Urteil vom Landgericht Koblenz (1. Zivilkammer) - 1 O 470/88

Tenor

1) Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger 30.000,00 DM Schmerzensgeld zu zahlen.

Hinsichtlich des weitergehenden Schmerzensgeldantrages wird die Klage abgewiesen.

2) Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an den Kläger

a) 36.000,00 DM zu zahlen,
b) sowie ab dem 01. Januar 1991 bis. zum 31. Dezember 1997 eine monatliche Verdienstausfallrente von 1.000,00 DM zu zahlen.

3) Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten.

4) Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung von 74.000,00 DM.

Tatbestand

1

Der Kläger nimmt die Beklagten auf Schmerzensgeld und Verdienstausfa1lentschädigung wegen fehlerhafter ärztlicher Behandlung in Anspruch.

2

Am 11. April 1987 erlitt der am …1952 geborene Kläger als Vertragsspieler des Fußballvereins … bei einem Spiel seines Vereins in … eine Luxationsfraktur des linken oberen Sprunggelenks, eine Mehrfachfraktur des Wadenbeines sowie eine Ruptur des medialen Seitenbandes. Zur Behandlung der Verletzungen begab er sich am gleichen Tage in das Krankenhaus der Beklagten zu 1), wo er von den Beklagten zu 2) und 3), die dort als leitende Arzte der chirurgischen Unfallabteilung tätig sind, versorgt wurde.

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Am 14. April 1987 wurde der Kläger operiert. Nach der Operation kam es zu einer Wundinfektion, die letztlich dazu führte, daß in einer weiteren Operation in der BG-Unfallklinik … das obere Sprunggelenk versteift werden mußte.

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Der Kläger trägt vor, die Versteifung des Gelenks sei Folge davon, daß die Beklagten zu 2) und 3) ihn fehlerhaft behandelt hätten.

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Bereits während der Behandlungszeit bis zum 06. Juni 1987 im Krankenhaus der Beklagten zu 1} habe sich eine massive postoperative Wundheilungsstörung gezeigt, welche sich in den nächsten Wochen zu einer schweren Osteomyelitis entwickelt habe. Am 09. Juni 1987 habe er nach nur wenigen Tagen Aufenthalt zu Hause erneut zu einer längeren stationären Behandlung aufgenommen werden müssen, da - auch schon im Zeitpunkt der Entlassung am 06. Juni 1987 - die Heilung erkennbar nicht abgeschlossen gewesen sei. Auch bei der Entlassung am 26. Juni 1987 sei die Wunde nicht geheilt gewesen, vielmehr habe sich zu diesem Zeitpunkt der Verdacht auf Osteomyelitis aufdrängen müssen. Schließlich sei er fehlerhaft behandelt, worden, weil er drei Monate lang ausschließlich konservativ durch Verabreichung von Antibiotika behandelt worden sei und nur einmal wöchentlich zu einer Kontrolluntersuchung habe erscheinen müssen. Diese Behandlung habe nicht den Regeln der ärztlichen Kunst entsprochen.

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Infolge der Versteifung des Gelenks könne er nicht mehr Fußball spielen. Auch sei es ihm unmöglich" geworden, wie geplant, als Spielertrainer oder Nur-Trainer im Fußballsport tätig zu sein. Dadurch erleide er monatliche Einnahmeverluste von 1.000,00 DM. Die Beschäftigung als Trainer hätte er ab 01. Januar 1988 mindestens 10 Jahre lang ausüben können.

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Er halte ein Schmerzensgeld, von 35.000,00 DM für angemessen.

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Der Kläger beantragt,

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die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner

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a) an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt werde, mindestens aber 35.000,00 DM betragen solle, zu zahlen;
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b) an ihn für die Zeit vom 01. Januar 1988 bis zum 31. Dezember 1997 eine monatliche Verdienstausfallrente von 1.000,00 DM zu zahlen.
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Die Beklagten beantragen,

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die Klage abzuweisen.

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Die Beklagten meinen, die Behandlung des Klägers sei nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt. Erwerbsschäden seien dem Kläger nicht entstanden, da jede Wahrscheinlichkeit dafür fehle, daß der Kläger als Trainer tätig geworden wäre.

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Weitere Einzelheiten des Sach- und Streitstandes sind dem vorgetragenen Inhalt der von den Parteien gewechselten Schriftsätze und zu den Akten gereichten Unterlagen zu entnehmen.

16

Gemäß Beweisbeschlüssen vom 02. März 1989 (Bl. 40/41 d.A.) und vom 23. August 1990 (Bl. 108 d.A.) hat die Kammer die Erhebung von Beweisen angeordnet. Das Ergebnis der Beweisaufnahme ist dem Gutachten der Professoren Dr.med. … und Dr.med. … vom 04. Januar 1990 (81. 65 ff.d.A.) sowie der schriftlichen Auskunft- des Fußballverbandes R… vom 06. September 1990 (Bl. 112 d.A.) zu entnehmen.

Entscheidungsgründe

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Die Beklagten schulden dem Kläger ein Schmerzensgeld und den geltend gemachten Ersatz für Verdienstausfall gemäß §§ 823, 831 oder 31, 847, 843, 840 8GB.

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Die Beklagten zu 2) und 3) haben einen groben Behandlungsfehler begangen, weil sie die Infektion nur mit einer antibiotischen Therapie angegangen sind, obwohl die entzündlichen Veränderungen auch einige Tage nach Aufnahme dieser Therapie nicht abgeklungen waren.

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Der Infekt, dessen Auftreten als solcher nicht Folge eines ärztlichen Kunstfehlers ist, zeigte sich erstmals am zweiten postoperativen Tag, als der Kläger Fieber bekam. Zum Ablauf der Erkrankung kann auf das umfassende Gutachten der Professoren Dr.med. … und Dr.med. … vom 04. Januar 1990 Bezug genommen werden. Dort ist ausgeführt:

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Es wurde zu diesem Zeitpunkt eine antibiotische Therapie eingeleitet. Ein Abstrich wurde angelegt. Laborchemisch fiel eine deutliche Erhöhung der Zahl der weißen Blutkörperchen (Leukozyten) sowie eine starke Erhöhung der Blutkörperchensenkungsreaktion auf 118/126 nach Westergreen auf. In der Folge wurde die Wunde wegen des weiterbestehenden Infektes lokal behandelt. Unter der Antibiotikatherapie kam es zu einem Nachlassen der Temperaturen. Im Abstrich waren Staphylococcus aureus nachzuweisen. Die Antibiotikatherapie wurde konsequent über einen längeren Zeitraum fortgesetzt. In einem weiteren Abstrich vom 29. April 1987 waren weiterhin Keime nachzuweisen. Die Blutkörperchensenkungsreaktion blieb hoch und war am 29. April 1987 noch mit 90/100 nach Westergreen deutlich erhöht. Die Entlassung erfolgte am 05. Juni 1987.

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Eine erneute Aufnahme war am 09. Juni 1987 erforderlich, da der Infekt so ausgeprägt war, daß eine vorzeitige Metallentfernung durchgeführt werden mußte. Der Operationsbericht ergab den Nachweis von Eiter im Bereich des Wadenbeines. Es wurde das Metall entfernt und eine Septopalkette eingelegt. Während der zweiten stationären Behandlung wurde erneut eine Antibiotikatherapie eingeleitet, die am 14. Juni 1987 abgesetzt wurde (die weitere Bemerkung im Gutachten, daß der Kläger eine weitere antibiotische Therapie abgelehnt habe, wird von diesem bestritten - Bl. 91 d.A. - und von den Beklagten im Rechtsstreit nicht behauptet). Die Blutkörperchensenkungsreaktion wurde während des zweiten stationären Aufenthalts kontrolliert. Sie war mit einem Wert von 27/25 nach Westergreen noch deutlich erhöht. Die Leukozyten waren mit 7.100 mäßig erhöht. Aus dem Arztbrief aus dem …-Krankenhaus … vom 07. August 1987 ist zu entnehmen, daß auch nach der Entfernung der Metallplatte bzw. dem Einlegen der Septopalkette die Wunde nicht heilte. Es verblieb eine Fistel, die sich offenbar nie vollständig schloß, so daß der Patient auf Veranlassung der behandelnden Ärzte in der BG-Unfallklinik … vorgestellt wurde.

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Dort wurde der Patient sofort stationär aufgenommen und eine Versteifung des Sprunggelenks vorgenommen. Intraoperativ zeigte sich eine völlige Zerstörung des Knorpels, so daß eine Erhaltung des Sprunggelenkes nicht mehr möglich war.

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Nach diesem Ablauf manifestierte sich der Infekt am vierten postoperativen Tag. Die Beklagten zu 2) und 3) hatten bis zu diesem Tage - worauf die Sachverständigen zu Recht hinweisen - lokal bereits Maßnahmen wie Spülungen vorgenommen, eine antibiotische Therapie eingeleitet und einen Abstrich entnommen, um eine Testung durchzuführen. Die Laborparameter zeigten einen Anstieg der Leukozyten sowie eine erhebliche Erhöhung der Blutkörperchensenkungsreaktion auf einen Wert von 118/126 mm nach Westergreen. Die alleinige antibiotische Therapie war nach den allgemein gültigen Richtlinien für die ersten fünf bis sechs Tage durchaus angezeigt. Eine solche Therapie ist jedoch nur sinnvoll, wenn es unter dieser Therapie zu einem raschen Abklingen der entzündlichen Veränderungen kommt. Bestehen die entzündlichen Veränderungen weiter, wie es im vorliegenden Fall gegeben ist, so ist eine chirurgische Intervention erforderlich. Diese Intervention besteht im breiten Eröffnen der Wunde, in der Entfernung des infizierten Hämatoms, dem Wunddebridement und der Überprüfung der Stabilität der Osteosynthese. Die alleinige Entfernung der Stellschraube führte eher zu einer Zunahme der Instabilität der oberen Sprunggelenksgabel und bedeutete damit eher eine Verschlechterung der Ausgangssituation. Die Röntgenkontrolle vom 14. Mai 1987, also vier Wochen nach der operativen Versorgung, ließ bereits eine auffallende Destruktion der knöchernden Grenzlamelle an der distalen Tibia erkennen. Darüber hinaus bestand auffallenderweise am Sprungbein (Talus) eine ausgeprägte, unmittelbar subchondrale Demineralisation. Die Destruktionsveränderungen nahmen bis zum 05. Juni 1987 zu. Ein Hinweis darauf, daß der Infekt weiterbestand und die alleinige antibiotische Therapie nicht erfolgreich gewesen ist. Das Übergreifen der Entzündung auf den Knochen ist darüber hinaus durch die periostalen Knochenanbauten medial und dorsal an der distalen Fibula erkennbar. Die Entfernung der Stellschraube bzw. das Einbringen der Refobacin-Palacoskette an der Außenseite der Fibula konnte die Entzündung am Knochen nicht mehr beeinflussen. Zu diesem Zeitpunkt waren bereits ausgedehnte Weichteil- und Knochennekrosen vorhanden. Der Infekt hatte auf den Knochen übergegriffen und dort zu einer Destruktion geführt. Die lokale Wirkung der Refobacin-Palacoskette durch die Abgabe eines Antibiotikums konnte die Veränderung am Knochen bzw. im Gelenk nicht mehr beeinflussen.

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Hätten die Beklagten rechtzeitig, das heißt einige Tage nach dem Auftreten der entzündlichen Vorgänge, sich zu einem operativen Eingriff entschlossen - wie dies die Sachverständigen überzeugend als notwendig dargelegt haben-, hätte im Zusammenhang mit einer gezielten antibiotischen Therapie durchaus die Möglichkeit bestanden, den Infekt lokal zu beherrschen. Durch das nicht aktive chirurgische Vorgehen kam es zum Übergreifen des Infektes auf den Knochen bzw. das Gelenk, in dessen Folge es dann zu einer völligen Zerstörung des Sprunggelenkes kam. Die Arthrodese am oberen Sprunggelenk war nicht mehr zu vermeiden.

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Der Behandlungsfehler der Beklagten zu 2) und 3) ist als grob zu. kennzeichnen, weil die Beklagten zu 2) und 3) auf die eindeutigen Befunde nicht nach den gefestigten Regeln der ärztlichen Kunst reagiert haben (vgl. dazu RGRK/Nüßgens, § 823, Anhang II, Rn. 178). Die Kammer geht davon aus, daß der schwere Dauerschaden des Klägers nicht eingetreten wäre, wenn die Beklagten zu 2) und 3) rechtzeitig operiert hätten. Zwar ist ein Nachweis im naturwissenschaftlichen Sinne in dieser Richtung nur schwer zu führen. Da aber der Behandlungsfehler als grob zu bezeichnen ist, er zudem generell geeignet war, einen Schaden der Art herbeizuführen, wie er tatsächlich eingetreten ist, und die Beklagten damit rechnen mußten, daß ihre fehlerhafte Behandlung solche schweren Folgen haben könnte, tragen sie die Beweislast dafür, daß der Schaden nicht Folge ihres Fehlverhaltens ist (Nüßgens, a.a.O., Rn. 297 ff. mit weiteren Nachweisen).

26

Gemäß § 847 BGB steht dem Kläger ein Schmerzensgeld zu. Der Verletzte soll durch das Schmerzensgeld in die Lage versetzt werden, sich Erleichterungen und andere Annehmlichkeiten anstelle derer zu verschaffen, deren Genuß ihm durch die Verletzung unmöglich gemacht wurde. Darüber hinaus soll das Schmerzensgeld auch zu einer wirklichen Genugtuung führen. Bemessungsgrundlagen sind Ausmaß und Schwere der physischen Störungen, die persönlichen und Vermögensverhältnisse des Verletzten und des Schädigers, das Maß der Lebensbeeinträchtigung, Größe, Dauer, Heftigkeit der Schmerzen, Dauer der stationären Behandlung, Trennung von der Familie (vgl. Palandt-Thomas, § 847, Anm. 4 a mit weiteren Nachweisen). Im vorliegenden Fall fällt besonders ins Gewicht die langanhaltende Dauer der Behandlung, die Ungewißheit des Klägers, ob es zu einer Heilung kommen würde. Entscheidend ist jedoch zu berücksichtigen, daß der Kläger durch den letztlich verbliebenen Dauerschaden gehindert ist, seinen sportlichen Neigungen nachgehen zu können. Wegen der Versteifung des Gelenks ist er nicht in der Lage, Fußball zu spielen, zu tanzen und sich ungehindert zu bewegen. Diese Beschränkungen seiner Bewegungsfähigkeit werden ihn voraussichtlich viele Jahrzehnte belasten. Es fällt zum Nachteil der Beklagten auch ins Gewicht, daß es sich um einen leicht vermeidbaren ärztlichen Fehler gehandelt hat. In Würdigung der Gesamtumstände erscheint der Kammer ein Schmerzensgeld von 30.000,00 DM für angemessen.

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Dem Kläger steht auch die eingeklagte Verdienstausfallrente zu. Es ist nämlich bewiesen, daß er - trotz der am 11. April 1987 bei dem Fußballspiel erlittenen Verletzung - in der Lage gewesen wäre, zumindest als Fußballtrainer zu arbeiten und dadurch monatliche Einnahmen von 1.000,00 DM zu erzielen. Die persönlichen Voraussetzungen für die Erzielung eines solchen Einkommens hätte der Kläger nach Überzeugung der Kammer geschaffen. Die Trainerlizenz war - wie die Auskunft des Fußballverbandes ergeben hat - für die Ausübung der Trainertätigkeit zwar erforderlich. Der Kläger hätte diese Lizenz jedoch in einem dreiwöchigen Lehrgang, den der Fußballverband R… dreimal im Jahr anbietet, unschwer erwerben können. Es gibt keinen Grund zu der Annahme, der Kläger als langjähriger Vertragsspieler wäre den Anforderungen an einen solchen Lehrgang nicht gewachsen gewesen. Es besteht auch kein Zweifel daran, daß der Kläger neben seiner beruflichen Tätigkeit als Metzgergeselle ein Traineramt hätte ausüben können. Letztlich hat die Kammer keine Bedenken gegen die Richtigkeit der Behauptung des Klägers, es hätten sich bereits Vereine gefunden gehabt, die bereit gewesen wären, ihn als Trainer anzustellen. Die vom Kläger vorgelegten Schreiben der … Fußballvereinigung … vom 02. Oktober 1990, des TSV ... und der Spielvereinigung … belegen seine entsprechende Behauptung ebenso wie die Höhe der von diesen Vereinen gezahlten Trainerbezüge. Unter diesen Umständen ist der verlangte Mindestbetrag von 1.000,00 DM nicht zu beanstanden. Dieser Betrag berücksichtigt auch hinreichend die mit der Erzielung des Einkommens notwendigerweise verbundenen Aufwendungen, wie zum Beispiel Fahrtkosten.

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Vom 01. Januar 1988 bis zur mündlichen Verhandlung am 24. Januar 1991 ist das Honorar bereits fällig geworden. Dem trägt die gewählte Tenorierung Rechnung.

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Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92, 709 ZPO.

30

Der Streitwert beträgt 155.000,00 DM.

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