mit der Berufung verfolgt die Klägerin ihr erstinstanzliches Begehren vollumfänglich weiter. Unter Abänderung des amtsgerichtlichen Urteils vom 08.12.2004 – 2 C 58/04 - beantragt sie
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1. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin ab dem 01.10.2003 eine Versorgungsrente für Versicherte auf der Grundlage einer gesamtversorgungsfähigen Zeit von 452 Monaten gemäß der Satzung der Beklagten in der Fassung der 41. SÄ zu gewähren,
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hilfsweise zu 1.:
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2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin eine Startgutschrift zum 31.01.2001 zu errechnen, die im Rechengang der Auskunft vom 06.09.1998 folgt und für die Versorgungsrente unter Berücksichtigung der zusätzlichen Pflichtversicherungszeiten bis zum 30.09.1999,
18 
Ferner stellt die Klägerin in der zweiten Instanz erstmals den Hilfsantrag,
19 
3. die Unverbindlichkeit der Startgutschrift festzustellen.
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Die Beklagte beantragt,
21 
die Berufung zurückzuweisen.
22 
Die Parteien wiederholen und vertiefen ihr erstinstanzliches Vorbringen.
23 
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 05.02.2010 verwiesen.
B.
24 
(§ 540 Abs. 1 Nr. 2 ZPO):
25 
Die zulässige Berufung hat nur hinsichtlich des in der Berufungsinstanz gestellten Hilfsantrags Erfolg.
I.
26 
Der in der Berufungsinstanz gestellte Hilfsantrag ist zulässig. Zwischen den Parteien besteht ein Rechtsverhältnis in Form eines privatrechtlichen Gruppenversicherungsvertrages, bei dem die Beklagte Versicherer, der Arbeitgeber der Klägerin Versicherungsnehmer und die Klägerin Begünstigte ist (vgl. BGH VersR 1988/577).
27 
Soweit die Klage unbegründet ist, bedarf es keiner Entscheidung, ob ein Feststellungsinteresse auch insoweit besteht. Das Feststellungsinteresse gemäß § 256 Abs. 1 ZPO ist nur für ein stattgebendes Urteil echte Prozessvoraussetzung (vgl. BGHZ 12, 308 unter II 4; BAGE 104, 324 unter II 1 m.w.N.; OLG Karlsruhe, Urteil vom 20.12.2007 - 12 U 59/07, Seite 9).
28 
1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Gewährung einer Versorgungsrente nach § 37 Abs. 1 a) VBLS a. F..
29 
Gemäß § 80 S. 1 VBLS n. F. werden die Anwartschaften der am 01.01.2002 beitragsfrei Versicherten, zu denen die Klägerin gehört, nach der am 31.12.2001 geltenden Versicherungsrentenberechnung ermittelt.
30 
Der Anspruch auf Versorgungsrente nach § 37 VBLS a. F. hat, wie das Amtsgericht zutreffend erkannt hat, neben dem Eintritt des Versicherungsfalles zur Voraussetzung, dass im Zeitpunkt des Versicherungsfalles noch eine Pflichtversicherung besteht, was hier, da die Klägerin lediglich bis zum 30.09.1999 bei der Beklagten pflichtversichert war, nicht der Fall ist.
31 
Das Amtsgericht hat auch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 14.01.2004 – Az. IV ZR 56/03) zur Differenzierung zwischen Versorgungs- und Versicherungsrente zutreffend wiedergegeben. Danach hat die Klägerin die Differenzierung zwischen Versorgungs- und Versicherungsrente nach der alten Satzung der Beklagten hinzunehmen. Dieser Auffassung schließt sich auch die Kammer in ständiger Rechtsprechung an (vgl. LG Karlsruhe, Urteil vom 15.02.2008 - 6 S 15/07).
32 
Die Unterscheidung zwischen Versorgungs- und Versicherungsrente begegnet auch keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Nach Auffassung der Kammer ist es nicht möglich, aus der Erwerbsbiographie eines Versicherten willkürlich Teile "herauszuschneiden" und so zu errechnen, was geschehen wäre, wenn der jeweilige Versicherte ein anderes Leben mit einem anderen Beschäftigungsumfang geführt hätte (hier: wenn die Klägerin nicht umgezogen und weiterhin im öffentlichen Dienst beschäftigt gewesen wäre) (vgl. LG Karlsruhe, Urteil vom 24.10.2008 - 6 S 25/08).
33 
Die Beklagte ist auch nicht verpflichtet, der Klägerin eine Versicherungsrente nach § 44 a VBLS a.F. zu zahlen. Nachdem § 18 BetrAVG in der Fassung vom 19.12.1974 aufgrund der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Juli 1998 (vgl. BVerfGE 98, 365 ff) mit Ablauf des 31.12.2000 unwirksam geworden ist, findet § 44 a VBLS a.F. für die Berechnung der Versicherungsrente keine Anwendung mehr (vgl. BGH, a.a.O.¸ LG Karlsruhe, Urteil vom 15.02.2008 - 6 S 15/07).
34 
Da bereits kein Anspruch auf Gewährung einer Versorgungsrente besteht, muss nicht entschieden werden, inwieweit Vordienstzeiten im Rahmen der Berechnung der Versorgungsrente zu berücksichtigen sind.
35 
2. Die Klägerin hat auch keinen Anspruch auf Berechnung einer Startgutschrift zum 31.01.2001, die im Rechengang der Auskunft vom 06.09.1998 folgt und die die zusätzlichen Pflichtversicherungszeiten bis zum 30.09.1999 berücksichtigt.
36 
Die Auskunft als solche kann als Grundlage für einen entsprechenden Anspruch schon deshalb nicht in Betracht kommen, weil es sich um eine rechtlich unverbindliche Mitteilung handelt (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 03.03.2005, Az.: 12 U 312/04, S. 8 ; Urteil vom 17.08.2000, 12 U 310/99, Seite 8 unter Hinweis auf Gilbert/Hesse, Die Versorgung der Angestellten und Arbeiter des Öffentlichen Dienstes, § 70 a Satzung der VBL, Anm. 10; LG Karlsruhe, Urteil vom 04.02.2005, Az.: 6 O 7/04, S. 5; Urteil vom 28.02.2003; AZ: 6 0 307/02, S. 7; Urteil vom 25.08.2006, Az.: 6 O 192/05, veröffentlicht bei juris, beck-online BeckRS und http://lrbw.juris.de, Rz. 40; Urteil vom 19.09.2008, Az. 6 O 326/07, veröffentlicht bei juris, beck-online BeckRS und http://lrbw.juris.de, Rz. 30/31). Es ist auch in der Rentenauskunft vom 06.09.1998 durch die Beklagte ausdrücklich darauf hingewiesen worden, dass mit der Auskunft eine Zusage weder bezüglich der Art noch bezüglich der Höhe der Leistung verbunden sei (AS I 55). In der Auskunft wurde ferner ausgeführt:
37 
„Wir weisen aber nochmals darauf hin, dass sich eine spätere Rentenleistung gegenüber den vorgenannten Beträgen sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach ändern kann. Insbesondere bitten wir zu beachten, dass Anspruch auf Versorgungsrente nur besteht, wenn Sie u.a. bei Eintritt des Versicherungsfalles pflichtversichert sind oder als pflichtversichert gelten (vgl. §§ 37, 39 d.S.).
38 
Wenn Sie aus der Pflichtversicherung ausscheiden, bevor Sie Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung erhalten, können Sie aus der dann beitragsfreien Versicherung nur eine Versicherungsrente beanspruchen, die in der Regel niedriger als die Versorgungsrente ist und die nicht den Veränderungen der wirtschaftlichen Verhältnisse anzupassen ist.“
39 
Die Rentenmitteilung enthält daher keine Zusage bezüglich Art und Höhe der Leistung, so dass kein Anspruch auf eine zeitanteilige Versorgungsrente besteht. Aufgrund der ausdrücklichen Vorbehalte handelt es sich auch nicht um eine falsche Mitteilung, so dass keine Schadensersatzpflicht der Beklagten besteht.
40 
3. Der in der zweiten Instanz gestellte Hilfsantrag ist dagegen begründet. Bei Zugrundelegung der vom Bundesgerichtshof mit Urteil vom 14.11.2007 – Az. IV ZR 74/06 - vertretenen Auffassung ist von der Unverbindlichkeit der Startgutschrift der Klägerin auszugehen.
41 
Die Erwägungen des Bundesgerichtshofs zur Berechnung der Anwartschaften der rentenfernen Versicherten sind auf die Verhältnisse der beitragsfrei Versicherten übertragbar. Von entscheidender Relevanz sind dabei die folgenden Ausführungen des Bundesgerichtshofs:
42 
Durchgreifenden Bedenken gegen die Vereinbarkeit mit Art. 3 Abs. 1 GG begegne der nach den §§ 33 Abs. 1 Satz 1 ATV, 79 Abs. 1 Satz 1 VBLS i.V. mit § 18 Abs. 2 BetrAVG der Startgutschriftenberechnung zugrunde zu legende Versorgungssatz von 2,25% für jedes Jahr der Pflichtversicherung.
43 
Soweit die Regelung auf die Pflichtversicherungsjahre abstelle und diesen einen jeweils festen Prozentsatz zuordne, erscheine dies zunächst systemkonform und für sich genommen rechtlich unbedenklich. Der in § 18 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 BetrAVG (n.F.) vorgesehene Prozentsatz von 2,25 pro Pflichtversicherungsjahr, der über § 79 Abs. 1 Satz 1 VBLS und § 33 Abs. 1 Satz 1 ATV für die Berechnung der Startgutschrift maßgebend sei, führe jedoch zu einer sachwidrigen und damit gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßenden Ungleichbehandlung innerhalb der Gruppe der rentenfernen Versicherten, die vom weiten Handlungsspielraum der Tarifvertragsparteien nicht mehr gedeckt sei. Gesamtversorgungsfähige Zeit und Pflichtversicherungsjahre könnten deutlich voneinander abweichen. Während beispielsweise zur gesamtversorgungsfähigen Zeit insbesondere als beitragsfreie Zeiten auch nach dem vollendeten 17. Lebensjahr zurückgelegte Schul-, Fachschul- und Hochschulzeiten, ferner berufsvorbereitende Bildungsmaßnahmen mit (bei Halbanrechnung) bis zu vier Jahren berücksichtigt worden seien (vgl. §§ 42 Abs. 2 Satz 1 Buchst. a Doppelbuchst. aa VBLS a.F., 54 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 4, 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI), zählten die genannten Zeiten nicht zu den Pflichtversicherungsjahren im Sinne von § 18 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 BetrAVG. Arbeitnehmer mit längeren Ausbildungszeiten, wie etwa Akademiker, könnten 44,44 Pflichtversicherungsjahre überhaupt nicht erreichen und müssten deshalb überproportionale Abschläge hinnehmen. Beispielsweise betrage bei einem Arbeitnehmer, der nach Abschluss seines Studiums mit Vollendung des 28. Lebensjahres in den öffentlichen Dienst eintrat und am 31. Dezember 2001 das 54. Lebensjahr erreicht hatte, der maßgebliche Prozentsatz nach § 33 Abs. 1 Satz 1 ATV, § 79 Abs. 1 Satz 1 VBLS i.V. mit § 18 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 BetrAVG 58,50% (= 26 x 2,25%). Dagegen würde sich der Unverfallbarkeitsfaktor nach § 2 Abs. 1 BetrAVG auf 70,27% (26/37) belaufen. Neben Akademikern seien aber auch all diejenigen betroffen, die aufgrund besonderer Anforderungen eines Arbeitsplatzes im öffentlichen Dienst, etwa einer abgeschlossenen Berufsausbildung oder eines Meisterbriefes in einem handwerklichen Beruf, erst später in den öffentlichen Dienst eintreten. Weder das Modell der Standardrente eines Durchschnittsverdieners in der gesetzlichen Rentenversicherung noch das bei der Berechnung der anzurechnenden Sozialversicherungsrente nach § 79 Abs. 1 VBLS i.V. mit § 18 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 Buchst. f BetrAVG anzuwendende Näherungsverfahren lieferten stichhaltige Argumente dafür, den maßgeblichen Prozentsatz unter Berücksichtigung der gesamtversorgungsfähigen Zeit von 44,44 Jahren zu bestimmen und ihn dann lediglich mit der Zahl der erreichten Pflichtversicherungsjahre zu multiplizieren, obwohl diese in aller Regel niedriger sei als die erreichte gesamtversorgungsfähige Dienstzeit. Wegen der zu verzeichnenden Systembrüche und Ungereimtheiten könne aber die Höhe der Versorgungsquote allein mit den Besonderheiten des Versorgungssystems des öffentlichen Dienstes und einem Recht zur Standardisierung nicht gerechtfertigt werden.
44 
Der Senat sei nicht gehalten gewesen, die Verfassungsmäßigkeit des § 18 Abs. 2 BetrAVG im Wege der Richtervorlage nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG vom Bundesverfassungsgericht überprüfen zu lassen. Denn er habe nicht die Verfassungsmäßigkeit der gesetzlichen, sondern allein der im Tarifvertrag und in der Satzung der Beklagten getroffenen Regelung zu überprüfen gehabt.
45 
Die dargelegte Verfassungswidrigkeit und die sich daraus ergebende Unwirksamkeit dieser Detailregelung des Tarifvertrages vom 1. März 2002 und der neuen Satzung der Beklagten änderten an der Wirksamkeit der Systemumstellung als solcher nichts. Unwirksam sei lediglich die in den §§ 78 Abs. 1 und 2, 79 Abs. 1 Satz 1 VBLS i.V. mit § 18 Abs. 2 BetrAVG für die rentenfernen Versicherten getroffene Übergangsregelung, was zur Folge habe, dass die der klagenden Partei erteilte Startgutschrift einer ausreichenden rechtlichen Grundlage entbehre. Sie lege damit den Wert der von der klagenden Partei bis zum Umstellungsstichtag erdienten Anwartschaft auf eine bei Eintritt des Versicherungsfalles zu leistende Rente nicht verbindlich fest.
46 
Bei Abwägung der geschützten Interessen der Tarifpartner einerseits und der Versicherten andererseits gebiete der Anspruch auf effektiven Rechtsschutz jedenfalls derzeit noch keine gerichtlichen Übergangsregelungen, weil zum einen das Interesse an alsbaldiger Klärung bei rentenfernen Versicherten weniger schwer wiege als bei rentennahen Versicherten oder Rentenempfängern. Zum anderen sei es zulässig, dass die Gerichte sich mit Rücksicht auf Art. 9 Abs. 3 GG einer ersatzweisen Regelung enthielten, soweit - wie hier - eine Neuregelung durch die Tarifvertragsparteien in absehbarer Zeit zu erwarten sei. Mit Blick auf Art. 9 Abs. 3 GG sei es den Tarifvertragsparteien vorzubehalten, für welche Lösungen sie sich entscheiden.
47 
Diese Rechtsprechung (a.a.O.) ist auf den vorliegenden Fall ohne Weiteres übertragbar (vgl. LG Karlsruhe, Urteil vom 17.07.2009 - 6 S 131/08): Der Kläger hat zwar keine Startgutschrift für eine rentenferne Person, sondern eine solche für eine beitragsfrei versicherte Person erhalten; § 18 Abs. 2 BetrAVG und damit ein Versorgungssatz von 2,25% für jedes Jahr der Pflichtversicherung hat aber auch im konkreten Fall Anwendung gefunden und das Ergebnis der Rentenberechnung maßgeblich beeinflusst.
48 
Der Berufung war daher nur hinsichtlich des in der Berufungsinstanz gestellten Hilfsantrages stattzugeben
III.
49 
Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 92 ZPO.
50 
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf der Anwendung der §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
51 
Die Revision der Beklagten war gemäß § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO zuzulassen.

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