Urteil vom Landgericht Kiel (5. Zivilkammer) - 5 O 232/05

Tenor

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Das Urteil ist gegen eine Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

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Die Klägerin begehrt von dem Beklagten, einem Sachverständigen, der in einem Gerichtsverfahren, an dem u. a. auch die Klägerin beteiligt war, tätig war, Schadensersatz mit der Behauptung, er habe in diesem Verfahren ein unrichtiges Gutachten erstattet.

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Die Klägerin machte in einem Zivilprozess vor dem Landgericht Kiel Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, bei dem ihr Fahrzeug beschädigt wurde. Der Beklagte wurde vom Landgericht Kiel beauftragt, ein schriftliches Sachverständigengutachten zu der Behauptung der Klägerin, bei den Beschädigungen an ihrem Fahrzeug handele es sich um erhebliche Beschädigungen, sodass auch bei fachgerechter Reparatur der frühere Zustand des Fahrzeuges nicht annähernd wiederhergestellt werden könne, zu erstatten. Das Gutachten wurde am 03.09.2003 erstellt und durch eine schriftliche Stellungnahme vom 12.11.2003 ergänzt. In der mündlichen Verhandlung vom 12.05.2004 erläuterte der Beklagte sein Gutachten (Landgericht Kiel, Aktenzeichen 9 O 431/02). Abschließend kam er zu dem Ergebnis, dass nach einer fachgerechten Reparatur des Schadens ein einwandfreier Zustand des Fahrzeuges wieder herzustellen sei und an dem Fahrzeug keine Schönheitsfehler verbleiben würden. Die volle Sicherheit sei gewährleistet.

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Mit Urteil vom 02.06.2004 wies die 9. Zivilkammer des Landgerichts Kiel die Klage der Klägerin ab. Zur Begründung wurde u. a. angeführt, dass der Beklagte schlüssig dargelegt habe, dass nach Ausführung einer fachgerechten Reparatur durch eine Fachwerkstatt keine Unsicherheitsfaktoren hinsichtlich der Verkehrssicherheit oder auch hinsichtlich des Auftretens weiterer Schäden verbleiben würde. Auf das Gutachten, die ergänzende Stellungnahme, das Protokoll vom 12.05.2004 sowie das Urteil wird Bezug genommen.

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Die Klägerin legte Berufung ein, die sie mit Schriftsatz vom 08.07.2004 begründete. Die Klägerin rügte die Verletzung materiellen Rechts und beanstandete die Beweiswürdigung des Gerichts, insbesondere die Verwertung des Gutachtens des Beklagten ohne Einholung eines Obergutachtens. Mit Beschluss vom 15.03.2005 wies das Oberlandesgericht Schleswig darauf hin, dass der zuständige Senat beabsichtige, die Berufung der Klägerin durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, da konkrete Anhaltspunkte, die vernünftige Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der im ersten Rechtszug festgestellten Tatsachen zu wecken geeignet sind, nicht ersichtlich seien. Unter Bezugnahme auf diesen Beschluss wurde die Berufung mit Beschluss vom 11.04.2005 nach § 522 Abs. 2 ZPO zurückgewiesen. Auf die Berufungsbegründung, den Hinweisbeschluss sowie den Zurückweisungsbeschluss wird Bezug genommen

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Mit der vorliegenden Klage begehrt die Klägerin die Klagforderung aus dem Verkehrsunfallprozess in Höhe von 8.812,93 €, die Gerichtskosten dieses Verfahrens von 2.037,73 €, die eigenen Rechtsanwaltskosten von 1.886,46 € sowie die Rechtsanwaltskosten der Gegenseite von 1.741,97 € und die nicht anrechenbaren Gebühren eines Rechtsanwalts in Höhe von 449,96 €, insgesamt 14.929,05 €. Ihre Klage gründet die Klägerin auf ein außergerichtlich eingeholtes Gutachten des Sachverständigen vom 01.08.2002, auf das Bezug genommen wird.

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Mit Schriftsatz vom 17.05.2005 lehnte der Beklagte seine Haftung ab.

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Die Klägerin behauptet:

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Das Gutachten des Beklagten sei fehlerhaft. Der Beklagte habe in seinem Gutachten nicht sämtliche vorhandenen erheblichen Beschädigungen am klägerischen Fahrzeug aufgenommen bzw. das Schadensbild anders bewertet. Das Fahrzeug der Klägerin erziele im reparierten Zustand nicht annähernd den Wert im Zustand vor dem Verkehrsunfall. Er habe das tatsächliche Ausmaß der Beschädigungen am klägerischen Fahrzeug verkannt. Es sei grob fahrlässig, dass sich der Beklagte nicht mit den geltend gemachten Einwendungen auseinandergesetzt habe. Er habe nicht erkannt, dass der Rahmenlängsträger hinten links stark beschädigt gewesen sei. Die Behauptung auf Seite 8 seines Gutachtens, dass lediglich eine Erneuerung des Endstückes erforderlich sei, sei definitiv falsch. Außerdem könne beim Einschweißen von tragenden Teilen nicht davon gesprochen werden, dass das Fahrzeug wieder in den vom Hersteller gefertigten Zustand versetzt werde. Von den Schweißpunkten würden im Übrigen Korrosionsschäden entstehen.

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Außerdem habe er es grob fahrlässig unterlassen, die Anknüpfungstatsachen ordnungsgemäß aufzunehmen. Er habe weder mit dem außergerichtlich tätig gewesenen Sachverständigen telefoniert noch mit der reparierenden Werkstatt telefoniert, noch das klägerische Fahrzeug nachbesichtigt.

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Die Klägerin beantragt,

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den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 14.929,05 € nebst Zinsen mit 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB seit dem 04.09.2003 zu zahlen.

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Der Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Der Beklagte behauptet,

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er habe den eingetretenen Unfallschaden am Fahrzeug der Klägerin, den er nur anhand der Fotos des Erstgutachtens zu bewerten gehabt habe, nachvollziehbar dargestellt. Das Gutachten sei richtig. Er habe nachvollziehbar auf Seite 13 ff seines Gutachtens den Stand der Technik bei Karosserieinstandsetzungsarbeiten erläutert. Bereits das Erstgutachten lasse keine Zweifel zu, dass eine Reparatur ohne Weiteres fachgerecht durchgeführt werden könne. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 12.11.2003 sei er auf den im Wesentlichen streitigen Punkt des Rahmenlängsträgers ausführlich eingegangen. Die Schweißtechnik gehöre heute nicht nur in der Reparatur, sondern auch in der Neufahrzeugproduktion zum normalen Standard.

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Selbst wenn das Gutachten fehlerhaft wäre, so habe er keinesfalls grob fahrlässig gehandelt.

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Im Übrigen beruhe das Urteil des Landgerichts Kiel nicht auf seinem Gutachten.

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Hinsichtlich des weiteren Parteivortrag wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

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Die Akten des Landgerichts Kiel mit dem Aktenzeichen 9 O 431/02 waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung und wurden beigezogen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig, hat in der Sache jedoch keinen Erfolg.

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Gemäß § 839a BGB ist ein vom Gericht ernannter Sachverständiger zum Ersatze des Schadens verpflichtet, der einem Verfahrensbeteiligten durch eine gerichtliche Entscheidung entsteht, die auf diesem Gutachten beruht, wenn er vorsätzlich oder grob fahrlässig ein unrichtiges Gutachten erstattet. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall nicht gegeben.

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Vorsätzliches Handeln des Sachverständigen scheidet aus. Grobe Fahrlässigkeit kann nach dem klägerischen Vortrag nicht bejaht werden. Grobe Fahrlässigkeit setzt voraus, dass der Beklagte die bei der Erstellung seines Gutachtens erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt und dasjenige nicht beachtet hat, was im vorliegenden Fall jedem einleuchten musste. Zudem müssen subjektive Momente hinzukommen, die eine gesteigerte Vorwerfbarkeit begründen (vgl. OLG Rostock, Beschluss vom 21.03.2006, IBR 2006, S. 406 unter Hinweis auf Palandt-Heinrichs, BGB-Kommentar, 65. Aufl., § 277, Rdnr. 5). Allein aus der Tatsache, dass der Beklagte zum Teil von den Feststellungen des Privatgutachters abweicht, ergibt sich der Vorwurf grob fahrlässigen Verhaltens nicht ohne Weiteres. Unterschiedliche fachliche Auffassungen zu einzelnen Punkten unter Sachverständigen sind in der gerichtlichen Praxis nicht ungewöhnlich und geben keinen Grund zu der Annahme, der Sachverständige habe grob fahrlässig ein unrichtiges Gutachten erstattet (vgl. OLG Rostock, a. a. O.). Hinzu kommt, dass das Landgericht und das Oberlandesgericht in der Ursprungssache keinen Grund gesehen haben, die Gutachten des Beklagten in Zweifel zu ziehen, sodass der Kläger näher hätte erläutern müssen, warum auch die Gerichte nicht nur übersehen haben sollen, dass sie ihrer Entscheidung in Teilen unrichtige Gutachten zugrunde legen, sondern dass dies auch jedem, also auch den entscheidenden Richtern, aufgrund naheliegender Überlegungen hätte einleuchten müssen (vgl. hierzu ebenfalls OLG Rostock, a. a. O.). Unerheblich ist hierbei der Vorwurf der falschen Beweiswürdigung durch das Landgericht., denn diese ist allein im vorgesehen Instanzenzug zu überprüfen und nicht im Rahmen des § 839a BGB.

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Der Beklagte hat sich in seinem Ergänzungsgutachten ausführlich mit dem Gutachten des Sachverständigen auseinandergesetzt und ist auf die Einwände des Klägervertreters in seinem Gutachten eingegangen. Er hat den Reparaturweg zum Ersetzen des Endstückes des Rahmenlängsträgers beschrieben, hat ausdrücklich erklärt, es handele sich hierbei um den fachgerechten und auch wirtschaftlich vernünftigen Reparaturweg und auf Seite 9 seines Ergänzungsgutachtens differenziert, welche Bauteile der selbsttragenden Karosserie beschädigt wurden. Außerdem hat er sich mit der Frage der Wiederherstellung des vom Hersteller gefertigten Zustandes auseinandergesetzt. Der Hinweis des Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung vom 12.05.2004, dass der Schaden anders einzustufen wäre, wenn der Rahmenlängsträger beschädigt wäre, zeigt eindeutig, dass der Sachverständige sich intensiv mit dieser Frage beschäftigt hat. Der Sachverständige hat in seiner mündlichen Erörterung ausdrücklich erklärt, dass weitergehende Beschädigungen des Rahmenlängsträgers auf den ihm vorgelegten Fotos nicht zu erkennen seien, sodass er eine weitergehende Beschädigung des Rahmenlängsträgers nicht feststellen könne.

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Bei dieser intensiven Auseinandersetzung des Beklagten insbesondere mit der Frage der Beschädigung des Rahmenlängsträgers kann nicht festgestellt werden, dass der Sachverständige schon einfachste, ganz naheliegende Überlegungen nicht angestellt hat. Hierfür spricht auch der nochmals erfolgte ausdrückliche Hinweis des Sachverständigen am Ende seines Ergänzungsgutachtens darauf, dass das Gutachten bezüglich der Beurteilung des Schadensumfanges und des fachgerechten Reparaturweges falsch sei.

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Die Auseinandersetzung im letzten Absatz des Ergänzungsgutachtens mit der Frage, ob es für eine Neupreisabrechnung erheblich sei, ob der reparierte Bereich mit dem Fertigungszustand zu vergleichen sei, ist eine Rechtsfrage. Weder die Tatsache, ob der Sachverständige noch, wie er diese beantwortet hat, kann als grob fahrlässig angesehen werden. Denn die Beantwortung von Rechtsfragen ist in jedem Fall Aufgabe des Gerichts.

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Der Vorwurf der Klägerin, das Landgericht habe eine falsche Beweiswürdigung vorgenommen, kann eine grobe Fahrlässigkeit des Sachverständigen nicht begründen. Mit dieser Frage hatte sich das Oberlandesgericht auseinander zu setzen. Dieses hat dargelegt, dass es keine Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der im ersten Rechtszug festgestellten Tatsachen habe und eine erneute Tatsachenfeststellung nicht notwendig sei.

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Der Vorwurf der Klägerin, der Beklagte habe es grob fahrlässig unterlassen, die Anknüpfungstatsachen ordnungsgemäß aufzunehmen, er hätte insbesondere das Fahrzeug nachbesichtigen müssen, führt ebenfalls nicht zu einer groben Fahrlässigkeit. Weder aus dem Gutachten des Beklagten noch aus seiner ergänzenden Stellungnahme, noch aus seinen mündlichen Erörterungen ergibt sich, dass ihm die Besichtigung des Fahrzeugs gefehlt habe. Das Gutachten ist in sich schlüssig und nachvollziehbar und setzt sich sowohl mit sämtlichen Einwendungen der Klägerseite auseinander, als auch mit dem Gutachten . Zu berücksichtigen ist weiter, dass sich aus dem Beweisbeschluss weder ergibt, dass das Fahrzeug besichtigt werden kann, noch, dass es besichtigt werden sollte. Die Frage der Nachbesichtigung ist weder in der ersten noch in der zweiten Instanz erörtert worden. Bereits aus diesem Grunde scheidet grobe Fahrlässigkeit aus, da sie voraussetzt, dass der Sachverständige das nicht beachtet hat, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Weder die in der ersten und zweiten Instanz beteiligten Richter noch die in diesen Instanzen tätig gewesenen Prozessbevollmächtigten haben auf die Möglichkeit der Besichtigung hingewiesen. Es kann also nicht davon ausgegangen, dass die Notwendigkeit einer Nachbesichtigung jedem hätte einleuchten müssen.

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Nach alledem kann eine grobe Fahrlässigkeit des Beklagten nicht festgestellt werden. Die Klage ist abzuweisen.

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Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 ZPO.


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