Urteil vom Landgericht Köln - 9 S 34/02
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 17.1.2002 verkündete Urteil des Amtsgerichts Wipperfürth - 1 C 356/01 - aufgehoben.
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.000,-- DM nebst Zinsen in Höhe von 5% über dem Basiszinssatz nach § 1 Diskontsatzüberleitungsgesetz seit dem 24.08.2001 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu tragen.
1
(Von der Darstellung eines Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 ZPO a. F. abgesehen.)
2Entscheidungsgründe:
3Die in formeller Hinsicht nicht zu beanstandende Berufung hat auch in der Sache Erfolg.
4I.
5Der mit der Klage verfolgte Anspruch steht der Klägerin aus positiver Forderungsverletzung des zwischen dem Beklagten und dem Geschädigten, Herrn L, geschlossenen Werkvertrages zu.
61.
7Dieser Werkvertrag entfaltet Schutzwirkung zugunsten der Klägerin. Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts ist der Kfz.-Haftpflichtversicherer in der Regel in den Schutzbereich des Vertrages zwischen dem Geschädigten und dem von ihm beauftragten Kfz-Sachverständigen einbezogen. Dieser mittlerweile allgemeinen Meinung in Rechtsprechung und Literatur (OLG München, r + s 1990, S. 273, 274; LG Mainz, ZfS 1999, S. 379; LG Bochum, NJW-RR 1993, S. 29; LG Stuttgart, ZfS 1992, S. 51; Palandt/Heinrichs, BGB, 61. Auflage, § 328, Rz. 34; Staudinger/Jagmann, BGB, Neubearbeitung 2001, § 328, Rz. 139; Steffen, DAR 1997, S. 297, 298; Nickel, ZfS 1998, S. 409, 410) schließt sich auch die Kammer an. In diesem Zusammenhang kommt es - entgegen der Ansicht des Amtsgerichts - nicht darauf an, ob der Sachverständige öffentlich bestellt ist oder nicht. Zwar wird vereinzelt vertreten, dass nur staatlich anerkannte - oder vergleichbare Anerkennung genießende - Sachverständige besonderes Vertrauen in Anspruch nehmen könnten, das eine Erstreckung der Haftung auf Dritte gerechtfertigt erscheinen lasse (OLG Dresden, NJW-RR 2001, S. 1001, 1002, für die Bewertung eines Grundstücks durch einen Verkehrswertgutachter). Diese Auffassung wird indes vom Bundesgerichtshof nicht geteilt (BGH, NJW 2001, S. 514, 516, für einen Bodengutachter). Für die Haftung "privater" Kfz-Sachverständiger kann sie im übrigen schon deshalb nicht gelten, weil deren Gutachten nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wegen der Dispositionsfreiheit des Geschädigten nach § 249 S. 2 BGB in der Regel bindende Grundlage für die Regulierung durch den Haftpflichtversicherer sind (Steffen, DAR 1997, S. 297, 298; Palandt/Heinrichs, BGB, 61. Auflage, § 328, Rz. 34).
8Nicht anders ist auch der vorliegende Fall zu beurteilen. Die erforderliche "Leistungsnähe" ist gegeben, weil der Geschädigte den Beklagten gerade zu dem Zweck beauftragt hat, seine Ansprüche gegenüber der Klägerin als Haftpflichtversicherung des Schädigers beziffern zu können. Dies war für den Beklagten auch erkennbar, wie sich insbesondere aus der Überschrift des Gutachtens, "Haftpflichtschaden", ergibt. Die Klägerin ist auch schutzwürdig, weil sie nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs wegen der Dispositionsbefugnis des Geschädigten unter Umständen verpflichtet sein kann, auf der Basis der in dem Gutachten ermittelten Werte den Schaden zu regulieren, ohne dass es etwa darauf ankäme, ob der Geschädigte tatsächlich ein Ersatzfahrzeug beschafft. In der weitaus überwiegenden Zahl der Fälle wird auch im Vertrauen auf die Richtigkeit der im Gutachten angegebenen Werte reguliert. Insbesondere genügt der Geschädigte bei der Ersatzbeschaffung in der Regel dem Gebot der Wirtschaftlichkeit, wenn er im Totalschadenfall das Unfallfahrzeug zu dem in einem Sachverständigengutachten ausgewiesenen Restwert verkauft oder in Zahlung gibt Die Versicherung kann ihn dann in aller Regel nicht auf eine günstigere Regulierungsmöglichkeit verweisen (BGH, NJW 2000, S. 800, 802).
92.
10Der Beklagte hat die ihm obliegende Pflicht zur gewissenhaften Ermittlung des Restwertes auch schuldhaft verletzt. Der Sachverständige muß seine Restwertprognose auf der Basis von Angeboten örtlicher Gebrauchtwagenhändler abgeben (Steffen, DAR 1997, S. 297, 300). Das bedeutet, dass er solche Angebote auch tatsächlich einholen muss. Dass der Beklagte dies vorliegend getan hätte, hat er nicht substantiiert dargelegt. Das von ihm erstattete Gutachten vom 24.02.2000 sagt hierzu nichts. Der Prozessvortrag des Beklagten ist in diesem Punkt lediglich pauschal. Insbesondere wird nicht ein einziges der angeblich drei eingeholten Angebote genauer nach Datum, Anbieter und Höhe spezifiziert. Eines Hinweises auf die mangelnde Substantiierung bedurfte es nicht, weil bereits die Klägerin hierauf mit Schriftsatz vom 13.12.2001 (Bl. 49 d. A.) hingewiesen hat.
113.
12Die Pflichtverletzung geschah auch schuldhaft. Zwar ist dem Sachverständigen ein Beurteilungsspielraum bei der Ermittlung des Restwertes zuzubilligen (LG Bochum, NJW-RR 1993, S. 29; LG Stuttgart, ZfS 1992, S. 51, 52; Steffen, ZfS 1997, S. 297, 301). Dieser Beurteilungsspielraum ist jedoch überschritten, wenn die vom Sachverständigen festgestellte untere Wertgrenze den tatsächlichen Wert um die Hälfte unterschreitet (vgl. zu einem ähnlichen Fall LG Bochum, NJW-RR 1993, S. 29). Dies ist hier der Fall.
13Der tatsächliche Restwert ist hier mit 6.000,-- DM zu bemessen. Die Klägerin hat substantiiert vorgetragen, dass ihr Restwertangebote zwischen 5.500,-- DM und 8.000,-- DM vorgelegen haben und diesen Vortrag durch die Vorlage der entsprechenden Angebote (Bl. 30, 31 d.A.) sowie des von ihr eingeholten Privatgutachtens der E GmbH vom 05.07.2000 (Bl. 32 ff.) belegt. Dem ist der Beklagte nicht substantiiert entgegen getreten. Insbesondere hat er es unterlassen, die von ihm angeblich eingeholten Restwertangebote näher nach Zeitpunkt, Anbieter und Höhe zu spezifizieren, geschweige denn diese Angebote in schriftlicher Form vorzulegen. Dies läßt den Schluss zu, dass der Vortrag des Beklagten zum Restwert lediglich ins Blaue hinein erfolgt ist. Aus diesem Grunde kann er sich auch nicht darauf berufen, dass der Unfall in der Winterzeit passiert ist und zu dieser Zeit die Nachfrage nach Fahrzeugen gering ist. Es ist nicht ersichtlich, wie sich dieser Umstand hier ausgewirkt haben soll.
14Die Klägerin muss sich nicht entgegenhalten lassen, dass sie bei der Einholung von Restwertangeboten - auch - auf spezielle Restwertaufkäufer zurückgegriffen hat. Denn jedenfalls entstammt zumindest ein Teil der von ihr vorgelegten Angebote dem für jedermann zugänglichen Gebrauchtwagenmarkt. Dies gilt insbesondere für die in dem Gutachten der E GmbH vom 05.07.2000 aufgeführten Angebote der N Niederlassung Köln und der Fa. T. Im übrigen hat der Beklagte nicht vorgetragen, welche der von der Klägerin eingeholten und zur Gerichtsakte gereichten Angebote von speziellen Restwertaufkäufern stammen. Dies ergibt sich aus den Angeboten selbst nicht.
154.
16Ein Mitverschuldensvorwurf trifft die Klägerin nicht.
17Angesichts der insbesondere aufgrund der dem Gutachten beigefügten Lichtbilder gleichsam ins Auge springenden Eindeutigkeit der unzutreffenden Wertermittlung durch den Beklagten sowie der Tatsache, dass die Klägerin als Haftpflichtversicherer zumindest über eine gewisse eigene Sachkunde bei der Beurteilung von Fahrzeugwerten verfügt, war sie gehalten, sogleich nach Eingang des Gutachtens zu reagieren und eigene Ermittlungen zum Restwert anzustellen. Dies hat die Klägerin getan, denn sie hat nach ihrem unwidersprochen gebliebenen Vortrag sogleich ein alternatives Restwertangebot der Fa. L1 eingeholt und dieses am 08.03.2000 an den Geschädigten und an dessen Bevollmächtigten versandt. Nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag der Klägerin hat dieses Restwertangebot den Geschädigten allerdings erst erreicht, nachdem dieser das Fahrzeug am 11.03.2000 bereits zu dem in dem Gutachten des Klägers vom 24.02.2000 genannten Restwert veräußert hatte. Dass die Klägerin dies hätte verhindern können, ist nicht ersichtlich. Die Kammer ist - anders als der Beklagte - insbesondere nicht der Auffassung, dass die Klägerin das Restwertangebot per Fax an den ihr bekannten Bevollmächtigten des Geschädigten hätte versenden müssen, um so sicherzustellen, dass das Schreiben den Geschädigten vor einer Veräußerung erreichen würde. Denn zum einen ist nicht ersichtlich, dass der Klägerin erkennbar war, dass ein Verkauf des Fahrzeuges unmittelbar bevorstand. Zum anderen durfte die Klägerin auch angesichts der gewöhnlichen Postlaufzeit von einem bis zwei Werktagen damit rechnen, dass ihr Schreiben vom 08.03.2000 den Geschädigten umgehend erreichen würde.
18Die Klägerin muss sich auch nicht ein etwaiges Verschulden des Geschädigten zurechnen lassen. Denn ein solches Verschulden ist nicht ersichtlich. Wie die Klägerin unwidersprochen vorgetragen hat, ist das Restwertangebot der Fa. L1 dem Geschädigten erst nach der Veräußerung des Fahrzeuges zugegangen, so dass er dieses Angebot nicht mehr berücksichtigen konnte.
19Darauf, ob die Klägerin tatsächlich auf die Richtigkeit der Wertermittlung durch den Beklagten vertraut hat, kommt es demgegenüber im Rahmen des hier zu erörternden Anspruchs aus p. F. V. nicht an.
205.
21Der ersatzfähige Schaden der Klägerin beträgt 1.533,88 EUR (= 3.000,-- DM). Hätte der Beklagte den Restwert zutreffend mit 6.000,-- DM ermittelt, dann hätte sich der an den Geschädigten auszukehrende Betrag um 3.000,-- DM vermindert.
22II.
23Der Zinsanspruch folgt aus §§ 284 Abs. 1 Satz 2, 288 Abs. 1 BGB.
24Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
25Berufungsstreitwert: 1.533,88 EUR (= 3.000,-- DM)
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