Urteil vom Landgericht Köln - 91 O 252/02
Tenor
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 11.782.467,22 € (=23.044.504,43 DM) nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz der Eu-ropäischen Zentralbank seit dem 12.6.2001 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklage.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
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T a t b e s t a n d : Der Kläger, der durch Beschluss des Amtsgerichts Marburg / Lahn vom 01.06.2001 zum Insolvenzverwalter über das Vermögen der U2 AG, Marburg (nachfolgend Insolvenzschuldnerin genannt) bestellt worden ist, begehrt Rückzahlung von 23.044.504,43 DM nach Insolvenzanfechtung (§§ 130 Abs. 1 Nr. 1, 130 Abs. 2 InsO), die die Insolvenzschuldnerin am 30.03.2001 zwei Tage vor der Eröffnung des vorläufigen Insolvenzverfahrens am 02.04.2001 an die Beklagte zahlte.
2Die Insolvenzschuldnerin betrieb ein Telekommunikationsunternehmen mit eigenem Telekommunikationsverbindungsnetz, welches für Ferngespräche genutzt werden kann. Die Beklagte ist deutschlandweit die größte Betreiberin eines Telekommunikationsnetz mit einem Anteil an Festnetzanschlüssen von über 95 %.
3Aufgrund eines zwischen den Parteien geschlossenen Interconnectionsvertrags schuldeten die Parteien sich gegenseitig unter anderem den Betrieb und Unterhalt sog. Zusammenschaltungsanschlüsse, durch die die Verbindung der beiden Telekommunikationsnetze von Insolvenzschuldnerin und Beklagter sichergestellt und eine netzübergreifende Telekommunikation ermöglicht wird.
4Gegenstand des Vertrages waren neben zusätzlichen und optionalen Zusammenschlussdiensten primär die sog. Basiszusammenschaltungsleistungen. Danach wird ein Gespräch, wenn ein Kunde der Insolvenzschuldnerin ein Ferngespräch führt, über das Telekommunikationsnetz der Beklagten zum Verbindungsnetz der Insolvenzschuldnerin geleitet, die ihrerseits das Gespräch weiter durch ihr eigenes Verbindungsnetz führt und es schließlich zielnah an dasjenige Teilnehmernetz übergibt, an welches der Telefonanschluss des Angerufenen angeschaltet ist.
5Diese von der Beklagten zu erbringenden Basisleistungen waren für die Insolvenzschuldnerin zwingende Voraussetzung für nahezu ihr gesamtes Kerngeschäft; mehr als 95 % der Telefonanschlüsse in Deutschland befinden sich im Netz der Beklagten.
6Die Abrechnung dieser Leistungen hatte vereinbarungsgemäß monatsweise und spätestens bis zum 15. des Folgemonats durch die leistende Partei zu erfolgen, wobei der Rechnungsbetrag 30 Tage nach dem Zugang der Rechnung fällig wurde.
7Für den Fall eines erheblichen Zahlungsverzuges in zwei aufeinander folgenden Monaten sahen die Ziff. 17.5 und 24.3 des Interconnectionsvertrag ein außerordentliches Kündigungsrecht sowie die Möglichkeit einer Sperrung der Interconnectionanschlüsse vor.
8Die Beklagte erbrachte u.a. in den Monaten Dezember 2000 und Januar 2001 an die Insolvenzschuldnerin Leistungen im Rahmen des Interconnectionsvertrags, für die sie mit Rechnung vom 25.01.2001 (Anlage K 6, Bl. 98 d.A.) einen Betrag von 22.021.614,93 DM und mit Rechnung vom 14.02.2001 (Anlage K 7, Bl. 99 d.A.) einen Betrag von 1.022.889,50 DM verlangte.
9Die Liquiditätssituation der Insolvenzschuldnerin entwickelte sich nach dem vom Kläger in Bezug genommenen Gutachten des Wirtschaftsprüfers E im Zeitraum von Oktober 2000 bis März 2001 zunehmend negativ. So stiegen die Verbindlichkeiten der Insolvenzschuldnerin von Oktober 2000 bis Ende März kontinuierlich von ca. 20 Mio. DM auf über 70 Mio. DM an. Dabei nahmen die Verzögerungen bei der Tilgung fälliger Ansprüche der Beklagten zu. So wurden bspw. die Forderungen für Oktober und November 2000 erst 77 Tage nach Rechnungsstellung, diejenige für Dezember 2000 erst nach 65 Tagen beglichen.
10Mehrfach drohte die Beklagte wegen des anhaltenden Zahlungsverzugs ab November 2000 mit Kündigung des Interconnectionsvertrags und der Sperrung der zusammengeschlossenen Anschlüsse.
11Mit den Schreiben vom 27.02.2001 (1. Mahnung) und vom 09.03.2001 (2. Mahnung) wurde auch die Rechnung vom 25.01.2001 für Dezember 2000 über 22.021.614,93 DM angemahnt und eine Sperre der Interconnectionsanschlüsse zum 23.03.2001 im Fall der Nichtzahlung angedroht (Bl. 77 f. d.A.). Mit Schreiben vom 19.03.2001 wurde darüber hinaus die Rechnung vom 14.02.2001 für Januar 2001 über 1.022.889,50 DM angemahnt.
12Die Beklagte stellte schließlich mit Schreiben vom 23.03.2001 gegenüber der Insolvenzschuldnerin fest, dass der am 23.03.2001 angemahnte Betrag noch nicht eingegangen sei und teilte überdies mit, dass Forderungen in Höhe von 97.757.351,57 DM offen stünden. Zur Tilgung zumindest der Hälfte der fälligen Verbindlichkeiten wurde die Insolvenzschuldnerin aufgefordert, zwei gleiche Raten bis zum 02.04.2001 zu zahlen, andernfalls würden der Zusammenschluss gesperrt und die Vertragsbeziehung fristlos gekündigt (Bl. 103 d.A).
13Mit Schreiben vom 28.03.2001 fragte die Beklagte an, ob sie von der Insolvenzschuldnerin für den Fall, dass die Voraussetzungen für eine Abschaltung vorlägen, hiervon frühzeitig informiert werden könne, damit die Beklagte ihren öffentlich-rechtlichen Versorgungsauftrag ordnungsgemäß wahrnehmen könne.
14Am 29.03.2001 legte die Beklagte der Insolvenzschuldnerin den Entwurf einer Zahlungsvereinbarung vor, nach der sich die Insolvenzschuldnerin ab dem Abrechnungsmonat April 2001 zu einer wöchentlichen Vorauszahlung verpflichten und darüber hinaus die Kaufpreisforderung aus dem Verkauf ihrer Mobilfunkaktivitäten an die Beklagte zur Sicherheit abtreten sollte (Anlage K 13, Bl. 106 d.A.).
15Einen Tag vor der streitgegenständlichen Zahlung waren noch Beträge gegenüber der Beklagten in Höhe von über 40 Mio. DM seit mehr als zwei Monaten seit der jeweiligen Rechnungsstellung unbezahlt.
16Die Beklagte kündigte schließlich den Interconnectionsvertrag mit Schreiben vom 30.03.2001 fristlos.
17Am 30.03.2001 um 13:45 Uhr wies die Insolvenzschuldnerin die streitgegenständliche Zahlung in Höhe von 23.044.504,43 DM bei ihrer Hausbank an (Anlage K 16, Bl 111 f. d.A.). Durch diese Zahlung sollten die sich aufgrund der Rechnungen vom 25.01.2001 sowie vom 14.02.2001 ergebenden Vergütungsansprüche der Beklagten über 22.021.614,93 DM sowie über 1.022.889,50 DM getilgt werden. Die Wertstellung dieses Betrages erfolgte aufgrund des elektronischen Buchungssystems noch am selben Tag bei der Beklagten.
18Am Abend des 30.03.2001 führten der Zeuge M für die Insolvenzschuldnerin sowie der Zeuge B für die Beklagte erfolglos persönliche Verhandlungen über die Vereinbarung eines Zahlungsplans, in deren Rahmen von dem Vorstand M der Insolvenzschuldnerin die Übernahme der persönlichen Haftung gefordert wurde.
19Im Anschluss zu diesen Verhandlungen wurde dem Zeugen M ein Schreiben der Beklagten übergeben, in dem es u.a. heißt (Bl. 108 d.A.): "Wie wir in unserem heutigen Gespräch mit Herrn M, Vorstand Technik in ihrem Hause, erfahren haben, ist die Firma U2 nicht in der Lage, die derzeit offenen Forderungen aus der Zusammenschaltungsvereinbarung mit der U AG in Höhe von ca. 100 Mio. DM zu den vereinbarten Fälligkeitsterminen zu begleichen."
20Zum Zeitpunkt der Zahlung ergab sich folgende Liquiditätssituation der Insolvenzschuldnerin: Trotz der streitgegenständlichen Zahlung verblieben noch Forderungen mit einem Gesamtbetrag von mindestens 21 Mio. DM, die seit mehr als zwei Monaten seit der jeweiligen Rechnungsstellung nicht beglichen worden waren. Das Bankguthaben der Insolvenzschuldnerin belief sich am 06.04.2001 auf ca. 13 Mio. DM..
21Die Beklagte sperrte am 31.03.2001 die zusätzlichen und optionalen Zusammenschlussdienste.
22Nachdem die Beklagte am 02.04.2001 angekündigt hatte, auch die Basisleistung ab 18 Uhr sperren zu wollen, leitete das Amtsgericht Marburg noch am selben Tag das Insolvenzeröffnungsverfahren ein und bestellte den Kläger als vorläufigen Insolvenzverwalter mit Anordnung eines Zustimmungsvorbehaltes nach § 21 Abs. 2 Nr. 2 InsO.
23Die Beklagte schaltete gegen Mittag des 5.04.2001 auch die Basiszusammenschaltungsdienste ab.
24Auf Antrag der Insolvenzschuldnerin hin erließ das Landgericht Köln am 17.04.2001 eine einstweilige Verfügung, mit der die Beklagte verpflichtet wurde, diejenigen Leistungen, die Gegenstand der Zusammenschaltungsvereinbarung waren, zu erbringen, wenn und soweit die Insolvenzschuldnerin jeweils wöchentlich eine Vorauszahlung in Höhe von 5 Mio. DM leiste.
25Bis zur Aufhebung dieser einstweiligen Verfügung durch das OLG Köln am 25.05.2001 leistete die Insolvenzschuldnerin an die Beklagte insgesamt Vorauszahlungen in Höhe von 18,1 Mio. DM.
26Nach Aufhebung der einstweiligen Verfügung schaltete die Beklagte die Zugänge der Insolvenzschuldnerin am 29.05.2001 ab.
27Am 01.06.2001 wurde der Kläger zum (endgültigen) Insolvenzverwalter der Insolvenzschuldnerin bestellt und das Insolvenzverfahren eröffnet.
28Nachdem der Kläger die Beklagte mit Schreiben vom 08.06.2001 zur Rückgewähr der streitgegenständlichen Zahlung aufgefordert hatte, lehnte die Beklagte dies mit Schreiben vom 12.06.2001 ab.
29Der Kläger ist der Ansicht, dass eine objektive Zahlungsunfähigkeit der Insolvenzschuldnerin i.S.d. § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO spätestens ab dem vierten Quartal 2000 vorgelegen habe. Er behauptet hierzu, dass die Insolvenzschuldnerin ab diesem Zeitpunkt – wie sich aus dem Gutachten des Wirtschaftsprüfers Reiner E vom 30.10.2001 (Bl. 377 ff. d.A.) ergebe - mindestens 10 % ihrer Zahlungsverpflichtungen nicht mehr habe erfüllen können.
30Er ist darüber hinaus der Ansicht, dass sich die Zahlungsunfähigkeit auch zwingend aus der Vermutung des § 17 Abs. 2 S. 2 InsO ergebe, da zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Zahlung eine Zahlungseinstellung seitens der Insolvenzschuldnerin vorgelegen habe.
31Denn die Insolvenzschuldnerin sei nicht in der Lage gewesen, wesentliche Teile der fälligen Forderungen der Beklagten zu erfüllen.
32Die Zahlungsunfähigkeit sei zudem auch kausal für den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gewesen. Dies ergebe sich nicht zuletzt aus dem Beschluss des Amtsgerichts Marburg über die Eröffnung des Insolvenzverfahrens, der sich auf Zahlungsunfähigkeit i.S.d. § 17 InsO und nicht bloß auf die drohende Zahlungsunfähigkeit i.S.d. § 18 InsO gestützt habe.
33Schließlich habe die Beklagte von der Zahlungsunfähigkeit im Zeitpunkt der streitgegenständlichen Zahlung Kenntnis gehabt.
34Dies sei der Beklagten schon telefonisch durch den ehemaligen Vorstand der Insolvenzschuldnerin, den Zeugen M im Gespräch mit Zeugen Herrn B, einem Arbeitnehmer der Beklagten, mitgeteilt worden, indem der Zeuge M darauf hingewiesen habe, dass die Insolvenzschuldnerin den mit Schreiben vom 19.03.2001 eingeforderten und seit dem 24.02.2001 fälligen Interconnectbetrag in Höhe von 22.021.614,93 DM keinesfalls bis zum 23.03.2001 bezahlen könne.
35Auch die Schreiben der Beklagten vom 23.03.2001 und vom 28.03.2001 (Anlage K 11, Bl. 103 d.A.) belegten überdies die Kenntnis der Beklagten von dem Umfang der aufgelaufenen Verbindlichkeiten bzw. von der Zahlungsunfähigkeit.
36Auf der "Cebit", die vom 22.03.2001 bis zum 28.03.2001 stattgefunden habe, habe der Zeuge L den Zeugen Herrn B ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Ausgleich offener Verbindlichkeiten nur in Zusammenhang mit der Übernahme der Insolvenzschuldnerin durch das Unternehmen J erfolgen würde.
37Zumindest seien ihr zu diesem Zeitpunkt Umstände bekannt gewesen, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit hätten schließen lassen. Insbesondere der rasante Anstieg der fälligen Verbindlichkeiten bei der Beklagte habe diesen zwingenden Schluss zugelassen.
38Für die Beklagte, die vereinbarungsgemäß die Abrechnung gegenüber den Kunden der Insolvenzschuldnerin übernommen habe, sei die Insolvenzschuldnerin eine "gläserne Gesellschaft" gewesen, die von der Beklagten zu jedem Zeitpunkt in Bezug auf Umsatz und Entgelt kontrolliert und überprüft werden habe können. Zudem habe die Beklagte als marktbeherrschendes Unternehmen über sämtliche wirtschaftlich relevanten Informationen in Bezug auf die Insolvenzschuldnerin verfügt. Damit habe die Beklagte insbesondere auch über die erforderlichen Daten verfügt, um auf die eingetretenen Zahlungsunfähigkeit schließen zu können.
39Letztlich werde die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit auch durch die am 30.03.2001 geführten Verhandlungen zu den Ratenzahlungen belegt, die erkennbar allein in dem Bestreben von der Beklagten geführt worden seien, um überhaupt noch irgendwelche Zahlungen von der Insolvenzschuldnerin zu erhalten.
40Noch vor der Zahlung habe der Zeuge M am 30.03.2001 mit dem Zeugen B telefoniert. In diesem Gespräch habe der Zeuge M deutlich gemacht, dass eine Begleichung sämtlicher fälliger Beträge nicht möglich sei und dass allenfalls 23 Mio. DM gezahlt werden könnten.
41Der Kläger beantragt,
42die Beklagte zu verurteilen, an ihn 23.044.504,43 DM (=11.782.467,22 €) nebst 5 % Zinsen über dem Basiszins der Europäischen Zentralbank seit dem 12.06.2001 zu zahlen.
43Die Beklagte beantragt,
44die Klage abzuweisen.
45Sie behauptet, dass die Insolvenzschuldnerin zum Zeitpunkt der Zahlung am 30.03.2001 nicht objektiv zahlungsunfähig gewesen sei. Auch sei die Insolvenzschuldnerin im Zeitpunkt der Antragstellung auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht zahlungsunfähig gewesen, da sie noch im März 2001 Zahlungen an die Beklagte in Höhe von 45.000.000 DM habe leisten können.
46Die immer wieder eingetretenen Zahlungsverzögerungen seien nicht auf eine Zahlungsunfähigkeit, sondern vielmehr auf eine bloße Zahlungsunwilligkeit bei der Insolvenzschuldnerin zurückzuführen, die sich durch die verzögerten Zahlungen Zins- und Liquiditätsvorteile habe verschaffen wollen.
47Schließlich belegten auch die aufgrund der einstweiligen Verfügung des Landgerichts Köln vom 17.04.2001 wöchentlich im Voraus geleisteten 5.000.000 DM, dass die Insolvenzschuldnerin zum damaligen Zeitpunkt nicht zahlungsunfähig gewesen sei.
48Weder habe die Beklagte die Zahlungsunfähigkeit der Insolvenzschuldnerin im Zeitpunkt der hier streitgegenständlichen Zahlung vom 30.03.2001 gekannt noch habe die Beklagte Umstände gekannt, aus denen sie zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit der Insolvenzschuldnerin hätte schließen können.
49Schon Anfang 2001 sei es zu einer vergleichbaren Kumulation von offenen Forderungen in Höhe von ca. 80 Mio. DM gekommen, bezüglich derer die Beklagte auch mehrfach Sperrungsandrohungen an die Insolvenzschuldnerin versandt habe.
50Die Beklagte behauptet weiterhin, dass sich aus der Beweisaufnahme des Parallelverfahrens vor dem LG Bonn bzw. dem OLG Köln ergeben habe, dass die Vorstände der Insolvenzschuldnerin selbst keine Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit der Insolvenzschuldnerin gehabt hätten. Sie ist daher der Ansicht, dass dann, wenn die Zahlungsunfähigkeit schon nicht den leitenden Organe der Insolvenzschuldnerin bekannt gewesen sei, erst recht keine Kenntnis der Beklagten als außenstehende Gläubigerin vorausgesetzt werden könne.
51Die Insolvenzschuldnerin sei für die Beklagte auch keine gläserne Gesellschaft gewesen. Zwischen den Abteilungen "Buchhaltung" und "Carrier Services" habe eine "Chinese Wall", also ein Sperre des Datenaustausches bestanden, die verhindert habe, dass die für die Insolvenzschuldnerin zuständigen Organe der Beklagten Kenntnis von den Umsätzen der Insolvenzschuldnerin hätten nehmen können.
52Das Schreiben der Beklagten vom 23.03.2001 (Anlage K 11, Bl. 103 d.A.) belege die Kenntnis der Beklagten von der Zahlungsunfähigkeit der Beklagten gerade nicht, da dieses Schreiben als Standardschreiben wegen der schlechten Zahlungsmoral insgesamt an 32 Telekommunikations-Unternehmen versandt worden sei.
53Das Schreiben der Beklagten vom 30.03.2001 sei erst übergeben worden, nachdem die streitgegenständliche Zahlung vom gleichen Tag geleistet worden sei. In diesem Schreiben, indem sich die für die Insolvenzschuldnerin verhandelnden Beteiligten dem Grundsatz nach für einen Zahlungsplan über die Rückstände in Höhe von mehr als 100.000.000 DM einverstanden erklärten hätten, habe die Beklagte mit keinem Wort zum Ausdruck gebracht, dass die Insolvenzschuldnerin von einer Zahlungsunfähigkeit ausgehe. Vielmehr sei lediglich die Mitteilung des Vorstandes M aufgenommen worden, dass die geschuldeten Zahlungen nicht zu den vereinbarten Fälligkeitsterminen beglichen werden könnten. Hieraus lasse sich kein "positives" Wissen der Beklagten von der Zahlungsunfähigkeit der Insolvenzschuldnerin ableiten.
54Die von dem ehemaligen Vorstand der Insolvenzschuldnerin geforderte persönliche Haftung habe nur dazu gedient, der Beklagten ein adäquates Druckmittel zur Beseitigung der schlechten Zahlungsmoral der Insolvenzschuldnerin zu geben.
55Der Zeuge B habe den Vorstand der jetzigen Insolvenzschuldnerin, Herrn L, auf der Computermesse CEBIT im März 2001 darauf angesprochen, dass noch einige Rechnungen offen stünden. Dabei habe der Zeuge L eine klare Zahlungszusage erteilt, wobei er darauf verwiesen habe, dass wegen der Übernahme durch die Firma J eine Verzögerung eintreten könne.
56Zudem habe sich damals laut Medienberichten eine Übernahme der Insolvenzschuldnerin durch das amerikanische Unternehmen J. angebahnt, das zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Zahlung finanzstark gewirkt habe und das nach eigenen Angaben über liquide Mittel in Höhe von 100.000.000 $ verfügt habe (Internet-Newsletter ww.teltarif.de vom 15.06.2000, Anlage B 5, Bl. 267 u. 298 d.A.). Daher habe die Beklagte auch aus diesem Grunde davon ausgehen können, dass die Zahlungsfähigkeit der Insolvenzschuldnerin zukünftig zumindest durch die neue Aktionärin J sichergestellt werde. Zahlungsschwierigkeiten des Unternehmens J hätten sich erst Wochen nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens herausgestellt (Presseberichte, Bl. 268 u. 300 d.A.).
57Die Beklagte ist zudem der Ansicht, dass die Anfechtung bereits nach § 103 InsO ausgeschlossen sei, da der Kläger auch nach Einleitung des Insolvenzeröffnungsverfahrens Erfüllung des Interconnectionsvertrags von der Beklagten verlangt habe.
58Schließlich ist die Beklagte der Ansicht, dass die streitgegenständliche Zahlung im Rahmen eines Bargeschäftes i.S.d. § 142 InsO erfolgt sei und damit eine Anfechtbarkeit ausgeschlossen sei.
59Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der von den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen. Die nicht nachgelassenen Schriftsätze der Beklagen vom 8.6.2004 sowie 13.8.2004 und des Klägers vom 22.6.2004 sowie 30.6.2004 geben keinen Anlaß zur Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung.
60E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
61Die Klage ist begründet.
62Dem Kläger steht ein Anspruch auf Zahlung von 23.044.504,43 DM (= 11.782,467,22 €) nebst 5 % Zinsen über dem Basiszins der Europäischen Zentralbank seit dem 12.06.2001 zu.
63Der Kläger kann die streitgegenständliche Zahlung in Höhe von 23.044.504,43 DM erfolgreich nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 anfechten und insoweit einen Rückgewähranspruch gemäß § 143 Abs. 1 InsO geltend machen.
64Nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO kann eine gläubigerbenachteiligende Rechtshandlung, die einem Gläubiger eine kongruente Deckung gewährt, dann angefochten werden, wenn sie drei Monate vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen wird, der Schuldner zahlungsunfähig war und der Gläubiger zu dieser Zeit die Zahlungsunfähigkeit kannte oder aber Kenntnis von Umständen hatte, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit schließen lassen (§ 130 Abs. 2 InsO).
65Die angefochtene Zahlung stellt einen Fall der kongruenten Deckung dar. Eine kongruente Deckung liegt vor, wenn der (spätere) Insolvenzschuldner eine Rechtshandlung vornimmt, die der Sicherung oder Befriedigung eines durchsetzbaren, insbesondere fälligen Anspruchs eines Gläubigers dient. Die hier streitgegenständliche Zahlung vom 30.03.2001 erfolgte auf die beklagtenseits gestellte Rechnung vom 25.01.2001 über 22.021.614,93 DM sowie die Rechnung vom 14.02.2001 über 1.022.889,50 DM. Fälligkeit trat daher am 23.02.2001 sowie am 16.03.2001, also vor der angefochtenen Zahlung am 30.03.2001 ein.
66Die streitgegenständliche Zahlung ist auch als Rechtshandlung im Sinne des § 129, 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO zu qualifizieren. Rechtshandlung ist jedes rechtlich erhebliche Handeln, das eine rechtliche Wirkung auslöst (BGH WM 1983, 214). Die Zahlung vom 30.03.2001 in Höhe von 23.044.504,43 DM löste gemäß § 362 BGB Erfüllungswirkung aus.
67Überdies erfolgte die Zahlung in dem nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO anfechtungsrelevanten Zeitraum von drei Monaten vor Einleitung des Insolvenzeröffnungsverfahrens. Denn die Zahlung am 30.03.01 erfolgte nur drei Tage vor der Eröffnung des vorläufigen Insolvenzverfahrens am 02.04.01.
68Auch führt die Zahlung zu einer Gläubigerbenachteiligung i.S.d. § 129 Abs. 1 InsO. Eine solche liegt vor, wenn bei einer nicht zur Vollbefriedigung aller Gläubiger ausreichenden Masse die Befriedigung der Gläubiger durch die Rechtshandlung beeinträchtigt wird; eine solche Beeinträchtigung liegt insbesondere in einer Verkürzung, d.h. Verminderung der Aktivmasse (BGH WM 1992, 1336; BGH 1989, 966; BGH ZIP 1986, 452, 453). Die streitgegenständliche Zahlung führte in voller Höhe zu einer Minderung der Aktivmasse.
69Schließlich war die Insolvenzschuldnerin auch objektiv zahlungsunfähig i.S.d. § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO.
70Der anfechtungsrechtliche Begriff der Zahlungsunfähigkeit ist identisch mit demjenigen in § 17 InsO (BGHZ 149, 178, 184; BGH BB 2003, 546, 548; Hirte in Uhlenbruck, Komm InsO, § 130, Rn. 33; Kirchhof in HK-InsO, § 17 Rn. 4). Zahlungsunfähigkeit liegt nach § 17 Abs. 2 S. 1 InsO vor, wenn der Schuldner nicht in der Lage ist, die fälligen Zahlungspflichten zu erfüllen. Dabei kann die Nichtzahlung gegenüber einem einzigen Gläubiger bereits ausreichen, wenn dessen Forderung von insgesamt nicht unerheblicher Höhe ist (BGH DB 2002, 267, 268). Dem Schuldner darf es also nicht mehr möglich sein, einen wesentlichen Teil seiner fälligen Verbindlichkeiten bedienen zu können. Als unwesentlicher Anteil von nicht erfüllten Schulden kann im Interesse der Gläubigergesamtheit und der erstrebten frühen Verfahrenseröffnung allenfalls ein Anteil von weniger als 10 % angesehen werden (Kirchhof, in HK-InsO, § 17 Rn. 21). Dieser Anteil wird in der Weise ermittelt, dass die verfügbaren und innerhalb von zwei bis drei Wochen flüssig zu machenden Mittel in Beziehung zu setzen sind zu den am selben Stichtag fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten. Überschreitet der Quotient aus dem vorgenannten Bruch nicht 0,9, liegt Zahlungsunfähigkeit vor (Kirchhof, in HK-InsO, § 17 Rn. 24). Vorhandenes Vermögen ist nur insoweit bedeutsam, wenn es kurzfristig zur Beschaffung von Zahlungsmitteln eingesetzt werden kann.
71Im Umkehrschluss bedeutet dies zunächst, dass die Zahlungsunfähigkeit nicht schon daran scheitert, dass der Schuldner überhaupt noch in der Lage ist, zumindest teilweise seine Verbindlichkeiten zu bedienen (BGH DB 2001, 2040). Vorliegend ist die Zahlungsunfähigkeit daher nicht schon durch den Umstand ausgeschlossen, dass die Insolvenzschuldnerin noch im März 2001 insgesamt Zahlungen in Höhe von 30.000.000 Mio. DM an die Beklagte tätigte. Denn ausweislich des von der Beklagten mit Schreiben vom 30.03.2001 selbst ermittelten Zahlenwerkes bestanden zeitgleich ca. 100.000.000 DM fälliger Verbindlichkeiten allein gegenüber der Beklagten. Auch die nach dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens auf Grundlage der einstweiligen Verfügung des LG Köln an die Beklagte geleisteten Vorauszahlungen in Höhe von 18,1 Mio. DM stehen insoweit nicht zwingend einer Zahlungsunfähigkeit entgegen.
72Der Insolvenzschuldnerin standen zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Zahlung liquide bzw. kurzfristig liquidierbare Mittel höchstens in Höhe von ca. 13 Mio. DM zur Verfügung. Dem standen unmittelbar vor der angefochtenen Zahlungen ausweislich des Schreibens der Beklagten vom 30.03.2001 allein in Bezug auf die Beklagte 100 Mio. DM fälliger Verbindlichkeiten gegenüber. Der Kläger beziffert diesen Betrag fälliger Forderungen zum 30.03.2001 mit ca. 70 Mio. DM. Selbst bei Zugrundelegung dieses niedrigeren Betrages und nach Abzug der streitgegenständlichen Zahlung führt dies zu einem Liquiditätsquotienten von unter 0,3.
73Auch wenn man die liquiden Mittel von ca. 13 Mio. DM in Bezug setzt zu denjenigen Forderungen, mit denen sich die Insolvenzschuldnerin mehr als einen Monat in Verzug befand (21 Mio. DM), so ergibt sich ein Quotient von 0,62.
74Ob diese Zahlen zutreffen und damit eine objektive Zahlungsunfähigkeit im Zeitpunkt der streitgegenständlichen Zahlungen tatsächlich vorlag, kann aber letztlich dahinstehen. Jedenfalls lag zu diesem Zeitpunkt eine Zahlungseinstellung im Sinne des § 17 Abs. 2 S. 2 InsO vor. Die Zahlungseinstellung begründet jedoch nach § 17 Abs. 2 S. 2 InsO eine gesetzliche Vermutung für die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners.
75Die Zahlungseinstellung ist ein nach außen hervortretendes Verhalten, in dem sich typischerweise ausdrückt, dass der Schuldner wegen eines voraussichtlich dauernden Mangels an Zahlungsmitteln seine fälligen und ernsthaft eingeforderten Verbindlichkeiten nicht mehr erfüllen kann (BGH BB 2003, 546, 548; BGH DB 2001, 2140, Hess in Hesse/Weis/Wienberg, Komm InsO, § 17, Rn. 19). Das Verhalten des Schuldners muss nach außen erkennbar hervortreten, sei es auch nur in Form einer Unterlassung, insbesondere zu zahlen. Es muss sich also für die beteiligten Verkehrskreise der berechtigte Eindruck aufdrängen, dass die Nichtzahlung trotz Fälligkeit eines nicht unerheblichen Teils der Verbindlichkeiten gerade auf einem objektiven Mangel an Geldmitteln beruht, der länger als zwei bis drei Wochen andauert (Kirchhof in HK-InsO, § 17, Rn. 26).
76Nicht gefordert wird die gänzliche Einstellung der Zahlungen. Dass der Schuldner teilweise, auch wenn es sich dabei insgesamt um eine beachtliche Summe handelt, noch Zahlungen leistet, steht der Annahme der nach außen erkennbar gewordenen Zahlungsunfähigkeit also nicht entgegen (DB 2002, 264; BGH DB 2001, 2040; BGH, DB 2001, 2140). Es genügt vielmehr, dass das Unvermögen zur Zahlung und die darauf beruhende Zahlungsunfähigkeit den wesentlichen Teil der Verbindlichkeiten betreffen (BGH, WM 1991, 1570).
77Ebenso wenig wird in zeitlicher Hinsicht der dauerhafte Eintritt der Zahlungsunfähigkeit verlangt. Vielmehr reicht es bereits aus, dass es zu Zahlungsverzögerungen kommt, die in zeitlicher Hinsicht über eine sog. Zahlungsstockung hinausgehen. Eine bloß kurzfristige Zahlungsstockung liegt vor, wenn der Schuldner lediglich einzelnen Verbindlichkeiten vorübergehend nicht nachkommt, sich aber ungeachtet seiner Vermögenslage kurzfristig ausreichende Mittel zur Erfüllung der fälligen Forderungen beschaffen kann (Hess in Hesse/Weis/Wienberg, Komm InsO, § 17, Rn. 27; Frankfurter Kommentar zur InsO, Dauernheim, 2. Aufl., § 130 Rn. 40). Zahlungsstockung liegt also nur bei der konkreten Aussicht auf baldige Beendigung des Zahlungsengpasses vor (Kirchhof in HK-InsO, § 17, 42).
78Die für eine Zahlungseinstellung erforderliche Zeitspanne wird allerdings in Rspr. und Lit. unterschiedlich bemessen. Teilweise sollen nur wenige Tage für die Beschaffung eines Kredites nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO unbeachtlich sein (etwa Pape in Kübler/Prütting InsO, § 17, 9 ff.; Kredites; Schmerbach FK InsO, § 17 Rn. 17). Zum Teil wird als Obergrenze auch von einem zweiwöchigen Zeitraum ausgegangen (Kirchhof in HK-InsO, § 17, 18). Das AG Köln (ZIP 1999, 1889) wiederum zieht eine zusätzliche Wertgrenze und geht nur dann von einer Zahlungsstockung aus, wenn sich die Illiquidität des Schuldners auf weniger als 5 % der fälligen Forderungen begrenzt und deren Tilgung innerhalb einer Grenze von zwei Wochen herbeigeführt wird.
79Die Grenze zwischen einer bloß kurzfristigen Zahlungsstockung und einer anfechtungsrelevanten Zahlungseinstellung wurde nach h.M. zur alten Rechtslage nach der KO aber jedenfalls dann überschritten, wenn die fälligen Schulden nicht im Wesentlichen binnen etwa einem Monat bezahlt werden konnten (vgl. nur Kirchhof, in HK-InsO, § 17, Rn. 18 m.w.N.). Nach dem Willen des Gesetzgebers soll § 17 InsO dem Schuldner über den Fälligkeitstermin hinaus nur noch denjenigen Raum lassen, den eine kreditfähige Person benötigt, um sich die erforderlichen Mittel zu leihen (RegE InsO, BT-Drs. 12/2443, S. 114, zu § 20 und 21). Wegen dieser vom Gesetzgeber gewollten Verkürzung des Zeitraumes einer Zahlungsstockung kann nur noch eine Zeitspanne von zwei bis höchstens drei Wochen als objektiv kurzfristig angesehen werden (zutreffend insoweit Kirchhof, in HK-InsO, § 17 Rn. 18). Denn höhere zeitliche Anforderungen an die Zahlungsverzögerung würden das mit Einführung der InsO verstärkt verfolgte Ziel einer frühzeitigen Verfahrenseröffnung erheblich gefährden (Hesse in Hess/Weis/Wienberg, Komm InsO, § 17, Rn. 2).
80Im vorliegenden Fall lag eine bloß vorübergehende Zahlungsstockung selbst bei Zugrundelegung der Vier-Wochenfrist nicht vor. Denn im Zeitpunkt der angefochtenen Rechtshandlung war es der Insolvenzschuldnerin schon seit mehreren Monaten nicht gelungen, ihre fälligen Verbindlichkeiten spätestens innerhalb von vier Wochen auszugleichen.
81Denn im Zeitpunkt der streitgegenständlichen Zahlungen befand sich die Insolvenzschuldnerin mit einem Betrag von mehr als 21 Mio. DM länger als einen Monat in Verzug.
82Wie bereits ausgeführt, waren diese rückständigen Beträge insgesamt so erheblich, dass von lediglich geringfügigen Liquiditätslücken keine Rede sein kann.
83Auch bestanden keinerlei Anzeichen dafür, dass die Insolvenzschuldnerin in Zukunft in der Lage sein werde, ihre Verbindlichkeiten gegenüber der Beklagten wieder fristgerecht erfüllen zu können. Vielmehr steigerte sich gerade unmittelbar vor der streitgegenständlichen Zahlung die Summe der nicht getilgten fälligen Forderungen beträchtlich.
84Auch die Ankündigung der Übernahme der Insolvenzschuldnerin durch J und die gleichzeitige Zahlungszusage im Falle einer mehrheitlich geglückten Übernahme ergeben diesbzgl. nichts anderes. Denn die bloße Aussicht des Schuldners, einen Kredit, also Barmittel aus Dritter Hand zu erlangen, schließt die Zahlungsunfähigkeit nur dann aus, wenn sie hinreichend konkret ist (RG JW 1902, 546 Nr. 13) und sich kurzfristig – nämlich binnen der für die Zahlungseinstellung maßgeblichen Zwei-Wochen-Frist –verwirklichen lässt (Kirchhof, in HK-InsO, § 17 Rn. 17 f.).
85Hier bestand aber eine solche konkret zu erwartende Aussicht auf Refinanzierung der Insolvenzschuldnerin durch die J gerade nicht. Die Zahlungszusage war an die Bedingung geknüpft, dass es der J gelingen würde, Mehrheitsaktionär der Insolvenzschuldnerin zu werden. Diese Bemühungen hatten sich bis zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Zahlung bereits über Monate hingezogen, ohne dass ein konkreter Abschluss dieses Vorhabens in Kürze zu erwarten gewesen wäre. Tatsächlich kam es auch nie zu einer solchen Übernahme.
86Schließlich stellte sich die unterlassenen Zahlungen aus Sicht der Beklagten auch nicht als bloße Zahlungsunwilligkeit dar, vielmehr musste die Beklagte von einer Zahlungsunfähigkeit ausgehen. Indiz für die Zahlungsunfähigkeit ist es insoweit regelmäßig, wenn existenzbedingende Betriebskosten wie z.B. Energiekosten, Miet- oder Grundpfandzinsen nicht mehr gezahlt werden (BGH WM 1995, 1470; Hess in Hess/Weis/Wienberg, Komm InsO, § 17, Rn. 21; Kirchof in HK-InsO, § 17, Rn. 35). Die von der Beklagten erbrachten Interconnectionsleistung waren als Vorprodukte für nahezu alle von der Insolvenzschuldnerin erbrachten Leistungen notwendig und stellten daher existenzbedingende Betriebskosten dar. Die Insolvenzschuldnerin unterließ die Tilgung der fälligen Forderungen der Beklagten in einem Umfang, der die Beklagte nach Ziff. 24.3 des Interconnectionsvertrags zur Kündigung berechtigte. Dass die Beklagte eine solche Kündigung ernsthaft beabsichtigte, hatte sie bereits zuvor in der schriftlichen Korrespondenz mehrfach und nachdrücklich zum Ausdruck gemacht. Wenn die Beklagte behauptet, dass sie davon ausgegangen sei, dass die Insolvenzschuldnerin sich dem Risiko der Vertragskündigung durch die Beklagte freiwillig ausgesetzt habe und damit also mutwillig, d.h. mit fast sicherem Wissen in Kauf genommen habe, dass ihr die Fortführung nahezu ihres gesamten operativen Geschäftes durch die Kündigung unmöglich gemacht werde, so trägt sie in letzter Konsequenz vor, dass sich die Insolvenzschuldnerin allein zur Realisierung von kurzfristigen Zins- und Liquiditätsvorteilen freiwillig beinahe unausweichlich der unternehmerischen Existenzvernichtung ausgesetzt hat. Ein solcher Vortrag ist lebensfremd. Vielmehr ist auf Grundlage dieses Vortrages gerade davon auszugehen, dass die unterlassenen Zahlungen auf ein Zahlungsunvermögen und damit auf eine Zahlungsunfähigkeit i.S.d. § 17 InsO zurückzuführen sind. Mag das Zahlungsverhalten noch bis Oktober 2000 mit einer Zahlungsunwilligkeit zu erklären sein, ließen danach Art und Umfang der Zahlungen und die seit Monaten ständig steigenden Rückstände ohne konkreten Anhaltspunkt für eine Besserung im März 2001 daher zwingend auf eine Zahlungseinstellung i.S.d. § 17 Abs. 2 S. 2 InsO schließen.
87Diese Zahlungsunfähigkeit war weiterhin auch ursächlich für den Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahren.
88Die Beklagte hat auch die erforderliche Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit der Insolvenzschuldnerin im März 2001. Die Kammer schließt sich vollinhaltlich den zutreffenden Ausführungen des Oberlandesgericht Köln in dem Teil-Beschluß vom 3.3.2004 (2 U 118/03) an, der in dem zwischen den Parteien des vorliegenden Verfahrens geführten weiteren Rechtsstreit (LG Bonn 11 O 151/01) ergangen ist und insoweit den Sachverhalt betrifft, der auch Gegenstand des hiesigen Rechtsstreits ist. Im einzelnen ist damit von folgendem auszugehen:
89§ 130 Abs. 2 InsO verlangt, dass der Empfänger der Leistung die Tatsachen kennt, aus denen sich bei zutreffender rechtlicher Bewertung die Zahlungsunfähigkeit des Schuldners zweifelsfrei ergibt (BGH DB 2002, 267, 268; BHGZ 149, 178, 185). Ist diese Voraussetzung erfüllt, kann sich der in Anspruch genommene Insolvenzgläubiger nicht darauf berufen, dass er selbst den sich aus den Tatsachen zwingend ergebenden Schluss nicht gezogen habe (BHGZ 149, 178, 185). Es handelt sich insoweit um eine unwiderlegliche Rechtsvermutung. § 130 Abs. 2 InsO ist in Anlehnung an die §§ 990, 819 BGB dann zu bejahen, wenn sich ein redlich Denkender, der vom Gedanken auf den eigenen Vorteil nicht beeinflußt ist, angesichts der ihm bekannten Tatsachen der Einsicht nicht verschließen könnte, dass der Schuldner zahlungsunfähig sei (Kreft in HK-InsO, § 130, Rn. 26).
90Wie sich aus dem angeführten Teil-Beschluß des Oberlandesgericht Köln ergibt, hatte die Beklagte Kenntnis von dem kontinuierlichen Anstieg der Verbindlichkeiten der Insolvenzschuldnerin von Oktober 2000 bis Ende März von ca. 20 Mio. DM auf über 70 Mio. DM. Die Kenntnis der Beklagten von der äußerst angespannten finanziellen Situation der Insolvenzschuldnerin angesichts der genannten Zahlen erschließt sich im weiteren bereits unschwer aus den Mahnschreiben, die die Beklagte in dem fraglichen Zeitraum Oktober 2000 bis Ende März 2001 an die Insolvenzschuldnerin richtete (Anlagen K 5 - K 10, Bl. 69 - 102 d.A.), sowie aus den Schreiben der Beklagten an die Insolvenzschuldnerin vom 23.3.2001, 28.3.2001 und 30.3.2001 einschließlich des von der Beklagten formulierten Entwurfs der Zahlungsvereinbarung, in der sich die Beklagte nicht nur die Erlöse aus dem Verkauf der Mobilfunkaktivitäten der Insolvenzschuldnerin abtreten lassen wollte, sondern überdies die Zusicherung verlangte, daß die Forderungen auch erfüllt werden könnten (Anlage K 11 - K 14, Bl. 103 - 109 d.A.).
91Diese Rückstände berechtigten die Beklagte, die nicht nur Mitbewerberin der Insolvenzschuldnerin ist, sondern auch das für nahezu alle getätigten Umsätze der Insolvenzschuldnerin notwendige Vorprodukt in Form von Durchleitungsleistungen lieferte, nach Ziff. 24.3 der Zusammenschaltungsvereinbarung zur Kündigung. Ein Schuldner lässt es erfahrungsgemäß jedoch zu solchen Zahlungsrückständen, die dem Mitbewerber in der Konsequenz die Möglichkeit geben, ihm die Ausübung nahezu des gesamten operativen Geschäft unmöglich zu machen, nicht kommen, wenn er dies unschwer vermeiden könnte. Soweit dies, wie vorliegend, dem Gläubiger bekannt ist, lässt es für ihn den zwingenden Schluss zu, dass die Erfüllung dieser geschuldeten Beträge für den betroffenen Unternehmer unmöglich ist und dass insoweit eine Zahlungseinstellung vorliegt.
92Konnte die Beklagte daher das Zahlungsverhalten bis Oktober 2000 noch als Zahlungsunwilligkeit verstehen, so musste sie im März 2001 nach Art und Umfang der Zahlungen und des seit Monaten ständig steigenden Rückstandes ohne konkreten Anhaltspunkt für eine Besserung zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit schließen.
93Schließlich berührt auch das vermeintliche Wissen der Beklagten von der Übernahme der Insolvenzschuldnerin durch J und das behauptete Vertrauen in deren vermeintliche Zahlungsfähigkeit nicht ihre Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit der Insolvenzschuldnerin. Dies wäre für die Zahlungsunfähigkeit der Insolvenzschuldnerin nur dann bedeutsam gewesen, wenn eine Zahlungszusage erfolgt wäre und die zugesagten Mittel erkennbar kurzfristig, also binnen einer Frist von ca. zwei Wochen (Kirchhof, in HK-InsO, § 17 Rn. 18), zur Verfügung hätten stehen können. Indes war es der Beklagten bekannt, dass die Zahlungszusage an die Bedingung geknüpft war, dass es der J gelingen würde, Mehrheitsaktionär der Insolvenzschuldnerin zu werden. Diese Bemühungen hatten sich bis zum Zeitpunkt der streitgegenständlichen Zahlung bereits über Monate hingezogen, ohne dass der Beklagte konkrete Anhaltspunkte bekannt waren, die auf einen baldigen Abschluss dieses Vorhabens hätten schließen lassen können.
94Unerheblich ist überdies, ob die leitenden Organe der Insolvenzschuldnerin positive Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit hatten. Zum einen hat diese Kenntnis grdl. keinen Einfluss auf das Wissen der Beklagten. Zum anderen hatten die Organe der Insolvenzschuldnerin ebenso wie die Beklagte zumindest Kenntnis von Umständen, aufgrund derer sie zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit der Insolvenzschuldnerin hätten schließen müssen. Insofern geht der von der Beklagten gezogene "Erst-recht-Schluss" von der fehlenden Kenntnis der Insolvenzschuldnerin auf die fehlende Kenntnis der Beklagten schon dem Grunde nach fehl, da vorliegend im Rahmen des subjektiven Tatbestandes jedenfalls nach § 130 Abs. 2 InsO schon kein gegenüber der Insolvenzschuldnerin erhöhter subjektiver Maßstab bei der Beklagten zugrunde gelegt wird.
95Unschädlich für die Kenntnis der Beklagten ist letztlich auch, ob es bereits vor dem Zeitraum von Oktober 2000 bis März 2001 zu erheblichen Zahlungsverzögerungen gekommen ist. Denn aufgrund der eindeutigen indiziellen Aussagekraft der von der Beklagten unmittelbar vor der streitgegenständlichen Zahlung ergriffenen Maßnahmen und der Kenntnis von der essentiellen Bedeutung des Zusammenschaltungsvertrages für die Insolvenzschuldnerin ist von einer positiven Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit jedenfalls zum 30.03.2001 auszugehen.
96Die Anfechtung ist auch nicht nach § 103 Abs. 1 InsO ausgeschlossen.
97Vorliegend kann dahinstehen, ob § 103 InsO überhaupt Anwendung auf einen schwachen vorläufigen Insolvenzverwalter findet. Denn der Kläger konnte vorliegend nach § 105 S. 1 InsO die weitere Erfüllung des mit der Beklagten geschlossenen Vertrages verlangen, ohne hierdurch verpflichtet zu werden, die bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens rückständigen Leistungen als Masseverbindlichkeit zu befriedigen.
98Bei Verträgen über teilbare Leistungen soll der Insolvenzverwalter nach § 105 Abs. 1 InsO für die Zukunft Erfüllung verlangen können, ohne dadurch auch für die Vergangenheit zur vollen Erfüllung verpflichtet zu werden. Der Vertragspartner muss also den Anspruch auf die Gegenleistung für seine Leistungen aus der Vergangenheit als Insolvenzgläubiger geltend machen, unabhängig davon, ob der Verwalter für die Zukunft die Erfüllung wählt oder nicht (RegE InsO, BT-Drs. 12/2443, S. 145 f).
99Die Zusammenschaltungsleistungen werden monatlich abgerechnet und sind daher "teilbar" i.S.d. § 105 InsO. Denn die geschuldeten Leistungen können in hinreichend verselbständigte Teile aufgespalten werden (Huber, MittBayNot 1999, 113, 116). Für solche Leistungen bestimmt § 105 InsO, dass der Vertragspartner mit seinem Anspruch auf die Gegenleistung für vor Verfahrenseröffnung erbrachte Teilleistungen auch dann Insolvenzgläubiger bleibt, wenn der Verwalter wegen des noch ausstehenden Restes Erfüllung verlangt.
100Die Anfechtung scheitert schließlich auch nicht an § 142 InsO.
101Hierfür wäre erforderlich gewesen, dass die Leistungen der Beklagten und die diesbezüglich geleistete Zahlung der Insolvenzschuldnerin in Höhe von 23.044.504,43 DM in einem Unmittelbarkeitszusammenhang gestanden hätten.
102Der Begriff der Unmittelbarkeit muss in zeitlicher Hinsicht eng ausgelegt werden. Dies gebieten Sinn und Zweck der Vorschrift. § 142 InsO dient in seiner primären Ausrichtung der Aufrechterhaltung der wirtschaftlichen Handlungsmöglichkeiten des Schuldners. Dieser Vorschrift liegt der wirtschaftliche Gedanke zugrunde, dass ein Schuldner, der sich in der Krise befindet, praktisch vom Geschäftsverkehr ausgeschlossen wäre, wenn selbst die von ihm abgeschlossenen wertäquivalenten Bargeschäfte der Anfechtung unterlägen. Andererseits soll aber keine allgemeine Begünstigung all derjenigen Gläubigern herbeigeführt werden, die gleichwertige Gegenleistungen erbringen. Die Summe der so bevorrechtigten Forderungen würde in eklatantem Widerspruch zum Gesamtinteresse der übrigen Gläubiger stehen. Daher müssen im Rahmen eines Bargeschäftes die Leistung des Schuldners und die Gegenleistung des Gläubigers in einem engen zeitlichen Unmittelbarkeitszusammenhang stehen. Hierbei bestehen grdl keine feste Grenze für den zeitlichen Abstand; vielmehr muss auf die Verkehrsanschauung und eine vernünftige wirtschaftliche Wertung abgestellt werden (BGH WM 1984, 1430 f.; Weis in Hesse/Weis/Wienberg, § 142, Rn. 8). Die Zeitspanne darf dabei jedenfalls nicht so lang bemessen werden, dass das zugrundeliegende Geschäft den Charakter eines Kreditgeschäftes erlangt. Nach der zutreffenden Rspr. des BGH ist der Unmittelbarkeitszusammenhang in zeitlicher Hinsicht bei typischen Konstellationen des Leistungsaustausches in der Regel nur dann gewahrt, wenn Leistung und Gegenleistung innerhalb einer Woche ausgetauscht werden (BGH NJW 1980, 1962; zustimmend Weis in Hess/Weis/Wienberg, Komm InsO, § 142, Rn. 21). Vorliegend waren die Leistungen der Beklagten bereits im Dezember und Januar, also in einem zeitlichen Abstand zur streitgegenständlichen Zahlung von mehr als 2 Monaten erbracht worden. Eine solch großer Zeitabstand steht eindeutig den Gesamtgläubigerinteressen an einer gleichmäßigen Befriedigung und damit einem Unmittelbarkeitszusammenhang i.S.d. § 142 InsO entgegen.
103Schließlich ist auch die zweijährige Anfechtungsfrist gemäß § 146 Abs. 1 InsO mit Klageerhebung am 01.08.2001 offenkundig gewahrt.
104Dem Kläger steht ein Zinsanspruch in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz (§§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 1 BGB) seit dem 12.06.2001 zu. Verzug trat nach der ernsthaften und endgültigen Leistungsverweigerung durch die Beklagte am 12.06.2001 gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB ein. Denn nachdem der Kläger die Beklagte mit Schreiben vom 08.06.2001 zur Rückgewähr der streitgegenständlichen Zahlung aufgefordert hatte, lehnte die Beklagte die Rückzahlung mit Schreiben vom 12.06.2001 ab.
105Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91 Abs. 1 S. 1, 709 S. 1 u. 2 ZPO.
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