Urteil vom Landgericht Köln - 28 O 954/10
Tenor
1. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Vermeidung eines Ordnungsgeldes bis zu EUR 250.000,00 und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, der Ordnungshaft oder der Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, für jeden Fall der Zuwiderhandlung zu unterlassen, zu veröffentlichen oder sonst zu verbreiten:
a) “Denn aus Ermittlungsakten, die Y vorliegen, geht hervor, dass beide eine Vorliebe für sadomasochistische Sexualpraktiken gehabt haben sollen.”
b) “Es geht um bizarre Spiele mit Schlägen,, es geht um Fessel-Sex, Handschellen und Peitschen. Alles soll einvernehmlich gewesen sein. Das wird auch in einer E-Mail deutlich, in der die Ex-Freundin gegenüber L ausdrücklich versicherte, dass sie sich von ihm nicht prügeln ließe, wenn sie etwas dagegen hätte.”
c) “L versichert seiner Ex-Freundin in einer E-Mail vom 28. Januar 2010 – also nur zwei Wochen vor der vermeintlichen Tat – dass er ihr ein “Mitspracherecht” bei Dingen gewähre, wenn er sie züchtige.”
d) “In einer weiteren E-Mail fragt L seine Freundin, ob sie dauerhaft in seine Hände und unter seine “Peitsche” will. Sie beteuerte ihm gegenüber, es gehöre zu ihrem Leben, seine “Dienerin” zu sein.”
e) “Bei einer Befragung im Zuge der Ermittlungen gibt Sabine W. später an, L habe beim Sex mit ihr gerne zur Peitsche gegriffen. Es sei für ihn ein “Lustgewinn” gewesen, sie zu schlagen.”
wenn dies geschieht wie in dem anonymY.de Artikel “Es geht um bizarre Sex-Praktiken – L Gutachten: Neue pikante Details” 19.07.2010.
2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den Kosten der vorprozessualen Vertretung in Höhe von EUR 369,98 freizustellen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
4. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von EUR 10.000,00 vorläufig vollstreckbar.
1
T a t b e s t a n d:
2Die Parteien streiten über die Zulässigkeit der Veröffentlichung von Inhalten aus der Ermittlungsakte im Strafverfahren gegen den Kläger.
3Der Kläger ist Moderator, Journalist und Unternehmer. Er produzierte und moderierte die Sendung “A" und trat in der Werbung für “B" auf. Am 20.03.2010 wurde der Kläger wegen des Verdachts der Vergewaltigung festgenommen und befand sich bis zum 29.07.2010 in Untersuchungshaft. Der erste Verhandlungstermin vor dem Landgericht Mannheim fand am 06.09.2010 statt; ein Urteil in dem Strafverfahren gegen den Kläger stand zum Zeitpunkt des Schlusses der mündlichen Verhandlung noch aus.
4Die Nachricht von der Verhaftung des Klägers sowie der folgende Prozessverlauf stießen auf eine überragende mediale Aufmerksamkeit. Seit seiner Verhaftung wurde vielfach und umfangreich über den Kläger in den Medien berichtet. Auf die vom Beklagten auf den Seiten 13 bis 37 der Klageerwiderung (Bl. 46 bis 721 d. A.) zitierten Presseberichte wird beispielhaft Bezug genommen.
5Die Beklagte betreibt unter der Internetseite “www.anonymY.de” die Online-Ausgabe der Bild-Zeitung. Am 19.07.2010 veröffentlichte sie unter der Überschrift “Es geht um bizarre Sex-Praktiken - L Gutachten: Neue pikante Details einen Artikel, in dem die Beklagte im Zusammenhang mit dem bevorstehenden Prozessauftakt am 06.09.2010 wie folgt berichtete (Anlage K 2, Bl. 11 d. A.):
6“Dabei wird es auch um die ungewöhnlichen Sexual-Praktiken von TV-Star L und seiner Ex-Freundin gehen. Denn aus Ermittlungsakten, die Y vorliegen, geht hervor, dass beide eine Vorliebe für sadomasochistische Sexualpraktiken gehabt haben sollen.
7Es geht um bizarre Spiele mit Schlägen, es geht um Fessel-Sex, Handschellen, und Peitschen. Alles soll einvernehmlich gewesen sein. Das wird auch in einer E-Mail deutlich, in der die Ex-Freundin gegenüber L ausdrücklich versicherte, dass sie sich von ihm nicht prügeln ließe, wenn sie etwas dagegen hätte. L versichert seiner Ex-Freundin in einer E-Mail vom 28.010.2010 – also nur zwei Wochen vor der vermeintlichen Tat – dass er ihr ein “Mitspracherecht” bei Dingen gewähre, wenn er sie züchtige. […]
8In einer weiteren E-.Mail fragt L seine Freundin, ob sie dauerhaft in seine Hände und unter seine “Peitsche” will. Sie beteuerte ihm gegenüber, es gehöre zu ihrem Leben, seine “Dienerin” zu sein.
9Bei einer Befragung im Zuge der Ermittlungen gibt Sabine W. später an, L habe beim Sex mit ihr gerne zur Peitsche gegriffen. Es sei für ihn ein “Lustgewinn” gewesen, sie zu schlagen.”
10Der Kläger mahnte die Beklagte wegen der Veröffentlichung mit Schreiben vom 19.07.2010 ab und forderte sie zur Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung auf (Anlage K 3, Bl. 12 d. A.). Die Beklagte lehnte dies ab. Der Kläger erwirkte daraufhin vor dem Landgericht Köln unter dem 21.07.2010 eine einstweilige Verfügung (Az: 28 O 479/10), mit der der Beklagten die Verbreitung der im Tenor genannten Äußerungen untersagt wurde. Mit seiner Klage begehrt der Kläger nunmehr die Unterlassung der Verbreitung dieser Äußerungen in der Hauptsache.
11Der Kläger ist der Ansicht, die vorstehenden Äußerungen seien unzulässig, da vermeintliche Details aus seinem Liebes- und Sexualleben veröffentlicht worden seien. Es handele sich um Informationen aus dem Intimbereich, der vor den Einblicken Dritter absolut geschützt sei. Der Kläger werde durch die Veröffentlichung der Details in der Öffentlichkeit in einer nicht wieder gutzumachenden Weise stigmatisiert.
12Ein etwaiges Informationsinteresse der Öffentlichkeit sei für die rechtliche Beurteilung der Zulässigkeit der Äußerungen außer Betracht zu lassen, da der Kern der Menschenwürde betroffen sei. Ungeachtet dessen bestünde an der Verbreitung der Informationen kein legitimes Informationsinteresse der Öffentlichkeit, da die Berichterstattung außerhalb des eigentlichen Tatgeschehens liege. Es gehe allein darum, durch Mitteilung intimer Details die Neugier und den Voyeurismus der Leserschaft der Beklagten zu befriedigen. Auch die Mitteilung von Inhalten aus E-Mails zwischen dem Kläger und seiner ehemaligen Freundin sei unzulässig, da diese ebenfalls privater oder intimer Natur seien. Letztlich halte die Berichterstattung auch nicht die Grenzen der zulässigen Verdachtsberichterstattung ein, da durch den Bericht der Eindruck erweckt werde, der Kläger werde durch neue pikante Details aus dem “L-Gutachten” überführt.
13Der Kläger beantragt,
141. wie Ziffer 1 des Tenors erkannt.
152. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger von den Kosten der vorprozessualen Vertretung in Höhe von EUR 502,70 freizustellen.
16Die Beklagte beantragt,
17die Klage abzuweisen.
18Die Beklagte ist der Auffassung, die streitgegenständliche Veröffentlichung von Details aus dem Privatleben des Klägers sei zulässig. Der Kläger genieße eine mediale Omnipräsenz und habe in den Medien überragenden Erfolg und überragende Bekanntheit gehabt. Die Berichterstattung über den Kläger sei zulässig, da es darum gehe strafrechtlich relevante und auch moralisch fragwürdige Verhaltensweisen einer prominenten Person zu schildern. Es sei anerkannt, dass über schwere Straftaten als zeitgeschichtliche Ereignisse in der Öffentlichkeit in einer den mutmaßlichen Täter identifizierenden Art und Weise berichtet werden dürfe. Die Berichterstattung der Beklagten sei auch wahrheitsgemäß gewesen und in den Grenzen der anerkannten Verdachtsberichterstattung erfolgt.
19Der Kläger könne sich auch nicht auf den Schutz seiner Intimsphäre berufen, wenn die ihm vorgeworfene Tat eine Sexualstraftat sei. Dies betreffe insbesondere wahre tatsächliche Angaben über das ermittelte, die Ausübung von Gewalt einschließende Sexualverhalten des Klägers, soweit es zum Gegenstand des Ermittlungs- und des Strafverfahrens geworden sei. Die angegriffenen Passagen der Berichterstattung der Beklagten hätten gerade nicht das allgemeine Sexualverhalten des Klägers zum Gegenstand; vielmehr gehe es um die Schilderung von Tatsachen, die für die Meinungsbildung über die Glaubwürdigkeit der Einlassungen des Klägers und der vermeintlich Geschädigten in dem Strafverfahren wesentlich seien. Es bestünde daher ein vorrangiges Informationsinteresse der Öffentlichkeit.
20Schließlich sei auch zu berücksichtigen, dass in anderen Presseveröffentlichungen mit Billigung der Verteidigung des Klägers unter umfassender Auswertung der Ermittlungsakte berichtet worden sei. Zu nennen sei etwa der Beitrag in der Ausgabe Nr. 23/2010 der Zeitschrift “T”, in der nicht nur über die dem Kläger zur Last gelegte Tat, sondern darüber hinaus große Teile der Aussage der angeblich Geschädigten, der Aussage des Klägers sowie der gutachterlichen Feststellungen zu den Beweismitteln aber auch zu der geistigen und emotionalen Verfassung der Geschädigten verbreitet worden seien. Der Artikel sei noch heute im Internet abrufbar. Die Aussage des Klägers, aus der einige Details der Berichterstattung in dem streitgegenständlichen Artikel entnommen worden seien, sei mit Zustimmung des Klägers in der öffentlichen Sitzung des Landgerichts Mannheim am 13.09.2010 verlesen worden. Auch in dieser verlesenen Aussage vor dem Ermittlungsrichter habe der Kläger intime Umstände preisgegeben, insbesondere Einzelheiten seines Sexualverhaltens sowie Inhalte allgemeiner privater Natur aus der Beziehung zum mutmaßlichen Opfer, wie die Art und Weise des Zustandekommens der Beziehung, Inhalte der Kommunikation und der gemeinsamen Treffen. Das mutmaßliche Opfer habe in ihren Vernehmungen ebenfalls zu den üblichen sexuellen Handlungen, insbesondere unter Einsatz von Gewalt und unter Zufügung von Schmerzen, Rede und Antwort gestanden. Aus beiden Darstellungen ergebe sich eine diametral gegensätzliche Schilderung des vermeintlichen Tatgeschehens. Auch wenn einzelne Umstände nicht unmittelbar die Tat betreffen würden, seien sie für die Glaubwürdigkeit der einen oder der anderen Aussage bedeutsam. Aus diesen Gründen seien auch die entsprechenden Ermittlungen geführt worden. Gegenstand eines eingeholten psychologischen Gutachtens zur Glaubwürdigkeit des vermeintlichen Opfers sei weiter ein Kommunikationsprotokoll zwischen dem Kläger und seiner Ex-Freundin gewesen. Die Frauen, mit denen der Kläger liiert gewesen sei, seien in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht Mannheim schließlich auch vernommen worden. Aus Sicht der Ermittlung und der Strafkammer seien die Aussagen der ehemaligen Freundinnen des Klägers zu seinem privaten und intimen Verhalten von großer Bedeutung gewesen. Auch der Anklagevorwurf stütze sich nicht nur auf die Aussage der vermeintlich Geschädigten, sondern ebenso auf die Aussagen der weiteren Freundinnen des Klägers.
21Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
22E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
23Die Klage ist überwiegend begründet.
24I.
25Der Kläger kann von der Beklagten die Unterlassung der streitgegenständlichen Äußerungen aus §§ 823 Abs. 1, Abs. 2 i. V. m. 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog, Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG verlangen.
26Der Kläger ist durch die streitgegenständliche Veröffentlichung in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht betroffen. Die Beklagte ist für die Veröffentlichung in der Bild-Zeitung als Störer im Sinne des § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB analog verantwortlich.
27Der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Klägers ist auch rechtswidrig. Bei der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts handelt es sich um einen sogenannten offenen Tatbestand, d.h. die Rechtswidrigkeit ist nicht durch die Tatbestandsmäßigkeit indiziert, sondern im Rahmen einer Gesamtabwägung der widerstreitenden Interessen unter sorgfältiger Würdigung aller Umstände des konkreten Einzelfalles und Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit positiv festzustellen (Palandt, BGB, § 823 Rn. 95 m.w.N.). Stehen sich als widerstreitende Interessen – wie vorliegend – die Meinungsfreiheit (Art. 5 I GG) und das allgemeine Persönlichkeitsrecht (Art. 2, 1 GG) gegenüber, kommt es für die Zulässigkeit einer Äußerung im Regelfall maßgeblich darauf an, ob es sich um Tatsachenbehauptungen oder Meinungsäußerungen handelt.
28Eine Berichterstattung kann aber auch deshalb unzulässig sein, weil sie in unzulässiger Weise in die Privatsphäre der betroffenen Person eingreift, die Schutz vor unbefugter, insbesondere öffentlicher Kenntnisnahme genießt (Burkhardt in Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Aufl. 2003, Kap. 5 Rn. 35). Die Privartsphäre erfasst sachlich alle Angelegenheiten, die wegen ihres Informationsinhalts typischerweise als “privat” eingestuft werden, weil ihre öffentliche Erörterung als unschicklich gilt, wie etwas Auseinandersetzungen mit sich selbst, vertrauliche Kommunikation unter Eheleuten oder aber der Bereich der geschlechtlichen Begegnung zwischen Menschen (BVerfG NJW 2000, 1051, 1022 – Caroline von Monaco). Die eigenen Ausdrucksformen der Sexualität gehören dabei zur Intimsphäre einer Person, die als engster Bereich der Entfaltung der Persönlichkeit den stärksten Schutz gegen eine öffentliche Erörterung bietet (Burkhardt in Wenzel a. a. O. Kap. 5 Rn 47 f.). Ist eine Information der Intimsphäre zuzuordnen, genießt diese wegen ihrer Nähe zur Menschenwürde grundsätzlich absoluten Schutz vor den Einblicken der Öffentlichkeit (BVerfG NJW 2000, 2189; NJW 2009, 3357, 3359 - Fußballspieler).
29Die Frage, ob ein Vorgang dem Kernbereich der Entfaltung der Persönlichkeit zuzuordnen ist, hängt davon ab, ob der Betroffene ihn geheim halten will, ob er nach seinem Inhalt höchstpersönlichen Charakter hat und in welcher Art und Intensität er aus sich heraus die Sphäre anderer oder die Belange der Gemeinschaft berührt (BVerfG NJW 2009, 3357, 359). Die Begehung einer Straftat unter Verletzung des Rechts eines anderen auf sexuelle Selbstbestimmung vermittelt dem Straftäter nicht das Recht, mit seiner Tat allein gelassen zu werden, weil sie auch intime Züge tragen mag. Der Bereich der Sexualität gehört dann nicht zwangsläufig und in jedem Fall zum Kernbereich der Persönlichkeit, wenn mit ihr ein gewalttätiger Übergriff in die sexuelle Selbstbestimmung und die körperliche Unversehrtheit des Opfers einhergeht. Auch die weiteren Umstände der Tat, insbesondere die Beziehung des Täters zu seinem Opfer, zählen dann nicht zu seiner absolut geschützten Intimsphäre (BVerfG NJW 2009, 3357, 3359). Das Interesse der Öffentlichkeit an einer aktuellen Berichterstattung über eine schwere Straftat rechtfertigt es in diesem Fall vielmehr, in identifizierender Weise über den Täter und seine Tat zu berichten. Dies schießt auch Berichte über sein persönliches Leben ein, “soweit deren Inhalt in unmittelbarer Beziehung zur Tat steht, Aufschlüsse über Motive oder andere Tatvoraussetzungen gibt und für die Bewertung der Schuld des Täters wesentlich erscheint” (BVerfG a. a. O.).
30Gemessen an diesen Grundsätzen, die im Falle einer Verdachtsberichtserstattung erst recht als Grenzen einer zulässigen einer Berichterstattung zu berücksichtigen sind, stellen die angegriffenen Äußerungen der Beklagten in der Bild-Zeitung vom 19.07.2010 einen unzulässigen Eingriff in die Intimsphäre des Klägers dar. Die Berichterstattung der Beklagten beschränkt sich nicht auf eine Schilderung des eigentlichen Tatgeschehens und der für dieses Tatgeschehen maßgeblichen Umstände, sondern thematisiert die üblichen sexuellen Praktiken in der Beziehung zwischen dem Kläger und seiner ehemaligen Freundin unter dem Aufmacher “L Gutachten: Neue pikante Details – Es geht um bizarre Sexpraktiken”. Die Artikel der Beklagten setzt sich ausweislich seiner Überschrift und der weiteren Ausführungen im Text mit den “ungewöhnlichen” bzw. “sadomasochistischen Sexualpraktiken” des Klägers und seines angeblichen Opfers auseinander. Die mit dem Unterlassungsantrag angegriffenen Äußerungen stehen dabei nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Tatvorwurf der schweren Vergewaltigung. Stattdessen werden die einvernehmlich praktizierten sexuellen “Vorlieben” als “bizarre Spiele mit Schlägen”, “Fessel-Sex”, “Handschellen” und “Peitsche” beschrieben. Es gehört auch nicht zum unmittelbaren Tatgeschehen, dass der Kläger der Ex-Freundin in einer privaten E-Mail bei sexuellen Praktiken (“Züchtigung”) ein Mitspracherecht einräume, die Ex-Freundin dem Kläger gegenüber äußerte, sich dauerhaft unter seine “Peitsche” geben zu wollen und seine “Dienerin” sein zu wollen, wobei die Ex-Freundin bei einer Befragung im Zuge der Ermittlungen angegeben habe, es sei für den Kläger ein Lustgewinn gewesen, sie zu schlagen. Die sexuellen Verhaltensweisen zwischen dem Kläger und der Zeugin werden zudem ohne Auseinandersetzung mit dem konkreten Tatgeschehen geschildert, was die Intimsphäre des Klägers verletzt.
31Zwar trifft es zu, dass die mutmaßliche Tat selbst den Blicken der Öffentlichkeit nicht entzogen ist und in diesem Zusammenhang auch über die weiteren Umstände der Tat berichtet werden darf. Dies berechtigt die Presse jedoch nicht, das gesamte Sexualleben einschließlich der Vorlieben und Praktiken der daran beteiligten Personen im Detail in der Öffentlichkeit auszubreiten, nur weil diese in einem möglichen Zusammenhang mit der Schuld des Täters stehen oder für die Glaubwürdigkeit von Aussagen Relevanz erlangen könnten. Nach der Rechtsprechung dürfen nur solche Umstände berichtet werden, bei denen sich der Täter durch seine Tat selbst des höchstpersönlichen Schutzes einer Berichterstattung über seine sexuellen Vorlieben begeben hat. Alle diejenigen sexuellen Praktiken, die zwischen den Partner einvernehmlich praktiziert worden sind, und die daher nicht Gegenstand der Tat selbst geworden sind, bleiben den Einblicken der Öffentlichkeit verborgen (vgl. BVerfG NJW 2009, 3357). Die Berichterstattung der Beklagten berücksichtigt insoweit nicht, dass eine Berichterstattung aufgrund des gegen den Kläger erhobenen Tatvorwurfs nicht weiter gehen darf, als dies für eine angemessene Befriedigung des Informationsinteresses erfordert ist (vgl. BVerfG NJW 1973, 1226, 1230 – Lebach I).
32Eine andere Beurteilung folgt auch nicht daraus, dass weitere Details aus dem Sexualleben des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem erkennenden Strafgericht durch die Verlesung der Einlassung des Klägers oder ein anderes Beweismittel eingeführt worden sind. Zwar deutet die Einführung eines bestimmten Beweismittels in der mündlichen Verhandlung darauf hin, dass dieses durch einen der Verfahrensbeteiligten in einen (unmittelbaren) Zusammenhang mit dem Tatvorwurf, sei es entlastend oder aber belastet, gestellt wird. Dies bedeutet jedoch nicht, dass eine Berichterstattung über den gesamten Inhalt der mündlichen Verhandlung ohne Rücksicht auf die geschützten Interessen des Angeklagten zulässig wäre. Die Gerichtsöffentlichkeit versteht sich gesetzlich gemäß § 169 GVG als Saalöffentlichkeit, die nicht mit der Öffentlichkeitswirkung einer Berichterstattung in den Medien gleichzusetzen ist (vgl. Burkhardt in Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Aufl. 2003, Kap. 10 Rn. 181). Wesentlicher Inhalt dieses Verfahrensgrundsatzes ist es nicht, der breiten Öffentlichkeit ein wortgetreues Nachempfinden der mündlichen Verhandlung zu ermöglichen. Der Grundsatz der Öffentlichkeit dient vielmehr vor allem dem Schutz der Verfahrensbeteiligten vor einer Geheimjustiz des Staates. Die Öffentlichkeit mündlicher Verhandlungen soll zur Gewährleistung von Verfahrensgerechtigkeit beitragen. Die Information über das Geschehen ist Voraussetzung einer Kontrolle in Verfolgung dieses Zwecks (BVerfG NJW 2001, 1633, 1635). Zwar gewährleistet der Grundsatz der Öffentlichkeit auch die Eröffnung einer Informationsquelle zugunsten der Medien (vgl. Burkhardt in Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Aufl. 2003, Kap. 10 Rn. 181). Eine solche Gewährleistung ist jedoch auch verbürgt, wenn im Einzelfall mit Rücksicht auf die Interessen der Verfahrensbeteiligten nicht jedes Detail aus dem Intimleben einer Person, das nicht in einem unmittelbaren Tatzusammenhang steht, berichtet werden darf.
33Auch ein – unterstellter - Nichtgebrauch von der gesetzlich vorgesehenen Möglichkeit, wonach zugunsten des Persönlichkeitsrechts von Verfahrensbeteiligten die Öffentlichkeit gemäß § 171 b GVG ausgeschlossen werden kann, lässt nicht einen Schluss auf die Zulässigkeit einer bestimmten Berichterstattung zu. Die Entscheidung, ob die mündliche Verhandlung im konkreten Fall ausgeschlossen werden darf oder muss, folgt nicht den inhaltlich identischen rechtlichen Erwägungen wie die Frage, ob in der breiten Öffentlichkeit über bestimmte Details aus der Privat- oder Intimsphäre berichtet werden darf. Es liegt vielmehr näher, dass die Frage, in welchen Fällen eine Kenntnis von dem Verhandlungsinhalt durch die Öffentlichkeit auszuschließen ist, gemäß § 171b GVG strengeren Gesichtspunkten unterliegt als eine maßvolle Beschränkung der Berichterstattung in den Medien aufgrund des Persönlichkeitsrechts des Betroffenen. Denn wenn bei Berührung der Privat- oder Intimsphäre eines Verfahrensbeteiligten jedes Mal die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden müsste, hätte dies eine unverhältnismäßige Einschränkung des Grundsatzes der Öffentlichkeit zur Folge. Demgegenüber stellt es nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ein milderes Mittel stellt, die Öffentlichkeit zuzulassen, auf der anderen Seite jedoch die Frage der medialen Verbreitung einer Information getrennten Grundsätzen zu unterwerfen. Hinzu kommt, dass für den Kläger als Angeklagten in einem ordentlichen Gerichtsverfahren die Möglichkeit bestehen muss, sich sachgerecht zu verteidigen, ohne eine Berichterstattung über alle Details seiner Einlassung in der Öffentlichkeit befürchten zu müssen.
34Etwas anderes mag im Rahmen der Abwägung allenfalls gelten, wenn eine bestimmte Information bereits durch eine Vielzahl anderer Medien berichtet worden ist und diese dadurch der breiten Öffentlichkeit bekannt war (BVerfG NJW-RR 2010, 1195, 1196 [Tz. 33]). Ein solcher Bekanntheitsgrad der streitgegenständlichen Information war zum Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung aber nicht gegeben. Die Beklagte hat die streitgegenständliche Details aus dem Intimleben des Klägers oder seiner sonstigen Geheimsphäre unmittelbar nach deren Kenntniserlangung aufgegriffen, ohne dass die Informationen bereits zuvor in den Medien allgegenwärtig verbreitet worden wären. Durch die Veröffentlichung des angegriffenen Artikels hat die Beklagte die Details aus dem vermeintlichen Liebesleben des Klägers einem weiteren Leserkreis zur Kenntnis gebracht und damit auch zu einer weiteren Verbreitung durch andere Medien Anlass gegeben. Die Beklagte kann sich deswegen nicht darauf berufen, dass aufgrund der zunehmenden (rechtswidrigen) Verbreitung der Details aus dem Sexualleben des Klägers die Information mittlerweile allgemein bekannt sei. Dies ist zum einen weder nachgewiesen noch kann der Beklagten rechtlich zu Gute gehalten werden, aufgrund der eigenen rechtswidrigen Verbreitung nicht allgemein bekannter Informationen gleichsam deren Bekanntheit herbeigeführt und dadurch sodann die Wiederholungsgefahr beseitigt zu haben.
35Letztlich ist eine andere Betrachtung auch nicht deshalb geboten, weil in anderen Veröffentlichungen, wie etwa in der Zeitschrift “Der T” Ausgabe Nr. 23/2010 (Anlage B 22), über die mutmaßliche Tat und die weiteren Tatumstände schildert werden, die der Kläger nicht mit Rechtsmitteln angegriffen hat. Im Gegensatz zu den anderen Berichten setzt sich die von der Beklagten zitierte Veröffentlichung des Ts mit der Schilderung des Tatgeschehens selbst auseinander. Zwar geht der Artikel des Ts in diesem Zusammenhang auch auf die mehrjährige Beziehung zwischen dem Kläger und seiner ehemaligen Freundin ein. Sie schildert jedoch keine Details aus dem Sexualleben beider, die nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der vermeintlichen Tatnacht selbst stehen würden.
36Die Wiederholungsgefahr ist aufgrund der bereits erfolgten Rechtsverletzung zu vermuten und hätte nur durch Abgabe einer strafbewehrten Unterlassungserklärung ausgeräumt werden können (BGH NJW 1994, 1281), an der es fehlt.
37II.
38Der Anspruch auf Zahlung von Abmahnkosten ist nur teilweise in Höhe von EUR 369,98 begründet. Der Kläger kann von der Beklagten die Freistellung von den vorprozessualen Anwaltskosten in dieser Höhe aus §§ 823 Abs. 1, 249 BGB verlangen, da die Verbreitung des Bildnisses des Klägers einen rechtswidrigen Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht darstellt. Bei vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten handelt es sich dem Grundsatz nach um erforderliche Kosten der Rechtsverfolgung.
39Der Anspruch des Klägers ist der Höhe nach auf einen Betrag von EUR 369,98 begrenzt. Der Kläger hat bei Abrechnung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Rechnung zu stellen, dass er sowohl die Beklagte als auch die R AG wegen derselben Veröffentlichung auf Unterlassung in Anspruch genommen hat und es sich insoweit um dieselbe gebührenrechtliche Angelegenheit im Sinne der §§ 15 ff. RVG handelt. Die Annahme lediglich einer gebührenrechtlichen Angelegenheit ist bei gleichartigen Print- und Onlineveröffentlichungen begründet, wobei grundsätzlich unerheblich ist, ob auf Kläger- oder Beklagtenseite mehrere Rechtspersönlichkeiten betroffen sind (BGH NJW 2011, 155).
40Aufgrund der vorliegend identischen Berichterstattung und der in beiden Verfahren im Wesentlichen gleichlautenden Abmahnungen des Klägers ist die Gebührenforderung der Prozessbevollmächtigten des Klägers für beide Abmahnungen einem Gesamtgegenstandswert von insgesamt EUR 60.000,00 zu entnehmen. Bei einer 1,3 Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2300 VV RVG (EUR 1459,90) zuzüglich der gesetzlichen Auslagenpauschale gemäß Nr. 7002 VV RVG (EUR 20,00) beträgt die berechtigte Höhe der Gebührenforderung für die außergerichtliche Tätigkeit der Prozessbevollmächtigten des Klägers EUR 1.479,90. Die Beklagte als auch die R AG haften für diese Forderung zu gleichen Teilen. Da der Kläger gerichtlich aufgrund der gebührenrechtlichen Anrechnung auf die Verfahrensgebühr nur die Hälfte der Geschäftsgebühr geltend macht, verbleibt ein Anspruch in Höhe von EUR 369,98.
41III.
42Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 709 Satz 1 ZPO.
43Streitwert: EUR 30.000,00
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Referenzen
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