Urteil vom Landgericht Köln - 24 O 249/01
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden der Klägerin auferlegt.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
1
T a t b e s t a n d
2Die Klägerin ist Steuerberaterin und betreibt ein Steuerberatungsbüro. Sie schloß mit der Beklagten am 2.11.1987 einen Vermögensschaden-Haftpflichtversicherungsvertrag, wobei durch einen Nachtrag vom 18.6.1991 eine Höchstdeckungssumme von 500.000,- DM je Versicherungsfall vereinbart wurde. Dem Vertrag lagen die allgemeinen Geschäftsbedingungen für die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung von Rechtsanwälten und von Angehörigen der wirtschaftsprüfenden sowie wirtschafts- und steuerberatenden Berufen vom (AVB-RWB) zugrunde.
3Seit 1988 war die Kanzlei der Klägerin für Herrn D steuerberatend tätig, wobei zentraler Tätigkeitsbereich die Fertigung der Umsatzsteuervoranmeldungen und des Umsatzsteuerjahresabschlusses war. Im Jahre 1992 stellte die Klägerin Frau N als Steuerfachgehilfin ein; diese war in der Folgezeit mit der Betreuung des Mandanten D befaßt.
4Im Rahmen ihrer Tätigkeit bereicherte sich Frau N , indem sie den Mandanten D - entgegen der üblichen Gepflogenheiten des Steuerberatungsbüros - aufforderte, Blankoschecks an die Kanzlei zu übersenden. Nachdem Herr D der Aufforderung nachgekommen war, fertigte sie mit Hilfe eines Computerprogramms eine Umsatzsteuervoranmeldung an und setze den dort errechneten Betrag in das ihr durch den Mandanten überlassene Scheckformular ein. Die mit Hilfe des Computers erstellte Umsatzsteuervoranmeldung sandte sie Herrn D zu. Für diesen war dann Berechnungsergebnis der Steuervoranmeldung und spätere Abbuchung im Betrag identisch.
5Zeitgleich fertigte Frau N eine eigene handschriftliche Voranmeldung für den Mandanten N 1 und sorgte durch Angabe falscher Daten dafür, daß keine Umsatzsteuervorauszahlung mehr zu leisten war. Diese Umsatzsteuererklärung sandte sie an das für Herrn D zuständige Finanzamt. Anschließend ließ sie sich den Scheckbetrag auf ihrem eigenen Konto gutschreiben. Auf diese Weise gelang es Frau N, sich um insgesamt mehr als 1 Mio. zu bereichern. Wegen dieser Vorgänge kam es schließlich zu einem Strafverfahren vor dem Landgericht Freiburg, in welchem Frau N wegen Untreue in 74 Fällen sowie wegen Urkundenfälschung zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde.
6Mit Schreiben vom 15.12.1997 meldete die Klägerin der Beklagten den Vorgang als Haftpflichtfall und fragte Deckung an. Mit Schreiben vom 23.1.1998 lehnte die Beklagte unter Hinweis auf ihre AVB-RWB den Versicherungsschutz für den Haftpflichtfall D ab.
7Der geschädigte Mandant der Versicherungsnehmerin, Herr D, erhob gegen die Klägerin und ihre Angestellte Frau N beim LG Freiburg Klage auf Schadensersatz in Höhe von 795.046,52 DM. Das Landgericht gab der Klage mit Urteil vom 26.3.1999 statt. Das LG Freiburgs vertrat dabei die Auffassung, die Klägerin habe für das Fehlverhalten ihrer Mitarbeiterin gemäß § 278 Satz 1 BGB zu haften, weshalb Herrn D ein Anspruch auf die streitgegenständliche Summe aus positiver Vertragsverletzung zustehe.
8Gegen dieses Urteil legte die Klägerin Berufung beim OLG Karlsruhe ein. Zwischenzeitlich sagte die Beklagte der Kläger in einem Schreiben vom 21.1. 2000 zu, daß sie bis zum Ablauf eines Monats nach Zustellung der Entscheidung des mit dem Haftpflichtprozeß befaßten OLG Karlsruhe auf die Geltendmachung der Einrede der Verjährung verzichten werde.
9In der Sitzung des OLG Karlsruhe vom 5.4.2001 schlossen die Parteien sodann einen Vergleich, in dem sich die Klägerin zum Ausgleich aller zwischen ihr und Herrn D bestehenden Rechtsverhältnis verpflichtete, an diesen 650.000 DM bis spätestens 31.10.2001 zu zahlen. Der Vergleich enthielt in seiner Schlußklausel ein gestaffeltes Widerrufsrecht, wonach das Finanzamt Freiburg Land als Streithelfer bis zum 18.4.2001, der Kläger des damaligen Verfahrens, Herr D, bis zum 27.4.2001 und die Beklagte (und Klägerin des vorliegenden Verfahrens) bis zum 14.5.2001 den geschlossenen Vergleich widerrufen konnten. Keiner der Beteiligten nutzte das Widerrufsrecht aus.
10Die Klägerin behauptet, sie habe ihre Leistungsverpflichtung aus dem Vergleich vom 5.4.1999 gegenüber Herrn D erfüllt. Hinsichtlich des schadensauslösenden Ereignisses ist sie der Ansicht, ihr sei es unmöglich gewesen, zu bemerken, daß ihre Mitarbeiterin Frau N Mandanten D betrog und seine Gelder veruntreute.
11Sie ist der Auffassung, daß ihr Anspruch aus dem Versicherungsvertrag weder aufgrund § 4 Ziff. 5 AVB-RWB noch wegen § 4 Ziff. 6 AVB-RWB ausgeschlossen sei. Ebensowenig stehe dem Anspruch die Einrede der Verjährung entgegen.
12Die Klägerin beantragt,
13die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 500.000,- DM nebst 4 % Zinsen seit dem 24.1.1998 zu zahlen.
14Der Beklagte beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Die Beklagte ist der Auffassung, daß der Klägerin aufgrund des streitgegenständlichen Vorganges kein Vermögensschaden entstanden sei. Vielmehr liege ein Sachschaden vor, der von der vertraglich geschuldeten Leistung nicht mehr umfaßt sei. Zudem habe die Klägerin diesen Schaden nicht schuldhaft herbeigeführt, weshalb ein Anspruch der Klägerin nicht bestehen könne. Sie ist des weiteren der Ansicht, daß einem etwaig bestehenden Anspruch jedenfalls die Einrede der Verjährung entgegenstehe, und erhebt die entsprechende Einrede.
17Wegen weiterer Einzelheiten wird auf das schriftsätzliche Vorbringen der Parteien und ihre zu den Akten gereichten Unterlagen Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
18E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
19Die Klage ist nicht begründet.
20Die Klägerin hat aus dem streitgegenständlichen Versicherungsvertrag im Hinblick auf das Fehlverhalten ihrer Angestellten N keinerlei Ansprüche gegen die Beklagte.
21Der Kammer erscheint es schon fraglich, ob nach dem eigenen Vortrag der Beklagten überhaupt ein Versicherungsfall gegeben ist. Denn legt man ihre eigene Sachdarstellung der Dinge zugrunde, war ihr kein Verschuldensvorwurf zu machen, so daß auch keinerlei Ersatzansprüche des Herrn D bestanden, für die die Beklagte eintrittspflichtig sein könnte.
22Auf eine Klärung dieses Punktes kam es indes nicht an. Denn selbst wenn man der Rechtsansicht des LG Freiburg folgen wollte, ist eine Haftung der Beklagten jedenfalls im Hinblick auf den Ausschlußgrund des § 4 Ziff. 5 AVB-RWB nicht gegeben; zudem hat die Beklagte zu Recht die Einrede der Verjährung erhoben.
23Nach § 4 Ziff. 5 AVB-RWB bezieht sich der Versicherungsschutz nicht auf Haftpflichtansprüche wegen Schäden, die durch Fehlbeträge bei der Kassenführung, durch Verstöße beim Zahlungsakt oder durch Veruntreuung durch das Personal des Versicherten entstehen. Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Frau N hat sich gegenüber Herrn D in Ausübung ihrer Tätigkeit für das Steuerbüro der Klägerin der Untreue gemäß § 266 Abs. 1 StGB strafbar gemacht. Infolgedessen ist die Klägerin durch Herrn D auf Zahlung in Anspruch genommen worden.
24Soweit die Klägerin der Ansicht ist, die von der Mitarbeiterin der Klägerin begangene Untreue erfülle keine der in § 4 Ziff. 5 AVB-RWB aufgeführten Varianten, insbesondere nicht den Fall der "Veruntreuung", da dieser sich alleine auf den Veruntreuungstatbestand des § 246 Abs. 2 StGB beziehe, kann dem die Kammer nicht folgen. Zwar ist die Mitarbeiterin Frau N vom LG Freiburg lediglich wegen Untreue und Urkundenfälschung, nicht hingegen wegen veruntreuender Unterschlagung im Sinne des § 246 Abs. 2 StGB verurteilt worden. Nach Auffassung der Kammer ist das Wort "Veruntreuung" jedoch nicht eng auszulegen, sondern vielmehr dahin gehend zu verstehen, daß jedweder Untreuetatbestand im Sinne strafrechtlicher Regelungen erfaßt sein soll.
25Für dieses Verständnis der genannten Ausschlußklausel spricht sowohl die systematische Stellung des Begriffs "Veruntreuung" als auch ihr Sinn und Zweck. Der Variante der "Veruntreuung durch das Personal des Versicherungsnehmers" sind in § 4 Ziff. 5 AVB-RWB nämlich die Ausschlußvarianten "Fehlbeträge bei der Kassenführung und "Verstöße beim Zahlungsakt" durch das Personal vorangestellt. Beide Fälle betreffen Handlungsweisen, die sich dadurch auszeichnen, daß sie geeignet sind, den Tatbestand der Untreue im Sinne des § 266 StGB zu erfüllen. Es liegt daher nahe, auch die dritte Fallvariante in diesem Zusammenhang zu sehen.
26Die Ausschlußklauseln in den AVB-RWB zielen im übrigen erkennbar darauf ab, daß solche Verhaltensweisen von Mitarbeitern der Versicherungsnehmer zu Sanktionen führen sollen, die einen Vermögensschaden beim Versicherer unter Ausnutzung der ihnen im Rahmen ihrer Tätigkeit eingeräumten Vertrauensstellung herbeiführen. Vor diesem Hintergrund würde es nach Auffassung der Kammer keinen Sinn machen, allein den Tatbestand des § 246 Abs. 2 StGB unter die Ausschlußklausel zu subsumieren, das schon ausweislich des Strafrahmens gleich zu bewertende kriminelle Verhalten der "echten" Untreue nach § 266 StGB aber außen vor zu lassen.
27Diesem Verständnis steht - entgegen der Ansicht der Klägerseite - auch nicht der Wortlaut des § 4 Ziff. 5 AVB-RWB zwingend entgegen. Auch wenn der Gesetzgeber das Wort "veruntreuen" alleine für die Handlungsalternative des § 246 Abs. 2 StGB verwendet hat, macht der allgemeine Sprachgebrauch keinerlei entsprechende Differenzierung, versteht vielmehr unter diesem Begriff auch solche Handlungen, die das Strafgesetzbuch unter § 266 StGB einordnet. Es erscheint der Kammer daher zu weitgehend, die strafrechtliche Begrifflichkeit als für Formulierungen in allgemeinen Geschäftsbedingungen bindend anzusehen. Insoweit sei auch auf den Grundsatz der Relativität der Rechtsbegriffe hingewiesen, wonach eine Begrifflichkeit in zwei verschiedenen Rechtsbereich durchaus unterschiedliche Bedeutung haben kann.
28§ 4 Ziff. 5 AVB-RWB ist auch wirksam in das zwischen den Parteien bestehende Vertragsverhältnis einbezogen worden. Insbesondere verstößt die Vorschrift nicht gegen § 9 Abs. 1 oder Abs. 2 in Verbindung mit § 5 AGBG. Die Klauseln sind insoweit weder als mit Treu und Glauben unvereinbar noch als den Vertragszweck beeinträchtigend und auch nicht als überraschend anzusehen; sie erscheinen im Gegenteil als sachlich durchaus geboten. Dies wurde im Rahmen intensiver Untersuchung und Auseinandersetzung mit diesem Regelwerk durch das Bundesaufsichtsamt und in zahlreichen Entscheidungen festgestellt (BGH VersR 86, 647; BGH VersR 87; OLG Köln VersR 90, 191; OLG Köln RuS 89, 213). Zwar ist diese Beurteilung nicht bindend; die Klägerin hat jedoch keinerlei Gesichtspunkte vorgebracht, die vor der Hintergrund der höchstrichterlichen Rechtsprechung zu neuen Überlegungen Anlaß geben könnte.
29Unterfällt mithin der streitgegenständliche Schadensfall der Ausschlußregelung des § 4 Ziff. 5 AVB-RWB, so entfällt ein Anspruch der Klägerin im übrigen deshalb, weil sich die Beklagte - jedenfalls nach Aktenlage im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung - in rechtliche nicht angreifbarer Weise auf die Einrede der Verjährung beruft. Soweit die Klägerin nämlich der Ansicht ist, ihre Ansprüche seien nicht verjährt, geht dies nach Auffassung der Kammer fehl.
30Soweit sich die Klägerin in diesem Zusammenhang darauf beruft, daß nach der Zusage der Beklagten der Einwand der Verjährung bis einen Monat nach Rechtskraft der zu ausstehenden Entscheidung des OLG Karlsruhe nicht geltend gemacht werde, eine rechtskräftige Entscheidung aber gar nicht ergangen sei, (so daß - wie sie offenbar meint - besagter Monat gar nicht zu laufen begonnen habe,) erscheint dies als unangemessene Überbetonung des Wortlauts, die der gebotenen Auslegung nicht standhält. Denn wenn auch das Verfahren nicht durch Urteil, sondern durch Vergleich beendet wurde, hinderte dies den Beginn der nachgelassenen Monatsfrist nicht, muß doch nach dem erkennbaren Willen der Beklagten die Rechtskraft des Vergleichs der konkret angesprochenen Rechtskraft eines Urteils gleichgestellt werden.
31Wenn sich die Beklagte vor dem Hintergrund des laufenden Verfahrens darauf eingelassen hatte, daß sie bis zum Ablauf eines Monats nach Zustellung der Entscheidung des mit dem Haftpflichtprozeß befaßten OLG Karlsruhe auf die Geltendmachung der Einrede der Verjährung verzichten werde, so sollte damit erkennbar zum Ausdruck gebracht werden, daß die Klägerin nach Verfahrensbeendigung einen Monat Zeit haben sollte, den Umfang ihrer eigenen Haftung zu sichten und zu prüfen, inwieweit sie Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag der Parteien geltend machen solle. Entsprechende Klarheit über die Situation wäre mit einem Urteil des OLG Karlsruhe aber ebenso verbunden gewesen wie mit der konkreten Erledigung des Rechtsstreits durch Vergleich, so daß es erkennbar auch entscheidend auf den Verfahrensabschluß, nicht aber auf dessen Form ankommen konnte.
32War mithin die fragliche Formulierung dahin gehend auszulegen, daß nicht nur der Abschluß des Rechtsstreits durch ein Urteil, sondern auch die bindende Beendigung im Vergleichswege besagte Monatsfrist auslösen sollte, so ist hier eine Verjährung eingetreten. Denn mit Ablauf der Widerrufsfrist auf seiten der Widerspruchsberechtigten, des Finanzamtes Freiburg und des Herrn D, spätestens jedoch mit Ablauf der eigenen Frist für die Einlegung eines Widerspruchs am 14.5.2001, hatte die Klägerin Kenntnis über die Höhe des ihr aus den Vorgängen entstandenen Vermögensschadens. Die Klage wurde jedoch erst am 18.6.2001 und damit mehr als einen Monat nach Abschluß des Rechtsstreits zwischen der Klägerin und Herrn D anhängig gemacht.
33Allerdings hat die Klägerin in einem nicht nachgelassenen Schriftsatz vorgetragen, daß sich die Verjährungssituation tatsächlich ganz anders darstelle. Die Frage, ob dieser - der Kammer erst zwei Tage vor Verkündung des vorliegenden Urteils zugegangene - Schriftsatz noch Beachtung finden durfte (die Kammer neigt dazu, die Vorschrift des § 296a ZPO für einschlägig zu erachten, da die Verjährungsproblematik beklagtenseits eindeutig und mit für sich zutreffender Begründung in den Prozeß eingeführt war, die Ausführungen der Kammer in der mündlichen Verhandlung mithin an sich nicht "überraschend" sein konnten), bedurfte hier jedoch keiner näheren Klärung, da die Klage - wie ausgeführt - schon aus anderen Gründen abweisungsreif ist.
34Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 709 ZPO.
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