Urteil vom Landgericht Köln - 90 O 21/10
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits sowie die außergerichtlichen Auslagen der Streithelferin werden der Klägerin auferlegt.
Dieses Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Sicherheitsleistung auch durch unwiderrufliche, selbstschuldnerische Bürgschaft eines als Steuerbürge zugelassenen Kreditinstituts zu erbringen.
1
T a t b e s t a n d
2Die Parteien sowie die Streithelferin der Beklagten sind Telekommunikationsunternehmen und streiten über Zahlungsansprüche für Verbindungsleistungen.
3Aufgrund einer Zusammenschaltungsvereinbarung vom 27./28.02.2008 (Interconnection-Vertrag, nachfolgend kurz "IC-Vertrag") sind die Parteien (unter anderem) wechselseitig zur Erbringung von Zusammenschaltungsdiensten verpflichtet. Hierzu gehören gemäß Teil 3 der Anlage C - Diensteportfolio - zum IC-Vertrag auch Terminierungsleistungen nach dem Tarif "3U-B.1", welcher Verbindungen in das Telefonnetz national der Klägerin aus dem Telefonnetz der Beklagten zum Gegenstand hat. Dabei handelt es sich um Terminierungen zu sogenannten Ortsnetzrufnummern, welche aus dem Telefonnetz der Beklagten erbracht wurden, und zwar auch als Transitleistung mit Ursprung im Mobilfunknetz der Streitverkündeten.
4Hinsichtlich der Rechnungsstellung für diese Dienste ist in Ziff. 17 des IC-Vertrages unter anderem folgendes geregelt:
5"17.6 Einwendungen
6 7Einwendungen gegen die in Rechnung gestellten Forderungen sind innerhalb von drei Monaten nach Zugang der Rechnung schriftlich bei der in Anhang F – Abrechnung genannten Stelle zu erheben, sofern der dieser Einwendung zugrunde liegende Umstand innerhalb der o.g. Frist bekannt geworden ist.
8…
9Einwendungen gegen die in Rechnung gestellten Forderungen berechtigen zum Zahlungsaufschub oder zur Zahlungsverweigerung nur, soweit sich aus den Umständen ergibt, dass offensichtliche Fehler gem. Anhang F – Abrechnung vorliegen und nur im Umfang des aufgrund des offensichtlichen Fehlers beanstandeten Teils der Rechnung.
10Hat ein Vertragspartner Zweifel an der Richtigkeit der in Rechnung gestellten Entgeltforderungen für Leistungen des Diensteportfolios, so gelten für den streitigen Teil der Forderung, sofern er in den Anwendungsbereich des Anhangs F – Abrechnung fällt, hinsichtlich des Verfahrens und Rechtsweges die in Anhang F – Abrechnung getroffenen Regelungen.
1117.7 Aufrechnung / Zurückbehaltungsrecht
12Eine Aufrechnung ist nur zulässig bei unbestrittenen oder rechtskräftig festgestellten Ansprüchen.
13Ein Zurückbehaltungsrecht kann nur wegen Gegenansprüchen aus dieser Zusammenschaltungsvereinbarung und nur mit einer Ankündigungsfrist von 7 Tagen ab Verzugseintritt geltend gemacht werden. …"
14Die Definition eines "offensichtlichen Fehlers" lautet nach den in Bezug genommenen Bestimmungen des Anhangs F wie folgt:
15"Ein offensichtlicher Fehler liegt nur dann vor, wenn bei objektiver Betrachtungsweise keine vernünftigen Zweifel an der Fehlerhaftigkeit bestehen, der Fehler also "auf der Hand liegt".
16Kein offensichtlicher Fehler liegt vor, wenn vertiefte rechtliche Überlegungen oder umfangreiche tatsächliche Aufklärungen notwendig sind.
17Ein offensichtlicher Fehler der Rechnung im Sinne von Punkt 17.6 des Hauptteils dieser Zusammenschaltungsvereinbarung liegt demnach z.B. in folgenden Fällen vor:
18- Schreib- oder Rechenfehler,
19- Fehlen der vereinbarten Informationen gem. Teil A Punkt 3,
20- Stellen einer doppelten Rechnung für einen Abrechnungszeitraum,
21- Berechnung bereits gekündigter oder nicht erbrachte Leistungen,
22- Berechnung von Leistungen, die nicht Gegenstand der mit 3U geschlossenen Zusammenschaltungsvereinbarung sind,
23- Verwendung (tatsächlich) falscher Preise."
24Wegen der weiteren Einzelheiten des Vertrages wird auf die zur Akte gereichte auszugsweise Kopie Bezug genommen.
25Seit Mai 2009 stellte die Streithelferin einen sprunghaften Anstieg von Verbindungen fest, welche aus ihrem Netz über dasjenige der Beklagten zu einer Anzahl von Anschlüssen mit Ortsnetzrufnummern im Netz der Klägerin hergestellt wurden. Die Streithelferin zog daraus den Schluss, dass durch die Klägerin nicht widmungskonforme Dienstleistungen erbracht würden und erhob entsprechende Einwendungen gegen die von der Beklagten ihr gegenüber in Rechnung gestellten Leistungen, welche die Beklagte wiederum zum Anlass nahm, die Rechnungen der Klägerin zu kürzen. Hiervon betroffen sind die Rechnungen Nummer #####/#### vom 30.11.2009 im Umfang von 34.097,53 € netto, Nummer #####/#### vom 31.12.2009 im Umfang von 11.693,04 € netto, Nummer #####/#### vom 31.01.2010 im Umfang von 12.621,60 € netto, Nummer #####/#### vom 28.02.2010 im Umfang von 10.935,41 € netto, Nummer #####/#### vom 09.04.2010 im Umfang von 14.947,56 € netto und Nummer #####/#### vom 30.04.2010 im Umfang von 14.615,96 € netto.
26Auf die erste Rechnungskürzung reagierte die Klägerin mit Schreiben vom 11.12.2009, indem sie sich unter anderem darauf berief, eine Analyse des Verkehrs zu den streitgegenständlichen Anschlüssen habe keine Auffälligkeiten ergeben; vielmehr handele es sich nach den Feststellungen der Klägerin überwiegend um gewerblich genutzte Anschlüsse von Call-Centern etc., die naturgemäß ein erhöhtes monatliches Minutenaufkommen erreichten.
27Die Klägerin behauptet auch im vorliegenden Rechtsstreit, ihre Terminierungsleistungen vertragsgerecht erbracht zu haben, da die von der Beklagten gerügten Verbindungen ausnahmslos zu geographischen Zielrufnummern hergestellt worden seien. Sämtliche Zuteilungsnehmer hätten ihre Geschäftsadresse im Ortsnetzbereich der B-Rufnummer, unter der sie zulässigerweise Konferenzschaltungen und Calling Card Services anböten. Hieraus erkläre sich auch der Umstand, dass zu diesen Anschlüssen erhöhte Gesprächsvolumina generiert würden. Selbst wenn diese Volumina über die Stundenzahl eines Monats hinausgingen, liege darin nichts Ungewöhnliches, da die technischen Möglichkeiten hierzu etwa durch die Schaltung von Nebenstellen ohne weiteres bestünden. Bei der Durchführung von Konferenzschaltungen sei dies infolge der Nutzung durch mehrere Anrufer ohnehin zwangsläufig. Ebenso erklärlich sei die Nutzung eines Mobilfunktelefons in einem Umfang, welcher über 24 Stunden täglich hinausgehe, da dies technisch über die "Halten"-Funktion zu bewerkstelligen sei. Unabhängig davon, dass hieraus nicht auf eine missbräuchliche Nutzung dieser Nummern geschlossen werden könne, sei die Beklagte jedenfalls durch Ziffer 17.6 des IC-Vertrages daran gehindert, diese Einwendungen im vorliegenden Prozess geltend zu machen, da es sich um keinen offensichtlichen Fehler handele. Eine Aufrechnung mit Gegenforderungen liege ohnehin nicht vor.
28Nachdem die Klägerin zunächst nur die einbehaltenen Beträge aus der November- und Dezemberrechnung in Höhe von insgesamt 42.590,78 € eingeklagt hatte, hat sie die Klage mit Schriftsatz vom 19.07.2010 erhöht und beantragt nunmehr,
29die Beklagte zu verurteilen, an sie 105.804,21 € nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 42.590,78 seit dem 12.02.2010, aus weiteren 15.019,70 € seit dem 03.03.2010, aus weiteren 13.013,14 € seit dem 03.04.2010, aus weiteren 17.787,60 € seit dem 12.05.2010 und aus weiteren 17.392,99 € seit dem 03.06.2010.
30Die Beklagte und die Streithelferin beantragen,
31die Klage abzuweisen.
32Sie behaupten, die aus den Aufzeichnungen der Streithelferin hervorgehende Frequenz von Anrufen in Verbindung mit den hierdurch generierten Gesprächsvolumina sei nicht mit Telefongesprächen zwischen Endteilnehmern zu erklären. Vielmehr spreche dieses Phänomen dafür, dass die in Rede stehenden Rufnummern durch eine Art technischer Plattform genutzt würden, von der aus eine Dienstleistung zusätzlich zu der Verbindungsleistung aufgebaut und abgewickelt würde. Durch dieses Geschäftsmodell würden zu Gunsten der Klägerin in hohem Maße Terminierungsleistungen generiert, um diese gegenüber der Beklagten nach dem Tarif 3U-B.1 abrechnen zu können, obgleich die Klägerin ihrerseits hätte für diese Verbindungen ein Entgelt zahlen müssen, da die über Ortsnetzrufnummern unzulässigerweise vermittelten Dienstleistungen in den für die Klägerin kostenpflichtigen Rufnummerngassen 0800, 0900, 0180 usw. hätten angeboten und abgewickelt werden müssen. Die Annahme derart missbräuchlicher Geschäftspraktiken werde ferner dadurch gestützt, dass die massenhaften Anrufe jeweils von solchen Mobilfunkkunden der Streithelferin veranlasst worden seien, die über eine Flatrate verfügten, mit der Folge, dass der umfangreichen kostenpflichtigen Generierung von Verbindungsminuten kein auch nur annähernd entsprechendes, von den Mobilfunkkunden zu zahlendes Entgelt gegenüberstehe. Dieser Missbrauch sei unter Würdigung der vorliegenden Verbindungsdaten auch derart offensichtlich, dass die Beklagte ihre entsprechenden Einwendungen habe zum Anlass nehmen dürfen, gemäß Ziffer 17.6 des IC-Vertrages anteilige Rechnungskürzungen vorzunehmen.
33Darüber hinaus beruft die Streitverkündete sich auf eine wettbewerbswidrige Nutzung der Ortsnetznummern durch die Generierung eines Massenverkehrs, welcher zu Netzstörungen geführt habe, die sich unmittelbar auf den Wettbewerb der Mitbewerber ausgewirkt hätten.
34Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf das Sitzungsprotokoll vom 25.08.2010 - insoweit auch wegen der in der Sitzung erteilten Hinweise - Bezug genommen.
35E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
36Die Klage ist zulässig, aber - zumindest derzeit - unbegründet.
37I.
38Dem von der Klägerin auf der Grundlage des IC-Vertrages geltend gemachten Anspruch auf Vergütung der streitgegenständlichen Verbindungsleistungen gemäß ihrem Tarif 3U-B.1 stehen Einwendungen entgegen, welche die Beklagte nach Maßgabe der Ziffer 17.6 des IC-Vertrages zu Recht erhoben hat.
39Hierbei kann dahinstehen, ob diese Terminierungsleistungen überhaupt zum Gegenstand einer Abrechnung durch die Klägerin nach dem vorgenannten Tarif gemacht werden durften, oder ob sie nicht vielmehr Dienstleistungen zum Inhalt hatten, welche über die kostenpflichtigen Rufnummerngassen 0800, 0900, 0180 usw. hätten angeboten und abgewickelt werden müssen. Jedenfalls ist aufgrund des unstreitigen Sachverhalts ein offensichtlicher Fehler der klägerseitigen Abrechnung im Umfang der beklagtenseits ausgebrachten Einbehalte gegeben.
401.
41Ein offensichtlicher Fehler liegt nach der in Anhang F zum IC-Vertrag niedergelegten Definition entgegen dem Verständnis der Klägerin nicht nur dann vor, wenn sich die Fehlerhaftigkeit schon bei einer ersten Durchsicht der Rechnung offenbart, das heißt regelrecht "ins Auge springt". Das Merkmal der Offensichtlichkeit bezieht sich vielmehr maßgeblich auf den Umstand der Fehlerhaftigkeit als solchen, welcher nicht mit Zweifeln behaftet sein darf. Die tatsächlichen oder rechtlichen Gegebenheiten dagegen, aus welchen die offenkundige Fehlerhaftigkeit hergeleitet wird, brauchen nicht ohne weiteres zu Tage zu liegen, sondern können sich auch erst aus einer Gesamtwürdigung unter Hinzuziehung weiterer Informationen ergeben. Dies folgt bereits aus der Charakteristik der in Anhang F zum IC-Vertrag aufgelisteten Regelbeispiele einer offensichtlichen Fehlerhaftigkeit, unter die auch solche fallen, die nur unter Heranziehung von Vertragsunterlagen oder auch der Ermittlung tatsächlicher Gegebenheiten erfüllt sein können. Zu unterscheiden ist daher zwischen der Fehlerbeurteilung als solcher, die offensichtlich sein muss, und der Feststellung der diese Würdigung stützenden Umstände, die auch erst aufgrund von Nachforschungen möglich sein kann. Diese Unterscheidung wird nicht zuletzt durch die in der Definition gemäß Anhang F zum IC-Vertrag zusätzlich enthaltene negative Klarstellung dahingehend untermauert, dass kein offensichtlicher Fehler vorliegt, wenn vertiefte rechtliche Überlegungen oder umfangreiche tatsächliche Aufklärungen notwendig sind. Rechtliche Überlegungen und tatsächliche Aufklärungen dürfen daher durchaus vonnöten sein, allerdings nicht in einem Umfang, welche eine Vertiefung beziehungsweise umfangreiche Ermittlung erfordert.
42Für die Beurteilung, ob - insbesondere tatsächliche - Aufklärungen in größerem Ausmaß erforderlich sind, kann zudem nicht, wie die Klägerin offenbar meint, allein auf den Umfang der in Rede stehenden Verstöße abgestellt werden. Ergibt sich ein größerer Aufwand also nur daraus, dass eine Vielzahl von potentiell falsch abgerechneten oder missbräuchlichen Verbindungen zu untersuchen ist, so ist dies allein nicht maßgeblich, um einen offensichtlichen Fehler im Sinne von Ziffer 17.6 des IC-Vertrages auszuschließen. Entscheidend ist vielmehr der Umfang notwendiger Recherchen in jedem Einzelfall. Auf die Gesamtheit aller gerügten Fälle kann es schon deswegen nicht ankommen, weil nicht klar wäre, wo die Grenzziehung in zeitlicher Hinsicht zu erfolgen hätte. Zudem kann die Zulässigkeit der Geltendmachung eines Zurückbehaltungsrechts gemäß Ziffer 17.6 des IC-Vertrages nicht davon abhängen, in welchem Umfang es der Rechnungssteller vermocht hat, falsch abgerechnete oder missbräuchliche Verbindungen auflaufen zu lassen, bis diese vom Rechnungsempfänger registriert und moniert werden. Maßgeblich kann daher nur der Aufwand sein, welche in jedem einzelnen Fall zu betreiben ist.
432.
44Dies vorausgeschickt offenbaren bereits die den Rechnungen der Klägerin zugrundeliegenden Verbindungsdaten, soweit sie von der Streithelferin herausgefiltert worden sind, eine offensichtliche Fehlerhaftigkeit der Abrechnung, da sie nicht mit Telefongesprächen zwischen Endteilnehmern zu erklären sind. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der klägerseitigen Behauptungen zur konkreten Nutzung der streitgegenständlichen Ortsnetzrufnummern. Zwar mag es zulässig sein, unter solchen Nummern Dienstleistungen wie Call Center, Calling Card sowie Konferenzschaltung anzubieten und abzuwickeln. Ferner mag es technisch kein Problem bereiten, unter einer einzigen Ortsnetzrufnummer durch die Einrichtung von Nebenstellen Terminierungsleistungen in einem Umfang zu generieren, der über das Maß der an einem Tag oder in einem Monat verfügbaren Zeit hinausgeht. Eine derart isolierte Betrachtung der rechtlichen und technischen Möglichkeiten lässt indes die Art und Weise der aus den Verbindungsdaten ersichtlichen konkreten Nutzung der B-Rufnummern außer Betracht. Denn der vorliegende Sachverhalt ist abgesehen vom Umfang dieser Nutzung durch die markante Konstanz der Verbindungen zwischen einer relativ eng begrenzten Anzahl von Anschlüssen gekennzeichnet. So wurden die in Rede stehenden B-Rufnummern unstreitig jeweils über längere Zeiträume, teils über mehrere Tage und Wochen, ausschließlich von einem einzigen oder einigen wenigen Mobilfunkanschlüssen aus dem Netz der Streithelferin (A-Rufnummern) angewählt. Dies hat die Streithelferin anhand eines dieser Fälle exemplarisch und eindrucksvoll erläutert. Der Betrieb eines Call Centers lässt jedoch erwarten, dass eine Vielzahl von unterschiedlichen A-Teilnehmern die B-Rufnummer kontaktieren. Selbst wenn man abweichend von der klägerseits in der vorprozessualen Korrespondenz aufgestellten Behauptung entsprechend ihrem Vorbringen im vorliegenden Rechtsstreit davon ausgeht, dass unter den streitgegenständlichen B-Rufnummern nur Calling Card- oder Konferenzdienste abgewickelt werden, so ist die dargestellte Exklusivität der Verbindungen auch für solche Dienste zumindest ungewöhnlich. Auch und gerade die Intensiv-Nutzung eines Calling Card-Anschlusses nur durch einzelne A-Teilnehmer in eng begrenzter Zahl liegt gänzlich außerhalb der verkehrstypischen Gestaltung solcher Verbindungsleistungen.
45Schon mit Blick auf die Art der zu den B-Rufnummern aufgenommenen Kontakte offenbart sich daher ein Sachverhalt, welcher mit der Behauptung der Klägerin unter diesen Anschlüssen würden schlichte Konferenz- und Calling Card-Dienste angeboten und die Benutzung dieser Anschlüsse diene auch ausschließlich diesen Zwecken, nicht in Einklang zu bringen ist. Das gilt erst Recht mit Rücksicht auf die Frequenz und Intensität, mit welcher diese Rufnummern von den wenigen in Rede stehenden A-Teilnehmern genutzt wurden. Auch hier verweist die Klägerin zwar zu Recht darauf, dass die technische Möglichkeit besteht, Verbindungsminuten in einer größeren als der monatlich zur Verfügung stehenden Anzahl von Minuten zu generieren. Hierauf kommt es aber nicht entscheidend an. Der Hinweis der Kammer betraf, wie dies in der mündlichen Verhandlung auch erläutert worden ist, vielmehr den Umstand, dass die aus den Verbindungsdaten ersichtliche nahezu ununterbrochene Nutzung auf Seiten der A-Teilnehmer mit einem Lebenssachverhalt, welcher die bloße Inanspruchnahme eines Konferenz- und Calling Card-Diensts zum Gegenstand hat, nicht in Einklang zu bringen ist. Wie der beispielhaften Aufarbeitung der Verbindungsdaten zwischen der A-Rufnummer ####1 und der B-Rufnummer ####2 (mit angeblichem Konferenz-Dienst) zu entnehmen ist, wurde zwischen dem 10.11.2009 0:57 Uhr und dem 25.11.2009 04:11 Uhr eine Vielzahl von Verbindungen hergestellt, die über weite Strecken fast nahtlos ineinander übergingen und bis zu 10 Stunden andauerten, wobei teilweise bis zu 6 Verbindungen kurz hintereinander aufgebaut und parallel gehalten wurden. In der Zeit zwischen dem 16.11.2009 14:14 Uhr und dem 17.11.2009 und 13:24 Uhr gab es durch verschiedene ineinandergreifende Telefonate eine Phase des ununterbrochenen beziehungsweise nur durch wenige Minuten unterbrochenen Kontakts zwischen den beiden genannten Anschlüssen. Eine derartige exzessive Nutzung ist selbst durch leidenschaftliches Chatten nicht mehr zu erklären. Dies gilt gleichermaßen für den Umstand, dass sich der auffällige Verkehr nach der Sperrung von B-Rufnummern durch die Streithelferin jeweils sofort auf andere B-Rufnummern verlagert hat, wie dies aus der Anlage NI 3 ersichtlich wird, ohne dass die durch die Bewerbung einer neuen Nummer üblicherweise zu verzeichnende Anlaufphase mit geringerer Nutzung festzustellen wäre. Auch dies rundet das Bild einer missbräuchlichen, erkennbar allein auf die Generierung von Verbindungsminuten angelegten Inanspruchnahme von Terminierungsleistungen ab.
463.
47Nicht widerlegt, sondern eher gestützt wird dieses Resultat durch die klägerseits mit Schriftsatz vom 29.10.2010 ergänzend zu den Anschlussinhabern und deren angeblichen Geschäftsadressen vorgetragenen Daten, die nach Auffassung der Kammer ebenso wie die Verbindungsdaten noch zu solchen gehören, welche ohne großen Aufwand zu ermitteln waren. Es dürfte sich um eine Angelegenheit von wenigen Minuten (wenn nicht Sekunden) handeln, in der Kundenkartei der Klägerin die zu einer bestimmten Rufnummer angegebene Geschäftsadresse abzurufen. Der aus der Vielzahl der Fälle resultierende Umfang der Recherchen ist, wie ausgeführt, nicht relevant.
48Markant ist bei den von der Klägerin ergänzend vorgetragenen Daten, dass sich die Inhaber der in Rede stehenden mehr als 500 B-Anschlüsse auf insgesamt 13 Firmen beschränken, wie sich dies aus der folgenden Tabelle ergibt. Darin sind die Anschlussinhaber im Verhältnis zu den angegebenen Geschäftsadressen und der Anzahl der dort verzeichneten Ortsnetzanschlüsse aufgeführt.
49
I | II | III | IV | V | VI | VII | VIII | IX | X | XI | XII | XIII | |
C,Reichenberger T3 | 13 | 21 | 9 | 1 | 3 | 2 | |||||||
C, Friedrich T4 | 6 | ||||||||||||
C, F2 | 1 | ||||||||||||
C2, G2 | 5 | ||||||||||||
E, E-Straße.65 | 10 | ||||||||||||
E3, M-Straße | 3 | 1 | |||||||||||
E3, S4 | 1 | 1 | |||||||||||
E4, X-Straße | 17 | 3 | 1 | ||||||||||
E2, Q2 | 8 | 18 | 1 | 2 | 2 | ||||||||
F, Weber T2 | 3 | 1 | |||||||||||
F, S3 | 2 | ||||||||||||
G, M4. 17/19 | 2 | ||||||||||||
G, M3 | 2 | ||||||||||||
G, M2 | 39 | 20 | 1 | ||||||||||
G, I2 | 1 | 8 | |||||||||||
I3, H-Straße | 2 | ||||||||||||
I2, | 5 | 13 | |||||||||||
I2, X2 | 59 | ||||||||||||
I2, | 2 | 1 | |||||||||||
I, Q-Straße | 8 | 15 | 1 | ||||||||||
L, | 4 | ||||||||||||
L, | 3 | ||||||||||||
L3, F-Str. | 18 | 12 | 5 | ||||||||||
L3, | 1 | ||||||||||||
L3, T5 | 1 | ||||||||||||
L3, S2 | 1 | ||||||||||||
Leipzig, L2 | 24 | 5 | |||||||||||
N2, X3 | 7 | ||||||||||||
N3, G3 | 11 | 1 | |||||||||||
O, N-Straße | 21 | ||||||||||||
P, I-Straße | 4 | ||||||||||||
P2, G-Str. | 9 | 1 | |||||||||||
Q, C2. 3a | 2 | ||||||||||||
S, H | 1 | ||||||||||||
T, L-Straße 10c | 10 | 17 | 9 | 1 | |||||||||
T, L-Straße | 1 | ||||||||||||
T, T-Straße | 1 | ||||||||||||
X, C-Straße | 5 |
50
Legende Anschlussinhaber:
51I Z GmbH
52II J Tel Ltd.
53III M.
54IV Y Ltd.
55V M10 Ltd.
56VI C B GmbH
57VII RLtd.
58VIII Depak N GmbH
59IX SGmbH
60X R9 Ltd.
61XI O Ltd.
62XII B3 GmbH
63XIII 4 GmbH
64Ferner sind diese Gesellschaften allesamt im Telekommunikations-Dienstleistungssektor tätig. Entsprechendes kann dem ohne weiteres (insbesondere mit keinem ins Gewicht fallenden Aufwand) verfügbaren, zu den offenkundigen Tatsachen gehörenden Internetauftritt dieser Firmen entnommen werden. Dieser zeigt ferner, dass schon ein beachtlicher Teil der in Rede stehenden Firmen, namentlich diejenigen mit einer Gesellschaftsform nach ausländischem Recht, überhaupt keine Geschäftsadresse in Deutschland unterhalten. Dies gilt beispielsweise für die Firma M., die zwar über eine deutsche Tochterfirma verfügen mag, ausweislich ihres Internetauftritts selbst aber keine Dependence in Deutschland hat. Gleiches gilt für die Firmen Y Ltd., RLtd., QiComm Ltd. und O Ltd.. Die übrigen Firmen haben ihre im Internet ausgewiesenen Geschäftsadressen überwiegend nicht an denjenigen Standorten, welche ausweislich der Angaben der Klägerin die ihrigen sein sollen. Zwar ist nicht auszuschließen, dass Informationen zu Zweigstellen im Internet unterblieben sind, wie dies gelegentlich der Fall ist, jedoch erklärt dies nicht, weshalb die im Internet angegebenen Adressen wiederum zumeist nicht unter denjenigen auftauchen, welche für die Zuteilung der Ortsnetzrufnummern bei der Klägerin geführt wurden.
65Diese Umstände mögen für sich allein zwar noch keine offensichtliche Unrichtigkeit der von der Klägerin vorgenommenen Abrechnung nach dem Tarif 3U-B.1 begründen, wohl aber unter Berücksichtigung der weiteren Auffälligkeiten, wie sie sich aus der vorstehenden Tabelle ergeben. Hieraus wird ersichtlich, dass sich sämtliche der in Rede stehenden Firmen zumindest mit Blick auf ihre angeblichen Geschäftsräume näher stehen als dies von Konkurrenten zu erwarten wäre. So sollen an nahezu der Hälfte der angegebenen Adressen mehrere dieser Firmen - an einigen Standorten sogar bis zu 6 - ansässig sein so, wobei diese auch noch in unterschiedlichen Konstellationen vorhandenen Verknüpfungen dazu führen, dass letztlich alle in Rede stehenden Firmen untereinander eine Verbindung aufweisen. Ungeachtet dieses schon bei einer ersten Durchsicht der Daten ins Auge fallenden Umstandes hat die Klägerin sich jedoch darauf beschränkt hat, die von ihren Kunden angegebenen Geschäftsadressen bekanntzugeben, ohne nahe liegende weitere Recherchen zur Verifizierung der angegebenen Standorte zu betreiben. Hierzu hätte unter Umständen, wie bereits in den Hinweisen der Kammer ausgeführt, eine Kontaktaufnahme mit den in Rede stehenden Firmen ausgereicht, wobei diese Maßnahme bei der übersichtlichen Zahl dieser Firmen ebenfalls keinen großen Aufwand verursacht hätte, vor allem dann nicht, wenn sie zunächst nur stichprobenhaft erfolgt wäre. Jedenfalls fehlt es an Vorbringen der Klägerin dazu, wie die bei nahezu der Hälfte der Adressen festzustellende auffällige Häufung gerade derjenigen Firmen zu erklären ist, welche durch die ebenfalls ungewöhnliche Inanspruchnahme durch einige Mobilfunkkunden der Streithelferin in deren Visier geraten sind. Auch hat die Klägerin auf den Vorhalt der Streitverkündeten, dass die Bereitstellung von Ortsnetzanschlüssen gar nicht zu ihrem im Internet beworbenen Geschäftsbereich gehöre, nicht reagiert.
664.
67Insgesamt mögen daher einige - wenngleich längst nicht alle - der aufgezeigten Phänomene bei isolierter Betrachtung einer Erklärung zuzuführen sein; in der Summe verdichten sie sich jedoch zu einem Gefüge, das nur durch eine missbräuchliche Gestaltung mit kollusivem Zusammenwirken einzelner Mobilfunkkunden der Streithelferin zu verstehen ist. Diese – aus leicht verfügbaren beziehungsweise offenkundigen Tatsachen – resultierende Beurteilung ist nach Auffassung der Kammer mit keinerlei vernünftigen Zweifeln behaftet und begründet damit eine offensichtliche Fehlerhaftigkeit der klägerseitigen Abrechnung im Sinne von Ziffer 17.6 des IC-Vertrages.
68Auf die Feststellung einer Aufrechnungslage und einer - nach Auffassung der Kammer bereits in der Rechnungskürzung liegenden - Aufrechnungserklärung der Beklagten kommt es daher nicht mehr an.
69Die Schriftsätze der Klägerin und der Streitverkündeten vom 22.11.2010 haben vorgelegen, geben aber zu einer abweichenden Beurteilung oder Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung keinen Anlass.
70II.
71Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 709 S. 1, 108 ZPO.
72Streitwert:
73Bis zum 19.07.2010: 42.590,78 €
74sodann: 105.804,21 €
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Referenzen
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