Beschluss vom Landgericht Kiel (9. Zivilkammer) - 9 OH 49/07
Tenor
Der Antrag der Antragsgegner vom 18.12.2008, den Sachverständigen... anzuweisen, Bauteilöffnungen zumindest bezogen auf die Wohnung 5 der Antragsgegner vorzunehmen, wird zurückgewiesen.
Gründe
I.
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In dem selbständigen Beweisverfahren geht es um Schallmängel der im Haus ... Straße ... in Neumünster errichteten Sanitärräume sowie deren Ursachen. Nachdem der Sachverständige ... bereits ein Gutachten erstattet hat, ist ihm aufgegeben worden, ergänzende Fragen zu beantworten. Dabei wünschten Antragsteller wie Antragsgegner Bauteilöffnungen, damit der Sachverständige die Beweisfragen vollständig beantworten kann. Der Sachverständige hat mit Schreiben vom 27.11.2008 mitgeteilt, dass er diese Bauteilöffnungen für entbehrlich halte, da aufgrund der nicht ausreichend bemessenen Wohnungstrennwand die Aufbringung einer Vorsatzschale sowieso notwendig werde und er davon ausgehe, dass in diesem Zug auch die vermuteten Mängel innerhalb des Steigeschachtes und der Wanddurchführungen beseitigt werden. Es bliebe lediglich die vorhandene starre Verfugung an den Fliesenböden zu den Trennwänden zum Schlafzimmer, zum Flur und zum Abstellraum, aber auch hier müsse der Fußboden sowieso aufgenommen werden und es sei daher unerheblich, ob derzeit Flankenübertragungen stattfänden oder nicht.
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Mit Schriftsatz vom 18.12.2008 haben die Antragsgegner an ihrer Auffassung festgehalten, der Sachverständige müsse eine Bauteilöffnung vornehmen zur Feststellung, welche Mängel innerhalb des Steigeschachtes und der Wanddurchführung vorlägen und ob diese Mängel mit der Aufbringung einer Vorsatzschale beseitigt werden könnten. Auch die weitere Auffassung hinsichtlich der Aufnahme des Fußbodens werde nicht geteilt. Es sei weder technisch erforderlich noch üblich, die Vorsatzschale bis zur Sohle herunterzuführen. Deswegen gingen die Antragsgegner davon aus, dass die Aufnahme des Fliesenbodens nicht erforderlich sei. Der Aufbringung einer Vorsatzschale und der Öffnung des Fliesenbodens werde deshalb widersprochen. Ebenfalls werde einer Bauteilöffnung hinsichtlich der Wohnungen Nrn. 5 und 8 widersprochen, diese Wohnungen ständen im Eigentum der Antragsgegner. Sollten die Antragsteller auf einer Öffnung der Fußböden bei diesen Wohnungen bestehen, würden Schadensersatzansprüche angekündigt. Hingegen bestehe mit einer teilweisen Bauteilöffnung der Wohnung Nr. 5 (Steigeschacht, Wanddurchführungen) Einverständnis. Gegebenenfalls werde die Bauteilöffnung in der Wohnung Nr. 8 durchgeführt werden können. Die Antragsteller halten entsprechend den Ausführungen des Sachverständigen die Durchführung von Bauteilöffnungen für entbehrlich.
II.
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Die Frage, ob das Gericht einen Sachverständigen gem. § 404 a ZPO anweisen kann, zur Ermittlung der Ursachen eines Baumangels Bauteilöffnungen vorzunehmen, ist durch den BGH bislang nicht entschieden worden. In Literatur und Rechtsprechung ist die Frage höchst streitig. Während die Oberlandesgerichte Celle (Beschluss vom 08.02.2005, BauR 2005, 1358), OLG Jena (Beschluss vom 18.10.2006, BauR 2007, 44), OLG Düsseldorf (BauR 1997, 697) die Möglichkeit bejahen, den Sachverständigen – notfalls auch gegen dessen Willen – anzuweisen, derartige Bauteilöffnungen mit Zerstörung von Teilen der Bauteile durchzuführen, verneinen andere Oberlandesgerichte diese Möglichkeit (vgl. OLG Frankfurt, IBR 2004, 442, OLG Hamm, IBR 2007, 160, OLG Bamberg, BauR 2002, 829). In der Literatur vertreten die erstgenannte Auffassung im Wesentlichen die Kommentatoren zur ZPO (vgl. Zöller/Greger, § 404 a Rdnr. 4; Thomas/Putzo, § 404 a Rdnr. 2, während die überwiegende Literatur die Möglichkeit ablehnt, den Sachverständigen anzuweisen (vgl. Werner/Pastor, 12. Aufl., Rdnr. 2672; Ullrich, selbständiges Beweisverfahren mit Sachverständigen, 2. Aufl. Rdnr. 5.6.6; Luz, DS 2008, 30; Kniffka/Koeble, Kompendium des Baurechts, 3. Aufl. 2. Teil, Rdnr. 125 – 127; Dötsch, NZ Bau 2008, 217).
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Die Kammer schließt sich der Mehrheitsmeinung an und erteilt demzufolge dem Sachverständigen keine Weisung, diese Bauteilöffnungen vorzunehmen. Die Aufgabe eines Sachverständigen besteht darin, analytisch vorzugehen und Sachverhalte durch Augenschein zu ermitteln. Er ist demzufolge als verlängerter Arm des Richters tätig, dem die notwendige Sachkunde für die Beurteilung von Baumängeln fehlt. Genauso wenig wie der erkennende Richter im Rahmen von Augenscheinseinnahmen zu zerstörenden Eingriffen in Bauteile berechtigt oder gar verpflichtet sein kann, kann dies dem für ihn tätigen Sachverständigen gestattet werden. Wenn das OLG Jena (a. a. O.) davon ausgeht, dass es die ureigenste Aufgabe des Sachverständigen sei, dafür zu sorgen, dass die tatsächlichen Voraussetzungen für die Erledigung des Gutachtenauftrages geschaffen würden, so kann dies lediglich die äußeren und formalen Voraussetzungen für die Begutachtung betreffen wie Ladung der Parteien sowie die Durchführung des Ortstermins. Weitergehende Maßnahmen sind dem Sachverständigen jedoch nicht gestattet; dies verstößt gegen den das Zivilprozessrecht beherrschenden Grundsatz der Beibringung des Prozessstoffes durch die Parteien. Die Aufgabe des Sachverständigen besteht daher allein darin, dass vorgefundene Werk zu begutachten. Sollte eine Partei Wert darauf legen, dass diese Begutachtung sich auch auf Bauteilöffnungen erstreckt, so bleibt es ihr unbenommen, diese Bauteilöffnung in Abstimmung mit dem Sachverständigen vorzunehmen und diesem bei dem Ortstermin die geöffnete Bausubstanz zu präsentieren.
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Die Gegenmeinung, die den Sachverständigen auch gegen dessen Auffassung für verpflichtet hält, Bauteilöffnungen vorzunehmen, verkennt, dass damit dem Sachverständigen zum einen eine Amtsaufklärung zugemutet wird, die dem Zivilprozess fremd ist. Zum anderen verweist Volze (DS 2008, 24) zu recht darauf, dass der Versicherungsschutz des als Sachverständigen beauftragten Architekten grundsätzlich nicht handwerkliche Tätigkeiten umfasst. In dem von ihm genannten Beispiel der Vornahme einer Kernbohrung zur Beurteilung der Betonqualität, die durch den Architekten selbst vorgenommen wird, wurde eine Leitung beschädigt. Dieses Haftungsrisiko trägt der Sachverständige dann allein, da die Haftungsprivilegierung des § 839 a ZPO sich allein auf das Gutachten erstreckt, nicht jedoch auf diese Tätigkeiten des Sachverständigen. Dieses Risiko kann der Sachverständige auch nicht durch seine Haftpflichtversicherung abdecken lassen, da die "normale" Architektenhaftpflicht für diese Tätigkeit nicht eintritt und der Sachverständige versuchen müsste, auch dieses Risiko decken zu lassen. Wie die Entscheidung des OLG Braunschweig (BauR 2004, 886) instruktiv belegt, gewähren Haftpflichtversicherungen für zerstörende Untersuchungen nicht in jedem Fall eine Deckung, so dass bei Erteilung einer Weisung des Gerichts an den Sachverständigen dieser selbst haften müsste. Dies führt in der Regel dazu, dass der gerichtlich bestellte Sachverständige die Überprüfung deshalb verweigern wird. Sollte der Sachverständige trotzdem angewiesen werden, wäre allerdings daran zu denken, ob nicht das Gericht wegen der Schadensgeneigtheit seiner Tätigkeit ihn von der Haftung freistellen müsste.
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Zudem stellt sich die Frage, ob nicht nach der zerstörenden Bauteilöffnung der Sachverständige verpflichtet sein müsste, dass zerstörte Bauteil wieder herzustellen, wobei – falls der Baumangel in dem Bauteil selbst lag-, die Möglichkeiten bestehen, den Sachverständigen für verpflichtet zu halten, den status quo ante herzustellen oder lediglich sichernde Notmaßnahmen zu treffen oder gleich das mangelhafte Teil fachlich richtig herzustellen (vgl. Ulrich/Zielbauer, DS 2008, 12,20 m. w. N.). Sollte von dem Sachverständigen ersteres gefordert werden, würde von ihm verlangt werden, ein von ihm als mangelhaft erkanntes Werk zu erstellen. Für diese Auffassung würde allerdings sprechen, dass nur so die Möglichkeit bestehen bleibt, die Arbeit des Sachverständigen durch eine spätere Untersuchung zu überprüfen. Sollte letzteres gefordert werden, so würde der Sachverständige damit endgültig seine Funktion als lediglich Begutachtender verlassen und im Rahmen der Mängelbeseitigung tätig werden. Dass diese unzulässig ist und auch vom Gericht nicht beauftragt werden kann, liegt auf der Hand. Demgegenüber müssen die von den Oberlandesgerichten Jena und Celle geltend gemachten Praktikabilitätserwägungen zurücktreten, so dass der Antrag der Antragsgegner dem Sachverständigen die Bauteilöffnung zwecks Feststellung der Schallbrücken aufzugeben, abzulehnen ist.
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Referenzen
- § 839 a ZPO 1x (nicht zugeordnet)
- ZPO § 404a Leitung der Tätigkeit des Sachverständigen 1x