Urteil vom Landgericht Köln - 24 S 81/02
Tenor
Das Urteil des Amtsgerichts Köln vom 30.10.2002 - 265 C 325/02 - wird wie folgt abgeändert: Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4.406,13 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18.4.2002 zu zahlen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
1
Gründe:
2Die zulässige Berufung ist begründet. Dem Kläger steht aus dem zwischen den Parteien bestehenden Fahrzeugvollversicherungsvertrag der geltend gemachte Entschädigungsanspruch gegen die Beklagte zu (§§ 1, 49 VVG).
3I. Der Kläger macht Ansprüche aus einer zwischen den Parteien bestehenden Vollkaskoversicherung für sein Kfz mit dem amtlichen Kennzeichen ###### geltend, das bei einem Verkehrsunfall vom 17.12.2000 in Köln im Bereich N-Straße. / H-Str. beschädigt wurde. Die von der Beklagten gutachtlich ermittelten Reparaturkosten beziffern sich auf 4.406,13 EUR. Zum Unfall war es gekommen, weil der Kläger mit seinem Fahrzeug, in dem sich außer ihm noch sein Sohn befand, unter Missachtung des für ihn geltenden Rotlichts in den Kreuzungsbereich eingefahren und dort mit einem anderen Fahrzeug kollidiert war. Im Bußgeldverfahren wurde er deshalb zu einer Geldbuße von 250,- DM und einem Fahrverbot von einem Monat verurteil. Hierzu trägt der Kläger vor, er habe zunächst wegen des Rotlichts der Ampel angehalten, sei dann aber durch Sonnenlichteinstrahlung auf die Ampel irritiert gewesen, zudem habe hinter ihm ein Autofahrer gehupt und es sei die einige Meter hinter dem Kreuzungsbereich postierte weitere Ampel bereits auf Grün umgeschlagen. Daher sei er in der irrigen Auffasung, er habe Grünlicht, in den Kreuzungsbereich eingefahren.
4Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen; die Beklagte sei wegen grober Fahrlässigkeit des Klägers leistungsfrei.
5Der Kläger beantragt,
6wie erkannt.
7Die Beklagte beantragt,
8die Berufung zurückzuweisen.
9Die Beklagte hält dafür, dass sie leistungsfrei sei wegen grob fahrlässigen Verhaltens des Klägers. Dieser habe sich erst vergewissern müssen, ob die für ihn entscheidende Ampel tatsächlich Grünlich gezeigt habe, zumal wenn er sich aufgrund des Sonnenlichts irritiert gefühlt habe. Soweit sich das Amtsgericht dem angeschlossen habe, sei dies aufgrund einer tatrichterlichen Würdigung der Angaben im Bußgeldverfahren geschehen. Davon könne ohne erneute Beweisaufnahme nicht abgerückt werden. Die Abgrenzung einfache - grobe Fahrlässigkeit sei der tatrichterlichen Würdigung im Einzelfall zu überlassen.
10Die Beklagte hat einen nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 19.11.2003 zur Akte gereicht.
11II. Das Verhalten des Klägers, das zum Unfall und damit zum Versicherungsfall führte, ist nach Auffassung der Kammer nicht als grob fahrlässig zu bezeichnen.
12Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Unständen in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Im Gegensatz zur einfachen Fahrlässigkeit muss es sich bei einem grob fahrlässigen Verhalten um ein auch in subjektiver Hinsicht unentschuldbares Fehlverhalten handeln, das ein gewöhnliches Maß übersteigt. Von dieser Begriffsbestimmung geht auch gerade § 61 VVG aus. Danach soll der Versicherungsnehmer, der sich in Bezug auf das versicherte Interesse völlig sorglos oder sogar unlauter verhält, keine unverdiente Vergünstigung erhalten (vgl. jüngst etwa BGH, NJW 2003, 1118 ff. m.w.N.). Dabei wird das Nichtbeachten des roten Ampellichts wegen der damit verbundenen Gefahren in aller Regel objektiv als grob fahrlässig zu bezeichnen sein. Nach den jeweiligen Umständen kann es jedoch schon an den Voraussetzungen dieser objektiven Feststellung, jedenfalls aber an denen der subjektiven Feststellung fehlen. Wenn auch der Versicherer die generelle Beweislast der Voraussetzungen der groben Fahrlässigkeit trägt, trifft den Versicherungsnehmer eine Substantiierungslast, da der streitige Geschehensablauf dem Versicherer naturgemäß nicht bekannt ist (BGH, a.a.O.). Der Versicherungsnehmer muss die ihn entlastenden Umstände darlegen; der Versicherer muss diese dann widerlegen (vgl. etwa OLG Köln, r+s 2001, 318; NZV 2003, 138 m.w.N.).
13Nach Auffassung der Kammer ist der Kläger hier seiner Substantiierungslast in einer Weise nachgekommen, die den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit, der objektiv allein in dem Umstand des Rotlichtverstoßes festgemacht werden kann, entfällt. Schon unstreitig steht zum einen fest, dass kurz hinter der für den Kläger maßgeblichen Ampel eine weitere Ampelanlage stand, so dass es zumindest nicht abwegig ist, dass der Kläger durch diese Ampelanlage irritiert worden ist, mögen die näheren Umstände hierzu auch streitig sein. Mag man insoweit zwar generell von einer besonderen Sorgfalt des Versicherungsnehmers ausgehen, gerade auf die für ihn entscheidende Ampel zu achten, so setzt die Annahme dieser Sorgfaltspflicht jedoch voraus, dass dem Versicherungsnehmer überhaupt bewusst war, dass er irriert werden könnte. Dies kann bei unübersichtlichen Ampelschaltungen wie bei der irrigen, sonnenlichtbedingten Annahme, das Grünlicht scheine auf, fraglich sein. Wenn man eine Verpflichtung statuiert, sich auf Grund des reflektierenden Sonnenlichts besonders zu vergewissern, ob die Ampel Grünlich zeigt, dann setzt dies voraus, dass der Versicherungsnehmer überhaupt bemerkt, dass die Sonne die Ampel derart anstrahlt, dass die einzelnen Ampelphasen nicht deutlich zu erkennen sind. Daran kann es im Einzelfall fehlen. Oft wird dem Versicherungsnehmer erst nach Überfahren der Ampel klar geworden sein, dass er einem Irrtum unterlag.
14Ob dies hier so war, kann jedoch dahinstehen. Unstreitig liegen nämlich neben der vorstehend beschriebenen weiteren Ampelanlage, die den Kläger irritiert haben mag, weitere - entscheidende Umstände - vor, die in der Gesamtschau nicht erkennen lassen, dass sich der Kläger in Bezug auf das versicherte Risiko -das Auto- völlig sorglos oder gar unlauter verhalten hat.
15Zum einen ist in die Gesamtwertung einzubeziehen, dass der Kläger mit seinem 12-jährigen Sohn unterwegs war. Mag dies auch nicht generell gegen ein augenblickliches Versagen sprechen, das allein nicht geeignet ist, den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit entfallen zu lassen (BGH, a.a.O.), so indiziert ein solcher Umstand doch, dass der Kläger nicht völlig sorglos dahergefahren sein mag. Das stellt auch die Beklagte nicht in Abrede. Zum anderen, trägt der Kläger unbestritten vor, zunächst an der für ihn maßgeblichen Ampel angehalten zu haben. Dies ist der entscheidende Umstand, der den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit entfallen ist.
16Nach der Entscheidung des BGH vom 29.1.2003 (a.a.O.) kann in einem solchen Fall, dass ein Versicherungsnehmer zunächst bei "Rot" angehalten hat und dann in der irrigen Annahme, es sei für ihn "Grün", wieder angefahren ist, der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit entfallen.
17Dieser entscheidende Umstand des Geschehens ist unstreitig.
18Die Beklagte ist diesem Vortrag des Klägers nicht erheblich entgegen getreten. Nach den tatbestandlichen Feststellungen der angegriffenen Entscheidung hat erstinstanzlich insoweit lediglich bestritten, dass der Kläger an der für ihn maßgeblichen Ampel aufgrund einer Beeinträchtigung durch Sonnenlicht nicht habe losfahren dürfen. Dies deckt sich mit ihren Ausführungen in der Klageerwiderung, in der die Beklagte gerade in dem Umstand des zunächst erfolgten Anhaltens lediglich keinen entlastenden Umstand ausmachte. Im Übrigen hat sie in der Klageerwiderung Bezug genommen auf die bußgeldrichterlichen Feststellungen, die auch von einem zunächst erfolgten Anhalten des Klägers ausgehen. In der Berufungserwiderung hat sie ebenfalls nur die äußeren Umstände (Sonnenlichteinstrahlung, Hupen des hinter dem Kläger stehenden Fahrzeugs) bestritten, nicht jedoch ausdrücklich das Anhalten des Klägers. Sofern sie im Laufe des Berufungsverfahrens dessen "rechtstreues Verhalten" bestritten hat, hat sie dies nicht erkennbar auf den Umstand des Anhaltens bezogen. Erst im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 19.11.2003 hat sie -wohl auf den Vorhalt der Kammer hin- erstmals ausdrücklich bestritten, dass der Kläger überhaupt zunächst an der für ihn maßgeblichen Ampel angehalten hat. Dieser Vortrag war nach § 296a ZPO nicht mehr zu berücksichtigen. Er gibt auch keinen Anlass, die mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen. Die Beklagte setzt sich mit diesem Bestreiten nämlich in Widerspruch zu ihrem Vortrag schon in der Klageerwiderung, in der sie gerade von der Richtigkeit der bußgeldrichterlichen Feststellungen ausgegangen ist.
19Steht jedoch fest und bedarf damit keiner Aufklärung durch eine Beweisanordnung, dass der Kläger zunächst angehalten hat, dann muss er -nicht zuletzt aufgrund des Umstandes, dass er seinen Sohn im Auto dabei hatte- allein durch Irritation losgefahren sein in der -irrigen- Vorstellung, seine Ampel zeige Grünlicht. Er hat damit zwar fahrlässig gehandelt, jedoch nicht völlig sorglos. Folgte man hierzu der Betrachtungsweise der Beklagten, dann müsste man von dem Grundsatz ausgehen, dass jeder Rotlichtverstoß generell grob fahrlässig ist, was nach der jüngsten Entscheidung des BGH gerade nicht (mehr) angenommen werden kann. Was als tatentscheidender Umstand als unstreitig gewertet werden kann, bedarf keiner weiteren Aufklärung. Insofern ist es der Kammer nicht verwehrt, ohne Beweisaufnahme vom amtsgerichtlichen Urteil abzuweichen.
20Auf die Sonnenlichtreflektion durch die Ampel kommt es ebenso wenig an wie auf den vom Kläger behaupteten Umstand, das Fahrzeug hinter ihm habe ihn durch Hupen zum Losfahren bewegt, der ihn im Übrigen noch mehr entlasten würde.
21Da die Schadenshöhe unstreitig ist, war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Beklagte antragsgemäß zu verurteilen. Die Nebenforderung ergibt sich aus Verzug, nachdem die Beklagte unter dem 11.4.2002 die Leistung abgelehnt hatte.
22Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91, 708 Nr. 11, 713 ZPO.
23Streitwert für das Berufungsverfahren: 4.406,13 EUR
24Landgericht Köln, 24. Zivilkammer
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