Urteil vom Landgericht Köln - 91 O 4/10
Tenor
I.
Die in der Hauptversammlung der Beklagten vom 14.12.2009 antragsgemäß gefassten Beschlüsse zu den Tagesordnungspunkten 4) bis 7) mit nachfolgendem Wortlaut werden für nichtig erklärt:
4. Beschlussfassung über die Verwendung des Bilanzgewinns für das Geschäftsjahr 2008
Es wird beantragt, den Bilanzgewinn des Geschäftsjahres 2008 in Höhe von € 455.750,36 in die anderen Gewinnrücklagen einzustellen
5. Beschlussfassung über die Entlastung des Vorstands für das Geschäftsjahr 2008
Es wird beantragt dem Vorstand für das Geschäftsjahr 2008 Entlastung zu erteilen.
6. Beschlussfassung über die Entlastung des Aufsichtsrats für das Geschäftsjahr 2008
Es wird beantragt dem Aufsichtsrat für das Geschäftsjahr 2008 Entlastung zu erteilen.
7. Neuwahlen zum Aufsichtsrat
Der gemäß § 9 Abs. 1 der Satzung aus drei Mitgliedern bestehende Aufsichtsrat setzt sich nach §§ 96 ff AktG, insbesondere den §§ 96 Abs. 1, 101 Abs. 1 AktG ausschließlich aus Mitgliedern der Aktionäre zusammen. Sämtliche Mitglieder des Aufsichtsrats sind also von der Hauptversammlung zu wählen. Die Hauptversammlung ist an Wahlvorschläge für die von ihr zu wählenden Mitglieder des Aufsichtsrats nicht gebunden.
Es wird beantragt, die Herren
- Dr. Q, Rechtsanwalt und Steuerberater, geboren am00.00.00, Köln,
- E, Rechtsanwalt und Leiter der Rechtsabteilung derS1 AG, geboren am 00.00.00, Köln, sowie
- T, Kaufmann und Leiter der Steuerabteilung und desRechnungswesens der S1 AG, geboren am 00.00.00, Köln
für eine Amtsperiode nach § 9 Abs. 2 der Satz i.V.m. § 102 AktG, also für die Zeit bis zur Beendigung der Hauptversammlung zu wählen, die über die Entlastung des Aufsichtsrats für das vierte Geschäftsjahr nach dem Beginn der Amtszeit beschließt; hierbei wird das Geschäftsjahr, in dem die Amtszeit beginnt, nicht mitgerechnet (also bis zur ordentlichen Hauptversammlung 2014, die über die Entlastung für das Geschäftsjahr 2013 beschließt).
II.
Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.
III.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung von 70.000,00 € vorläufig vollstreckbar.
1
T a t b e s t a n d :
2Die Kläger fechten Beschlüsse der Hauptversammlung der Beklagten vom 14.12.2009 an.
3Die Kläger sind Minderheitsaktionäre der Beklagten. Mehrheitsaktionärin ist die Firma S1 e.G. mit 99,59 % der Aktien. Mit Ankündigung im elektronischen Bundesanzeiger vom 29.10.2009 (Anlage K 1) lud die Beklagte „auf Verlangen eines mit mehr als dem 20sten Teil des Grundkapitals an der Gesellschaft beteiligten Aktionärs nach § 122 Abs. 1 AktG“ zu einer Hauptversammlung auf den 14.12.2009 ein. Zur Beschlussfassung wurden u.a. unter Punkten 4.) – 7.) die streitgegenständlichen Beschlussanträge gestellt. Wegen der Einzelheiten der Einladung wird auf Blatt 1 f. des Anlagenheftes Bezug genommen.
4In der Hauptversammlung wurden die streitgegenständlichen Beschlüsse gefasst, und zwar mit den Stimmen der Mehrheitsaktionärin. Die Klägerin zu 1) war in der Hauptversammlung durch ihren Bevollmächtigten N vertreten, die Klägerin zu 2) war persönlich anwesend. Sowohl der Vertreter der Klägerin zu 1) als auch die Klägerin haben gegen sämtliche Beschlüsse der Hauptversammlung Widerspruch zur Niederschrift erklärt.
5Die Kläger sind der Auffassung, sämtliche der angefochtenen Beschlüsse seien für nichtig zu erklären, weil sie gegen das Gesetz verstießen. So enthalte die Einladung entgegen § 124 Abs. 3 Satz 1 des AktG keine Vorschläge zur Beschlussfassung des Vorstands und des Aufsichtsrats. Ferner weise der Jahresabschluss multiple Schreibfehler auf. Die Thesaurierung des Gewinns verstoße gegen § 254 AktG und verschaffe dem Mehrheitsaktionär überdies einen Sondervorteil im Sinne des § 243 Abs. 2 AktG. Die Entlastungsbeschlüsse seien rechtswidrig, weil die zu Entlastenden Verantwortung für die „Schreibfehler“ im Jahresabschluss trügen, in der Hauptversammlung Nachfragen der Minderheitsaktionäre nicht beantwortet und überdies gegen ihre Verschwiegenheitsverpflichtung verstoßen hätten. Überdies fehle der Bericht des Aufsichtsrats nach § 171 AktG. Auch ein Lagebericht des Vorstands fehle.
6Der Beschluss zur Neuwahl des Aufsichtsrats sei schon deswegen rechtswidrig, weil der Name des vorschlagenden Aktionärs nicht genannt werde. Überdies bestehe eine Abhängigkeit zwischen dem vorgeschlagenen Aufsichtsratsvorsitzenden Q und dem Vorstand A. Die Beschreibung der beruflichen Tätigkeit des Aufsichtsratsvorsitzenden Q sei unzureichend.
7Die Klägerinnen beantragen,
8wie erkannt.
9Die Beklagte beantragt,
10die Klage abzuweisen.
11Sie tritt den Vorwürfen der Klägerinnen entgegen. Insbesondere liege kein Verstoß gegen § 124 Abs. 3 S. 1 AktG vor. Denn die Einladung zur Hauptversammlung beruhe auf § 122 Abs. 1 AktG, weshalb Beschlussvorschläge nach § 124 Abs. 3 Satz 2, 2.Fall AktG entbehrlich gewesen seien.
12Wegen aller weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes nimmt die Kammer Bezug auf die Gerichtsakte.
13E n t S c h e i d u n g s g r ü n d e :
14Die Anfechtungsklagen haben Erfolg.
15Die angefochtenen Hauptversammlungsbeschlüsse sind gemäß § 243 Abs. 1 AktG für nichtig zu erklären, weil sie gegen das Gesetz, namentlich § 124 Abs. 3 S. 1 AktG in der bis zum 01.09.2009 geltenden Fassung verstoßen, die gemäß § 20 Abs. 1 EG AktG maßgeblich ist.
16Nach § 124 Abs. 3 S. 1 AktG haben der Vorstand und der Aufsichtsrat zu jedem Gegenstand der Tagesordnung, über den die Hauptversammlung beschließen soll – in Fällen der Neuwahl des Aufsichtsrats nur der Aufsichtsrat – in der Bekanntmachung Vorschläge zur Beschlussfassung zu unterbreiten. Solche Vorschläge finden sich in der Bekanntmachung der Einladung vom 29.10.2009 (Anlage K 1) nicht. In der Bekanntmachung vom 29.10.2009 werden jeweils nur die Beschlussanträge der die Einberufung beantragenden Mehrheitsaktionärin mitgeteilt, nicht aber Beschlussvorschläge des Vorstands und des Aufsichtsrats bzw. – in Bezug auf die Neuwahl des Aufsichtsrats – nur des Aufsichtsrats. Der Normverstoß begründet die Anfechtbarkeit sämtlicher Beschlüsse (vgl. Hüffer, AktG, 9. Auflage, § 124 Rdnr. 12 a.E. m.w.N.).
17Die Angabe solcher Vorschläge war nicht gemäß § 124 Abs. 3 Satz 2, 2. Fall AktG entbehrlich. Danach findet § 124 Abs. 3 S. 1 AktG u. a. dann keine Anwendung, wenn der Gegenstand der Beschlussfassung auf Verlangen einer Minderheit auf die Tagesordnung gesetzt wurde. Dieser Fall liegt nach einhelliger Auffassung auch dann vor, wenn die Hauptversammlung insgesamt auf Verlangen einer Minderheit einberufen wurde. Der Auffassung der Beklagten, dies gelte für jeden Fall der Einberufung der Hauptversammlung aufgrund eines Aktionärsverlangens gemäß § 122 Abs. 1 AktG, also auch dann, wenn die Einberufung auf Verlangen eines Aktionärs erfolgt, der nicht Minderheitsaktionär ist, folgt die Kammer nicht.
18Zwar ist richtig, dass eine Hauptversammlung gemäß § 122 Abs. 1 AktG auch dann einzuberufen ist, wenn nicht ein Minderheitsaktionär die Einberufung verlangt. Die Überschrift des § 122 AktG, die von der Einberufung auf Verlangen einer „Minderheit“ spricht, ist insofern irreführend. Denn aus dem allein maßgeblichen Wortlaut des Gesetzestextes ergibt sich keine Beschränkung dahingehend, dass ein Einberufungsverlangen nach § 122 AktG nicht auch von einem Mehrheitsaktionär erfolgen könnte. § 122 Abs. 1 S.1 AktG verlangt lediglich ein Mindestquorum. Dementsprechend ist § 122 AktG nach einhelliger Auffassung kein Minderheitenrecht (vgl. nur Hüffer, AktG, 9. Auflage, § 122 Rdnr. 2 a.E.).
19Dies zwingt indessen nicht dazu, den Begriff der Minderheit in § 124 Abs. 3 Satz 2 Fall 2 AktG, dahingehend auszulegen, dass hiermit § 122 Abs. 1, 3 AktG in Bezug genommen werden sollte, Beschlussvorschläge des Vorstandes und des Aufsichtsrates also in allen Fällen entbehrlich seien, in denen die Hauptversammlung gemäß § 122 AktG einberufen wird. Der Wortlaut des § 124 Abs. 3 Satz 2 AktG, der zugleich die Grenze der zulässigen Auslegung vorgibt, gibt hierzu keinerlei Anhaltspunkte. Denn hätte der Gesetzgeber nicht an die Minderheiteneigenschaft des den Gegenstand der Beschlussfassung verlangenden Aktionärs anknüpfen wollen, sondern an den Umstand, dass die Hauptversammlung gemäß § 122 Abs. 1 AktG auf Verlangen eines Aktionärs einberufen wurde, hätte dies entsprechend Eingang in die Gesetzesformulierung finden können. Die von der Beklagten vertretene Auslegung findet ihre Grenze deshalb schon im Wortlaut des § 124 Abs.3 Satz 2 AktG. Beruht der Gegenstand der Beschlussfassung – wie hier – auf Verlangen einer Mehrheit lässt der Wortlaut eine Subsumtion unter § 124 Abs. 3 Satz 2 AktG schlechthin nicht zu. In einem Fall wie dem vorliegenden, in dem zwar die Einberufung der Hauptversammlung nach § 122 Abs. 1 AktG erfolgt, der die Einberufung verlangende Aktionär allerdings kein Minderheitsaktionär ist, scheidet eine Anwendung des § 124 Abs. 3 Satz 2, 2. Fall AktG mithin aus mit der Folge, dass Beschlussvorschläge des Aufsichtsrats und des Vorstands nicht entbehrlich sind.
20Die von der Beklagten befürchtete Rechtsunsicherheit für Vorstand und Aufsichtsrat bei der Frage, ob es sich bei dem den Beschlussgegenstand verlangenden Aktionär um einen Minderheitsaktionär handelt oder nicht, besteht nicht. Denn der Begriff der Minderheit lässt sich – wie von den Klägern zutreffend vorgeschlagen – unschwer durch einen Rückschluss aus § 16 AktG bestimmen. Dass unter Umständen aus tatsächlichen Gründen unklar sein kann, ob der den Beschlussgegenstand Verlangende in diesem Sinne ein Minderheitsaktionär ist, ist in Anbetracht des klaren Wortlauts des § 124 Abs. 3 Satz 2 AktG hinzunehmen.
21Verstieß die Bekanntmachung bezüglich sämtlicher angekündigter Beschlussgegenstände damit gegen § 124 Abs. 3 S. 1 AktG, hat die Anfechtungsklage bezüglich sämtlicher Tagesordnungspunkte Erfolg. Von der Relevanz des Verstoßes gegen § 124 Abs. 3 S. 1 AktG für die Beschlussfassung ist in einem Fall wie dem vorliegenden auszugehen (vgl. Hüffer, a.a.O., § 243 Rdnr. 15).
22Auf die weiteren von der Klägerin geltend gemachten Anfechtungsgründe kommt es damit nicht an.
23Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.
24Streitwert: 50.000,00 Euro.
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