Urteil vom Landgericht Köln - 28 O 452/09
Tenor
Warum zensieren Sie Ihren Lebenslauf, Frau L? Auf Ihrer Internetseite findet sich heute für die Zeit von 1989 bis 2001 folgende Angabe: ‚Unternehmensberaterin und Projektleiterin‘. Das ist bemerkenswert, denn 2006 ist in Ihrem Lebenslauf auf der gleichen Homepage noch zu lesen: ‚Unternehmensberaterin und Projektleiterin beim Zentrum für Innovation und Technik A (Y GmbH) in N‘.
Warum haben Sie den Hinweis auf die Y GmbH einfach gelöscht? Liegt es vielleicht daran, dass die Y GmbH in einen großen Förderskandal verwickelt war und auch Ihre Rolle dabei kritisch hinterfragt wird?
Haben Sie etwas zu verbergen, Frau L?“
den Eindruck zu erwecken, L habe während ihrer Tätigkeit für die Y GmbH in einem großen A-Förderskandal, in dem die Y GmbH (angeblich) verwickelt war, eine Rolle gespielt.
Die Kosten des Verfahrens werden der Verfügungsklägerin zu 25 % und dem Verfügungsbeklagten zu 75 % auferlegt.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Verfügungsklägerin wird nachgelas-sen, die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Verfügungsbeklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
1
T A T B E S T A N D :
2Die Parteien streiten um die Zulässigkeit von Äußerungen auf von dem Verfügungsbeklagten im Rahmen einer Postkartenaktion versandten Postkarten (vgl. Anlage ASt 1). Anlass für die Veröffentlichung des streitgegenständlichen Textes war eine Änderung in den Angaben zum Lebenslauf auf der von der Verfügungsklägerin betriebenen Internetseite
3http//www.anonym1.html. Hier hatte zu ihrer Tätigkeit in den Jahren 1989 bis 2001 im Jahr 2006 zunächst noch gestanden, dass die Verfügungsklägerin in dieser Zeit für die Y GmbH als Unternehmensberaterin gearbeitet hatte. Nach der Änderung im Jahr 2009 ist dort die Arbeitgeberin Y GmbH namentlich nicht mehr verzeichnet.
4Die Verfügungsklägerin ist T-Landesvorsitzende und T-Fraktionsvorsitzende im Landtag A, der Antragsgegner selbständiger Gebietsverband nach § 3 PartG. Die Verfügungsklägerin wurde im Anschluss an die oben dargestellte Tätigkeit bei der Y GmbH, die im April 2001 endete, zunächst zur Ministerin für Bundes- und Europaangelegenheiten und sodann im November 2002 zur Ministerin für S in der damaligen Landesregierung von A berufen. Dieses Amt übte sie bis zum 00.00.00 aus.
5Im März 2007 unterrichtete der Landesrechnungshof A den Landtag über Missstände im Zusammenhang mit Zuwendungen an das J-Zentrum Z GmbH. Wegen der Einzelheiten der Unterrichtung des Landtag und des Berichts des Landesrechnungshofs wird auf die Anlage ASt 3 Bezug genommen (Bl. 12 ff. d.A.). Der Bericht führte im Zusammenhang mit diesen Zuwendungen zu umfangreichen Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Bochum, die in mehreren Anklageerhebungen mündeten; die insoweit eingeleiteten Strafverfahren wurden mit empfindlichen Haftstrafen abgeschlossen. Verantwortliche der Y GmbH waren nicht von diesen Vorwürfen betroffen. Die Verfügungsklägerin hatte als Mitarbeiterin der Y mit diesen Vorgängen ebenfalls in keiner Weise zu tun. Allerdings gab es bereits im Jahr 2007 Veröffentlichungen, die der Verfügungsklägerin im Zusammenhang mit dem Ermittlungsverfahren zum "J-Zentrum" unterstellten, sie sei in diese Sachverhalte als Unternehmensberaterin und Projektleiterin der Y beteiligt gewesen. So führte die C- Zeitung in ihrer Ausgabe vom 29.03.2007 u.a. aus: " ...Allerdings war L bereits 1989 bis 2001 als Unternehmensberaterin und Projektleiterin beim Zentrum für Innovation und Technik A (Y GmbH) in N tätig – und dem Vernehmen nach deshalb von D seinerzeit auch in die Gründungspläne für das J-Zentrum in H einbezogen worden." Hiergegen wandte sich die Verfügungsklägerin unter Beifügung einer eigenen und einer eidesstattlichen Versicherung des damaligen Ministerpräsidenten des Landes A, D; der Verlag H2 GmbH gab am 30.03. 2007 eine strafbewehrte Unterlassungsverpflichtungserklärung ab und veröffentlichte am gleichen Tag eine redaktionelle Richtigstellung dahingehend, dass die Verfügungsklägerin nicht an den Gründungsplänen für das umstrittene J-Zentrum an der FH H beteiligt gewesen sei (Anlage ASt 6, Bl. 32 d.A.).
6Der Landesrechnungshof rügte in seinem Bericht des Jahres 2007 weiterhin die Förderpraxis zum "Technologie- und Innovationsprogrammbereich Life Science" ("TIP"). Dies führte dazu, dass dieses Thema im Landtag behandelt wurde. Es resultierten aus dem Vorgang indes keine strafrechtlichen Ermittlungen. Beliehener Projektträger für das Programm "TIP" war der Projektträger K in der Forschungszentrum K GmbH; dieser arbeitete beim "TIP" im Bereich "Life Science" vorrangig mit der B GmbH zusammen. Wenn überhaupt, fand allenfalls in wenigen Bereichen eine Zusammenarbeit mit der Y GmbH statt. Zudem entwickelte sich die Tätigkeit des "TIP" erst im Lauf des Jahres 2001, nachdem er erst im Lauf dieses Jahres von der europäischen Kommission notifiziert wurde und es von da an dem Land A gestattet war, Forschungs- und Entwicklungsprojekte zu fördern. Dem-entsprechend traten am 19.12.2001 erst die Richtlinien für Förderung des "TIP" in L. In dem vorbenannten Bericht des Landesrechnungshofes aus dem Jahr 2007 wurde die Y GmbH nicht kritisch erwähnt.
7Im Jahresbericht 2007 rügte der Landesrechnungshof ferner die Vergabepraxis für den Zukunftswettbewerb G . Hier ging es darum, dass das Ziel des Landes "keine Förderung mit Gießkanne" nicht adäquat umgesetzt worden sei. Das Land A hatte die Y GmbH im Rahmen der Durchführung des Zukunftswettbewerbs mit Dienstleistungen beauftragt; ihre Tätigkeit war indes nicht Gegenstand der Kritik des Landesrechnungshofs. Die Verfügungsklägerin befasste sich im Rahmen ihrer Tätigkeit bei der Y GmbH mit dem Zukunftswettbewerb, jedoch nicht mit dem Bereich der Vorgaben für das Auswahlverfahren und nur in folgendem zeitlichen Umfang: im Jahr 2000: sieben Stunden und im Jahr 2001 zwei Stunden.
8Die Änderung des Internetauftritts der Verfügungsklägerin wurde von Journalisten bemerkt und in dem Blog "M" thematisiert (vgl. hierzu Anlagen AG 1 bis 3). Die erste von dem Verfügungsbeklagten aktenkundig gemachte Internetveröffentlichung bei "M.de" datiert vom 16.06.2009. Hieran schloss sich eine Postkartenaktion der Verfügungsbeklagten an. Diese fand in unmittelbarer Folgezeit statt; die dem Gericht vorgelegte Postkarte trägt einen Stempel vom 23.06.2009. Die Postkarte hat folgenden Inhalt:
9Mit ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung hat die Verfügungsklägerin neben dem letztlich nur noch verfolgten Begehren zunächst auch Unterlassung der Äußerung, "der auf der Homepage von L veröffentlichte Lebenslauf enthalte eine Lüge" geltend gemacht (früherer Antrag zu 1). Diesen Antrag hat sie im Verhandlungstermin vom 15.07.2009 zurückgenommen. Sie macht geltend, die noch streitgegenständliche Passage erwecke den unzutreffenden Eindruck, dass die Verfügungsklägerin im Zusammenhang mit einem großen Förderskandal als Mitarbeiterin von Y eine Rolle gespielt habe. Die Verknüpfung mit einer Frage sei im Zusammenhang mit der Erweckung des Eindrucks unerheblich, da der Text als Spekulation formuliert worden sei und es sich bei der Frage nicht um eine echte Frage handele. Im Übrigen beruft sie sich darauf, dass Verantwortliche der Y GmbH von den Vorwürfen um das Jzentrum nicht betroffen gewesen seien und dass Y in dem damaligen Bericht des Landesrechnungshofs weder im Zusammenhang mit der Förderpraxis zu "TIP" noch hinsichtlich des zum Zukunftswettbewerb G kritisierten Punktes zur nicht adäquaten Umsetzung des Förderziels (keine Förderung mit der Gießkanne) Gegenstand der Kritik gewesen sei.
10Sie beantragt,
11im Wege der einstweiligen Verfügung, dem Verfügungsbeklagten unter Androhung eines Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 € und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, der Ordnungshaft oder der Ordnungshaft bis zu sechs Monaten für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu verbieten,
12durch die Berichterstattung:
13"L Lebenslauf-Lüge.
14ZENSIERT"
15Warum zensieren Sie Ihren Lebenslauf, Frau L? Auf Ihrer Internetseite findet sich heute für die Zeit von 1989 bis 2001 folgende Angabe: ‚Unternehmensberaterin und Projektleiterin‘. Das ist bemerkenswert, denn 2006 ist in Ihrem Lebenslauf auf der gleichen Homepage noch zu lesen: ‚Unternehmensberaterin und Projektleiterin beim Zentrum für Innovation und Technik A (Y GmbH) in N‘. Warum haben Sie den Hinweis auf die Y GmbH einfach gelöscht? Liegt es vielleicht daran, dass die Y GmbH in einen großen Förderskandal verwickelt war und auch Ihre Rolle dabei kritisch hinterfragt wird? Haben Sie etwas zu verbergen, Frau L?"
16den Eindruck zu erwecken, L habe während ihrer Tätigkeit für die Y GmbH in einem großen A-Förderskandal, in dem die Y GmbH (angeblich) verwickelt war, eine Rolle gespielt.
17Der Verfügungsbeklagte beantragt,
18den Antrag zurückzuweisen.
19Der Verfügungsbeklagte macht geltend, der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung sei bereits wegen Vorwegnahme der Hauptsache unzulässig. Auch fehle es am Vorliegen eines Verfügungsgrundes, zumal die Verfügungsklägerin bereits die für den Erlass einer einstweiligen Verfügung erforderliche Eilbedürftigkeit nicht genau dargelegt habe. Er ist der Ansicht, dass die Wahlkampf-Postkarte eine zulässige politische Meinungsäußerung mit einigen tatsachenrelevanten Elementen darstelle, zumal – wie er vorträgt – die Tätigkeit der Verfügungsklägerin bei der Y GmbH, die Änderung ihres Lebenslaufs sowie der Umstand unstreitig seien, dass die Y GmbH in den großen Förderskandal um die Fachhochschule H, das J-Zentrum, Bio-Tech-Produkte und den Zukunftswettbewerb G verwickelt gewesen seien. Weiter sei unstreitig, dass die Rolle der Verfügungsklägerin im Hinblick auf die Verwicklung der Y GmbH in den Förderskandal und im Hinblick auf ihre 12jährige Tätigkeit bei der Y GmbH und anschließend als Wissenschaftsministerin kritisch hinterfragt werde. Insoweit beruft sich der Verfügungsbeklagte auf die von ihm vorgelegten Inhalte des Blogs "M" (Anlagen AG 1 bis 3).
20Im Übrigen verweist der Verfügungsbeklagte darauf, dass er weder behauptet habe, die Verfügungsklägerin habe im Zusammenhang mit dem Förderskandal eine Rolle gespielt noch, dass sie die Löschung der Tätigkeit bei der Y GmbH aus ihrem Lebenslauf deshalb vorgenommen habe, weil die Y GmbH in einen großen Förderskandal verwickelt und ihre Rolle deshalb kritisch hinterfragt worden sei. Vielmehr sei insofern nur die Frage gestellt worden, ob die Löschung vielleicht aus diesen Gründen erfolgt sei. Entsprechendes gelte für die weiteren in dem Text gestellten Fragen. Insgesamt sei die streitgegenständliche Äußerung als Ganzes durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützt.
21Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den vorgetragenen Inhalt der von den Parteien gewechselten Schriftsätze und auf die von ihnen eingereichten Urkunden, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
22E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E :
23Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung, soweit noch über ihn zu entscheiden war, ist zulässig und begründet.
24I.
25Der Antrag auf Erlass der beantragten einstweiligen Verfügung auf Unterlassung ist zulässig, ohne dass der Verfügungsbeklagte einwenden könnte, die Hauptsache werde vorweggenommen. Eine solche Vorwegnahme ist zwar im Hinblick auf den vorläufigen Charakter des einstweiligen Verfügungsverfahrens als summarisches Erkenntnisverfahren grundsätzlich unzulässig. Dies trifft bei dem auf Unterlassung gerichteten streitgegenständlichen Verfügungsantrag jedoch nicht zu. Die in der Praxis bedeutsame Unterlassungsverfügung im Sinne von § 938 Abs. 2 ZPO ist in der Regel Sicherungs- oder Regelungsverfügung (vgl. Zöller-Vollkommer, ZPO, 27. A., § 935, Rn. 2); sie ist jedoch kein Unterfall der Leistungsverfügung. Zwar kann auch sie praktisch zu einer Befriedigung des gesicherten Unterlassungsanspruchs führen, jedoch hat sie meist abwehrenden Charakter und ähnelt insoweit der Sicherungsverfügung, so dass die strengen Voraussetzungen für die Leistungsverfügungen für sie nicht gelten dürften (Zöller-Vollkommer, a.a.O., § 940, Rn. 1). Dies kann vorliegend allerdings unentschieden bleiben, da auch im Bereich der Leistungsverfügung solche Ansprüche im Wege der einstweiligen Verfügung geltend gemacht werden können, auf deren sofortige Erfüllung der Gläubiger dringend angewiesen ist und ihm ein Abwarten auf eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren nicht zugemutet werden kann; diese Voraussetzung wird allerdings nicht der Frage der Zulässigkeit, sondern der Begründetheit (Verfügungsgrund) zugeordnet (Zöller-Vollkommer, a.a.O., § 940, Rn. 6 m. N.). Geradezu typische Anwendungsfälle insoweit sind Ansprüche auf Unterlassung ehrkränkender Äußerungen, wenn die Wiederholung der Äußerungen zu befürchten ist (vgl. OLG Brandenburg, NJW-RR 2002, 1269 m. N.; Damm/Rehbock, Widerruf, Unterlassung und Schadensersatz in den Medien, 3.A., Rn. 821). Beides ist vorliegend der Fall, wie nachstehend darzulegen sein wird.
26II. Der Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung ist auch begründet. Der Verfügungsklägerin steht hinsichtlich des durch die streitgegenständliche Äußerung erweckten Eindrucks ein Unterlassungsanspruch aus §§ 823, 1004 BGB zu. Die Äußerung stellt im Rahmen der Erweckung des dargestellten Eindrucks eine Tatsachenbehauptung dar, deren Unwahrheit die Verfügungsklägerin glaubhaft gemacht hat, ungeachtet der Frage, ob insoweit angesichts des ehrkränkenden Inhalts der Äußerung die Beweislast in Anwendung der in das Zivilrecht transformierten Beweislastregel des § 186 StGB den Verfügungsbeklagten als den sich Äußernden getroffen hätte. Die Bewertung der Äußerung als einer Tatsachenbehauptung ist nach Auffassung der Kammer insbesondere auch unter Berücksichtigung des Zusammenhangs mit dem Wahlkampf, in dem die Postkarte versandt worden ist, geboten. Ihre Zulässigkeit ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der Grundsätze der Verdachtsäußerung. Im Einzelnen gilt folgendes:
271.
28Gegenstand der rechtlichen Beurteilung einer veröffentlichten Äußerung ist diese als zusammenhängendes Ganzes und zwar unter Berücksichtigung des Kontextes und der Begleitumstände, soweit diese für den Rezipienten erkennbar sind. Bei einem Text, der aus mehreren Sätzen einen einheitlichen, erst durch den Zusammenhang voll verständlichen Gedanken wiedergibt, dürfen nicht einzelne Sätze isoliert auf ihre Berechtigung hin untersucht, es muss vielmehr auf den gesamten zusammenhängenden Text abgestellt werden (BGH NJW 1996, 1131, 1133). Von daher verbietet es sich, die auf der Rückseite der Postkarte befindlichen einzelnen Fragen jeweils isoliert und einzeln für sich gesehen auf ihre Zulässigkeit hin zu prüfen. Maßgeblich für die Interpretation ist das Verständnis des unbefangenen Durchschnittsempfängers, der mit der Materie nicht speziell vertraut ist (Burkhardt in Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, Rn. 4.4).
29Im Hinblick auf den von der Verfügungsklägerin konkret gestellten Antrag war es außerdem geboten, zu prüfen, ob die streitgegenständliche Textpassage dem Rezipienten den Eindruck vermittelt, dessen Unterlassung sie begehrt. Ein Verbot eines durch eine Äußerung erweckten Eindrucks ist unter bestimmten Umständen möglich, wenn Darstellungen verdeckte Aussagen enthalten, die sich erst aus dem Gesamtzusammenhang ergeben.
30Liegt es nahe, aus mehreren unstreitigen Tatsachen eine bestimmte (ehrverletzende) Schlussfolgerung zu ziehen, so ist jedenfalls eine bewusst unvollständige Berichterstattung rechtlich wie eine unwahre Tatsachenbehauptung zu behandeln, wenn die Schlussfolgerung bei Mitteilung der verschwiegenen Tatsache weniger nahe liegend erscheint und deshalb durch das Verschweigen dieser Tatsache beim unbefangenen Durchschnittsleser ein falscher Eindruck entstehen kann (vgl. BGH, NJW 2000, 656). Bei der Feststellung solcher verdeckter Behauptungen ist jedoch besondere Zurückhaltung geboten, um die Spannungslage zwischen Ehrschutz und Äußerungsfreiheit nicht einseitig zu Lasten der Äußerungsfreiheit zu verschieben (BGH AfP 1994, 299, 301); eine im Zusammenspiel der offenen Aussagen enthaltene zusätzliche eigene Sachaussage des Autors muss die Grenzen des Denkanstoßes überschreiten und sich dem Leser als unabweisliche Schlussfolgerung nahe legen (BVerfG NJW 2004, 1942).
31Das Verständnis der Äußerung im Zusammenhang mit dem Grundrecht des Art. 5 Abs. 1 GG musste schließlich – und dies ganz entscheidend – von dem Zusammenhang geprägt werden, in dem sie gefallen ist sowie von dem Zweck, dem sie diente. Dem unbefangenen Durchschnittsempfänger, auf dessen Verständnis es ankommt, ist ohne weiteres erkennbar, dass die Postkarte im Zusammenhang mit dem Wahlkampf versandt wurde. Wird von einem Grundrecht nicht zum Zwecke privater Auseinandersetzung Gebrauch gemacht, sondern will der Äußernde in erster Linie zur Bildung der öffentlichen Meinung beitragen, dann sind Auswirkungen seiner Äußerung auf den Rechtskreis Dritter zwar unvermeidliche Folge, nicht aber eigentliches Ziel der Äußerung. Der Schutz des betroffenen Rechtsguts kann und muss um so mehr zurücktreten, je weniger es sich um eine unmittelbar gegen dieses Rechtsgut gerichtete Äußerung im privaten, namentlich im wirtschaftlichen Verkehr und in Verfolgung eigennütziger Ziele handelt, sondern um einen Beitrag zum geistigen Meinungskampf in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage durch einen dazu Legitimierten; hier spricht die Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede (BVerfG NJW 1983, 1415, 1416), weil sonst die Meinungsfreiheit, die Voraussetzung eines freien und offenen politischen Prozesses ist, in ihrem Kern betroffen wäre. In besonderem Maße hat dies zu gelten, wenn es sich um Auseinandersetzungen in einem Wahlkampf handelt, also einer Situation, in welcher der politische Meinungskampf auf das höchste intensiviert ist. Nach Art. 21 I 1 GG wirken die Parteien bei der politischen Willensbildung des Volkes mit; dies geschieht namentlich durch Beteiligung an Wahlen, die in der parlamentarischen Demokratie die wichtigste Form jener Willensbildung sind. Sie nehmen die ihnen durch Art. 21 I 1 GG gestellte, von § 1 I 2 PartG als "öffentliche" bezeichnete Aufgabe wahr, indem sie den eigentlichen Wahlakt als Akt demokratischer Legitimation der das Volk repräsentierenden Organe vorbereiten (vgl. auch §§ 1 II, 2 PartG). Diese Aufgabe verträgt als eine wesensgemäß politische prinzipiell keine inhaltlichen Reglementierungen, wenn anders sie nicht um eine ihrer Grundvoraussetzungen gebracht werden soll (BVerfG a.a.O.). Hieraus ergeben sich für den Richter im zivilrechtlichen Ehrenschutzprozess Grenzen schon bei der Feststellung des Inhalts der Aussage, insbesondere hinsichtlich ihres substantiellen Gehalts an Sachauskünften, aber auch für das, was mit einer Tatsachenbehauptung angesprochen ist (BGH GRUR 1984, 231, 232 – Wahlkampfrede). Auch wo es - wie dies auch konkret der Fall ist - um die Zuweisung von Schuld oder politischer Verantwortung an den Gegner für Missstände oder für zu verurteilende Vorkommnisse geht, muss es dem Wahlkämpfer grundsätzlich möglich sein, seinen Vorwurf in vergröbernder Vereinfachung der Zusammenhänge plastisch zu formulieren (vgl. BGH a.a.O.).
32Das gibt dem sich Äußernden indes nicht das Recht zu unwahren Behauptungen über seinen politischen Gegner; solche Behauptungen schützt Art. 5Abs. 1 GG auch im Wahlkampf nicht. Wo der Sachverhalt nicht nur vereinfacht, sondern auch bei voller Berücksichtigung rednerischer Einkleidungen und Vergröberungen im Kern der Sachaussage falsch dargestellt ist, kann der Kritiker sich nicht darauf zurückziehen, er habe seine Äußerung nur polemisch überzogen (BGH a.a.O.). Die Weiterverbreitung einer unrichtigen Information kann ungeachtet der Motive und des Forums, auf dem sie geschieht, zum Meinungsbildungsprozess nichts beitragen. Sie ist deshalb auch im Rahmen der politischen innerparteilichen Auseinandersetzung von Konkurrenten keinesfalls hinzunehmen und lässt sich auch nicht aus der aus Art. 21 I GG zu entnehmenden Aufgabe der Parteien, an der politischen Meinung des Volkes mitzuwirken, rechtfertigen (BVerfG NJW 2000, 3485).
33Für die nachstehend vorgenommene Einordnung der Äußerung als Tatsachenbehauptung durch Erweckung eines Eindrucks ist es, darauf sei bereits an dieser Stelle hingewiesen, von erheblicher Bedeutung, dass entgegen der Ansicht des Verfügungsbeklagten nicht unstreitig ist, dass die Y GmbH in einen "Förderskandal" verwickelt gewesen sei, der durch den Bericht des Landesrechnungshofs 2007 aufgedeckt worden ist. Vielmehr hat die Verfügungsklägerin alle möglichen Aspekte, die insoweit in Frage kommen könnten, in ihrem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung thematisiert. Sie hat dargelegt und glaubhaft gemacht, dass von einer "Verwicklung" der Y GmbH nicht die Rede sein kann. Damit war auch die Möglichkeit, dass sie darin während ihrer Tätigkeit als Mitarbeiterin "eine Rolle" hätte spielen können, nicht gegeben. Der Verfügungsbeklagte hat diesem ins Einzelne gehenden Vortrag keine eigenen Darlegungen entgegengesetzt, schon gar nicht solche, die den Vortrag der Gegenseite hätten entkräften können.
34Vor diesem Hintergrund ist dem in den Unterlassungsantrag aufgenommenen Text der Postkarte in seinem Gesamtzusammenhang der dem Leser als unabweisliche Schlussfolgerung nahe gelegte Sinn zu entnehmen, dass die Verfügungsklägerin persönlich als damalige Mitarbeiterin der Y GmbH in einem großen Förderskandal auch selbst eine Rolle gespielt habe. Diese Aussage ergibt sich aus folgenden Elementen: Bereits die "Überschrift" auf der Vorderseite "Lilantis Lebenslauf-Lüge ZENSIERT" stimmt den Leser darauf ein, dass in der Folge über eine Unwahrheit berichtet wird, die der Verfügungsklägerin zur Last gelegt wird. Der Begriff "Lebenslauf-Lüge" wird verstärkt durch die Bezeichnung der Verfügungsklägerin als "Lilanti", eine Anspielung an die T-Politikerin Q, deren Person im Anschluss an Landtagswahlen in I im Zusammenhang mit einer im Wahlkampf gemachten Koalitionsaussage assoziiert wird, die später nicht eingehalten werden sollte. Auch das Wort "Zensiert", in dem die den Namen "Y" bildenden Buchstaben hervorgehoben sind, erweckt in dem Leser die gedankliche Verbindung, die Verfügungsklägerin sei in irgendeiner Weise "ertappt" worden. Der folgende, ohne den sonstigen Kontext nicht beanstandenswerte Text "Warum zensieren Sie Ihren Lebenslauf, Frau L? Auf Ihrer Internetseite findet sich heute für die Zeit von 1989 bis 2001 folgende Angabe: ‚Unternehmensberaterin und Projektleiterin‘. Das ist bemerkenswert, denn 2006 ist in Ihrem Lebenslauf auf der gleichen Homepage noch zu lesen: ‚Unternehmensberaterin und Projektleiterin beim Zentrum für Innovation und Technik A (Y GmbH) in N‘. Warum haben Sie den Hinweis auf die Y GmbH einfach gelöscht?" führt den Leser in das Thema der angeblichen Lüge der Verfügungsklägerin ein, nämlich das Entfernen des Namens ihres Arbeitgebers in der Zeit von 1989 bis 2001. Die beiden folgenden Fragesätze greifen dann den eingangs dargestellten Vorwurf der Lüge wieder auf. In dem ersten der beiden Sätze wird die in diesem Verfahren streitige Behauptung, die Y GmbH sei in einen großen Förderskandal verwickelt gewesen, als fest stehende Tatsache dargestellt. Darüber hinaus wird dem Leser mitgeteilt, dass auch die Verfügungsklägerin eine Rolle in dem vorher genannten großen Förderskandal habe ("...auch ihre Rolle dabei..."). Zwar soll diese Rolle nach dem Text "kritisch hinterfragt" werden, jedoch wird im Zusammenhang mit dem folgenden Satz "Haben Sie etwas zu verbergen, Frau L?" das Verständnis des Lesers nicht darauf gelenkt, dass es zweifellos richtig und politisch geboten ist, die Rollen von handelnden Personen in "Förderskandalen" kritisch zu hinterfragen, sondern der Leser versteht den Text so, als wolle die Verfügungsklägerin ein kritisches Hinterfragen unterbinden, weil sie in dem Förderskandal etwas in Bezug auf ihre eigene Person zu verbergen habe.
35Dass der Verfügungsbeklagte in diesen Text insgesamt vier Fragesätze eingebaut hat, ändert an dem dargelegten Verständnis des Durchschnittslesers nichts. Zwar sind echte Fragen, die eine Antwort herausfordern, an sich weder am Wahrheits- noch am Richtigkeitsmaßstab messbar. Sie bilden eine eigene semantische Kategorie und stehen Meinungsäußerungen gleich. Sie sind gleichfalls durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützt (BVerfG NJW 2003, 661). Allerdings kann – wie vorliegend – die Tatsache, dass der Fragende den Gegenstand seiner Frage als klärungsbedürftig bezeichnet, ebenfalls eine (Verdachts-)Äußerung enthalten oder auch rhetorischen Charakter haben und damit als definitive Aussage sowohl tatsächlichen als auch wertenden Charakters sein (BVerfG a.a.O.; Burkhardt in Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, Rn. 4.31). Dies kann z.B. dann der Fall sein, wenn der Adressat durch die weiteren Äußerungen (z.B. eine Überschrift) genügend Informationen erhält, um den Inhalt von Vorwürfen als belegt und glaubhaft vermittelt ansehen zu können (vgl. OLG München, AfP 1987, 440, 441). Dies ist vorliegend der Fall: die im Text enthaltenen (scheinbaren) Fragen führen den Leser gezielt zu der Annahme, die Verfügungsklägerin habe den Namen ihrer damalige Arbeitgeberfirma aus ihrem Lebenslauf gelöscht, weil sie im Zusammenhang mit dem Skandal die Aufdeckung ihrer Rolle verhindern wolle, hierüber also lügen ("Lebenslauf-Lüge") wolle. Dies geschieht insbesondere auch dadurch, dass als Fakt dargestellt wird, dass die Y GmbH definitiv in den Förderskandal verwickelt gewesen sei; wie bereits angedeutet, geht jedoch aus der unwidersprochenen, ins Einzelne gehenden und durch Urkunden belegten Darstellung der Verfügungsklägerin hervor, dass dies so nicht der Fall gewesen ist. Zwar war die Y GmbH als Unternehmensberatung in drei Projekten tätig geworden, die im Bericht des Landesrechnungshofs des Jahres 2007 kritisch beleuchtet wurden. Im spektakulärsten – weil teilweise strafrechtlich aufgearbeiteten - Bereich, betreffend das J-Zentrum, waren unstreitig die Verantwortlichen der Y GmbH von derartigen Vorwürfen niemals betroffen. Im Hinblick auf die Förderpraxis zu "TIP" bz die Vergabepraxis im "Zukunftswettbewerb G " wurde die Y GmbH unbestritten nicht einmal kritisiert. Dass mit-hin nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand die Y GmbH in den dargestellten drei Bereichen lediglich als Unternehmensberatung beauftragt gewesen war, sich jedoch keine konkreten Vorwürfe gegen sie richteten, ist in der Dimension nicht ansatzweise damit zu vergleichen, dass die Firma "in den Förderskandal verwickelt" gewesen sei. Eine angebliche "Verwicklung" impliziert das Verständnis, dass – hier seitens der Verantwortlichen der Y GmbH - eine vorwerfbare Rolle gespielt worden sei. Bei dieser Bewertung berücksichtigt die Kammer die Vorgaben des BGH hinsichtlich der im Wahlkampf bestehenden Grenzen schon bei der Feststellung des Inhalts der Aussage, insbesondere hinsichtlich des substantiellen Gehalts an Sachauskünften (BGH GRUR 1984, 231, 232 – Wahlkampfrede). Die als das Verständnis des Durchschnittsempfängers dargelegte Rezeption der Äußerung des Verfügungsbeklagten setzt die hier wahlkampfbedingt eingebrachte Polemik und Vergröberungen im Sachverhalt als gegeben voraus. Indes ist es gerade der einzig erkennbare Zweck der Postkartenaktion, die Verfügungsklägerin gegenüber dem Wähler in die Nähe eines "großen" Förderskandals zu rücken und ihr eine Rolle darin zuzuweisen. Eine Aufklärung des vermeintlichen Skandals wird von dem Verfügungsbeklagten - jedenfalls nicht aus seinem Prozessvortrag erkennbar - angestrebt. Er bezieht sich lediglich auf die Blog-Seite "M", die er auszugsweise vorlegt, in der aber letztendlich auch nur aus dem Umstand der Tätigkeit der Verfügungsklägerin für die Y GmbH und in späterer Zeit als Wissenschaftsministerin Vermutungen angestellt werden. Es ist jedoch hieraus nicht erkennbar, dass wegen des damaligen Berichts des Landesrechnungshofs, der in der Vergangenheit teils (straf-)juristisch, teils parlamentarisch aufgearbeitet wurde, weitere Aufklärungsmaßnahmen stattfinden oder erforderlich sein könnten; jedenfalls hat der Verfügungsbeklagte Derartiges nicht vorgetragen.
36Der Inhalt des Eindrucks ist als Tatsachenbehauptung zu bewerten, da er sich auf konkrete Vorgänge in der Vergangenheit bezieht, die als etwas Geschehenes dem Beweis offen stehen (vgl. BGH AfP 1975, 804). Er ist seinem Inhalt nach auch nicht so substanzarm, dass er dem Bereich der durch Art. 5 GG geschützten Meinungsäußerung zuzurechnen wäre. Zwar ist mit der Formulierung "Ihre Rolle" für sich gesehen ein verhältnismäßig unbestimmter Vorwurf verbunden; im Gesamtzusammenhang ("Lüge", "zu verbergen") und insbesondere durch die Erwähnung eines "großen" Förderskandals wird jedoch deutlich, dass es sich um einen Vorwurf von nicht unerheblicher Schwere handeln soll. Selbst wenn hiergegen eingewendet würde, diese Schwere sei der Äußerung nicht eindeutig konkret zu entnehmen, so läge auch das Verständnis, das die Kammer der Äußerung als das Verständnis des Durchschnittsrezipienten zugrunde legt, nicht fern. Zeigt sich, dass ein unvoreingenommenes und verständiges Publikum die Äußerung als mehrdeutig wahrnimmt oder verstehen erhebliche Teile des Publikums den Inhalt jeweils unterschiedlich, ist bei der weiteren Prüfung – im Zusammenhang mit einem Unterlassungsanspruch - von einem mehrdeutigen Inhalt auszugehen (BVerfG NJW 2006, 207, 208 – "IM-Sekretär" T3). Diese Ungewissheit geht bei der begehrten Unterlassung zukünftiger Äußerungen zu Lasten des sich Äußernden und beeinträchtigt ihn nicht in seinem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG. Der Schutzbedarf für die individuelle Grundrechtsausübung und die Funktionsfähigkeit des Meinungsbildungsprozesses ist bei gerichtlichen Entscheidungen über die Unterlassung zukünftiger Äußerungen geringer als dann, wenn es um die Sanktionierung von Äußerungen geht. Hier ist im Rahmen der rechtlichen Zuordnung von Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz zu berücksichtigen, dass der Äußernde die Möglichkeit hat, sich in der Zukunft eindeutig auszudrücken und damit zugleich klarzustellen, welcher Äußerungsinhalt der rechtlichen Prüfung einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts zu Grunde zu legen ist (BVerfG a.a.O.).
372.
38Der Eindruck ist unwahr. Die Verfügungsklägerin hat durch die Vorlage von Urkunden und durch eidesstattliche Versicherung zur Überzeugung der Kammer glaubhaft gemacht, dass sie während bz im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit für die Y GmbH keine Rolle in einem großen Förderskandal, in den die Y GmbH – nach der textlichen Vorgabe der Verfügungsbeklagten - verwickelt gewesen ist. Die eidesstattliche Versicherung ergänzt die vorgelegten Urkunden, Widersprüche in ihren Inhalten sind nicht erkennbar. Die demgegenüber von dem Verfügungsbeklagten eingereichten Beiträge in dem Blog "M" sind ihrem Inhalt nach journalistische Beiträge, die jedoch vom Inhalt her die Glaubhaftmachungsmittel der Verfügungsklägerin nicht zu entkräften geeignet sind. Diese mögen Verdachtsäußerungen oder Vermutungen enthalten, zeigen aber konkrete Verdachtsmomente gegen die Y GmbH bz die "Rolle" der Verfügungsklägerin nicht auf und verhalten sich im Wesentlichen zu der Nähe, die die Verfügungsklägerin durch ihre berufliche Tätigkeit bei der Y GmbH und später als Wissenschaftsministerin zu den Geschehnissen gehabt haben müsse. Darüber hinaus geht die Kammer allerdings davon aus, dass der "große Förderskandal", der von dem Durchschnittsleser am ehesten wegen der besonders schweren Vorwürfe gegen die Verantwortlichen im Zusammenhang mit dem J-Zentrum assoziiert wird und im dem der Verfügungsklägerin eine Rolle zugewiesen wird, eine ehrbeeinträchtigende Behauptung darstellt. Hier hätte es nach der über § 823 Abs. 2 BGB in das Deliktsrecht transformierten Beweisregel des § 186 StGB im Übrigen grundsätzlich dem Verfügungsbeklagten oblegen, den Wahrheitsbeweis zu führen. Indes konnte die Frage der Beweislast unentschieden bleiben, da die Klägerin die Unwahrheit hinreichend glaubhaft gemacht hat.
393.
40Schließlich hat die Kammer die Zulässigkeit der Äußerung unter dem Gesichtspunkt einer zulässigen Verdachtsäußerung geprüft. Die grundsätzliche Legitimität von Verdachtsäußerungen ergibt sich daraus, dass diese in die Öffentlichkeit berührenden Angelegenheiten notwendig sein können, um weitere Ermittlungen in Gang zu bringen. Dem Verfügungsbeklagten ist zuzugeben, dass für Nicht-Journalisten nicht die journalistische Sorgfaltspflicht gilt (vgl. BVerfG NJW 1992, 1439, 1442). Von Einzelpersonen darf grundsätzlich eine der journalistischen Sorgfaltspflicht vergleichbare Sorgfalt nur verlangt werden, soweit er Tatsachenbehauptungen aus seinem eigenen Erfahrungs- und Kontrollbereich aufstellt. Dagegen ist es ihm bei Vorgängen von öffentlichem Interesse, namentlich solchen aus nicht transparenten Politik- und Wirtschaftsbereichen, regelmäßig nicht möglich, Beweise oder auch nur Belegtatsachen aufgrund eigener Nachforschungen beizubringen. Er ist insoweit vielmehr auf die Berichterstattung durch die Medien angewiesen (BVerfG a.a.O.). Indes geht die Kammer nicht davon aus, dass der Verfügungsbeklagte tatsächlich in einer der "Einzelperson" vergleichbaren Situation ist, in der er einen Verdacht geäußert hat, den er – außer nach unwidersprochenen Medienberichten – nicht hätte überprüfen können. Zum einen hat er als politische Partei Zugang zu den Berichten des Landesrechnungshofs, den Landtagssitzungen und sonstigen maßgeblichen Unterlagen zu dem "Förderskandal" in weitaus größerem Umfang als die journalistischen Betreiber der Internet-Seite M. Hätte es im Zusammenhang mit dem Bericht des Landesrechnungshofs aus dem Jahr 2007 einer weiteren Aufklärung bedurft, hätte der Verfügungsbeklagte als große Partei dies parlamentarisch oder politisch bewirken können. Im Übrigen beruft sich der Verfügungsbeklagte bei seiner Äußerung auch nicht auf unwidersprochene Medienberichte. Unstreitig hat die Verfügungsklägerin sich gegen die Berichterstattung in der WAZ gewehrt; sie hat dort die Veröffentlichung einer Richtigstellung erstritten. Auch gegen die Darstellung auf der Internetseite "M" hat sie sich gewehrt, wie aus den von dem Verfügungsbeklagten selbst eingereichten Auszügen erkennbar ist. Aus dem Text in Anlage AG 2 ergibt sich, dass der Verfasser es gerade beklagt, wegen seiner Darstellung von der Verfügungsklägerin abgemahnt worden zu sein.
41Eine Tatsachenbehauptung behält auch in "verdeckter" Gestalt als Verdachtsäußerung, Vermutung oder Möglichkeit ihren Charakter als Tatsachenbehauptung, wenn der Äußernde das Mitgeteilte als wahr suggeriert und dem Leser als Schlussfolgerung nahe legt. Die Mitteilung eines "Verdachts" oder "Gerüchts" stellt eine nicht nur die Existenz, sondern auch eine den geschilderten Inhalt des Verdachts bzw. Gerüchts betreffende Tatsachenbehauptung dar, sofern sich der Äußernde nicht von dem Gerücht oder Verdacht distanziert. Auch die besondere Situation eines aktuellen Wahlkampfes gibt bei unwahren ehrverletzenden Tatsachen hierfür keinen Rechtfertigungsgrund her. In Bezug auf Meinungsäußerungen gilt im Wahlkampf zwar ein großzügiger Maßstab. Aber auch im Wahlkampf ist es nicht gerechtfertigt, unwahre ehrverletzende Tatsachenbehauptungen über einen Kandidaten zu verbreiten (vgl. OLG Brandenburg, NJW-RR 2002, 1269, 1270).
424.
43Die für den Unterlassungsanspruch weiter erforderliche Voraussetzung der Widerholungsgefahr ist ebenfalls anzunehmen. Dann, wenn - wie hier - bereits ein rechtswidriger Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen erfolgt ist, besteht eine tatsächliche Vermutung für das Vorliegen der Wiederholungsgefahr. Im Interesse des Rechtsschutzes des Betroffenen, der bereits einmal das Opfer eines Eingriffs in sein allgemeines Persönlichkeitsrecht geworden ist, müssen an die Widerlegung der Vermutung der Wiederholungsgefahr hohe Anforderungen gestellt werden. (ständ. Rechtsprechung, vgl. hierzu BGH NJW 1994, 1281, 1283). Der Verfügungsbeklagte hat auf die vorgerichtliche Abmahnung hin die Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung verweigert und verteidigt seine Äußerung weiterhin als richtig.
44III.
45Dem Verfügungsbegehren ist weiter auch nicht der Verfügungsgrund der Dringlichkeit (§§ 935, 940 ZPO) abzusprechen. Denn der in Rede stehende Vorwurf, den der Verfügungsbeklagte über die Postkartenaktion geäußert und verbreitet hat, ist geeignet, die Verfügungsklägerin in ihrem Ruf und Ansehen sowie ihrer beruflichen Wertgeltung als Politikerin erheblich zu beschädigen. Mit Blick auf diese als gravierend zu beurteilenden Beeinträchtigungen, welche die Verfügungsklägerin mit der Verbreitung der in Rede stehenden Aussage zu gewärtigen hat, ist der Erlass der begehrten Unterlassungsverfügung zur Abwendung wesentlicher Nachteile geboten, wohingegen es dem Verfügungsbeklagten zuzumuten ist, die weitere Verbreitung der streitbefangenen Äußerung bis zu einer endgültigen Klärung im Rahmen eines Hauptsacheverfahrens zurückzustellen. Dies gilt insbesondere deshalb, weil eine etwaige Rolle der Verfügungsklägerin aufgrund ihrer Tätigkeit bei der Y GmbH in einem "Förderskandal", auf den sich der Verfügungsbeklagte bezieht, nicht erst jetzt bekannt geworden ist, sondern nach dem Bericht des Landesrechnungshofs seit 2007 hätte ermittelt werden können. Auch sind nicht jetzt erst neue Tatsachen bekannt geworden, die eine andere Beurteilung als früher rechtfertigen. Dass in dem Blog "M" im Hinblick auf die Änderung der Internetseite der Verfügungsklägerin jetzt gemutmaßt wird, sie könne etwas zu verbergen haben, steht dem nicht gleich. Darüber hinaus ist die Verfügungsklägerin nach Beginn der Postkartenaktion recht-zeitig tätig geworden. Sie hat den Verfügungsbeklagten am 26.06.2009 abgemahnt und den Antrag auf Erlass der einstweiligen Verfügung am 08.07.2009 bei Gericht gestellt.
46IV. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91, 269 Abs. 3 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der aufgrund der Rücknahme des früheren Antrags zu 1 teilweise zu Lasten der Verfügungsklägerin getroffenen Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO. Im Übrigen ist die einstweilige Verfügung ohne besonderen Ausspruch, auch hinsichtlich der Kostenentscheidung, vorläufig vollstreckbar.
47Streitwert: bis zur teilweisen Antragsrücknahme: 20.000,00 € (5.000,00 € + 15.000,00 €) danach: 15.000,00 €
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