Urteil vom Landgericht Köln - 15 O 505/14
Tenor
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
1
Tatbestand
2Der Kläger ist Kunde der Beklagten. Er und seine Frau, die Zeugin Fisenk, nutzen das Online-Banking-Angebot mittels eines TAN-Generators. Dabei meldet sich der Kunde zunächst mit einem Anmeldenamen und einer PIN im System der Beklagten an. Für die dann nötige Nutzung des TAN-Generators gibt es zwei Wege: Der Kunde kann durch Drücken der F-Taste das sogenannte „Flicker-Verfahren“ wählen, bei dem er den Generator nach Eingabe der Überweisungsdaten am PC an eine auf dem Bildschirm angezeigte Flicker-Grafik halten muss. Im Anschluss zeigt der Generator zunächst die Kontonummer an, auf die ein Geldbetrag überwiesen werden soll, sodann zeigt er den zu überweisenden Betrag an. Erst dann wird eine TAN generiert, die der Kunde am PC eingeben muss. Alternativ kann der Kunde die Überweisungsdaten auch manuell in den TAN-Generator eingeben, der dann eine TAN generiert.
3Am 02.06.2014 gegen 17:30 Uhr meldete sich die Ehefrau des Klägers im Internetportal der Beklagten an. Unter Umständen, die zwischen den Parteien streitig sind, gab sie eine mittels des TAN-Generators generierte TAN ein, aufgrund derer ein Betrag von 9.352,30 EUR an eine schottische Bank überwiesen wurde.
4Mit Schreiben vom 04.06.2014 (Anlage B3, Bl. 36 GA) wandte sich die Ehefrau des Klägers an die Beklagte, schilderte einen von ihr als „Phishing“ bezeichneten Vorgang und bat um Erstattung des Betrages. Mit anwaltlichem Schreiben vom 01.08.2014 ließ der Kläger die Beklagte erfolglos zur Rückzahlung auffordern.
5Der Kläger behauptet, er sei Opfer eines sog. „Pharming-Angriffs“ geworden. Entweder sei der Server der Bank manipuliert worden oder aber sein eigener PC. Sein PC sei durch ein Virenprogramm und eine Firewall geschützt gewesen, was allerdings keine absolute Sicherheit garantiere. Jedenfalls sei seine Frau bei Aufruf der Seite der Beklagten auf die Seite des Angreifers, die derjenigen der Beklagten nachgebildet gewesen sei, umgeleitet worden. Der Angreifer, der auf diese Weise an die TAN gelange, agiere als ein „Man-in-the-Middle“ und nutze die Daten für die Vornahme einer Überweisung. Seine Frau habe am 02.06.2014 über die Favoriten-Liste die Internetseite der Beklagten aufgerufen. Nach dem Einloggen habe sich eine die übliche Eingabemaske überlappende Seite gezeigt, die eine Aufforderung zur Sicherheitsprüfung enthalten habe. Zunächst habe seine Frau daraufhin die Sitzung abgebrochen und sich erneut eingeloggt. Als sich die Seite erneut gezeigt habe, habe sie den Abbruch wiederholt. Auch bei einem dritten Einloggen sei die überlappende Seite angezeigt worden. Seine Frau habe sich jeweils versichert, dass im Bildschirm das Schloss-Symbol im Browser angezeigt worden sei, welches die Sicherheit der Verbindung belege. Bei der Sicherheitsabfrage sei seine Frau aufgefordert worden, Daten in den TAN-Generator einzugeben und anschließend die generierte TAN am PC einzugeben. Weil sich Bedenken eingestellt hatten, habe seine Frau im Anschluss geprüft, ob es zu einer Überweisung gekommen sei, was nicht der Fall gewesen sei. Auch habe sie erfolglos versucht, die Beklagte telefonisch zu erreichen. Ebenso habe sie eine E-Mail an die Beklagte geschrieben, in der sie um einen Rückruf gebeten habe, der nicht erfolgt sei. Erst am nächsten Tag habe sie die Überweisung festgestellt.
6Der Kläger ist der Ansicht, es handele sich um einen nicht autorisierten Vorgang, der ihm auch nicht nach den Grundsätzen der Anscheinsvollmacht zuzurechnen sei. Das Verhalten seiner Ehefrau sei auch nicht als grob fahrlässig einzustufen.
7Der Kläger beantragt,
8die Beklagte zu verurteilen, an ihn 9.202,30 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.08.2014 zu zahlen;
9die Beklagte weiter zu verurteilen, an ihn vorgerichtliche Anwaltskosten in Höhe von 887,03 EUR nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 21.08.2014 zu zahlen.
10Die Beklagte beantragt,
11die Klage abzuweisen.
12Die Beklagte behauptet, die Ehefrau des Klägers habe wie im vorgerichtlichen Schreiben vom 04.06.2014 dargestellt das Flicker-Verfahren gewählt. Dann seien ihr hierbei die Kontonummer und der zu überweisende Betrag angezeigt worden. Selbst wenn die Ehefrau des Klägers eine manuelle Eingabe gewählt haben sollte, frage der TAN-Generator die Begriffe „IBAN“ und „Betrag“ ab.
13Dem Kläger seien die Sonderbedingungen für das Online-Banking ausgehändigt worden, die auf die Sicherheitshinweise der Beklagten verweisen. Auf ihrer Internetseite sei davor gewarnt worden, TAN einzugeben, ohne eine Überweisung tätigen zu wollen.
14Die Beklagte ist der Ansicht, für die Autorisierung des Vorgangs spreche ein Anscheinsbeweis. Jedenfalls sei das Verhalten der Ehefrau des Klägers als grob fahrlässig einzustufen.
15Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 18.06.2015, Bl. 65 GA. Für das Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 18.06.2015, ebenda, Bezug genommen.
16Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
17Entscheidungsgründe
18Die Klage ist nicht begründet.
19Dem Kläger steht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch auf Zahlung des geltend gemachten Betrages zu. Ein solcher Anspruch folgt insbesondere nicht aus § 675u BGB, weil die Beklagte jedenfalls einen Schadensersatzanspruch in gleicher Höhe aus § 675v Abs. 2 BGB hat. Die Ehefrau des Klägers hat durch ihr Verhalten in grob fahrlässiger Weise ihre Pflicht verletzt, zumutbare Vorkehrungen zu treffen, um einen unbefugten Zugriff auf die personalisierten Sicherheitsmerkmale zu verhindern. Der Kläger muss sich das Fehlverhalten seiner Frau nach § 278 BGB zurechnen lassen, weil diese mit seinem Wissen und Wollen in seinem Pflichtenkreis tätig geworden ist.
20Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhnlich grobem Maße verletzt und auch ganz naheliegende Überlegungen nicht anstellt oder das nicht beachtet, was im konkreten Fall jedem hätte einleuchten müssen. Dabei sind anders als bei einfacher Fahrlässigkeit auch subjektive, in der Individualität des jeweils Handelnden begründete Umstände zu berücksichtigen. Danach können auch Unerfahrenheit und Unbeholfenheit grobe Fahrlässigkeit ausschließen. Solche in der Individualität des Bankkunden liegende Umstände sind gerade bei der Teilnahme am Online-Banking von besonderer Bedeutung, da sich angesichts der komplexen, laufend fortentwickelten technischen Abläufe und Verfahren, die eine schwer zu überblickende Vielfalt von Angriffsvarianten zulassen, ein verlässliches Alltagswissen zur Risikovermeidung nicht herausgebildet hat (Maihold, in: Bankrechtshandbuch, 4. Aufl., 2011, § 55 Rn. 108).
21In der Rechtsprechung wurde bereits mehrfach entschieden, dass die Eingabe einer Vielzahl von TANs bei einem Pharming-Angriff als grob fahrlässig anzusehen ist (LG Düsseldorf, Urt. v. 27.03.2014, 21 S 211/13; OLG München, Urt. v. 23.01.2012, 17 U 3527/11; LG Berlin, Urt. v. 08.11.2011, 21 O 80/11; für die Annahme – nach damaliger Rechtslage ausreichender – einfacher Fahrlässigkeit BGH, Urt. v. 24.04.2012, XI ZR 96/11). Ob bereits die einmalige Preisgabe einer TAN stets den Vorwurf grober Fahrlässigkeit auslöst kann hier dahinstehen (dafür AG Köln, Urt. v. 20.01.2014, 142 C 406/13; zweifelnd Palandt-Sprau, 74. Aufl., 2015, § 675v Rn. 5: „sehr weitgehend“; für die einmalige Eingabe einer TAN auf der Startseite Maihold, in: Bankrechts-Handbuch, 4. Aufl., 2011, § 55 Rn. 132). Jedenfalls bestanden im Streitfall genügend Anhaltspunkte, aufgrund derer das Verhalten der Ehefrau des Klägers auch unter Berücksichtigung ihrer Individualität als unentschuldbar erscheint.
22Zunächst ist es im Allgemeinen ungewöhnlich, dass eine TAN eingegeben werden muss, ohne dass eine Überweisung durchzuführen ist. Die Zeugin hat bei ihrer Vernehmung bekundet, dies sei in der Vergangenheit bereits des Öfteren der Fall gewesen. Bei jedem Erhalt einer neuen TAN-Liste, die früher auf Papier ausgedruckt waren, seien zu Beginn TANs zum Zwecke der Autorisierung abgefragt worden. Dem ist der Prozessbevollmächtigte des Klägers bei der abschließenden Beweiswürdigung entgegengetreten. Es steht außer Streit, dass es eine solche Aufforderung zur Eingabe von TANs zum Zwecke der Autorisierung bei der Beklagten in der Vergangenheit nicht gegeben hat. Im Streitfall kam hinzu, dass der Log-In-Prozess zunächst nicht funktionierte. Erst nach einigen Fehlversuchen war der Log-In erfolgreich. Nach den bereits ungewöhnlichen Umständen des Log-Ins hat die Zeugin bekundet, lange Zahlen eingegeben und mit OK bestätigt zu haben. Zwischendurch habe sie, so die Zeugin bei ihrer Vernehmung, mehrere Minuten warten müssen. Auch eine solche Wartezeit ist auffällig, schließlich arbeitet das System der Beklagten ansonsten relativ schnell. Ebenfalls Anlass zur Vorsicht hätte der Zeugin die noch in ihrem Schreiben vom 04.06.2014 geschilderte Kommastelle am Ende der letzten Zahl geben müssen, die den Verdacht hätte nahelegen müssen, dass es hier um einen Geldbetrag geht. Die vorstehenden Umstände begründen nicht nur in objektiver, sondern auch in subjektiver Hinsicht den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit. Die Zeugin hat bei ihrer Vernehmung und bereits in dem Schreiben vom 04.06.2014 eingeräumt, aufgrund des Vorgangs ein „komisches“ Gefühl gehabt zu haben. Dieses manifestierte sich auch in ihrem späteren Verhalten. Die Zeugin kontrollierte unmittelbar nach dem Vorgang ihre Kontobewegungen. Im Schreiben vom 04.06.2014 heißt es hierzu noch, dies sei wegen des komischen Gefühls geschehen. Bei ihrer Vernehmung hat die Zeugin versucht, dies als normalen Vorgang darzustellen. Dann hat die Zeugin sofort nach dem Vorfall versucht, die Beklagte telefonisch zu erreichen. Hier zeigt sich ebenfalls ein Widerspruch zwischen dem Schreiben vom 04.06.2014 und den Angaben der Zeugin bei ihrer Vernehmung. Gegenüber dem Gericht hat sie angegeben, aus Anlass eines anderen Bankgeschäfts ohnehin den Kontakt zur Beklagten gesucht zu haben, der Störfall habe dabei gleichsam bei Gelegenheit mit erörtert werden sollen. Das Schreiben vom 04.06.2014 ist dahin zu verstehen, als sei der Anruf ausschließlich wegen des Vorfalls erfolgt. Dabei erscheint die zeitnähere Schilderung in dem Schreiben vom 04.06.2014 glaubhafter. In der Regel verblasst die Erinnerung eines Menschen im Laufe der Zeit immer mehr. Die in anderem Zusammenhang abgegebene Erklärung der Zeugin, sie habe bei Abfassung des Schreibens unter starkem psychischen Druck gestanden, leuchtet nicht ohne weiteres ein, weil das Schreiben immerhin zwei Tage nach der Überweisung und somit einen Tag nachdem der Betrug aufgedeckt war, verfasst wurde. Vielmehr entsteht der Eindruck, dass die Zeugin bei ihrer Aussage angesichts des Umstands, dass es sich für den Kläger und sie um viel Geld handelt, durchaus bemüht war, den Vorwurf der groben Fahrlässigkeit zu entkräften. So gab sie in dem Schreiben an, sie habe auch die F-Taste des TAN-Generators gedrückt, was sie heute von sich weist. Dass es der Zeugin tatsächlich nicht bloß um ein ohnehin zu erledigendes Bankgeschäft ging, dessentwegen sie mit ihrer Beraterin Frau Hochstetter sprechen wollte, kann bereits daran festgemacht werden, dass die Zeugin bei ihrer Vernehmung von einer Hotline berichtet hat, bei der sie erfolglos versucht habe, anzurufen. All dies belegt, dass die massiven Verdachtsmomente auch bei der Zeugin den zutreffenden Eindruck hervorriefen, dass etwas nicht in Ordnung sein könne. Warum sie den Vorgang dann gleichwohl fortgesetzt hat, ist nicht verständlich. Es gab keinen dringenden Anlass für die Zeugin, noch an diesem Abend auf das Online-Banking-System zugreifen zu müssen.
23Es kann dahinstehen, ob es technisch möglich ist, dass der TAN-Generator eine TAN erzeugt, ohne dass vorher die Begriffe „IBAN“ und „Betrag“ angezeigt werden.
24Mangels Hauptforderung stehen dem Kläger auch keine Nebenforderungen zu.
25Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 709 ZPO.
26Streitwert: 9.202,30 EUR
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Referenzen
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