Urteil vom Landgericht Köln - 20 O 254/09
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 129.078,71 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.05.2009 zu zahlen.
2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin 50 % derjenigen weiteren Aufwendungen zu erstatten, die die Klägerin aufgrund des Unfalls der Geschädigten N vom 14.09.1998, bei dem diese erheblich verletzt wurde, hat und noch haben wird.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig gegen Sicherheitsleistung von 120 % des zu vollstreckenden Betrages vollstreckbar.
1
T A T B E S T A N D :
2Die Klägerin ist gesetzliche Unfallversicherung und macht gegenüber der Beklagten auf der Grundlage des zwischen den Parteien bestehenden Teilungsabkommens 50 % derjenigen Aufwendungen geltend, die sie aufgrund des Unfalls der Frau N vom 14.09.1998 an diese zu leisten hat.
3Das maßgebliche Teilungsabkommen vom 29.02.1984/23.03.1984 (Bl. 135 ff. d.A.), in dem in die Klägerin als BG und die Beklagte als HV bezeichnet wird, lautet ausdrucksweise wie folgt:
4§ 1
5Werden von der BG aufgrund der Vorschriften der §§ 116 ff. SGB X Ersatzansprüche gegen eine natürliche oder juristische Person erhoben, die gegen die gesetzliche Haftpflicht aus dem der Forderung zugrunde liegenden Schadensereignis bei dem HV versichert ist, so verzichtet der HV auf die Prüfung der Haftungsfrage und beteiligt sich nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen an den Aufwendungen der BG...
6§ 2
7Für die Anwendung des Teilungsabkommens gelten die folgenden Voraussetzungen:
85. Im Kraftfahrzeug-Haftpflicht-Bereich (KH-Schaden) muss ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Schadensereignis und dem Gebrauch eines Kraftfahrzeuges im Sinne der Rechtsprechung des BGH bestehen.
9§ 4
1012. Von den Barleistungen der BG (Übergangsgeld, Verletztengeld, Renten) werden die ersten DM 10.000,00 hälftig ohne Rücksicht darauf geteilt, ob die Leistungen zivilrechtlich übergangsfähig sind
11Soweit diese Leistungen der BG den vorstehenden Betrag von DM 10.000,00 übersteigen, ist dagegen der Einwand der mangelnden zivilrechtlichen Übergangsfähigkeit zulässig. Die Beweispflicht obliegt ausschließlich der BG.
1213. Hinsichtlich der schadensbedingten Sachleistungen der BG, die der HV nach diesem Abkommen mit 50 % erstattet, ist der Einwand der mangelnden zivilrechtlichen Übergangsfähigkeit zulässig.
13§ 5
1416. Im Bereich der Kraftfahrzeug-Haftpflicht ist das Abkommen nicht limitiert.
15Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Hälfte der Aufwendungen, die sie im Zusammenhang mit dem nachfolgend geschilderten Unfall an die Geschädigte erbracht hat:
16Am 14.09.1998 gegen 13.55 Uhr fuhr der Versicherungsnehmer der Beklagten mit dem Pkw, Marke Toyota Corolla, amtliches Kennzeichen: ### auf der Bundesstraße B 35 im Gemeindebereich T in Fahrtrichtung B. Dabei überholte er auf Höhe des km-Standes 72,5 zwei hintereinander fahrende Lastkraftwagen und zwar zuerst einen Lkw Fiat Ducato. Nachdem er diesen überholt hatte, wollte er in einem Zug einen weiteren Lkw überholen. Aufgrund der regennassen Fahrbahn und die durch den Lkw aufgewühlte Gischt war die Sicht des Versicherungsnehmers der Beklagten erheblich eingeschränkt, zudem befand sich in der weiteren Fahrtrichtung eine Rechtskurve. Als der Versicherungsnehmer der Beklagten, der gleichwohl zum Überholen des zweiten Lkw ansetzte, einen entgegenkommenden Rettungswagen erkannte, bremste er sein Fahrzeug abrupt ab, woraufhin es auf der regennassen Fahrbahn ins Schleudern geriet und gegen die in seiner Fahrtrichtung linke Schutzplanke prallte. Von dieser wurde der Pkw abgelenkt, auf die Fahrbahn zurück geschleudert und kollidierte dort mit dem entgegenkommenden Sanitätswagen.
17In diesem Notarztwagen befand sich die Geschädigte N, die am 14.09.1998 vom Hausarzt in die medizinische Klinik aufgrund einer Hemiparese rechts und Sprachstörungen eingewiesen worden war. Wegen der ungeklärten diagnostischen Situation sollte die Patientin in die Stroke Unit (Schlaganfall-Behandlungsstation) des Bezirksklinikums D mit dem Rettungswagen des Bayerischen Roten Kreuzes unter Begleitung eines Notarztes verlegt werden. Durch den mit dem Notarztwagen erfolgten Unfall wurde auch die Geschädigte N verletzt. Sie war liegend auf einer Trage transportiert worden und dabei mit mehreren Gurten befestigt. Durch die Wucht des Aufpralls rutschte sie jedoch aus den Gurten heraus, stieß mit dem Kopf gegen den Sitz des Beifahrers und stürzte sodann mit ihrer Trage um. Hierdurch erlitt sie u.a. Wirbelbrüche und Halswirbelquetschungen. Der anschließende Transport erfolgte infolge der Schwere der Verletzungen mit dem Rettungshubschrauber.
18In der Universitätsklinik D wurde unter Vollnarkose die Luxation wieder eingerenkt. Auf der Überwachungsstation, wohin die Patientin N nach diesem Eingriff verbracht wurde, kam es wenige Stunden später in der Nacht vom 15.09. zum 16.09.1998 bei der Geschädigten zu einer Einblutung in das Gehirn, wodurch ein operativer Eingriff und zahlreiche weitere Behandlungen erforderlich wurden. Hierdurch ist die Geschädigte N dauerhaft erkrankt und auf fremde Hilfe angewiesen.
19Die Klägerin hatte zwischenzeitlich Aufwendungen für die Geschädigte in Höhe von 326.086,26 €.
20Die Geschädigte N hat gegen die Klägerin vor dem Sozialgericht D einen Rechtsstreit geführt, da die Klägerin die Halbseitenlähmung und die Sprachstörungen der Geschädigten zunächst nicht als von ihr zu entschädigende Verletzungsfolgen anerkannt hat.
21Im Rahmen dieses Rechtsstreits hat das Sozialgericht D zwei Sachverständigengutachten von Herrn Prof. Dr. T2 eingeholt, der letztendlich zu dem Ergebnis kam, dass als Folge des am 14.09.1998 erlittenen Unfalls alle Defizite gewertet werden müssen, die nach der Einblutung in den Hirninfarkt aufgetreten sind und sich in der Folge nicht zurückgebildet haben, so insbesondere die schwere Halbseitenlähmung rechts und Aphasie sowie die damit verbundene allgemeine Hirnleistungsschwäche mit allen ihren Behinderungen, entsprechend der vom Amt für Versorgung und Familienförderung festgestellten MdE von 100 %.
22Nachdem der Sachverständige an diesem Ergebnis auch in einer ergänzenden Stellungnahme festhielt, hat die Klägerin vor dem Sozialgericht die weiteren Folgeerscheinungen der Patientin N als Unfallfolge anerkannt.
23Die Klägerin ist der Auffassung, die Beklagte sei aufgrund des Teilungsabkommens verpflichtet, ihr die Hälfte der geleisteten Aufwendungen zu erstatten.
24Die Klägerin beantragt,
251. die Beklagte zu verurteilen, an sie 129.078,71 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.05.2009 zu zahlen;
262. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr 50 % derjenigen weiteren Aufwendungen zu erstatten, die sie aufgrund des Unfalls der Geschädigten N vom 14.09.1998, bei dem diese erheblich verletzt wurde,
27hat und noch haben wird;
283. die Beklagte zu verurteilen, ihr außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.356,68 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13.05.2009 zu zahlen.
29Die Beklagte beantragt,
30die Klage abzuweisen.
31Sie ist der Auffassung, sich nur zu 50 % an solchen Aufwendungen beteiligen zu müssen, die eindeutig auf das Unfallereignis zurückzuführen seien, nicht jedoch hinsichtlich solcher Aufwendungen, die auf dem vorausgegangenen Schlaganfall der Geschädigten beruhten. Die Unfallfolgen seien abgrenzbar von den gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die die Geschädigte aufgrund des Hirninfarkts davon getragen habe. Insbesondere sei die Traumatisierung gegen den Schädel geringfügig gewesen und daher nicht geeignet, die erst 2 Tage später erfolgte Einblutung ins Gehirn zu verursachen. Nach dem Teilungsabkommen obliege der Klägerin der Beweis, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der Erkrankung und dem Gebrauch des Fahrzeuges vorliege. Nachgewiesen sei dies hinsichtlich der unstreitigen HWK–Luxation – und der HWK–Kompressionsfraktur, nicht jedoch bezüglich der weiteren Beeinträchtigungen, die bei der Geschädigten N schon vorher vorgelegen hätten. Der in § 1 des streitgegenständlichen Teilungsabkommens erklärte Verzicht auf die Prüfung der Haftungsfrage bedeute nicht zugleich auch einen Verzicht auf die Prüfung der haftungsbegründenden und insbesondere der haftungsausfüllenden Kausalität. Dies ergebe sich auch daraus, dass in § 4 Ziffern 12 und 13 der Einwand der mangelnden zivilrechtlichen Übergangsfähigkeit ausdrücklich als zulässig erklärt worden sei.
32Daneben bestreitet die Beklagte, dass die mit der Klage geltend gemachten Aufwendungen medizinisch notwendig gewesen seien und auf den tatsächlichen Unfallfolgen beruhen.
33Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen, das Protokoll der Sitzung sowie den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen. Die Akte – S 4 U 397/01 des Sozialgerichts D sowie die Akte 3 Js 11877/98 der StA B waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
34E N T S C H E I D U N G S G R Ü N D E:
35Die Klage ist im zuerkannten Umfang begründet, wegen der vorprozessualen Rechtsanwaltskosten unbegründet.
36Die Verpflichtung der Beklagten sich zu 50 % an den Aufwendungen der Klägerin für die Geschädigte N zu beteiligen folgt aus § 1 des Teilungsabkommens, wonach die Beklagte als HV auf die Prüfung der Haftungsfrage verzichtet hat. Dieser Verzicht ist umfassend und differenziert nicht hinsichtlich der Frage der haftungsbegründenden und der haftungsausfüllenden Kausalität, vielmehr reicht es nach § 2 des Teilungsabkommens im Bereich der Kraftfahrzeug-Haftpflicht aus, dass ein ursächlicher Zusammenhang zwischen dem Schadensereignis und dem Gebrauch eines Kraftfahrzeuges besteht. Ein solcher Zusammenhang ist unzweifelhaft gegeben. Nach dem eindeutigen Wortlaut des Teilungsabkommens muss die Klägerin gerade nicht den Nachweis führen, dass und welche Aufwendungen im Einzelnen, die sie an die Geschädigte N erbringt, rein unfallbedingt sind. Es genügt generell ein ursächlicher Zusammenhang mit dem Gebrauch eines Kraftfahrzeuges. Für diese Auslegung spricht auch, dass die Parteien des vorliegenden Teilungsabkommens anders als im Fall, den der BGH entschieden hat (Versicherungsrecht 2007, 1247), davon abgesehen haben, eine Klausel wie aufzunehmen, wonach die Klägerin im Zweifelsfall die Ursächlichkeit des fraglichen Schadenfalles für den der Kostenanforderung zugrundeliegenden Krankheitsfall nachzuweisen hat. Vielmehr sollte eine Prüfung der Haftungsfrage generell nicht erfolgen. Es soll ja gerade im Sinne einer beschleunigten Regulierung und Kostenersparnis ein Streit um die Haftpflichtfrage vermieden werden, wie sich auch aus § 4 des Teilungsabkommens ergibt, wonach unter bestimmten Voraussetzungen lediglich der Einwand der mangelnden zivilrechtlichen Übergangsfähigkeit zulässig ist. Gleiches folgt auch aus § 6 Ziffer 19 des Teilungsabkommens, in dem ausdrücklich geregelt ist, dass Ansprüche der Berufsgenossenschaft aus § 640 RVO nicht Gegenstand dieses Teilungsabkommens sind, sondern nach Rechtslage abzuwickeln sind. Wäre dies auch im Bereich der Ansprüche der §§ 116 ff SGB X gewollt gewesen, wäre es ein Einfaches gewesen, insoweit auch eine entsprechende Regelung zu treffen.
37Die Beklagte kann auch aus dem in § 4 vereinbarten Einwand der mangelnden zivilrechtlichen Übergangsfähigkeit nichts herleiten. Die Beklagte verkennt, dass die Prüfung der Übergangsfähigkeit sich bei Bestehen eines Teilungsabkommens nur auf die versicherte Eigenschaft des Verletzten, die gesetzliche Leistungspflicht des Sozialversicherers und darauf erstreckt, ob der von dem Verletzten behauptete Ersatzanspruch seiner rechtlichen Natur nach übergangsfähig ist (LG Köln, Versicherungsrecht 1972, 147; BGH, Urteil vom 06.12.1977, VI ZR 79/76).
38Die Beklagte bezweifelt auch zu Unrecht, ob die von der Klägerin gegenüber der Geschädigten N erbrachten Leistungen medizinisch notwendig waren. Durch die Regelung im Teilungsabkommen, dass die Beklagte sich an den Leistungen der Beklagten mit einer Quote von 50 % beteiligt, hat sie der Klägerin die Prüfung überlassen, welche Leistungen erforderlich und medizinisch notwendig sind. Das Teilungsabkommen bezweckt ja gerade auch, einen langwierigen und kostenträchtigen Streit über die Berechtigung einzelner über Jahre hinweg erbrachter Leistungen zu vermeiden. Die mit dem Teilungsabkommen angestrebte Regulierungsvereinfachung würde unterlaufen, wäre die Klägerin gehalten, der Beklagten die medizinische Notwendigkeit jeder einzelnen erbrachten Leistung, wobei es sich um tausende von Einzelleistungen handeln kann, nachweisen zu müssen.
39Die Klage ist aber unbegründet, soweit die Klägerin die Erstattung vorprozessual aufgewandter Rechtsanwaltskosten beansprucht. Die Klägerin hat nicht dargetan, dass die Beklagte zum Zeitpunkt des anwaltlichen Aufforderungsschreibens bereits in Verzug war.
40Die zugesprochenen Zinsen sind verzugsbedingt.
41Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 91, 709 ZPO.
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Referenzen
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